Gosek: am 5ten Oktober. 1791. [Mittwoch]
Ermüdet von tausend Genüssen, die Natur und Kunst mir heute gaben, und gestimmt zu einer wunderbaren Heiterkeit sitze ich hier in einem hohen, gewölbten, gothischen Gemach des alten Bergschlosses Gosek, wohin mich die Freundschaft des Besitzers rief und blicke gerührt nach der Gegend zurück, die ich vor kurzen auf immer verließ: Ich blicke nach meinen Freunden zurück und sehe Sie nicht mehr. Aber noch umtönt mich das freundliche Lebewohl, das auch Sie mir gewiß aus vollen Herzen bey unsrer Trennung zuriefen. Tausend Szenen schweben um meinen innern Sinn, denen die Fantasie und die Errinnerung Leben verleiht, die in der magischesten Beleuchtung, in romantischen Massen eine zehnfach verstärkte Wirkung thun und eine unendliche Menge Empfindungen[,] Gefühle und Ideen leise erwecken. Alles verschmilzt in das unnennbare und untheilbare Ganze einer lieblichen Dämmrung, wo nur die äußersten Umrisse, die schönsten Contoure noch sichtbar sind und schon allmälich in den Nebel der Vergangenheit zerrinnen: Aber den Zauber der Aussicht, wer vermag den zu beschreiben, da ihn die Seele mit Mühe faßt. O! bester Herr Rath, jezt verschwindet der Schleyer, den Vorurtheile, Thorheiten, eingeschränkter Sinn und Verwirrung um meine Augen legten; Ich sehe in einem Moment der glücklichsten Vergeistigung das bunte Jahrmarktsgewühl meines bisherigen Lebens vor mir; Was die Natur und Gegenwart auseinander zieht, wird in der Errinnerung der Ordnung leichtgefaßtes Glied, wie mein lieber Schiller nur auf eine andre Art sagt: Ich sehe mich in allen den lächerlichen, sonderbaren, abentheuerlichen und unnatürlichen Masken, mit welchen mich eine herrenlose Fantasie und die Grille des Augenblicks bekleidete und bedaure nur die geduldigen Freunde des pfadlosen Irrlings: aber meine gutmüthige, leicht zu gewinnende Einbildungskraft läßt mir doch auch so manchen Augenblick vorbeygehn, in welchem zwangloser Frohsinn, jugendliche Schwärmerey und so manche andre Begleiter meines Lebens mich in lieblichen Träumen entzückten, und in welchem Freunde der Wahrheit und der sittlichen Schönheit eine Herrschaft über mein Herz behaupteten, die mir unvergeßlich bleiben wird, und mich in das süße Gefühl einwiegte, von Männern der Aufmerksamkeit gewürdigt worden zu seyn, die leicht in ein zärtlicheres Gefühl übergeht. Es bemächtigen sich Hoffnungen und Erwartungen meiner Seele und beseligendere Gefühle verdrängen die unangenehmeren des Unwillens und Mitleidens mit sich selbst; die ich schon in Jena oft empfand, und daher ein gewaltsames Mittel ergriff um mich loszureißen von den Thorheiten und Verirrungen, die mich in Jena zu verfolgen schienen, und zu Gewohnheiten wurden. Wie weh that es mir nicht so vieles zu verlassen, was meiner Seele heimisch geworden war, Männer zu verlassen, deren bereitwillige Freundschaft, deren seelenvoller Umgang mir Früchte zu versprechen schien, die mir vielleicht nie wieder so reifen. Aber ich mußte mich resigniren und dem mir nicht undeutlichen Winke des Schicksals folgen. Ich breche ab: schon zu lange sprach ich von mir: ich wende mich zu einem Gegenstande, der meine ganze Seele füllt.
