Weißenfels am 16ten März. 1793. [Sonnabend]
Deinen Brief erhielt ich gestern. Es war mir ein lieber Beweis, daß Du so warm und freundschaftlich für mich denkst, als ich es kaum verdiene. Ich habe in aller Rücksicht sehr wenig Verdienst um Dich und wenn Dein Herz nicht so im höchsten Grade empfänglich für Freundschaft wäre, und seine Ansprüche so duldsam und bescheiden, so müßte Dir mein Egoïsmus oft unerträglich gewesen seyn. Keiner fühlts inniger als Ich, wie sehr ich an diesem Fehler krank liege, der freylich allen Leuten meines Sinns sehr natürlich ist und fast sich aus ihrer eigensten Natur entwickelt. Ich bin daher den Leuten um mich vielen, wahren Dank schuldig, wenn sie über diesen Splitter hinwegsehn und sich nicht stören lassen mir von ganzen Herzen doch gut zu seyn, weil sie sehn, daß er eine sehr natürliche Folge der Entwicklung eines solchen Characters ist, und mit der Zeit, je consistenter und ausgebildeter jener wird, auf hört seine Unerträglichkeit zu verlieren und in edlere, männlichere Bescheidenheit übergeht; überdem auch zur schnellern Ausbildung nicht wenig beyträgt. Ich werde auch mit jedem Tage aufmercksamer auf diese Auswüchse des an und vor sich edlen Selbstgefühls, das allemal mehr als gewönliche Anlagen begleitet, und ich hoffe, daß diese strenge Selbstcritik das liebe Ich immer mehr beschränken und in seine ächte, Natürliche Form zurückweisen wird. Verzeihe, daß ich so viel von mir selbst rede in dem Augenblicke, wo ich gegen diese Selbstsucht mein wahres Gefühl äußre, aber ich war Dir es schuldig, der aus Freundschaft für mich so oft und gern sein Selbst vergißt. Was Du mir vom Onkel schreibst kam mir nicht unerwartet. Der Vater hat es mir schon gesagt. Mindermann hab ich selbst gesprochen, denn ich bin in Eisleben gewesen. Die Erzählung dieser Reise gibt mir die beste Gelegenheit Dich von allem zu unterrichten, was jezt geschehen ist. Gestern vor 8 Tagen kam um Mittag ein 2ter Brief von Hardenberg, worinn er schrieb, daß ich gleich kommen sollte, um Fahnjunker zu werden, freylich mit den besten Aussichten zum baldigen Avançement. Ich sezte mich gleich zu Pferde und ritt nach Eisleben. Den Rentmeister traf ich in einer sehr vernünftigen Laune, so daß ich mit ihm mich recht angenehm unterhielt. Er gab mir Aufschlüsse über unser Vermögen, die mir völlig neu waren. Ich hatte mir unterwegs schöne spanische Schlösser gebaut. Die Erbschaft der Tante hatte mir Muth gemacht an die Cavallerie zu denken. Diese sanken nun gleich. Sonntag früh um 6 Uhr wollte mein Vater nach Artern; Jezt fieng er erst an mit mir zu reden. Das erste Wort, das ich von Churfürst Cuirassier fallen ließ wurde gleich wegen der Kosten ad acta gelegt und die Perspektive des Fahnjunkers blieb allein. Er schickte gleich alles an den Onkel und entließ mich mit sorgenbelasteten Herzen. Ich war kaum auf meinem Rosse so fiel mir alles zentnerschwer auf die Seele. Mit Geld ists überall gut seyn, selbst Fahnjunker, aber ohne Geld da ists ein armseelig Ding zu leben. Tausend Projecte liefen