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Novalis to Auguste von Hardenberg TEI-Logo

[Jena, den 9. März 1791. Mittwoch]
Meine liebe Mutter,
Endlich ergreif ich die Feder um Dir nur einige schwache Äußerungen meines dank und liebevollen Herzens zu zeigen. Wie viel bin ich Dir nicht schuldig, wie viel thatest, littest Du nicht für mich? Jede Handlung meines Lebens sollte Dir danken und doch, wie schwach sind wir, reißt uns oft eine blendende jugendliche Täuschung fern weg von dem Wege der Pflicht und nur die Thränen der zärtlichen Mutter verfolgen uns. Wär immer die Vorstellung der mütterlichen Zärtlichkeit vollkommen gegenwärtig und lebendig in jedes unbesonnenen Jünglings Herzen, säh er immer vor jeder raschgewagten Thorheit den Kummer, die Sorgen, die Thränen der geliebten Mutter, gewiß wir würden in kurzen zu den wärmsten Freunden der Tugend gehören. Ja, Geduld muß das Loos jedes Jugenderziehers, jeder Mutter seyn; denn ohne dieselbe was würde aus uns, die der geringste Windstoß in Ihren Grundsätzen erschüttert und wankend macht. Lehren aus dem Munde einer klugen und mit der Menschheit bekannten Mutter fließen durch das Herz in den Kopf: Wer geht nicht gern alle Wege an einer so geliebten Hand? Welcher Unterricht auf Erden überwiegt die holden, bittenden Lehren einer Mutter von erhabener Denkart, tiefem Blick und sanften, liebevollen Herzen: Wer mit menschlichem Gefühl bestände nicht freudig selbst den schwersten Kampf, den Kampf mit sich selbst, wenn Sie ihm winkt, die ihm auf Erden alles ist, die Zuflucht in Bedrängnissen ist, die einzige Seele oft die ihn ohne Interresse sich selbst auf opfert. Ich kann mich hier nicht enthalten, beste Mutter eine so schöne Stelle aus Iselin hier abzuschreiben, die mir wie aus dem Herzen genommen ist: Wir halten es für unstreitig, sagt er, wenn man die Geschichte aller Männer genau wüßte, die sich durch Rechtschaffenheit und durch Tugend ausgezeichnet haben, daß man unter zehnen immer neun finden würde, welche diesen Vortheil ihren Müttern schuldig wären. Es ist noch nicht genug anerkannt, wie wichtig eine unschuldig und untadelhaft zugebrachte Jugend für das ganze Leben eines Menschen ist, wie fast alle, die diesen Vortheil genossen haben ihn niemand schuldig gewesen sind, als ihren Müttern und wie sehr überhaupt die Vollkommenheit und das Glück der Menschheit sich auf Weiberverstand und Weibertugend gründet. Ja, beste Mutter, wenn auch ich einst mich mit Recht dieses Vortheils rühme, so bin ich es Dir und meinem vortrefflichen Vater gewiß schuldig. Aber wozu verliere ich noch soviel Worte, wo mein Herz am lautesten mich errinnert, in meinen Handlungen es zu beweisen, wie tief und wahr ich alles dieses fühle, und wie selbst der wärmste Dank in Worten, dem mütterlichen Herzen nicht soviel Freude macht, als eine tadellose Aufführung. Ich [empfeh]le mich Dir unterthänig und meine kindliche Liebe kennt keinen stolzern Titel, als [. . .]
[unte]rthänigen Sohn
[Fridrich] von Hardenberg.
Jena
am 9ten Mä[rz]
1791.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 9. März 1791
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Auguste von Hardenberg
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Weißenfels · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 83‒84.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: Nr. 7, Bl. 1-2; FDH Nr. 11843
Language
  • German

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