Liebste Schwester,
Das erste, was ich hier in Erlangen thun will, soll doch auch sein, an Dich zu schreiben. Daß ich also hier angekommen bin, wirst Du nun schon wißen, aber was noch mehr ist, auch gesund und wohlbehalten bin ich hier angelangt. Wenn Du nur eben so gesund bist, als ich, so will ich schon mit Dir zufrieden sein. – Ich muß Dir doch wohl so etwas von meiner grossen Reise erzählen, die wenigstens bis izt meine gröste gewesen ist.
Nach neun Uhr fuhren wir am Mittwoch von Berlin ab, ich fuhr vor unsrer Straße vorbei und es that mir sehr leid, daß ich Dich nicht noch einmahl sehen konnte. Ich fuhr wieder zum Leipziger Thore hinaus, aus dem ich nun schon so viele von meinen Reisen, fast alle, gemacht habe. Die Chaußee wird bis Potsdam im Ganzen recht gut, man kann dorthin nun bald recht schnell kommen, um 1 Uhr waren wir schon dort. Von da bis Belitz und Treuenbrietzen kömmt denn ein abscheulicher sandiger Weg, in der leztern Stadt kam ich erst in der Nacht an, wo ich ziemlich fror. Am Donnerstag um 10 Uhr Morgens waren wir in Wittemberg, wo die Gegend schon anfängt, weit mehr Intereße zu bekommen. – Ich hatte / auf Michaelis in Jessen (wo ich durch Pieskern bekannt geworden bin) versprechen müssen, die Leute dort (besonders ein junges artiges Mädchen) wieder zu besuchen, ich brachte also Wakkenrod. dahin, bis zum Mondtag in Wittemberg zu bleiben, indessen ich dorthin ging. – Ich zog mich also etwas um und machte mich auf den Weg. Jessen liegt 3 Meilen von Wittemberg, der Weg dahin ist sehr angenehm, nur war an dem Tage ein sehr grosser Wind, W. begleitete mich fast eine Meile. – Ich kam über Elster, ein Dorf was sehr angenehm liegt am Abend um 9 Uhr in Jessen an. Ich aß nur wenig und fand die Söhne und die Tochter nicht zu Hause, denn es war von ohngefähr an diesem Tage gerade eine Art von Ball, der nur jährlich ein mahl ist, ich ging auch nachher hin und tanzte munter bis um 3 Uhr am Morgen, dann schlief ich ein Paar Stunden und war dann nach dem Fahren auf der Post in der Nacht, nach der Fußreise und nach dem Tanzen so munter als vorher. Ich bin in Jessen sehr vergnügt gewesen, besonders hab’ ich dort einmahl wieder sehr viele Sprüchwörter aufgeführt, der Rector dort, ein ziemlich alter Mann, spielt charmant. Am Sonntag Vormittag ging ich wieder von dort fort und Wakken. / kam mir bis Elster entgegen. Dieser hatte unterdeß in Wittemberg mit einem Küster Bekanntschaft gemacht, der einen Wagen und Pferde hielt und sie zu Reisen verlieh, alles war mit ihm akkordirt, ich zog wieder meine Reisekleider an und so fuhren wir schon am Sonntag Abend fort von Wittemberg, statt daß wir erst Mondtag früh mit der Post hatten reisen wollen. Der Wagen hing in Federn und war sehr bequem, man konnte ihn ganz zumachen und auch ganz öffnen. Unser Fuhrmann war ein äusserst närrischer alter Kerl. In der Nacht kehrten wir in Düben ein, wo ich äusserst müde war und fest einschluf oder schnubbete. In der Nacht war es ziemlich kalt und besonders vor Leipzig am Morgen froren wir nicht schlecht. In Leipzig kehrten wir ein und erquickten uns wieder und ich besuchte den Buchhändler Barth, von dem Adalbert und Emma war noch nichts als der Titul gedruckt, ich ließ mir diesen und die ersten Bogen der Sammlung zeigen. – Wir hatten den Wagen bis Jena, oder eigentlich bis Drakendorf genommen, nahe bei Jena, wo Schuderof, ein Freund Wakk. Prediger war. Die Gegend war nun schon sehr reizend, Berge wechselten mit Ebenen und zuweilen ließen sich auch schon Felsen verspüren. Am Mittag kamen wir in Weissen/fels an, nachdem wir Merseburg und mehrere Städte rechts hatten liegen sehn. Von hier wird die Gegend prächtig, die Saale schlägt sich in hundert Krümmungen durch grüne waldbewachsne Wiesen, eine Menge Mühlen rauschen im Thal und brausen in schäumenden Wasserfällen, am jenseitigen Ufer hohe Weinberge mit einer unendlichen Menge von niedlichen Winzerhäuschen, links Felsen die kühn auf einander gepackt sind und über die Stadt drohend hängen, die man selbst über die Strassen hängen sieht, wenn man durch die Stadt fährt, ein grosses Schloß, das prächtig über die ganze Gegend hinsieht. – Hinter Weissenfels wird die Gegend immer romantischer, sie ist dort fast so schön, wie ich manche im Harz gesehn habe, beständig Weinberge und grosse Felsen, wo man dicht neben tiefe Abgründe hinfährt. Die Saale ging immer mit uns, in der Ferne Ruinen, es war ein göttlicher Nachmittag, ich hätte Dich bei mir gewünscht, oder einen berlinschen Freund, besonders Bernhardi, an den ich recht oft auf der Reise gedacht habe. – Unser Fuhrmann beklagte sich erstaunlich über die Menge von Stenfelsen, wie er sich ausdrückte. – Vor Naumburg kömmt man / an ein verfallnes Ritterschloß, es liegt göttlich unter lauter Felsen, die Gegend wird hier immer wilder, ich dachte unaufhörlich an Götz von Berlichingen und Göthe, denn dieser ist auf der Pforte, nicht weit von Naumburg auf der Schule gewesen, er hat sich gewiß recht oft in den herrlichen Gegenden hier herum getrieben. Am Abend kamen wir in Naumburg an, und da es ohne Lebensgefahr nicht möglich war in der Nacht bei den Felsenwegen weiter zu fahren, (denn unser Fuhrmann war hier unbekannt) so blieben wir die Nacht über in Naumburg. Die Stadt ist artig gebaut und wir wohnten in einem sehr angenehmen Gasthof. Als wir am Morgen ausfuhren, sah ich den braven französischen General Neuwinger in seinen Wagen steigen, er wurde nach Magdeburg gebracht, schwer verwundet. – Die Brust ward mir zu enge, wie ich den Helden von einem recht gemein aussehenden preussischen Lieutnant begleitet sahe, ich hätte so gern mit ihm gesprochen, ich fühlte in meinen Adern die Blutsfreundschaft, mit der ich mit ihm verwandt war, ich habe sein Gesicht noch bis izt nicht vergeßen