durch meine Seele, die endlich bey 2en stehn blieb. Das Eine war von Miltiz 500 Th. zur Equipage zu leihn; das 2te fortzustudiren. Um alles gehörig überlegen zu können ritt ich den Sonntag [10. März] noch nach Leipzig. Von dort aus schrieb ich an Miltiz. Montag Nachmittag kam ich nach Weißenfels. Um Dich nicht zu ermüden überlaß ichs Deinem Scharfsinn und Deiner Kenntniß meines Characters die Gründe auszumitteln, die mich bestimmten fortzustudiren; freylich nicht in Leipzig oder Wittenberg. Einer der Hauptgründe war, daß ich zu gut sah, wie langsam und eingeschlossen meine militairische Laufbahn troz alles Glücks bey unsern mittelmäßigen Vermögensumständen seyn würde, und wie ich meinen Hauptzweck doch noch eher beym Studiren erreichen würde, besonders da die Leidenschaft des Ehrgeizes, die in mir jezt noch nicht sehr hell brennt, sich mit gewissen Jahren erst entzündet und dann zur unerträglichen Peinigerinn wird; und dann auch, daß mir noch vieles an äußerlicher und innerlicher Bildung ahgeht um eine freye Rolle blos durch Verstand in der Welt spielen zu können, was doch selbst bey der Ergreifung des Militairs im Anfang meine Lieblingsidee war, die ich aber nicht recht durchgedacht hatte. Meine Mutter ergriff mit beyden Händen meinen abgeänderten Entschluß; Mein Vater kam; und einige Vorwürfe abgerechnet, die Du auswendig wissen kannst und die höchst natürlich sind, hatt ich Ursache mit seiner Humanitaet zufrieden zu seyn. Du wirst schon durch den Onkel eher als durch meinen Brief es erfahren haben; vielleicht ein wenig entstellt; Hier ist lautre Wahrheit. Weiter weiß ich noch nichts. An Miltiz hab ich geschrieben und meine Bitte zurückgenommen. Wenns der Onkel erlaubt, so komm ich nach Lucklum; Mein Vater hats ihm, wie ich vermuthe, geschrieben. Mündlich will ich Dir noch detaillirter manches sagen. Ueber Deinen Streit mit den beyden altmodigen Köpfen will ich Dir nur eins sagen; nemlich, daß es mit allen solchen controversen ein mislich Ding ist und man zweyerley Gefahr dabey läuft. Einmal einseitig zu urtheilen und sich hartnäckig zu machen und dann jenen Unrecht wircklich zu thun und gar nichts dabey von ihrer Seite zu gewinnen. Daß jede Sache zwey Seiten hat ist ein abgedroschner Gemeinplaz, der aber gleich Leben und Neuheit gewinnt, wenn man mit ihm jeden Schritt im alltäglichen Leben mißt und seine Anschaulichkeit bis zu einer Art von Instinkt der Urtheilskraft erhöht. Stilles Zurücktreten in sich selbst, leise Abwägung der mancherley Verhältnisse des menschlichen Lebens und eine Bescheidenheit, die man fast nicht zu weit treiben kann sowol im innern als äußern Leben, sind einige Hauptingredienzen der wahrsten, anschaulichsten Philosophie des Lebens, deren vortheilhaften Einfluß man fast mehr noch im Ganzen als im Einzelnen bemerkt und denen man einen großen, wol den größten Theil der Leichtigkeit und des glücklichen Erfolgs zuschreiben kann, mit denen man in der gewissenhaften Ausübung dieser Tugenden, durch die mannichfaltigsten Begegnisse des Lebens schlüpft.
