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Novalis to Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg TEI-Logo

Leipzig: den 9ten Februar. 1793. [Sonnabend]
Voll Zutraun nah ich mich Deinem Herzen. So lang ich denken kann hast Du mir mehr versprochen Freund als strenger Vater zu seyn. Jezt appellire ich an dis Versprechen, jezt ist die Zeit, da Du Dein Interresse vergessen und nur für das Meinige sorgen kannst. Ich hatte nie mehr Bedürfniß ein erfahrnes Herz zu finden, das mich zutraulich aufnähme, als jezt. Vorwürfe, bester Vater, und gerechter Tadel sind überflüssig, denn ich habe mir hundertmal alles lebendig vorgestellt, was Du und die strenge Stimme meines eignen Bewußtseyns mir sagen können. Du weißt schon, was ich wünsche, wornach ich ein heißes Verlangen trage. Soldat zu werden ist jezt die äußerste Gränze des Horizonts meiner Wünsche. Die Erfüllung dieser Hoffnung wird die fieberhafte Unruhe stillen, die jezt meine ganze Seele bewegt. Du, bester Vater, bist die größeste und fast einzige Schwierigkeit, die ich zu überwinden habe. Hab ich den Weg zu Deinem Herzen gefunden, löscht dieser schnelle, jugendliche Entschluß nicht alle Funken einer zärtlichen Liebe zu mir darinn aus, die schon zwanzig Jahr alt ist, und mehr aus dem innren Fond Deines Characters als aus der Natur entstanden ist, so glaub ich auch diese überwunden zu haben, so glaub ich, daß nichts mehr der Ausführung meines Vorhabens entgegensteht. Eh ich meinen Entschluß fest faßte so hab ich freylich innerlich sehr mit der Vorstellung gekämpft, daß ich im höchsten Grade undankbar gegen euch beste Eltern sey, daß ich euch liebe Hoffnungen zerstöre und euer Herz an der verwundbarsten Seite angreife; aber als ich nachher bedachte, daß nicht der gegenwärtige Augenblick gerade, sondern die Aussicht des ganzen Lebens mich bestimmen müßte, daß das Glück und die Ruhe von meinem Leben und ein großer Theil des Eurigen an diesem Entschluß hinge, indem ich von ihm mir den vortheilhaftesten Einfluß auf die Bildung und Consistenz meines Characters verspreche, daß denn doch bald Zeiten kommen würden, wo euch das alles klar und kräftig einleuchten würde, und ihr mit der Wendung meines Schicksals gewiß zufrieden seyn, als ich dis alles bedachte, so war auch mein Entschluß da mit der freudigen Hoffnung, daß ihr mir auch zutrauensvoll die Hand biethen würdet und mein ohnedem schon verwirrtes Herz durch eine Härte und Kälte, durch einen Mangel an freyem Zutraun und herzlicher Theilnahme, der euch sonst so fremd war, nicht noch mehr niederdrücken. Diesem innerlichen Kampfe mußt Du es auch zuschreiben, daß Du nicht der erste warst, dem ich mein volles, bedrängtes Herz ausschüttete; ich konnte mich nicht erst überwinden eine Schüchternheit und Zurückhaltung gegen Dich fahren zu lassen, die Dein strenger Sinn vielleicht seit langer Zeit schon als einen festen Eindruck zurückgelassen hat. So freundschaftlich und warm Du zuweilen bist, so eine hinreißende Güte Du so oft äußerst, so hast Du doch auch sehr viel Augenblicke, wo man sich Dir nur mit schüchterner Furchtsamkeit nähern kann und wo Dein feuriger Character Dich zu einer Theilnahme treibt, die zwar Ehrfurcht aber nicht freyes, unbefangnes Zutraun gebietet. Nicht gerade Deine Hitze mein ich sondern auch jene tiefe, erschütternde Empfindung, die Dich ergreift, wenn Du auch in einer anscheinenden Ruhe und Kälte bist. Und dis fürcht ich am meisten. Nichts ist mir unerträglicher, und peinlicher als Dich kalt und verschlossen zu sehn, ach! ich habe auch zu oft Dich so im höchsten Grade wolthätig, offen, zutraulich, herzlich und die Güte selbst gekannt, wo jedes Deiner Worte Liebe einflößte und die sanfteste Ueberzeugung sich in jedem Herzen erwärmte. Wenn ich wüßte, daß Du immer so gegen mich wärst, so wäre kein glücklicherer Mensch, als ich, so sollte auch kein Wort sich für Dich in meinem Herzen verstecken. Doch ich breche hier ab um mich zu meinem Entschluß zu wenden und über ihn Dir alles zu sagen, was ich zu sagen habe.