Von Schillern will ich mit Ihnen sprechen; denn kein Gegenstand der Unterhaltung ist Ihnen gewiß angenehmer und für mich interressanter. Sie haben ihn wiedergesehn, wenn Sie diesen Brief erhalten: Gewiß ist er munter, heiter, im vollen, entzückenden Gefühl seiner wiedergekehrten Gesundheit. Sie sehn ihn nun oft. Sie tauschen Ihre beyden Seelen oft an traulichen Abenden gegeneinander um, und ich, der ich so heiß darnach dürstete, kann kein stiller, lauschender, nichts verlierender, alles tiefverschlingender Zeuge dieses herrlichen Schauspiels seyn. Ach! wenn ich nur Schillern nenne, welches Heer von Empfindungen lebt in mir auf; wie mannichfaltige und reiche Züge versammeln sich zu dem einzigen, entzückenden Bilde Schillers und wetteifern, wie zaubernde Geister an der Vollendung des blendendsten Gemähldes: und stört mich dann in diesem Zaubermal meiner Fantasie der nagende Gedanke, daß dieser Mann der Vernichtung nahe war, Schiller, der mehr ist, als Millionen Alltags Menschen, der den begierdelosen Wesen, die wir Geister nennen, den Wunsch abnöthigen könnte, Sterbliche zu werden, dessen Seele die Natur con amore gebildet zu haben scheint, dessen sittliche Größe und Schönheit allein eine Welt, deren Bewohner er wäre, vom verdienten Untergange retten könnte; Schiller, der so eine entzückende Form mit so viel Stoff, So viel Natürlichkeit mit so viel Natur, So viel Individualitaet mit so viel Allgemeinheit, so viel Herzensgüte mit so viel Herzensstärke, so viel Einfachheit mit so viel Reichthum, So viel System mit so viel Art, So viel Character mit so viel Sinn, so viel Schema mit so viel Anwendung, so viel Transcendentale Einbildungskraft und so viel Methode in der Transcendenten, so viel Größe mit so viel Würde, so viel Liebenswürdigkeit mit so viel Liebe, so viel Grazie mit so viel Ernst vereinigt, in dessen Natur so viel Kunst, und in dessen Kunst so viel Natur ist, der so viel Gesichtspunkte und doch nur einen hat und endlich, der einer der seltnen Menschen ist, denen die Götter das hohe Geheimniß von Angesicht zu Angesicht offenbarten, daß die Schönheit und Wahrheit eine und ebendieselbe Göttin sey, und daß die Vernunft der einzige Name und das einzige Heil sey, das den Menschen auf Erden gegeben worden, das einzig ächte, wahre Logos das von Gott ausgegangen ist und zu ihm zurückkehrt: wenn sag ich, dieser Gedanke mich stört, so bebe ich unfreywillig vor meiner eignen Existenz zurück, und es drängt sich ein Seufzer zwischen meine Lippen, in welchen aller Glaube an eine höhere Hand, die den Faden lenkt und die ganze Liebe und das Mitleid gegen eine Menschheit gepreßt ist.
Aber er lebt und bleibt vielleicht leben. Stolzer schlägt mein Herz, denn dieser Mann ist ein Deutscher; ich kannte ihn und er war mein Freund. Wie lebendig wird mir das Andenken an die Stunden, da ich ihn sah; besonders an die, da ich ihn zum erstenmal sah, ihn, das Traumbild der seligsten Stunden meines Knabenalters, da die höhere Macht der Musen und Grazien den ersten, herrlichen, bleibenden Eindruck auf meine junge Seele machte, und ich mit meinem Ideal in der Fantasie vor Schiller trat und mein Ideal weit übertroffen erblickte. Sein Blick warf mich nieder in den Staub und richtete mich wieder auf. Das volleste, uneingeschränkteste Zutraun schenkte ich ihm in den ersten Minuten und nie ahndete mir nur, daß meine Schenkung zu übereilt gewesen sey. Hätt er nie mit mir gesprochen, nie Theil an mir genommen, mich nicht bemerkt, mein Herz wär ihm unveränderlich geblieben; denn ich erkannte in ihm den höhern Genius, der über Jahrhunderte waltet, und schmiegte mich willig und gern unter dem Befehle des Schicksals. Ihm zu gefallen, ihm zu dienen, nur ein kleines Interresse für mich bey ihm zu erregen war mein Dichten und Sinnen bey Tage und der lezte Gedanke, mit welchem mein Bewußtseyn Abends erlosch. Eine Geliebte hätte ich für ihn weinend aus dem Herzen gerissen, wenn die Vorsehung ein so hartes Opfer verlangt hätte, meinem liebsten Jahrelang gehegten Wunsche am Rande seiner Erfüllung entsagt, denn das Leben ist nicht das stärkste Opfer, was Enthusiasmus und Liebe ihrem angebeteten Gegenstände bringen können, denn wir fühlen nicht seinen Verlust. Sein Wort hätte Funken zu Heldenthaten in mir geschla[gen,] die keine Noth, kein Hinderniß hätten ersticken können, und vielleicht ist selbst das Gute und Schöne, dessen Spuren meine Seele trägt und tragen wird, schon durch sein Beyspiel, größestentheils mit sein Werk. Brächte ich einst Werke hervor, die einen innern Werth unabhängig in sich trügen, thät ich etwas, das einen edlern Ursprung, eine schönere Quelle verrieth so ist es auch größestentheils Schiller, dem ich die Anlage, den Entwurf zur vollendeteren Form verdanke. Er zog in meine Seele die sanften, weichen Linien des Schönen und des Guten, die meine männlichere Vernunft nur tiefer zu ziehn nur um die scharfen Ecken zu weben und zu schwingen braucht um mein Glück und meine Ruhe auf Ewigkeiten zu gründen. Er bietet mir vom Port der himmlischen Vaterwelt die Hände um die gesunkene Psyche heraufzuheben.