Was Du mir von den Absichten meines Vaters mit Dir schreibst seh ich von einer andern Seite an, als Du. Ich sehe da einen Kreis der Beschäftigung für Dich, der weder höchst mühsam noch eingeschränkt ist. Du versicherst Dir so Dein Daseyn vielleicht etwas enger als Deine Thatkraft sonst in Gesellschaft der Fantasie strebte und vielleicht träumte; aber ich finde da ein ganzes Leben voll Thätigkeit vor Dir, das gar nicht den kleinen Horizont hat, den Du siehst. Die allzugroße Nähe des väterlichen Hauses hat nur insofern etwas Drückendes, als Du mehr außer Dir als in Dir lebst. Kannst Du so viel über Deine Einbildungskraft gewinnen, wie mir es sehr möglich scheint, daß sie Dir nicht immer andere Zustände vorspiegelt, die eine gewisse bloß idealische Behaglichkeit haben, und hingegen der Vernunft und Empfindung so untergeordnet ist, daß sie Dir blos zur Verschönerung und inneren Unabhängigkeit von der Außenwelt dient, so wirst Du muthig und fest die Bahn gehn, die Dir der Genius Deines Schicksals jezt hier vorzeichnet. Mir scheint dieser Plan sehr zweckmäßig in der Folge Deines angefangenen Lebens zu liegen, und zu seiner willigen Ausführung von Deiner Seite blos eine gewisse feste Bestimmung zu Etwas, Vorstellung von der Macht und dem Zauber der Gewohnheit, Abziehung der Fantasie von fremden, nicht genug gekannten Gegenständen und Beschränkung auf Eine Stelle zu gehören, zu der sich jeder bequemen muß und die jedem lebhaftern Kopf im Anfang unerträglich wird und sollt er mit dem Kabinetsminister den Anfang machen. Selbstständigkeit und die Ruhe, die aus ihr entspringt, ist Folge und Ursach zugleich von einer einmal gewählten Lebensart, die zu unsern Kräften und Bedürfnissen paßt. An dem leztern zweifelst Du, aber verzeihe mir, aus wahrer, jugendlicher Unkunde des Lebens. Glaube mir; wir können alles aus uns selbst herausbilden, und nichts von innerlicher Beständigkeit und Zufriedenheit ist an eine äußere Stelle gebunden. Man hat Langeweile, Ueberdruß, findet Unbedeutendheit und Leerheit, martert sich mit kränkelnder Empfindung und Fantasie ebenso gut in der glänzendsten Laufbahn als im beschränktesten Zirkel. Alle Begriffe von Beschränktheit und Umfang, Unbedeutendheit und Leerheit und Wichtigkeit und Befriedigung sind höchst relativ. Der Lebensgenuß findet sich überall bey gesunden Kräften der Seele; Wichtig kann uns der Raum einer Nußschaale werden wenn wir selbst Fülle des Daseyns mitbringen. Ich will deswegen nicht behaupten, daß man alle ehrgeitzige Neigungen diesen Ideen unterordnen soll, aber der Character unsers Lebens, der deutliche Fingerzeig des Schicksals, Zwecke, die mit unserm Wesen innig verwebt sind und treue Untersuchung dessen, wozu uns unsre Organisation und alle Umstände und Verhältnisse der Außenwelt zu bestimmen scheint, können und müssen allein unsrer Wahl Richtung, unsren Aussichten Gränzen, unsrer Gedankenwelt Anordnung und Bestimmung geben. Auch mein und fast der Meisten Lieblingsfehler ist alles in eins und Eins in Allem haben zu wollen. Wir suchen alle mehr, als wir für unsre Bedürfnisse nothwendig brauchen, und wünschen gern alle Bedürfnisse und alles, was zur Befriedigung aller dieser Bedürfnisse gehört in uns zu sammeln. Wir sehn dann oft den Wald vor lauter Bäumen nicht, oder streben nach etwas, das wir nicht anschaulich sondern nur begriffsweise begehren, und verfehlen dadurch des leisen Winks, den uns die Natur gab. Untersuche Dich selbst, bitt ich, und sage Dir dann selbst aufrichtig, ob viele Dinge, die Du wünschest, oder die Dir Sorgen und Pein machen, wircklich so vorhanden sind und ob Du