Vor allen Dingen muß ich Dir ein Mißtrauen benehmen, als ob ich schon lange mit diesem Vorsatze umgegangen sey. Ich kann Dir aufs heiligste versichern, daß er erst seit Weihnachten mich ergriffen hat. Vorher hab ich nie daran gedacht, sondern mich mehr dafür als einer Maasregel gefürchtet, die ihr ergreifen würdet, wenn mein Fleiß nicht euren Erwartungen entsprechen würde. Die Entstehungsgründe sind kurz diese. Bis Weihnachten war ich fleißig gewesen, das kann ich freyherzig gestehen. Als ich nach Weihnachten zurückkam, so war ich ein paar Tage krank, mismüthig und unzufrieden mit mir selber. Ich war 20 Jahr alt und hatte noch nichts in der Welt gethan. Mein bisheriger Fleiß erschien mir selbst in einem sehr verächtlichen Lichte und ich fieng mich an nach Ressourcen umzusehn. Da schoß mir zuerst, wie ein fliegender Gedanke, der Wunsch durch den Kopf Soldat zu werden. Es blieb aber jezt nur alles noch im tiefsten Hintergrunde stehn. Dann hatte mein Bruder [Erasmus] wieder einen Anfall von Hypochondrie. Ich redete ihm zu. Er sprach vom Soldaten. Ich redete ihm diese Sache so ziemlich aus, aber mir noch tiefer ein. Dieser Wunsch trat immer heller und lebendiger hervor und fieng an mich zu beunruhigen. Jezt wars, daß ich, verzeihe ja voll Nachsicht meiner Juvenilitaet, mich in ein Mädchen verliebte. Die erste Zeit gieng noch alles recht gut, aber diese Leidenschaft wuchs so schnell empor, daß sie in kurzer Zeit sich meiner ganz bemächtigt hatte. Mich verließ die Kraft zu wiederstehn. Ich gab mich ganz hin. Ueberdem wars die erste Leidenschaft meines Lebens. Vielleicht ist Dir dis nicht so fremd und analoger als ich glaube, da Du doch ein äußerst empfindliches und heftiges Temperament hast: aber Du bist von früh an schon vertrauter und inniger mit der Idee von Pflicht gewesen und meine Fantasie ist vielleicht viel ungebändigter, als die Deinige war. Genug ich gerieht in einen Zustand, in den ich noch nie war. Eine Unruhe geißelte mich überall, deren Peinlichkeit und Heftigkeit ich Dir nicht anschaulich zu machen vermag. Hin und wieder gabs doch eine kühlere Minute, wo mir das Gefühl von Pflicht, von meiner Bestimmung, die Errinnerung an euch einfiel und meine innre Pein um die Hälfte vermehrte, weil ich zu gut sah, daß ich nicht so seyn sollte, und doch Mangel an Kraft fühlte mich herauszureißen, weil ich zu unzertrennlich mit der Empfindung der Liebe verbunden war, weil ich gern beyde verknüpft hätte und doch keine Möglichkeit vor mir sah. 14 Tage habe ich fast nicht ordentlich geschlafen, und selbst diesen kurzen Schlaf machten mir die lebhaftesten Träume peinlich. Hier kam der Entschluß zu reife. In dieser Epoche sah ich Dich. Deine kurze Gegenwart machte meine innre Situation verwirrter. Damals schrieb ich zuerst alles an meinen Onkel. Nachgerade legte sich dieses Seelenfieber, aber mein Entschluß blieb. Meine Leidenschaft ist ganz verloschen und Du kannst jezt vor allen Rezidiven derselben Leidenschaft sicher seyn. Sie hob sich selber auf als sie auf einen Grad gestiegen war, von dem Du Dir keine Vorstellung machen kannst. Einige Wunden hat sie noch zurückgelassen, die nur die Zeit vernarben kann. Aber es bleibt mir ewig eine der merckwürdigsten Zeiten meines Lebens. Daß ich in dieser ganzen Zeit nichts that kannst Du Dir leicht vorstellen und Du wirst gewiß darüber nicht unwilliger werden, als über die ganze Geschichte. Ich könnte hierüber noch eine ganze Menge Bemerkungen machen aber Dein Herz, Dein Selbstgefühl, Deine Güte, Erfahrung und Menschenkenntniß macht sie mir überflüssig. Mein Entschluß selbst soll mich nun ganz allein beschäftigen. Die Entstehung desselben hast Du nun gesehn und aus ihr ergeben sich leicht die meisten Motive. So aufmercksam ich auch seit langer Zeit schon auf mich bin, so gut ich vorher glaubte mich ganz zu kennen, so hat mir doch diese Begebenheit erst die Augen geöffnet. Von meiner