Könnte ihn jemand besser zeichnen, jemand besser die wahrnehmbaren Umrisse seines intellectuellen Wesens, die die gewagtesten, reinsten, gelungensten und feinsten sind, in irgend einer menschlichen Sprache entwerfen, als er selbst im Bilde seines Posa gethan hat; Nichts hat er vergessen, als die Anwendung und die mindere Anmaaßung, die seinen Character noch menschlicher, liebenswürdiger und umfassender macht. Eben diese stille Größe und sittliche Erhabenheit, eben dieses Weltbürger Herz, das für mehr als Menschheiten schlägt und doch diese idealische Liebe auf reine Seele[n] um sich überträgt, und nicht den Einzelnen entgelten läßt, was die Natur minder für sie als fürs ganze Geschlecht that, eben dis nicht auf Erden Heimische und doch Zufriedene nicht Klagende, Heilige, Resignirende, was die gereifteste Frucht der Humanitaet ist, das Resultat der Höchsten Philosophie des Sterblichen, und einst in jenen traurigen Tagen mit den Griechen verblühte. Ihm gab das Schicksal die göttliche Gabe, alles, was er berührt in das reinste Gold des geläutertsten Menschensinns, in das Eigenthum und Erbtheil der sittlichen Grazie zu verwandeln. Wissenschaften werden im längern Laufe seines Lebens unter seinem wolthätigen Fluge aufblühn und um kurz ein Gemälde vorüberzugehn, das der scharfsichtige Blick des Künstlers selbst vielleicht noch nicht übersehn kann; er wird nebst einem Manne, den mir die Bescheidenheit zu nennen verbietet, der Erzieher des künftigen Jahrhunderts werden. Die Nachwelt zeigt ihm seinen Plaz unter den Kraftvollen Männern, die zur treffendsten, bittersten Karakteristik unserer Zeiten beynah vergessen sind oder doch vernachlässigt unter ihrer Würde. Welcher Edle stimmt mir nicht bey, wenn ich Franklin, Linnee, Haller, Newton, van Swieten, Baco, Luther, Hutten, Galilaei, Lessing, Leibniz Spinotza, Michel Angelo, Alembert und Macchiavell nenne.
Oft wenn in schwärmerischen Stunden das Bild der Vorzeit in uns erwacht, wenn die Bonmots der Natur, unsre Voltaire, Helvetius und andre Modephilosophen und Modehelden unsers Jahrhunderts vor den alten herrlichen Söhnen der Natur verschwinden, wie ein künstliches Feuerrad beym Morgenstern oder ein witziger Einfall vor dem Erguß, vor der Äußerung einer edlen, ungezwungnen, wahren Empfindung, wenn uns unsre Zeiten unsre moralische Krüppel und Zwitter mit allen ihren Gebrechen und Scheusalen anekeln, und wir, wie Hiob, der Stunde unsrer Geburt zürnen, dann versöhnt uns oft ein Blick auf diese unsre Zeit und Periodengenossen mit allem und die mürrische Klage erstirbt auf den Lippen in ein Lispeln des Danks und in die abgebrochnen, glühenden Laute der Liebe und Bewunderung.