können, bald wird es eine Ehre sein, in Magdeburg auf der Vestung zu sitzen, und eine Schande, – doch, ich mag nicht weiter davon sprechen, – genug, ich hatte Göthe und Götz von Berlichingen / ganz und gar vergessen, ich lag wie ein Typhoeus unter der Last meines unwürdigen Vaterlandes, die Gegend war nicht mehr schön um mich her, denn ich sahe nichts als ihre armseeligen Bewohner vor mir, ich wüthete in mir selber nun den Triumph der Kläglichen sehn zu müssen, die nun nach den Unglücksfällen der Franzosen sich so weise und so erhaben dünken, die gegen ihre eigne Sache sprechen, ihre eigne Menschheit verächtlich mit Füssen treten, von denen man eigentlich wie Christus sagen kann, sie wissen nicht was sie thun. – In Dornburg einem Dorfe hielten wir wieder still und assen und trancken. Hier ist die Gegend wieder vortreflich, das Dorf liegt in der Tiefe, Berge und Wälder rund umher, gegenüber auf dem höchsten Berge eine alte Vestung. Diese bestiegen wir mit einigen Schwierigkeiten, oben stehn mehrere Schlösser und Mauern, die Gegend oben ist unbeschreiblich schön, angenehme Empfindungen kehrten wieder nach und nach zu mir zurück, ich sah in der ganzen Welt einer schönen Zukunft entgegen, wenn ich sie gleich nicht erleben werde. Die unbezwingliche / Nothwendigkeit drängt endlich das grosse Glück vor sich her, auch in diesen Gegenden werden endlich die Ideen von Freiheit und Gleichheit herrschen, die Ketten der Despoten müssen endlich reissen, eben darum, weil sie die Menschheit damit zu eng zusammenschnüren. – Wir kamen nach Jena, die Gegend ist hier schön, aber die Berge umher etwas kahl, die Stadt selbst ist sehr schlecht, wir fuhren nur durch. – Drakendorf liegt 3/4 Meilen von Jena, hier ist die Gegend vortreflich, man sieht sehr weit umher Berge mit Schlössern, bei der kleinen Stadt Lobeda oben ganz nahe Ruinen, Drakendorf selbst angenehm zwischen Bergen und Ebenen. – Der Prediger und seine Frau sind sehr hübsche Leute, er studiert die Kantische Philosophie sehr fleissig und nach meinem Vermögen hab’ ich manches mit ihm darüber gesprochen. – Ich machte ihn gleich sehr (ob er es gleich ziemlich schon war) zum Demokraten, wir haben nachher das ça ira unendlich oft mit einander gesungen. – Im Weimarschen, Gothaischen, in allen nichtpreussisch und nicht österreichischen Ländern, sind überhaupt die Leute weit mehr Demokraten, / als in Preussen, und doch ist hier der Bauer begütert, der Bürger reich und der Fürst grossentheils Mensch und vernünftiger Mensch, der Boden ist fruchtbar, Fürst und Unterthan sind sich ziemlich nahe, die Stände sind sich ziemlich gleich, kurz, es ist fast alles anders als in Preussen. – Wir sind in Drakendorf 14 Tage geblieben, (ich habe Dir auch von dorther geschrieben) wir gingen sehr oft spatzieren, die Gegend ist hier nach der um Naumburg die schönste, die ich auf der ganzen Reise bis Erlangen getroffen habe, auf der Lobedaburg (so heissen die Ruinen bei Lobeda) habe ich mich mehrmals sehr gefreut, alles ganz unbeschreiblich schön, eben so auf der Wilmse, den höchsten Standpunkt in der dortigen Gegend, man sieht bis in Thüringen hinein, auf der Wilmse fand ich die Gegend so schön, wie irgend eine im Harz, und sanfter. – Wir gingen von Drakendorf zu Fuß nach Jena, um mehrere Leute zu besuchen. Reinhold (Du bist Ignorantin genug, glaub ich, ihn nicht zu kennen, er ist der erste Kantianer, ein Mann, den ich fast wie Schiller verehre) war unser erster Besuch, er ist ein vortreflicher Mann, ohne alle Prätension, wir wurden bald sehr vertraulich und gute Freunde, ich möchte wohl einmahl in Jena studiren, um / ihn zu hören, wir blieben ziemlich lange bei ihm, er sprach sehr freimüthig über Berlin und Preussen, er ist ein herrlicher Demokrat. Schütz war nicht zu Hause, o – und was mir so sehr leid that – auch Schiller nicht, – ich muß ihn doch noch einmahl kennen lernen, dann besuchten wir noch einen Diplomatiker Mereau, der erst vor einigen Tagen eine sehr angenehme Frau geheirathet hatte, die aber äusserst aufgeklärt und freidenckend war, besonders in Ansehung ihrer Verhältnisse als Frau. Sie besuchte nachher den Prediger in Drakendorf. – Von Dr. gingen wir wieder nach einer kleinen 3 Stunden weit entlegenen Stadt Kahla, wo wir mit dem Prediger seine Verwandten besuchten, es waren recht gute Leute und wir assen und tranken recht gut, indeß – wir besahen die Gegend, und die Stadt, ein Archidiakonus war besonders höflich, er führte uns weit herum und zeigte uns alle Merkwürdigkeiten. – Am andern Morgen gingen wir nach Drk. zurück und Wk. war etwas kranck. – Rossel ist ein Amt und Dorf und liegt 6 Stunden von Drak. über Jena, (klingt das nicht wie Hagers Geographie) dorthin wollten wir nach einigen Tagen wandern, denn die Schwester des Predigers ist dort am Amtskommissair / verheirathet. Wir gingen am Morgen aus, es war ziemlich trübe, aber doch hofften wir auf schön Wetter, schon vor Jena fing es an, ein wenig zu schneen, indeßen das war nur Spaß, wir gingen durch die Stadt und über den Steiger (einen ziemlich hohen Berg) es war immer finstrer, der Schnee fiel immer stärker, der Weg ward immer schmutziger, ich verlohr von meinem Schuh die Sohle, wir waren ganz weiß und in sehr betrübten Umständen, so kamen wir in Krippendorf an, wir kehrten ein und wußten uns nicht recht zu helfen, weiter gehen konnten wir unmöglich und doch war kein Wagen zum fahren zu bekommen. Endlich eroberten wir noch einen 2rädrigen Karren, die dort herum sehr gewöhnlich sind und ein altes Pferd, so traten wir unsre Reise auf Stroh sitzend an, in einem höchstnärrischen Aufzug. Indessen wir waren ganz driste, wenn auch einige Leute über uns lachten, mich, mit meinem rothen Rokke mochten manche wohl für einen französischen Gefangenen halten, denn ich hörte oft so