Leidenschaftlichkeit wußte ich wenig. Ich glaubte nie, daß mich etwas so allgewaltig in so kurzer Zeit unmercklich ergreifen, mich so in meiner innersten Seele gefangen nehmen könne. Ich habe nun die Erfahrung gemacht. Bin ich sicher, daß heut oder morgen mich nicht wieder so ein Unfall trifft?, als Soldat bin ich gezwungen durch strenge Disziplin, meine Pflichten gewissenhaft zu thun und überdem sind es größestentheils mechanische Pflichten, die meinem Kopf und Herzen alle mögliche Freyheit verstatten, hingegen als Zivillist, Gott im Himmel, wie würde das mit meinen Geschäfften aussehn, wenn solche Pausen von gänzlicher Kopfabwesenheit kämen. Ich würde euch, mich selbst und meine Pflichten täuschen, obendrein unglücklich seyn und keinen Trost haben. Meine leidenschaftliche Unruhe und Hefftigkeit würde sich auf alles erstrecken und leider würden die trocknen Geistesarbeiten davon den wenigsten Nutzen haben. Ich muß noch erzogen werden, vielleicht muß ich mich bis an mein Ende erziehn. Im Zivilstande werde ich verweichlicht, Mein Character leidet zu wenig hefftige Stöße und nur diese können ihn bilden und fest machen. Schon diese hefftige Leidenschaft hat auf meinen Character und meine Einsicht einen, wie ich mir schmeichle vortheilhaften Einfluß gehabt.
So ein Character, wie der Meinige, bildet sich nur im Strom der Welt. Einem engen Kreise kann ich nicht meine Bildung danken. Vaterland und Welt muß auf mich wirken: Ruhm und Tadel muß ich ertragen lernen. Mich und andere werd ich gezwungen recht zu kennen, denn nur durch andre und mit andern komm ich fort. Die Einsamkeit darf mich nicht mehr schmeichelnd einwiegen. Es will der Feind, es darf der Freund dann nicht schonen. Dann fang ich erst an meine Kräfte zu üben und männlich zu werden. Männlichkeit ist das Ziel meines Bestreben. Nur sie macht edel und vortrefflich, und wo könnt ich sie eher für mich finden als in einem Stande, wo strenge Ordnung, Pedantische Unbedeutendheit und Ein Geist zu einem großen Ziele führt, wo das Leben immer nur als Medium erscheint und das Prinzip der Ehre das Selbstgefühl schärft, die Empfindungen veredelt, den Wetteifer erhöht und den Eigennutz aufhebt, wo man fast immer mit seiner lezten Minute umgeht. Wenn man da nicht geweckt wird zum Ernst, zur Männlichkeit, zum klugen Gebrauch seiner Kraft und seiner Zeit, wenn da nicht der Charakter consistenz und Bildung und Größe erhält, so müßte man auf der untersten Stufe der menschlichen Würde, der moralischen Natur stehn. Ich hoffe, daß Du jezt schon einsehn wirst, daß nicht eine kindische Vorstellung vom Soldaten mein Hauptbewegungsgrund gewesen. Ich weiß zu gut, was ich aufopfre und was ich erhalte, wozu ich mich entschließe und was ich verlasse. Ich weiß, daß der Soldatenstand kein Rosengarten ist, aber was gerade andre dran scheuen, das zieht mich an, und läßt mich den heilsamsten Einfluß auf meine Bildung davon hoffen. Vorher will ich noch einiges über Bestimmung überhaupt errinnren, wovon ich fest überzeugt bin, daß es mit Deiner Denkungsart nicht contrastirt. Du weißt zu gut, wie lange man sich über seine eigne Bestimmung täuschen kann, und wirst mir daher keinen wesentlichen Vorwurf machen, daß ich nicht eher auf diesen Entschluß fiel. Man ist so lange unbestimmt, und daher gleichgültig in der Wahl seines Gegenstandes, bis man durch sich selbst, durch sein individuelles Bedürfniß seine Richtung erhält. Manche, und die Meisten eigentlich, haben überhaupt so wenig Sinn für eigentliches Bedürfniß, daß sie sich gutwillig vom ersten, besten, äußern Gegenstande bestimmen lassen, ohne sich selbst zu fragen, ob diese Leitung ihnen auch angemessen ist oder vielmehr ob sie zu dieser Bestimmung passen. Die Edlen unter ihnen werden durch diese verfehlte Wahl unglücklich; die minderedlen lassen sichs freylich nicht zu Herzen gehn, sehn es hundertmal nicht ein und verderben den Plaz auf dem sie