sie auch wircklich nöthig bedarfst oder sie wesentlich entbehrst. Lieber Erasmus, folge der Natur nur mehr und trenne nachgerade alles von Dir ab, was nicht Natur ist. Ich habe gefunden, daß der unbehaglichen Sehnsucht nach einem andern Zustande und der Unzufriedenheit mit unserm Jetzigen allemal Eingeschränktheit, Unwissenheit und Schwäche zum Grunde liegen. Die Natur führt uns warlich am sichersten und leichtesten; nur das ist schwer zu unterscheiden, was Natur ist und was nicht Sie ist. Um dis zu erfahren kann ich Dir nichts bessers empfehlen als sorgfältige Untersuchung dessen was Du wircklich bist und nicht bist. Ungeduldig mußt Du freylich nicht hierbey seyn, denn selber dieser anscheinend langsame Gang unsrer Bildung und Entwicklung ist Gang der Natur. Ihr getreulich folgen, nie ungeduldig zu seyn, immer das Gute anzuerkennen, was wir haben und nicht von der krancken Empfindung und Fantasie Parallelen ziehn zu lassen, die höchst unnütz, schädlich und unwahr sind, nicht zu raffiniren auf Empfindung oder Situation, nichts unterdrücken, was gesundes wahres Gefühl ist, unbefangen sich und seine trüben Launen zu beurtheilen, thätig der Natur entgegen zu kommen, und sich vor jeder Ueberspannung in Acht zu nehmen, das ist das was uns zu thun übrig bleibt und warlich es ist genug. Das nil admirari des Horaz und zweckmäsige, anhaltende Beschäftigung sind große Hülfsmittel seinen Character fest und seine Ruhe, Unbefangenheit und gute Laune dauerhaft zu machen. Der Augenblick erschöpft nicht das Universum; die Gegenwart befängt nicht unser ganzes Daseyn wenn wir nicht wollen. Reine Willenskraft ohne alles Gewühl von raffinirten Gefühlen ist das, wodurch wir einzig leben und handeln können. Sie ist das Element des Mannes, der ohne sie nie Mann sondern ein halber Verschnittner ist. Sie ists wodurch wir gesund sind und werden. Denn gewiß nur die Harmonie unsrer Kräfte, die nur durch sie möglich ist, macht uns zu wahren Menschen[,] zu ächten Wesen in der Reihe der Dinge und dem wunderbaren Zusammenhange der moralischen und physischen Welt. Wo krancke Fantasie, da ist auch krancke Empfindung und krancker Verstand. Eins wird durch das andre gesund, so wirkt auch Gesundheit des Körpers und der Seele in einander, obgleich nie oder höchst selten Krankheit des Körpers wesentlich nachtheiligen Einfluß auf das Gemüth haben kann, wenn reine, feste, ewige Willenskraft da ist. Doch es ist genug; Du selber wirst vielleicht Dir dis alles anschaulicher machen können und mußt es, wenn es nicht für Dich unwahr seyn soll und umsonst. Kein Mensch giebt mehr als er weiß und als er darstellen kann. Bey der Verschiedenheit jedes Karakters kommt überdem noch bey dem andern vieles in Anschlag, was ich übersehe und mir nicht eigenthümlich ist. Daher muß jeder Mensch seine Philosophie aus sich selbst heraus bilden. Durch treue Anschauung wahrer Darstellungen andrer Seelen kann nur sein Beobachtungsgeist geweckt, seine Aufmercksamkeit geschärft und seine Thatkraft rege gemacht werden. Noch bin ich auch selbst zu unausgebildet, zu unbestimmt, zu verwirrt in der Wahl der Begriffe und Ideen, als daß ich in der Darstellung deutlicher und glücklicher seyn sollte. Ich empfehle Dir also alles zu eignem Nachdenken und freue mich recht innig, wenn Du durch diese wenigen Bemerkungen aufmercksamer auf manche Lücken und Mißverständnisse Deiner Natur wirst. Was ich Dir hier etwas weitläuftig auseinandergesezt beantwortet auch manches von dem, was Du mir wegen Deiner Lektüre schriebst. Vorschriften sind hier ganz unnüz: es kommt ganz auf Dein Bedürfniß und Deinen Geschmack