etwas ähnliches, da ich überdies so niedrig und unbequem wie angeschloßen saß. In diesem Aufzuge kamen wir selbst durch eine Stadt, (Apollostadt) / wo man uns nicht wenig auslachte, indessen unsre Aufklärung half uns mit leichter Mühe darüber hinweg. Endlich kamen wir in Rossel an, das sehr angenehm aber in einer Ebene liegt, der Mann und die Frau waren charmante Leute, beide noch ziemlich jung, mit denen ich gleich recht vertraulich wurde. – Dort ist überhaupt allenthalben ein sehr freundschaftlicher und ungenirter Ton, wie ich ihn noch nirgends gefunden habe, in Kahla, Jena u Rossel, es scheint dort so Mode zu sein, schon in der zweiten Viertelstunde spaßt man mit den Leuten. – Ich amusirte mich in Rossel sehr, ob es gleich so schlechtes Wetter war und blieb, daß ich gar nicht ausgehen mochte. Der AmtsC. war sehr vernünftig, wir führten gleich politische Gespräche, wie natürlich jezt allenthalben geschieht und ich thu’ es auch gern, wenn ich einige Vernunft verspüre, aber auch hier (wie ich schon mehre ziemlich vernünftige Leute gefunden habe) konnte man sich keine Gleichheit dencken, wenn man schon mit der Freiheit so ziemlich zu Stande und im Ganzen für die Franzosen war, die meisten Leute hängen so an Nebensachen und Zufälligkeiten, alle Augenblikke verwechseln / sie mit aller möglichen Inkonsequenz das Unwesentliche mit dem Wesentlichen. – Hier trafen mich die Nachrichten von Dumouriers Niederträchtigkeit, in ihm hatte also mein Argwohn nicht geirrt. Der Stolze muß nun seine Verachtung in seinem eignen Busen herumtragen, sein fehlgeschlagner Plan muß ihn fast rasend machen; mich wundert, daß man ihn nicht adelt, oder ihm einen Orden schenckt, er hat es vollkommen verdient, nur Frankreich dauert mich, daß es noch solche Kinder hat, Custine ist mir izt auch verdächtig, ich vertraue izt viel auf den braven Dampierre, er hat sich schon mehrmals als Held gezeigt. – Am Abend besuchten uns die Schönen von Rossel, aber sie machten mir viel Langeweile. – Ich fand hier am folgenden Tage ganz unvermuthet die erste Ausgabe der Räuber, die ich so lange allenthalben vergeblich gesucht habe, ich habe sie aber leider nicht ganz durchlesen können, ich ward immer wieder gestört. – Am folgenden Abend versammelten sich die Damen wieder, mein Schuh war izt hergestellt, und wir gaben einen Ball in Nuce, der AmtsComm. spielte uns Tänze auf seinen Flügel in einem ziemlich grossen Saal. – Es war beschlossen am folgenden Morgen abzureisen. / Es war wieder schlechtes und regnichtes Wetter, eine Beichte und Predigt aber zwang den Schuderof zurückzureisen, wir schickten also einen Bothen nach Jena um uns von dort einen Wagen zum zurückfahren zu schikken, (lassen nehmlich) am Vormittage kam noch ein sehr lustiger benachbarter Prediger hin, mit dem wieder die politischen Diskurse ihren Anfang nahmen. – Der Wagen kam Nachmittag an und zu unserm grossen Erstaunen in ihm – Mad. Mereau, die den AmtsComm. besuchte und dann mit uns nach Jena zurückfuhr. – Sie freute sich sehr, mich als Demokraten kennen zu lernen, wäre ich länger in Jena geblieben, so würde ich wohl in ihrem Hause genauer bekannt geworden sein. – Wir trancken Thee bei ihr und gingen nach Drk. zurück. – Der Prediger hatte uns versprochen, mit uns nach Gotha zu reisen, weil er dort mehrere Verwandte und Bekannte hat, wir bestellten also die Post, schafften unsre Sachen in die Stadt und gingen Morgens um 3 Uhr (ich weiß nicht an welchem Tage) zu Fuß nach Jena, es war höchst abentheuerlich, die Berge ungewiß in der grauen Dämmerung schwanken zu sehn, den Himmel, der sich nach und nach wie ein erwachendes Auge aufthat, die Gegend, die immer fester und gewisser wurde, wie eine dunkle Ahndung, die sich in ein Gefühl verwandelt. – Wir / fuhren über Weimar, den Schnekkenberg ausgenommen ist die Gegend bis Weimar durchaus eben und unintereßant. Wir besuchten einen Verwandten des Predigers, wo wir Kuchen assen, und sehr guten Kaffé und Wein trancken, dann durchliefen wir nur im Fluge den Stern (so heißt der schöne Garten dort) und fuhren dann wieder weiter. O daß ich Göthe und Herder nicht sehen konnte! – Göthe, der gleichsam mein Gespiel von meiner Geburt an gewesen ist, dessen Götz und Werther wir so oft zusammen gelesen haben, dessen Werke ich las als ich sie nicht verstand, in denen ich jedesmahl etwas neues entdekke, und der gleichsam erst mit mir klüger und verständiger geworden ist, – ich fuhr mit einer schmerzhaften Empfindung wieder aus dem Thor. – Unsre nächste Station war Erfurt. – Eine Stadt, von der mir seit meiner Kindheit an gewesen ist, als könnte ich nie dort sein, sie nie sehn, es lag von je in dem Klange so etwas fernes, dunkles, Abentheuerliches. – Es war mir sonderbar, als sie mit allen ihren Thürmen vor mir lag, selbst wegen des armseeligen Wenzels von Erfurt (dessen Du Dich noch wohl erinnern wirst) war sie mir angenehm. – Wir kamen Nachmittag an und sollten gegen Abend wieder abreisen. / Ich u Wak. durchliefen die Stadt. – Wir gingen auf den Wall spatzieren, ich hatte recht lebhaft Reisers Empfindungen, die er so treffend im 4ten Theil beschreibt, die Stadt ist sehr groß und nur schwach bevölkert, der gröste Theil katholisch. Wir besuchten auch das Karthäuserkloster vor dem Thore, von dem Reiser so viel erzählt, hier sah ich, (wenn ich mich nicht irre) in meinem Leben die ersten Mönche, die kleine Kirche macht einen sehr schönen Effekt, schade, daß nicht gerade Gottesdienst war. – Die Klöster müssen durchaus nicht ausgerottet werden, hier findet der Mensch der die Welt, oder den sie von sich stößt, doch eine sichre heilige Zuflucht, wenn der Menschenhasser auch ein armseeliger, ein zum Theil verächtlicher Mensch ist (wovon ich jezt fest überzeugt bin) so lassen sich doch Situationen und Seelenstimmungen