Mein Morgen und Abendgebet ist um Gesundheit: um die glänzendsten Lebensperioden Schillers mit genießen zu können, um von ihm begeistert auch höhern Zwecken nachzustreben; giebt mir diese die Vorsehung, was will ich weiter? Beschäftigung und Freudigkeit zu handeln hab ich dann auf Ewigkeiten:
(Erlauben Sie mir, daß ich noch einmal Baggesen, diesem göttlichen Menschen freylich mit sehr ungleichen Kräften auf eine gewisse Art nachahme: Ich kenne keine Manier, die fähiger wäre feinere Nüanzen auszudrücken als diese.) Wenn noch einst meine Bewegung zur Thätigkeit,meine Reizbarkeit zu ächtem Gefühl, meine Natürlichkeit zur Natur, meine Funken zur Wärme, meine Genialitaet zu Genie, mein Entwurf zur Ausführung, meine Vorstellung der Empfindung zur Empfindung, meine Mäßigkeit in Mäßigung, mein Sinn zu Character, meine Anlage zur Ordnung, meine Vielseitigkeit zur Mannigfaltigkeit, und meine Vielheit zur Einheit, meine Ahndungen zu System verschmelzen und meine Vernunft das entscheidende Uebergewicht über Sinnlichkeit und Fantasie erhält und Natur und Einfachheit meine Hausgottheiten werden meine Liebe und mein Enthusiasmus für so viele Dinge eine bestimmtere, festere Richtung, eine ebenso leichte als glückliche Anwendung erhalten; dann verdank ich wenigstens Ihnen, Schillern und Schmidten die dazu so nöthige Aufmerksamkeit und Beobachtung meiner selbst, ohne die alle Kämpfe fruchtlos, alle Mühen vergeblich sind. Empfangen Sie hier meinen glühendsten Dank aus dem gerührtesten Herzen für alles was sie mittelbar oder unmittelbar für mich thaten, für die Aufmunterungen, die Sie mir gaben, für die Geduld, die Sie mit meinen Schwächen, Thorheiten und Rhapsodieen hatten, und glauben Sie, daß schon der Wunsch nicht undankbar zu seyn mich zur höchsten Anstrengung meiner Kräfte bewegen könnte um Ihnen durch Handlungen und Selbstbildung zu zeigen, daß ihre angewandten Bemühungen und der Reiz Ihres Beyspiels nicht umsonst waren.
Ich werde in 3 Wochen nach Leipzig abgehn, und nach einer gänzlich veränderten Lebensordnung zu leben dort anfangen. Jurisprudenz, Mathematik und Philosophie sollen die 3 Wissenschaften seyn, denen ich diesen Winter mich mit Leib und Seele ergeben will und im strengsten Sinne ergeben. Ich muß mehr Festigkeit, mehr Bestimmtheit, mehr Plan, mehr Zweck mir zu erringen suchen und dis kann ich am leichtesten durch ein strenges Studium dieser 3 Wissenschaften erlangen. Seelenfasten in Absicht der schönen Wissenschaften und gewissenhafte Enthaltsamkeit von allem zweckwidrigen hab ich mir zum strengsten Gesez gemacht Γνωσι σεαυτον soll mein Memento mori seyn, und λαφε βιωσασ der Wahlspruch meines practischen Lebens. Schiller zeigte mir höhere, reizendere Zwecke in dem Studium dieser ernsteren Wissenschaften, für die jeder nur einigermaaßen an Kopf und Herzen gesunde und unverdorbne Mensch sich feurig und lebhaft interressiren muß. Er lehrte mich den Wink meines Schicksals belauschen und ihm gehorsam seyn: Er zeigte mir, daß man könne, was man solle und daß wahre Größe des Geistes und ächte sittliche Schönheit des Karakters mit eingeschränkten Zwecken, wenn man zu höhern Beruf hätte, unverträglich sey. Ich brauche mich auch deswegen, wie ich neulich an Schiller schrieb, nicht an Kopf und Herz von meiner Brodwissenschaft Abälardisiren zu lassen. Musen und Grazien können immer die vertrauten und nüzlichen Gespielen meiner Nebenstunden bleiben, Lieblingen derselben immer wärmer und inniger mein Herz entgegenschlagen, Ihre Werke immer einen unaussprechlichen, Sinn und Geist hinreißenden über alles erhabenen Zauber, für mich behalten und im heiligen Selbstgefühl der Unschuld und Sittlichkeit alle meine Gedanken und Empfindungen mit dem Siegel der Begeisterung und Hoheit bezeichnen: Denn das Entzücken, welches hieraus entspringt verlöscht nur mit dem lezten Auseinanderdrange meiner Fibern, mit der Bebung, die mein Innerstes gewaltsam auflöst, mit dem Athemzuge, der den Gott in mir befreyt. Empfehlen Sie mich der Frau Räthin, dem Nachbild von Schillers Elisabeth, meinem lieben, großen Schiller und denken Sie zuweilen an