stehn, und verkürzen die Linie, die ihnen ihre falschgewählte Bestimmung vorschreibt. Erlaube mir doch daher, daß ich jezt dem Rufe folgen kann den ich aus meinem Herzen und aus den Gegenständen um mich her höre. Hör ich zur Unzeit nun so kann ich mir doch selbst Vorwürfe machen und habe nicht nöthig unwillig auf einen andern zu seyn; Du denkst zu hell ferner, als daß Du nicht überzeugt seyn solltest, daß der Zivilstand nicht um ein Haar eigentlich vorzüglicher sey als der Soldatenstand, sondern daß der Mann den Stand mache; ich gehe also schnell über diesen Vorwurf weg. Das thätige Leben, in das ich nun trete wird meinem brausenden Kopfe und meinem unruhigen Herzen höchst willkommen seyn. Meine Grundsätze und Ideen werden geprüfter, schärfer gedacht, tiefer empfunden werden. Die wilde, leidenschaftliche Hitze wird sich legen und nur eine sanfte, gemäßigte Wärme zurückbleiben. Der üppigere Gedankenstrom wird sich verlieren, aber er wird desto reichhaltiger werden. Die Erfahrung wird ihre Hand an meine Bildung legen und in ihrem hellen Lichte wird manche romantische Jugendidee verschwinden und nur der stillen, zarten Wahrheit, dem einleuchtenden Sinn des Sittlich guten, Schönen und Bleibenden den Plaz überlassen. Mein Sinn wird Character, meine Erkenntnisse werden Grundsätze meine Fantasie wird Empfindung, meine Leidenschaftlichkeit, woltätige Wärme, meine Ahndungen werden Wahrheit, meine Einfalt Einfachheit, meine Anlage wird Verstand, meine Ideen werden Vernunft. Sieh, bester Vater, das ist der Zweck, den ich habe, mißbilligen kannst Du ihn unmöglich, und das gewählte Mittel scheint mir das zweckmäßigste zu seyn. Ich glaube mit allem diesem schon alle jene Einwürfe entkräftet zu haben, die Du mir etwa in Rücksicht des Verhältnisses meines Characters zum Soldatenstande machen könntest. Mir wird die Subordination, die Ordnung, die Einförmigkeit, die Geistlosigkeit des Militairs sehr dienlich seyn. Hier wird meine Fantasie das Kindische, Jugendliche verlieren, was ihr anhängt und gezwungen seyn sich nach den festen Regeln eines Systems zu richten. Der Romantische Schwung wird in dem alltäglichen, sehr unromantischen Gange meines Lebens viel von seinem schädlichen Einfluß auf meine Handlungen verlieren und nichts wird mir übrigbleiben, als ein dauerhafter, schlichter bonsens, der für unsre modernen Zeiten den angemessensten, natürlichsten Gesichtspunkt darbietet. Was die Strapazen betrifft, so weiß ich, daß ich sie ausdauern werde, wenn ich sie ausdauern soll und so fürcht ich mich nicht dafür. Was Todesfurcht anbetrifft, so müßt in mir kein Tropfen von Deinem Blute fließen, wenn sie mich zurückhalten sollte. Bey mir kommt auch noch aus gewissen individuellen Hinsichten, die Du auf keinen Fall mit mir theilen kannst, eine Gleichgültigkeit gegen das Leben hinzu, die Dir paradox vorkommen wird, weil Du mich nicht ganz kennst. Ich bin fest überzeugt, daß man in der Welt mehr verlieren kann, als das Leben, und daß das Leben nur von uns seinen Reiz erhält, daß es immer nur Mittel und fast nie Zweck seyn darf, und daß man oft wenig verliert, wenn man aus diesem Sterne abtritt. Meine Handlungen hoff ich sollen Dir zeigen, daß hierinn mehr als Tirade ist. Was das Zerschießen und das Zerhauen angeht so bleibt mir auch in diesem Falle noch immer die Zuflucht zu den Wissenschaften, die das Glück meines Lebens ausmachten bisher, und gewiß jezt nicht aufhören werden. Von Ihnen und von dem sorgfältigen Studium meines Handwerks verspreche ich mir die Ausfüllung der vielen Stunden, die mir mein Dienst übrig läßt, und dis wird allein schon genug seyn die Langeweile und den Müßiggang zu verbannen, der die Geißel der meisten Offiziere ist. Mein Geist und seine Bildung ist ohnedem mein heiligster Zweck; äußere Veränderungen und körperliche Unfälle werden also diesem nie entgegenstehn, wenn sie nicht mittelbar seine Entwicklung und die Freyheit