mit Körperorganisation verbunden denken, wo vielleicht der gröste Heroismus nöthig ist, um der Menschenliebe treu zu bleiben und sich und seine Selbstverachtung nicht zum Menschenhaß zu flüchten. – Wir gingen in ein andre kathol. Kirche, wo eben der Gottesdienst (ein abscheuliches Wort!) geschlossen ward, es erregte sonderbare Empfindungen, eine Menge armsee/liger zu sehn, die aus Gewohnheit, aus Meinung (mir fehlen Worte, selbst blinder Instinkt ist hier wirklich noch zu viel) nach Maschinenart ihren Körper und Glieder wie am Drath zu leeren Cerimonien zogen, u doch scheint es mir wieder so schwer ganz genau die Gränze zwischen der bedeutungslosen und bedeutenden Ceremonie zu finden, – die kathol. hat wirklich so viel schönes, seelenerhebendes, – sie könnte auch auf gebildete Geister noch immer viel wirken, – aber izt schlägt sie (wie unsre ganze Religion) alle Seelenkräfte, alle Erhabenheit nieder, gewöhnt zur Knechtschaft und ist die hassenswürdige Dienerinn des Despotismus unsrer Verfassungen, durch sie ist die Menschheit mit gesuncken, statt daß sie sich durch das grosse Ideal der reinen Christusmoral hat erheben sollen. – Wir musten auf die Post von 2 Uhr bis um 12 Uhr in der Nacht warten. Vorher bestiegen wir noch den Petersberg in der Stadt, auf welchem auch eine schöne Kirche steht, man übersieht von dort die ganze Stadt und steigt auf vielen steinernen Treppen in die Strassen hinab, die Kirche muß schon sehr alt sein, wir irrten recht in den verfallenen Kreutzgängen umher. / – In der Nacht fuhren wir von dort nach Gotha, (von Jena ist übrigens über Gotha bei weitem nicht der nächste Weg nach Erlangen) am Morgen kamen wir in Gotha an. Die Stadt liegt schön, das Schloß besonders, der Ton ist äusserst gesellschaftlich, es sind dort sehr viele Gesellschaften errichtet, die ansehnlichste ist die Mohrengesellschaft, wo wir auch eingeführt wurden, uns aber etwas ennuyirten, ich ließ mich verleiten, dort am andern Mittage an der table d’hote zu essen, das mußte ich aber theuer bezahlen, ein verdorbener Lieutnant sprach Zeug, was ich kaum für fähig gehalten hätte, daß es über eines Sterblichen Lippen kommen könnte, er war ein so krasser Aristokrat, daß ich mich kaum ärgern konnte, ich widersprach ihm fast gar nicht, sondern lachte nur beständig und that immer, als wenn er alles nur im Scherze sagte; ich besuchte André und sein Frauenzimmerinstitut, Doering (einen Philologen) Loeffler (einen sehr gescheidten Theologen) Becker mocht’ ich nicht sehn, sein Noth u Hülfsbüchlein und seine Deutsche Zeitung haben ihn mir gewaltig verekelt, eben so wenig das Schnepfenthalsche Philantropin des trivialen Salzmann. – Dann / ging ich in noch eine Gesellschaft, wo mir auch die Zeit lang wurde, obgleich die Leute hier gegen Fremde sehr gefällig wurden. – Schlichtegroll besuchte ich, der mir die Bibliothek zeigte, sie ist klein, hat aber viele kostbare Seltenheiten, die zu gar nichts dienen, als sie den Fremden zu zeigen, das Antikenkabinet (blosse Abgüsse von Antiken) ist höchst mittelmässig. – Am dritten Tag aß ich beim hiesigen Maitre des plaisirs Mereau (den Vater des Professors in Jena) sehr angenehm, ein sehr gescheidter Mann, wo ich denn doch endlich einmahl wieder vernünftig von den Franzosen sprechen konnte und auch darüber sprechen hörte, die Franzosen sind doch meist gegen die Deutschen charmante Leute, so lebendig, schnell alles fassend u begreifend, wenn ich wieder nach Gotha komme, besuche ich diesen Mann zuerst. Hier fand ich auch nach langer Zeit wieder Stükke vom Moniteur, die mich als eine alte angenehme Bekanntschaft sehr freuten. – Von da reisten wir nach Schmalkalden. – Vorher kamen wir durch einen kleinen Theil des Thüringer Waldes, wo es noch immer etwas unsicher ist. – Es war eine äußerst schöne, / abentheuerliche Gegend, lauter Berge, Wälder und Thäler, schwarzes Grün, wild und einsam durcheinandergeworfen, wie ich mir Thüringen immer gedacht habe, hier fängt schon eine fatale Sprache an, die ich gar nicht recht verstehe und wo die Leute mich auch nicht verstehn. – Von da nach Coburg, die Vestung liegt schön. – In Bamberg hatte ich wieder Empfindungen, die ich als Kind bei den Scenen in Götz von Berlichingen hatte, die dort spielen. – Von da nach Erlangen. Es ist sehr schlecht Wetter gewesen, ich habe die hiesigen Gegenden noch nicht sehen können.
In Gotha ging ich noch in den elegantesten Zirkel, den es dort giebt, in die sogenannte Theegesellschaft. – Hier sah ich den faden Bibliothekar Reichardt, er ist ganz so wie ich ihn mir gedacht hatte, gemein, affektirt, französische Leichtigkeit und schaales Wesen, auch Gottern sprach ich und sehr viele äusserst artige und hübsche Damen.
In Erlangen habe ich mehr Besuche gemacht, Harles, ein alter geschwätziger Mann, Ammon, sehr vernünftig, Mehmel, affektirt, Beier, verflixt, Hänlein, recht gut, Marc, sehr vernünftig, Meusel, sehr höflich, – und mehrere.
Und hier hast Du nun einen ziemlich langen / geschwätzvollen Brief. Gesund bin ich u. Wak. Wir lassen beide grüssen an Dich u meine lieben Eltern. – Solltest Du meinen lieben Bernhardi sehn so sag ihm meinen recht herzl. Gruß, auch Seidel u Rambach laß durch ihn grüssen. –
Das Tagebuch meiner Reise ist eben so weitläuftig u unwichtig wie das der preussischen Armee bei Mainz, nur mit dem Unterschiede, daß ich nicht so viel gelogen habe und daß es Dich doch etwas mehr interessiren wird.
Grüsse auch Peter u den Künstler, auch ja noch Golzow, wenn Du dorthin schreibst – oder gehst.
Dein Bruder,
Tieck.
am
2 May. 93.
P.S. Vergiß ja den Gruß an Bernhardi nicht. – Oder – gieb ihm, wenn Du willst, den ganzen Brief, wenn er auch uninteressant ist, so legt seine Freundschaft für mich vielleicht einiges Interesse hinein. – Bleibe gesund, schreibe!