Ihren
innig Sie liebenden Freund und Verehrer
Fridrich Leopold von Hardenberg
Ermüdet von tausend Genüssen, die Natur und Kunst mir heute gaben, und gestimmt zu einer wunderbaren Heiterkeit sitze ich hier in einem hohen, gewölbten, gothischen Gemach des alten Bergschlosses Gosek, wohin mich die Freundschaft des Besitzers rief und blicke gerührt nach der Gegend zurück, die ich vor kurzen auf immer verließ: Ich blicke nach meinen Freunden zurück und sehe Sie nicht mehr. Aber noch umtönt mich das freundliche Lebewohl, das auch Sie mir gewiß aus vollen Herzen bey unsrer Trennung zuriefen. Tausend Szenen schweben um meinen innern Sinn, denen die Fantasie und die Errinnerung Leben verleiht, die in der magischesten Beleuchtung, in romantischen Massen eine zehnfach verstärkte Wirkung thun und eine unendliche Menge Empfindungen[,] Gefühle und Ideen leise erwecken. Alles verschmilzt in das unnennbare und untheilbare Ganze einer lieblichen Dämmrung, wo nur die äußersten Umrisse, die schönsten Contoure noch sichtbar sind und schon allmälich in den Nebel der Vergangenheit zerrinnen: Aber den Zauber der Aussicht, wer vermag den zu beschreiben, da ihn die Seele mit Mühe faßt. O! bester Herr Rath, jezt verschwindet der Schleyer, den Vorurtheile, Thorheiten, eingeschränkter Sinn und Verwirrung um meine Augen legten; Ich sehe in einem Moment der glücklichsten Vergeistigung das bunte Jahrmarktsgewühl meines bisherigen Lebens vor mir; Was die Natur und Gegenwart auseinander zieht, wird in der Errinnerung der Ordnung leichtgefaßtes Glied, wie mein lieber Schiller nur auf eine andre Art sagt: Ich sehe mich in allen den lächerlichen, sonderbaren, abentheuerlichen und unnatürlichen Masken, mit welchen mich eine herrenlose Fantasie und die Grille des Augenblicks bekleidete und bedaure nur die geduldigen Freunde des pfadlosen Irrlings: aber meine gutmüthige, leicht zu gewinnende Einbildungskraft läßt mir doch auch so manchen Augenblick vorbeygehn, in welchem zwangloser Frohsinn, jugendliche Schwärmerey und so manche andre Begleiter meines Lebens mich in lieblichen Träumen entzückten, und in welchem Freunde der Wahrheit und der sittlichen Schönheit eine Herrschaft über mein Herz behaupteten, die mir unvergeßlich bleiben wird, und mich in das süße Gefühl einwiegte, von Männern der Aufmerksamkeit gewürdigt worden zu seyn, die leicht in ein zärtlicheres Gefühl übergeht. Es bemächtigen sich Hoffnungen und Erwartungen meiner Seele und beseligendere Gefühle verdrängen die unangenehmeren des Unwillens und Mitleidens mit sich selbst; die ich schon in Jena oft empfand, und daher ein gewaltsames Mittel ergriff um mich loszureißen von den Thorheiten und Verirrungen, die mich in Jena zu verfolgen schienen, und zu Gewohnheiten wurden. Wie weh that es mir nicht so vieles zu verlassen, was meiner Seele heimisch geworden war, Männer zu verlassen, deren bereitwillige Freundschaft, deren seelenvoller Umgang mir Früchte zu versprechen schien, die mir vielleicht nie wieder so reifen. Aber ich mußte mich resigniren und dem mir nicht undeutlichen Winke des Schicksals folgen. Ich breche ab: schon zu lange sprach ich von mir: ich wende mich zu einem Gegenstande, der meine ganze Seele füllt.