seiner Bewegungen hemmen. Ich habe sonst noch viel überdacht ob jemand reellen Schaden von meinem Entschlusse haben könnte, aber ich habe nichts gefunden. Euch wirds in Anfang schmerzen meinen angefangenen Lauf unterbrochen zu sehn, mich, den ihr so zärtlich liebt, dem ungewissen Kriegsglück anvertraut zu wissen, 2 Jahre Hoffnungen und Depensen umsonst gehabt zu haben; aber hängt nicht die ganze Lebenszeit des Menschen an unsichtbaren Fäden zusammen, kann euch beym festen Glauben an die Vorsehung das 2te wahre Unruhe machen und vergeßt ihr nicht gern das lezte, wenn ihr mich nun endlich auf einer festen Bahn seht und mein Glück und meinen Character geborgen,und eure Hoffnungen gegründet; und jeder gelungne Schritt euch der beste Dank wird. Ach! dann werden Zeiten kommen, wo wir uns mit gerührterem Herzen umarmen werden, und froh seyn über das Vergangne und heiter entgegensehn den kommenden Stunden, wo Du einsehn wirst, daß meine innre Stimme recht hatte, und daß mich mein schützender Engel so führte. Erleichtre mir also, bester Vater, meinen jetzigen Entschluß und mache mir das Herz nicht mit Deinem innren, verhaltnen Kummer schwer, das ohnedem Hoffnung und Kraft und Muth bedarf, denn die bisherige unthätige Ruhe hat es verzärtelt. Es wird Dir nicht gereuen mir entweder meinen letzten, oder meinen ersten männlichen Weg verkürzt zu haben und erleichtert. Komm ich nicht wieder so hab ich doch meinem Schicksal gefolgt, das mir kein längeres Leben gönnte, und auch dann wirst Du der Vorsicht Plan still verehren: Seh ich euch wieder, so hoff ich, Du sollst mir noch einmal Dein ganzes Vertraun wieder schenken und wir wollen gewiß noch manchen frölichen Tag dann verleben. Ich habe jezt die erste Aussicht noch mir selber das Nothdürftigste verdienen zu können und meinen Geschwistern so am wenigsten im Wege zu stehn, und vielleicht am ersten eure Unterstützung, in sofern sie euch zur Last fällt, entbehren zu können, wenn mir nur das Glück ein wenig mit dem Avançement wohl will. Mein Onkel ist von allem diesem schon unterrichtet; seine Antwort drauf hat mich entzückt, wegen der Wärme und Theilnahme, mit der er zu mir sprach. Er glaubte es sey Grille und nicht fester Entschluß. Die Gründe, warum er mir es wiederrieth, waren die, die ich auch von Dir vermuthete, und auf die ich ihm eben so detaillirt antwortete, als ich Dir jezt schrieb. Ich erwarte seine 2te Antwort stündlich. Sieh, bester, liebster Vater, das ist nun alles. Ich hoffe, Du lässest mir die wenige Gerechtigkeit wiederfahren, die mir zukommt und erkennst in mir zwar den leidenschaftlichen, unbesonnenen, jungen Menschen, aber auch das freye, offne Herz, das es nicht gern mit andern, aber auch nicht gern mit sich selbst verdürbe, und so gern besser, weiser und glücklicher seyn und machen möchte. Ich habe das uneingeschränkteste Zutraun in die Güte Deines Herzens und in Deine Zärtlichkeit für mich. Laß mich in Dir ganz den Vater und den Freund finden und verbanne jeden aufsteigenden Unwillen gegen mich sogleich aus Deiner Brust. Lege auch für mich ein gutes Wort bey meiner Mutter und bey meinem Onkel ein und verzeihe allen meinen Thorheiten und den Licenzen meiner Jugend. Ich schließe voll der freudigsten Hoffnung und bitte Dich nur schließlich mit mir je eher je lieber Abrede zu nehmen wegen meines Placirens, wozu ich schon einige Pläne im Kopf habe. Ich habe meinem Onkel etwas davon geschrieben. Mündlich mehr. Nur je eher je lieber von Leipzig weg und zu meiner Bestimmung. Fridrich v. Hardenberg.
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  • Date: Samstag, 9. Februar 1793
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Weißenfels · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 104‒112.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: No. 9, Bl. 1-4; FDH Nr. 11840
Language
  • German

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