Das erste, was ich hier in Erlangen thun will, soll doch auch sein, an Dich zu schreiben. Daß ich also hier angekommen bin, wirst Du nun schon wißen, aber was noch mehr ist, auch gesund und wohlbehalten bin ich hier angelangt. Wenn Du nur eben so gesund bist, als ich, so will ich schon mit Dir zufrieden sein. – Ich muß Dir doch wohl so etwas von meiner grossen Reise erzählen, die wenigstens bis izt meine gröste gewesen ist.
Nach neun Uhr fuhren wir am Mittwoch von Berlin ab, ich fuhr vor unsrer Straße vorbei und es that mir sehr leid, daß ich Dich nicht noch einmahl sehen konnte. Ich fuhr wieder zum Leipziger Thore hinaus, aus dem ich nun schon so viele von meinen Reisen, fast alle, gemacht habe. Die Chaußee wird bis Potsdam im Ganzen recht gut, man kann dorthin nun bald recht schnell kommen, um 1 Uhr waren wir schon dort. Von da bis Belitz und Treuenbrietzen kömmt denn ein abscheulicher sandiger Weg, in der leztern Stadt kam ich erst in der Nacht an, wo ich ziemlich fror. Am Donnerstag um 10 Uhr Morgens waren wir in Wittemberg, wo die Gegend schon anfängt, weit mehr Intereße zu bekommen. – Ich hatte / auf Michaelis in Jessen (wo ich durch Pieskern bekannt geworden bin) versprechen müssen, die Leute dort (besonders ein junges artiges Mädchen) wieder zu besuchen, ich brachte also Wakkenrod. dahin, bis zum Mondtag in Wittemberg zu bleiben, indessen ich dorthin ging. – Ich zog mich also etwas um und machte mich auf den Weg. Jessen liegt 3 Meilen von Wittemberg, der Weg dahin ist sehr angenehm, nur war an dem Tage ein sehr grosser Wind, W. begleitete mich fast eine Meile. – Ich kam über Elster, ein Dorf was sehr angenehm liegt am Abend um 9 Uhr in Jessen an. Ich aß nur wenig und fand die Söhne und die Tochter nicht zu Hause, denn es war von ohngefähr an diesem Tage gerade eine Art von Ball, der nur jährlich ein mahl ist, ich ging auch nachher hin und tanzte munter bis um 3 Uhr am Morgen, dann schlief ich ein Paar Stunden und war dann nach dem Fahren auf der Post in der Nacht, nach der Fußreise und nach dem Tanzen so munter als vorher. Ich bin in Jessen sehr vergnügt gewesen, besonders hab’ ich dort einmahl wieder sehr viele Sprüchwörter aufgeführt, der Rector dort, ein ziemlich alter Mann, spielt charmant. Am Sonntag Vormittag ging ich wieder von dort fort und Wakken. / kam mir bis Elster entgegen. Dieser hatte unterdeß in Wittemberg mit einem Küster Bekanntschaft gemacht, der einen Wagen und Pferde hielt und sie zu Reisen verlieh, alles war mit ihm akkordirt, ich zog wieder meine Reisekleider an und so fuhren wir schon am Sonntag Abend fort von Wittemberg, statt daß wir erst Mondtag früh mit der Post hatten reisen wollen. Der Wagen hing in Federn und war sehr bequem, man konnte ihn ganz zumachen und auch ganz öffnen. Unser Fuhrmann war ein äusserst närrischer alter Kerl. In der Nacht kehrten wir in Düben ein, wo ich äusserst müde war und fest einschluf oder schnubbete. In der Nacht war es ziemlich kalt und besonders vor Leipzig am Morgen froren wir nicht schlecht. In Leipzig kehrten wir ein und erquickten uns wieder und ich besuchte den Buchhändler Barth, von dem Adalbert und Emma war noch nichts als der Titul gedruckt, ich ließ mir diesen und die ersten Bogen der Sammlung zeigen. – Wir hatten den Wagen bis Jena, oder eigentlich bis Drakendorf genommen, nahe bei Jena, wo Schuderof, ein Freund Wakk. Prediger war. Die Gegend war nun schon sehr reizend, Berge wechselten mit Ebenen und zuweilen ließen sich auch schon Felsen verspüren. Am Mittag kamen wir in Weissen/fels an, nachdem wir Merseburg und mehrere Städte rechts hatten liegen sehn. Von hier wird die Gegend prächtig, die Saale schlägt sich in hundert Krümmungen durch grüne waldbewachsne Wiesen, eine Menge Mühlen rauschen im Thal und brausen in schäumenden Wasserfällen, am jenseitigen Ufer hohe Weinberge mit einer unendlichen Menge von niedlichen Winzerhäuschen, links Felsen die kühn auf einander gepackt sind und über die Stadt drohend hängen, die man selbst über die Strassen hängen sieht, wenn man durch die Stadt fährt, ein grosses Schloß, das prächtig über die ganze Gegend hinsieht. – Hinter Weissenfels wird die Gegend immer romantischer, sie ist dort fast so schön, wie ich manche im Harz gesehn habe, beständig Weinberge und grosse Felsen, wo man dicht neben tiefe Abgründe hinfährt. Die Saale ging immer mit uns, in der Ferne Ruinen, es war ein göttlicher Nachmittag, ich hätte Dich bei mir gewünscht, oder einen berlinschen Freund, besonders Bernhardi, an den ich recht oft auf der Reise gedacht habe. – Unser Fuhrmann beklagte sich erstaunlich über die Menge von Stenfelsen, wie er sich ausdrückte. – Vor Naumburg kömmt man / an ein verfallnes Ritterschloß, es liegt göttlich unter lauter Felsen, die Gegend wird hier immer wilder, ich dachte unaufhörlich an Götz von Berlichingen und Göthe, denn dieser ist auf der Pforte, nicht weit von Naumburg auf der Schule gewesen, er hat sich gewiß recht oft in den herrlichen Gegenden hier herum getrieben. Am Abend kamen wir in Naumburg an, und da es ohne Lebensgefahr nicht möglich war in der Nacht bei den Felsenwegen weiter zu fahren, (denn unser Fuhrmann war hier unbekannt) so blieben wir die Nacht über in Naumburg. Die Stadt ist artig gebaut und wir wohnten in einem sehr angenehmen Gasthof. Als wir am Morgen ausfuhren, sah ich den braven französischen General Neuwinger in seinen Wagen steigen, er wurde nach Magdeburg gebracht, schwer verwundet. – Die Brust ward mir zu enge, wie ich den Helden von einem recht gemein aussehenden preussischen Lieutnant begleitet sahe, ich hätte so gern mit ihm gesprochen, ich fühlte in meinen Adern die Blutsfreundschaft, mit der ich mit ihm verwandt war, ich habe sein Gesicht noch bis izt nicht vergeßen können, bald wird es