Von Schillern will ich mit Ihnen sprechen; denn kein Gegenstand der Unterhaltung ist Ihnen gewiß angenehmer und für mich interressanter. Sie haben ihn wiedergesehn, wenn Sie diesen Brief erhalten: Gewiß ist er munter, heiter, im vollen, entzückenden Gefühl seiner wiedergekehrten Gesundheit. Sie sehn ihn nun oft. Sie tauschen Ihre beyden Seelen oft an traulichen Abenden gegeneinander um, und ich, der ich so heiß darnach dürstete, kann kein stiller, lauschender, nichts verlierender, alles tiefverschlingender Zeuge dieses herrlichen Schauspiels seyn. Ach! wenn ich nur Schillern nenne, welches Heer von Empfindungen lebt in mir auf; wie mannichfaltige und reiche Züge versammeln sich zu dem einzigen, entzückenden Bilde Schillers und wetteifern, wie zaubernde Geister an der Vollendung des blendendsten Gemähldes: und stört mich dann in diesem Zaubermal meiner Fantasie der nagende Gedanke, daß dieser Mann der Vernichtung nahe war, Schiller, der mehr ist, als Millionen Alltags Menschen, der den begierdelosen Wesen, die wir Geister nennen, den Wunsch abnöthigen könnte, Sterbliche zu werden, dessen Seele die Natur con amore gebildet zu haben scheint, dessen sittliche Größe und Schönheit allein eine Welt, deren Bewohner er wäre, vom verdienten Untergange retten könnte; Schiller, der so eine entzückende Form mit so viel Stoff, So viel Natürlichkeit mit so viel Natur, So viel Individualitaet mit so viel Allgemeinheit, so viel Herzensgüte mit so viel Herzensstärke, so viel Einfachheit mit so viel Reichthum, So viel System mit so viel Art, So viel Character mit so viel Sinn, so viel Schema mit so viel Anwendung, so viel Transcendentale Einbildungskraft und so viel Methode in der Transcendenten, so viel Größe mit so viel Würde, so viel Liebenswürdigkeit mit so viel Liebe, so viel Grazie mit so viel Ernst vereinigt, in dessen Natur so viel Kunst, und in dessen Kunst so viel Natur ist, der so viel Gesichtspunkte und doch nur einen hat und endlich, der einer der seltnen Menschen ist, denen die Götter das hohe Geheimniß von Angesicht zu Angesicht offenbarten, daß die Schönheit und Wahrheit eine und ebendieselbe Göttin sey, und daß die Vernunft der einzige Name und das einzige Heil sey, das den Menschen auf Erden gegeben worden, das einzig ächte, wahre Logos das von Gott ausgegangen ist und zu ihm zurückkehrt: wenn sag ich, dieser Gedanke mich stört, so bebe ich unfreywillig vor meiner eignen Existenz zurück, und es drängt sich ein Seufzer zwischen meine Lippen, in welchen aller Glaube an eine höhere Hand, die den Faden lenkt und die ganze Liebe und das Mitleid gegen eine Menschheit gepreßt ist.
Aber er lebt und bleibt vielleicht leben. Stolzer schlägt mein Herz, denn dieser Mann ist ein Deutscher; ich kannte ihn und er war mein Freund. Wie lebendig wird mir das Andenken an die Stunden, da ich ihn sah; besonders an die, da ich ihn zum erstenmal sah, ihn, das Traumbild der seligsten Stunden meines Knabenalters, da die höhere Macht der Musen und Grazien den ersten, herrlichen, bleibenden Eindruck auf meine junge Seele machte, und ich mit meinem Ideal in der Fantasie vor Schiller trat und mein Ideal weit übertroffen erblickte. Sein Blick warf mich nieder in den Staub und richtete mich wieder auf. Das volleste, uneingeschränkteste Zutraun schenkte ich ihm in den ersten Minuten und nie ahndete mir nur, daß meine Schenkung zu übereilt gewesen sey. Hätt er nie mit mir gesprochen, nie Theil an mir genommen, mich nicht bemerkt, mein Herz wär ihm unveränderlich geblieben; denn ich erkannte in ihm den höhern Genius, der über Jahrhunderte waltet, und schmiegte mich willig und gern unter dem Befehle des Schicksals. Ihm zu gefallen, ihm zu dienen, nur ein kleines Interresse für mich bey ihm zu erregen war mein Dichten und Sinnen bey Tage und der lezte Gedanke, mit welchem mein Bewußtseyn Abends erlosch. Eine Geliebte hätte ich für ihn weinend aus dem Herzen gerissen, wenn die Vorsehung ein so hartes Opfer verlangt hätte, meinem liebsten Jahrelang gehegten Wunsche am Rande seiner Erfüllung entsagt, denn das Leben ist nicht das stärkste Opfer, was Enthusiasmus und Liebe ihrem angebeteten Gegenstände bringen können, denn wir fühlen nicht seinen Verlust. Sein Wort hätte Funken zu Heldenthaten in mir geschla[gen,] die keine Noth, kein Hinderniß hätten ersticken können, und vielleicht ist selbst das Gute und Schöne, dessen Spuren meine Seele trägt und tragen wird, schon durch sein Beyspiel, größestentheils mit sein Werk. Brächte ich einst Werke hervor, die einen innern Werth unabhängig in sich trügen, thät ich etwas, das einen edlern Ursprung, eine schönere Quelle verrieth so ist es auch größestentheils Schiller, dem ich die Anlage, den Entwurf zur vollendeteren Form verdanke. Er zog in meine Seele die sanften, weichen Linien des Schönen und des Guten, die meine männlichere Vernunft nur tiefer zu ziehn nur um die scharfen Ecken zu weben und zu schwingen braucht um mein Glück und meine Ruhe auf Ewigkeiten zu gründen. Er bietet mir vom Port der himmlischen Vaterwelt die Hände um die gesunkene Psyche heraufzuheben.
Könnte ihn jemand besser zeichnen, jemand besser die wahrnehmbaren Umrisse seines intellectuellen Wesens, die die gewagtesten, reinsten, gelungensten und feinsten sind, in irgend einer menschlichen Sprache entwerfen, als er selbst im Bilde seines Posa gethan hat; Nichts hat er vergessen, als die Anwendung und die mindere Anmaaßung, die seinen Character noch menschlicher, liebenswürdiger und umfassender macht. Eben diese stille Größe und sittliche Erhabenheit, eben dieses Weltbürger Herz, das für mehr als Menschheiten schlägt und doch diese idealische Liebe auf reine Seele[n] um sich überträgt, und nicht den Einzelnen entgelten läßt, was die Natur minder für sie als fürs ganze Geschlecht that, eben dis nicht auf Erden Heimische und doch Zufriedene nicht Klagende, Heilige, Resignirende, was die gereifteste Frucht der Humanitaet ist, das Resultat der Höchsten Philosophie des Sterblichen, und einst in jenen traurigen Tagen mit den Griechen verblühte. Ihm gab das Schicksal die göttliche Gabe, alles, was er berührt in das reinste Gold des geläutertsten Menschensinns, in das Eigenthum und Erbtheil der sittlichen Grazie zu verwandeln. Wissenschaften werden im längern Laufe seines Lebens unter seinem wolthätigen Fluge aufblühn und um kurz ein Gemälde vorüberzugehn, das der scharfsichtige Blick des Künstlers selbst vielleicht noch nicht übersehn kann; er wird nebst einem Manne, den mir die Bescheidenheit zu nennen verbietet, der Erzieher des künftigen Jahrhunderts werden. Die Nachwelt zeigt ihm seinen Plaz unter den Kraftvollen Männern, die zur treffendsten, bittersten Karakteristik unserer Zeiten beynah vergessen sind oder doch vernachlässigt unter ihrer Würde. Welcher Edle stimmt mir nicht bey, wenn ich Franklin, Linnee, Haller, Newton, van Swieten, Baco, Luther, Hutten, Galilaei, Lessing, Leibniz Spinotza, Michel Angelo, Alembert und Macchiavell nenne.
Oft wenn in schwärmerischen Stunden das Bild der Vorzeit in uns erwacht, wenn die Bonmots der Natur, unsre Voltaire, Helvetius und andre Modephilosophen und Modehelden unsers Jahrhunderts vor den alten herrlichen Söhnen der Natur verschwinden, wie ein künstliches Feuerrad beym Morgenstern oder ein witziger Einfall vor dem Erguß, vor der Äußerung einer edlen, ungezwungnen, wahren Empfindung, wenn uns unsre Zeiten unsre moralische Krüppel und Zwitter mit allen ihren Gebrechen und Scheusalen anekeln, und wir, wie Hiob, der Stunde unsrer Geburt zürnen, dann versöhnt uns oft ein Blick auf diese unsre Zeit und Periodengenossen mit allem und die mürrische Klage erstirbt auf den Lippen in ein Lispeln des Danks und in die abgebrochnen, glühenden Laute der Liebe und Bewunderung.