eine Ehre sein, in Magdeburg auf der Vestung zu sitzen, und eine Schande, – doch, ich mag nicht weiter davon sprechen, – genug, ich hatte Göthe und Götz von Berlichingen / ganz und gar vergessen, ich lag wie ein Typhoeus unter der Last meines unwürdigen Vaterlandes, die Gegend war nicht mehr schön um mich her, denn ich sahe nichts als ihre armseeligen Bewohner vor mir, ich wüthete in mir selber nun den Triumph der Kläglichen sehn zu müssen, die nun nach den Unglücksfällen der Franzosen sich so weise und so erhaben dünken, die gegen ihre eigne Sache sprechen, ihre eigne Menschheit verächtlich mit Füssen treten, von denen man eigentlich wie Christus sagen kann, sie wissen nicht was sie thun. – In Dornburg einem Dorfe hielten wir wieder still und assen und trancken. Hier ist die Gegend wieder vortreflich, das Dorf liegt in der Tiefe, Berge und Wälder rund umher, gegenüber auf dem höchsten Berge eine alte Vestung. Diese bestiegen wir mit einigen Schwierigkeiten, oben stehn mehrere Schlösser und Mauern, die Gegend oben ist unbeschreiblich schön, angenehme Empfindungen kehrten wieder nach und nach zu mir zurück, ich sah in der ganzen Welt einer schönen Zukunft entgegen, wenn ich sie gleich nicht erleben werde. Die unbezwingliche / Nothwendigkeit drängt endlich das grosse Glück vor sich her, auch in diesen Gegenden werden endlich die Ideen von Freiheit und Gleichheit herrschen, die Ketten der Despoten müssen endlich reissen, eben darum, weil sie die Menschheit damit zu eng zusammenschnüren. – Wir kamen nach Jena, die Gegend ist hier schön, aber die Berge umher etwas kahl, die Stadt selbst ist sehr schlecht, wir fuhren nur durch. – Drakendorf liegt 3/4 Meilen von Jena, hier ist die Gegend vortreflich, man sieht sehr weit umher Berge mit Schlössern, bei der kleinen Stadt Lobeda oben ganz nahe Ruinen, Drakendorf selbst angenehm zwischen Bergen und Ebenen. – Der Prediger und seine Frau sind sehr hübsche Leute, er studiert die Kantische Philosophie sehr fleissig und nach meinem Vermögen hab’ ich manches mit ihm darüber gesprochen. – Ich machte ihn gleich sehr (ob er es gleich ziemlich schon war) zum Demokraten, wir haben nachher das ça ira unendlich oft mit einander gesungen. – Im Weimarschen, Gothaischen, in allen nichtpreussisch und nicht österreichischen Ländern, sind überhaupt die Leute weit mehr Demokraten, / als in Preussen, und doch ist hier der Bauer begütert, der Bürger reich und der Fürst grossentheils Mensch und vernünftiger Mensch, der Boden ist fruchtbar, Fürst und Unterthan sind sich ziemlich nahe, die Stände sind sich ziemlich gleich, kurz, es ist fast alles anders als in Preussen. – Wir sind in Drakendorf 14 Tage geblieben, (ich habe Dir auch von dorther geschrieben) wir gingen sehr oft spatzieren, die Gegend ist hier nach der um Naumburg die schönste, die ich auf der ganzen Reise bis Erlangen getroffen habe, auf der Lobedaburg (so heissen die Ruinen bei Lobeda) habe ich mich mehrmals sehr gefreut, alles ganz unbeschreiblich schön, eben so auf der Wilmse, den höchsten Standpunkt in der dortigen Gegend, man sieht bis in Thüringen hinein, auf der Wilmse fand ich die Gegend so schön, wie irgend eine im Harz, und sanfter. – Wir gingen von Drakendorf zu Fuß nach Jena, um mehrere Leute zu besuchen. Reinhold (Du bist Ignorantin genug, glaub ich, ihn nicht zu kennen, er ist der erste Kantianer, ein Mann, den ich fast wie Schiller verehre) war unser erster Besuch, er ist ein vortreflicher Mann, ohne alle Prätension, wir wurden bald sehr vertraulich und gute Freunde, ich möchte wohl einmahl in Jena studiren, um / ihn zu hören, wir blieben ziemlich lange bei ihm, er sprach sehr freimüthig über Berlin und Preussen, er ist ein herrlicher Demokrat. Schütz war nicht zu Hause, o – und was mir so sehr leid that – auch Schiller nicht, – ich muß ihn doch noch einmahl kennen lernen, dann besuchten wir noch einen Diplomatiker Mereau, der erst vor einigen Tagen eine sehr angenehme Frau geheirathet hatte, die aber äusserst aufgeklärt und freidenckend war, besonders in Ansehung ihrer Verhältnisse als Frau. Sie besuchte nachher den Prediger in Drakendorf. – Von Dr. gingen wir wieder nach einer kleinen 3 Stunden weit entlegenen Stadt Kahla, wo wir mit dem Prediger seine Verwandten besuchten, es waren recht gute Leute und wir assen und tranken recht gut, indeß – wir besahen die Gegend, und die Stadt, ein Archidiakonus war besonders höflich, er führte uns weit herum und zeigte uns alle Merkwürdigkeiten. – Am andern Morgen gingen wir nach Drk. zurück und Wk. war etwas kranck. – Rossel ist ein Amt und Dorf und liegt 6 Stunden von Drak. über Jena, (klingt das nicht wie Hagers Geographie) dorthin wollten wir nach einigen Tagen wandern, denn die Schwester des Predigers ist dort am Amtskommissair / verheirathet. Wir gingen am Morgen aus, es war ziemlich trübe, aber doch hofften wir auf schön Wetter, schon vor Jena fing es an, ein wenig zu schneen, indeßen das war nur Spaß, wir gingen durch die Stadt und über den Steiger (einen ziemlich hohen Berg) es war immer finstrer, der Schnee fiel immer stärker, der Weg ward immer schmutziger, ich verlohr von meinem Schuh die Sohle, wir waren ganz weiß und in sehr betrübten Umständen, so kamen wir in Krippendorf an, wir kehrten ein und wußten uns nicht recht zu helfen, weiter gehen konnten wir unmöglich und doch war kein Wagen zum fahren zu bekommen. Endlich eroberten wir noch einen 2rädrigen Karren, die dort herum sehr gewöhnlich sind und ein altes Pferd, so traten wir unsre Reise auf Stroh sitzend an, in einem höchstnärrischen Aufzug. Indessen wir waren ganz driste, wenn auch einige Leute über uns lachten, mich, mit meinem rothen Rokke mochten manche wohl für einen französischen Gefangenen halten, denn ich hörte oft so etwas