Mein Morgen und Abendgebet ist um Gesundheit: um die glänzendsten Lebensperioden Schillers mit genießen zu können, um von ihm begeistert auch höhern Zwecken nachzustreben; giebt mir diese die Vorsehung, was will ich weiter? Beschäftigung und Freudigkeit zu handeln hab ich dann auf Ewigkeiten:
(Erlauben Sie mir, daß ich noch einmal Baggesen, diesem göttlichen Menschen freylich mit sehr ungleichen Kräften auf eine gewisse Art nachahme: Ich kenne keine Manier, die fähiger wäre feinere Nüanzen auszudrücken als diese.) Wenn noch einst meine Bewegung zur Thätigkeit,meine Reizbarkeit zu ächtem Gefühl, meine Natürlichkeit zur Natur, meine Funken zur Wärme, meine Genialitaet zu Genie, mein Entwurf zur Ausführung, meine Vorstellung der Empfindung zur Empfindung, meine Mäßigkeit in Mäßigung, mein Sinn zu Character, meine Anlage zur Ordnung, meine Vielseitigkeit zur Mannigfaltigkeit, und meine Vielheit zur Einheit, meine Ahndungen zu System verschmelzen und meine Vernunft das entscheidende Uebergewicht über Sinnlichkeit und Fantasie erhält und Natur und Einfachheit meine Hausgottheiten werden meine Liebe und mein Enthusiasmus für so viele Dinge eine bestimmtere, festere Richtung, eine ebenso leichte als glückliche Anwendung erhalten; dann verdank ich wenigstens Ihnen, Schillern und Schmidten die dazu so nöthige Aufmerksamkeit und Beobachtung meiner selbst, ohne die alle Kämpfe fruchtlos, alle Mühen vergeblich sind. Empfangen Sie hier meinen glühendsten Dank aus dem gerührtesten Herzen für alles was sie mittelbar oder unmittelbar für mich thaten, für die Aufmunterungen, die Sie mir gaben, für die Geduld, die Sie mit meinen Schwächen, Thorheiten und Rhapsodieen hatten, und glauben Sie, daß schon der Wunsch nicht undankbar zu seyn mich zur höchsten Anstrengung meiner Kräfte bewegen könnte um Ihnen durch Handlungen und Selbstbildung zu zeigen, daß ihre angewandten Bemühungen und der Reiz Ihres Beyspiels nicht umsonst waren.
Ich werde in 3 Wochen nach Leipzig abgehn, und nach einer gänzlich veränderten Lebensordnung zu leben dort anfangen. Jurisprudenz, Mathematik und Philosophie sollen die 3 Wissenschaften seyn, denen ich diesen Winter mich mit Leib und Seele ergeben will und im strengsten Sinne ergeben. Ich muß mehr Festigkeit, mehr Bestimmtheit, mehr Plan, mehr Zweck mir zu erringen suchen und dis kann ich am leichtesten durch ein strenges Studium dieser 3 Wissenschaften erlangen. Seelenfasten in Absicht der schönen Wissenschaften und gewissenhafte Enthaltsamkeit von allem zweckwidrigen hab ich mir zum strengsten Gesez gemacht Γνωσι σεαυτον soll mein Memento mori seyn, und λαφε βιωσασ der Wahlspruch meines practischen Lebens. Schiller zeigte mir höhere, reizendere Zwecke in dem Studium dieser ernsteren Wissenschaften, für die jeder nur einigermaaßen an Kopf und Herzen gesunde und unverdorbne Mensch sich feurig und lebhaft interressiren muß. Er lehrte mich den Wink meines Schicksals belauschen und ihm gehorsam seyn: Er zeigte mir, daß man könne, was man solle und daß wahre Größe des Geistes und ächte sittliche Schönheit des Karakters mit eingeschränkten Zwecken, wenn man zu höhern Beruf hätte, unverträglich sey. Ich brauche mich auch deswegen, wie ich neulich an Schiller schrieb, nicht an Kopf und Herz von meiner Brodwissenschaft Abälardisiren zu lassen. Musen und Grazien können immer die vertrauten und nüzlichen Gespielen meiner Nebenstunden bleiben, Lieblingen derselben immer wärmer und inniger mein Herz entgegenschlagen, Ihre Werke immer einen unaussprechlichen, Sinn und Geist hinreißenden über alles erhabenen Zauber, für mich behalten und im heiligen Selbstgefühl der Unschuld und Sittlichkeit alle meine Gedanken und Empfindungen mit dem Siegel der Begeisterung und Hoheit bezeichnen: Denn das Entzücken, welches hieraus entspringt verlöscht nur mit dem lezten Auseinanderdrange meiner Fibern, mit der Bebung, die mein Innerstes gewaltsam auflöst, mit dem Athemzuge, der den Gott in mir befreyt. Empfehlen Sie mich der Frau Räthin, dem Nachbild von Schillers Elisabeth, meinem lieben, großen Schiller und denken Sie zuweilen an
Ihren
innig Sie liebenden Freund und Verehrer
Fridrich Leopold von Hardenberg