ähnliches, da ich überdies so niedrig und unbequem wie angeschloßen saß. In diesem Aufzuge kamen wir selbst durch eine Stadt, (Apollostadt) / wo man uns nicht wenig auslachte, indessen unsre Aufklärung half uns mit leichter Mühe darüber hinweg. Endlich kamen wir in Rossel an, das sehr angenehm aber in einer Ebene liegt, der Mann und die Frau waren charmante Leute, beide noch ziemlich jung, mit denen ich gleich recht vertraulich wurde. – Dort ist überhaupt allenthalben ein sehr freundschaftlicher und ungenirter Ton, wie ich ihn noch nirgends gefunden habe, in Kahla, Jena u Rossel, es scheint dort so Mode zu sein, schon in der zweiten Viertelstunde spaßt man mit den Leuten. – Ich amusirte mich in Rossel sehr, ob es gleich so schlechtes Wetter war und blieb, daß ich gar nicht ausgehen mochte. Der AmtsC. war sehr vernünftig, wir führten gleich politische Gespräche, wie natürlich jezt allenthalben geschieht und ich thu’ es auch gern, wenn ich einige Vernunft verspüre, aber auch hier (wie ich schon mehre ziemlich vernünftige Leute gefunden habe) konnte man sich keine Gleichheit dencken, wenn man schon mit der Freiheit so ziemlich zu Stande und im Ganzen für die Franzosen war, die meisten Leute hängen so an Nebensachen und Zufälligkeiten, alle Augenblikke verwechseln / sie mit aller möglichen Inkonsequenz das Unwesentliche mit dem Wesentlichen. – Hier trafen mich die Nachrichten von Dumouriers Niederträchtigkeit, in ihm hatte also mein Argwohn nicht geirrt. Der Stolze muß nun seine Verachtung in seinem eignen Busen herumtragen, sein fehlgeschlagner Plan muß ihn fast rasend machen; mich wundert, daß man ihn nicht adelt, oder ihm einen Orden schenckt, er hat es vollkommen verdient, nur Frankreich dauert mich, daß es noch solche Kinder hat, Custine ist mir izt auch verdächtig, ich vertraue izt viel auf den braven Dampierre, er hat sich schon mehrmals als Held gezeigt. – Am Abend besuchten uns die Schönen von Rossel, aber sie machten mir viel Langeweile. – Ich fand hier am folgenden Tage ganz unvermuthet die erste Ausgabe der Räuber, die ich so lange allenthalben vergeblich gesucht habe, ich habe sie aber leider nicht ganz durchlesen können, ich ward immer wieder gestört. – Am folgenden Abend versammelten sich die Damen wieder, mein Schuh war izt hergestellt, und wir gaben einen Ball in Nuce, der AmtsComm. spielte uns Tänze auf seinen Flügel in einem ziemlich grossen Saal. – Es war beschlossen am folgenden Morgen abzureisen. / Es war wieder schlechtes und regnichtes Wetter, eine Beichte und Predigt aber zwang den Schuderof zurückzureisen, wir schickten also einen Bothen nach Jena um uns von dort einen Wagen zum zurückfahren zu schikken, (lassen nehmlich) am Vormittage kam noch ein sehr lustiger benachbarter Prediger hin, mit dem wieder die politischen Diskurse ihren Anfang nahmen. – Der Wagen kam Nachmittag an und zu unserm grossen Erstaunen in ihm – Mad. Mereau, die den AmtsComm. besuchte und dann mit uns nach Jena zurückfuhr. – Sie freute sich sehr, mich als Demokraten kennen zu lernen, wäre ich länger in Jena geblieben, so würde ich wohl in ihrem Hause genauer bekannt geworden sein. – Wir trancken Thee bei ihr und gingen nach Drk. zurück. – Der Prediger hatte uns versprochen, mit uns nach Gotha zu reisen, weil er dort mehrere Verwandte und Bekannte hat, wir bestellten also die Post, schafften unsre Sachen in die Stadt und gingen Morgens um 3 Uhr (ich weiß nicht an welchem Tage) zu Fuß nach Jena, es war höchst abentheuerlich, die Berge ungewiß in der grauen Dämmerung schwanken zu sehn, den Himmel, der sich nach und nach wie ein erwachendes Auge aufthat, die Gegend, die immer fester und gewisser wurde, wie eine dunkle Ahndung, die sich in ein Gefühl verwandelt. – Wir / fuhren über Weimar, den Schnekkenberg ausgenommen ist die Gegend bis Weimar durchaus eben und unintereßant. Wir besuchten einen Verwandten des Predigers, wo wir Kuchen assen, und sehr guten Kaffé und Wein trancken, dann durchliefen wir nur im Fluge den Stern (so heißt der schöne Garten dort) und fuhren dann wieder weiter. O daß ich Göthe und Herder nicht sehen konnte! – Göthe, der gleichsam mein Gespiel von meiner Geburt an gewesen ist, dessen Götz und Werther wir so oft zusammen gelesen haben, dessen Werke ich las als ich sie nicht verstand, in denen ich jedesmahl etwas neues entdekke, und der gleichsam erst mit mir klüger und verständiger geworden ist, – ich fuhr mit einer schmerzhaften Empfindung wieder aus dem Thor. – Unsre nächste Station war Erfurt. – Eine Stadt, von der mir seit meiner Kindheit an gewesen ist, als könnte ich nie dort sein, sie nie sehn, es lag von je in dem Klange so etwas fernes, dunkles, Abentheuerliches. – Es war mir sonderbar, als sie mit allen ihren Thürmen vor mir lag, selbst wegen des armseeligen Wenzels von Erfurt (dessen Du Dich noch wohl erinnern wirst) war sie mir angenehm. – Wir kamen Nachmittag an und sollten gegen Abend wieder abreisen. / Ich u Wak. durchliefen die Stadt. – Wir gingen auf den Wall spatzieren, ich hatte recht lebhaft Reisers Empfindungen, die er so treffend im 4ten Theil beschreibt, die Stadt ist sehr groß und nur schwach bevölkert, der gröste Theil katholisch. Wir besuchten auch das Karthäuserkloster vor dem Thore, von dem Reiser so viel erzählt, hier sah ich, (wenn ich mich nicht irre) in meinem Leben die ersten Mönche, die kleine Kirche macht einen sehr schönen Effekt, schade, daß nicht gerade Gottesdienst war. – Die Klöster müssen durchaus nicht ausgerottet werden, hier findet der Mensch der die Welt, oder den sie von sich stößt, doch eine sichre heilige Zuflucht, wenn der Menschenhasser auch ein armseeliger, ein zum Theil verächtlicher Mensch ist (wovon ich jezt fest überzeugt bin) so lassen sich doch Situationen und Seelenstimmungen mit Körperorganisation verbunden denken, wo vielleicht der gröste Heroismus nöthig ist, um der Menschenliebe treu zu bleiben und sich und seine Selbstverachtung nicht zum Menschenhaß zu flüchten. – Wir gingen in ein andre kathol. Kirche, wo eben der Gottesdienst (ein abscheuliches Wort!) geschlossen ward, es erregte sonderbare Empfindungen, eine Menge armsee/liger zu sehn, die aus Gewohnheit, aus Meinung (mir fehlen Worte, selbst blinder Instinkt ist hier wirklich noch zu viel) nach Maschinenart ihren Körper und Glieder wie am Drath zu leeren Cerimonien zogen, u doch scheint es mir wieder so schwer ganz genau die Gränze zwischen der bedeutungslosen und bedeutenden Ceremonie zu finden, – die kathol. hat wirklich so viel schönes, seelenerhebendes, – sie könnte auch auf gebildete Geister noch immer viel wirken, – aber izt schlägt sie (wie unsre ganze Religion) alle Seelenkräfte, alle Erhabenheit nieder, gewöhnt zur Knechtschaft und ist die hassenswürdige Dienerinn des Despotismus unsrer Verfassungen, durch sie ist die Menschheit mit gesuncken, statt daß sie sich durch das grosse Ideal der reinen Christusmoral hat erheben sollen. – Wir musten auf die Post von 2 Uhr bis um 12 Uhr in der Nacht warten. Vorher bestiegen wir noch den Petersberg in der Stadt, auf welchem auch eine schöne Kirche steht, man übersieht von dort die ganze Stadt und steigt auf vielen steinernen Treppen in die Strassen hinab, die Kirche muß schon sehr alt sein, wir irrten recht in den verfallenen Kreutzgängen umher. / – In der Nacht fuhren wir von dort nach Gotha, (von Jena ist übrigens über Gotha bei weitem nicht der nächste Weg nach Erlangen) am Morgen kamen wir in Gotha an. Die Stadt liegt schön, das Schloß besonders, der Ton ist äusserst gesellschaftlich, es sind dort sehr viele Gesellschaften errichtet, die ansehnlichste ist die Mohrengesellschaft, wo wir auch eingeführt wurden, uns aber etwas ennuyirten, ich ließ mich verleiten, dort am andern Mittage an der table d’hote zu essen, das mußte ich aber theuer bezahlen, ein verdorbener Lieutnant sprach Zeug, was ich kaum für fähig gehalten hätte, daß es über eines Sterblichen Lippen kommen könnte, er war ein so krasser Aristokrat, daß ich mich kaum ärgern konnte, ich widersprach ihm fast gar nicht, sondern lachte nur beständig und that immer, als wenn er alles nur im Scherze sagte; ich besuchte André und sein Frauenzimmerinstitut, Doering (einen Philologen) Loeffler (einen sehr gescheidten Theologen) Becker mocht’ ich nicht sehn, sein Noth u Hülfsbüchlein und seine Deutsche Zeitung haben ihn mir gewaltig verekelt, eben so wenig das Schnepfenthalsche Philantropin des trivialen Salzmann. – Dann / ging ich in noch eine Gesellschaft, wo mir auch die Zeit lang wurde, obgleich die Leute hier gegen Fremde sehr gefällig wurden. – Schlichtegroll besuchte ich, der mir die Bibliothek zeigte, sie ist klein, hat aber viele kostbare Seltenheiten, die zu gar nichts dienen, als sie den Fremden zu zeigen, das Antikenkabinet (blosse Abgüsse von Antiken) ist höchst mittelmässig. – Am dritten Tag aß ich beim hiesigen Maitre des plaisirs Mereau (den Vater des Professors in Jena) sehr angenehm, ein sehr gescheidter Mann, wo ich denn doch endlich einmahl wieder vernünftig von den Franzosen sprechen konnte und auch darüber sprechen hörte, die Franzosen sind doch meist gegen die Deutschen charmante Leute, so lebendig, schnell alles fassend u begreifend, wenn ich wieder nach Gotha komme, besuche ich diesen Mann zuerst. Hier fand ich auch nach langer Zeit wieder Stükke vom Moniteur, die mich als eine alte angenehme Bekanntschaft sehr freuten. – Von da reisten wir nach Schmalkalden. – Vorher kamen wir durch einen kleinen Theil des Thüringer Waldes, wo es noch immer etwas unsicher ist. – Es war eine äußerst schöne, / abentheuerliche Gegend, lauter Berge, Wälder und Thäler, schwarzes Grün, wild und einsam durcheinandergeworfen, wie ich mir Thüringen immer gedacht habe, hier fängt schon eine fatale Sprache an, die ich gar nicht recht verstehe und wo die Leute mich auch nicht verstehn. – Von da nach Coburg, die Vestung liegt schön. – In Bamberg hatte ich wieder Empfindungen, die ich als Kind bei den Scenen in Götz von Berlichingen hatte, die dort spielen. – Von da nach Erlangen. Es ist sehr schlecht Wetter gewesen, ich habe die hiesigen Gegenden noch nicht sehen können.
In Gotha ging ich noch in den elegantesten Zirkel, den es dort giebt, in die sogenannte Theegesellschaft. – Hier sah ich den faden Bibliothekar Reichardt, er ist ganz so wie ich ihn mir gedacht hatte, gemein, affektirt, französische Leichtigkeit und schaales Wesen, auch Gottern sprach ich und sehr viele äusserst artige und hübsche Damen.
In Erlangen habe ich mehr Besuche gemacht, Harles, ein alter geschwätziger Mann, Ammon, sehr vernünftig, Mehmel, affektirt, Beier, verflixt, Hänlein, recht gut, Marc, sehr vernünftig, Meusel, sehr höflich, – und mehrere.
Und hier hast Du nun einen ziemlich langen / geschwätzvollen Brief. Gesund bin ich u. Wak. Wir lassen beide grüssen an Dich u meine lieben Eltern. – Solltest Du meinen lieben Bernhardi sehn so sag ihm meinen recht herzl. Gruß, auch Seidel u Rambach laß durch ihn grüssen. –
Das Tagebuch meiner Reise ist eben so weitläuftig u unwichtig wie das der preussischen Armee bei Mainz, nur mit dem Unterschiede, daß ich nicht so viel gelogen habe und daß es Dich doch etwas mehr interessiren wird.
Grüsse auch Peter u den Künstler, auch ja noch Golzow, wenn Du dorthin schreibst – oder gehst.
Dein Bruder,
Tieck.
am
2 May. 93.
P.S. Vergiß ja den Gruß an Bernhardi nicht. – Oder – gieb ihm, wenn Du willst, den ganzen Brief, wenn er auch uninteressant ist, so legt seine Freundschaft für mich vielleicht einiges Interesse hinein. – Bleibe gesund, schreibe!