an. Nur nicht zu viel überhaupt, und zu viel untereinander gelesen. Wielands Schriften scheinen mir für Dich äußerst zweckmäßig zu seyn; so wie überhaupt mehr heitre, lebensweise Schriftsteller als gespannte, fantasiereiche, individuellere. Schiller garnicht. Viel Geschichte und Reisebeschreibungen; doch besonders, die zugleich geistvoll geschrieben sind. Philosophie und Verse sind jezt für Dich nichts nütze und die leztern werden es nie seyn. Die Philosophie kann Dir einst Bedürfniß werden; aber jezt ist sie es noch nicht. Von Romanen lies wenige und von diesen auch nur solche, die mit freyen, unbefangenen, heitern Geist geschrieben ganz heitre Laune athmen und dem Genius des Lebens und der Wahrheit gewidmet sind. Voltaire ist für Dich der gesundeste, heilsamste Schriftsteller. Rousseau gar nicht. Helvetius, Moliere, Destouches und mehrere kleine französische Romane sind Dir sehr nüzlich. Die Französische Litteratur kann Dir mehr als Brunnenkur und Pillen seyn, und Deinen gespannten Unterleib eine sehr dienliche Relaxation geben. Horaz besonders in der Wielandischen Uebersetzung laß Deinen vertrautesten Freund seyn. Das helle, gemäßigte Licht in dem diese Schriftsteller die sublunarische Welt sehn, wird Dich unvermerkt auch an diesen Gesichtspunkt gewöhnen, der der Gesichtspunkt der Klügsten, Nüchternsten, Bescheidensten und Glücklichsten ist, und Dir die milde Denkart der Humanitaet und der Socratischen Sophrosyne geläufig machen. Laß Dir diese feinere Kultur Deines Geistes recht angelegen seyn. Sie paßt in das was ich vorhin einleitete. Nur falle nicht in das andre Extrem, wofür Dich gerade diese Denkart auch schützen soll und was das wahre punctum saliens dieser sanften, menschlichen Philosophie der Mittelstraße des Lebens ausmacht, daß Du das thätige Leben, die Unbedeutendheit des alltäglichen Lebensganges, und die wahre Praxis aller Philosophie fliehst und blos in angenehmen Träumereyen Deiner Seele und in Empfindungen und Raisonnements lebst, die nicht ihrer selbst willen, sondern blos um der wircklichen Welt, und dem wahren thätigen Leben da sind, wenigstens daher ihren geltenden Werth empfangen. Und alle solche Beschäftigungen mit Empfindungen und Begriffen arten gewönlich in Buhlereyen mit der Fantasie und Empfindung aus, die die natürliche Kraft der Seele lähmen, die reinen, vollen Natureindrücke schwächen, alle Wahrheit zerstören, unnütz und unglücklich zugleich machen, weil sie das höchste Mißverhältniß in unsrer Bestimmung und zwischen unsern Verhältnissen, sowol innern als äußern, hervorbringen. Frau von Reiski ist hier. Ich habe sie noch nicht gesehn. Meiner Mutter und Karolinen gefällt sie. Sie fangen an mit ihr umzugehn. Dein
Dich innig liebender Bruder Fridrich
von Hardenberg.
Deinen Brief erhielt ich gestern. Es war mir ein lieber Beweis, daß Du so warm und freundschaftlich für mich denkst, als ich es kaum verdiene. Ich habe in aller Rücksicht sehr wenig Verdienst um Dich und wenn Dein Herz nicht so im höchsten Grade empfänglich für Freundschaft wäre, und seine Ansprüche so duldsam und bescheiden, so müßte Dir mein Egoïsmus oft unerträglich gewesen seyn. Keiner fühlts inniger als Ich, wie sehr ich an diesem Fehler krank liege, der freylich allen Leuten meines Sinns sehr natürlich ist und fast sich aus ihrer eigensten Natur entwickelt. Ich bin daher den Leuten um mich vielen, wahren Dank schuldig, wenn sie über diesen Splitter hinwegsehn und sich nicht stören lassen mir von ganzen Herzen doch gut zu seyn, weil sie sehn, daß er eine sehr natürliche Folge der Entwicklung eines solchen Characters ist, und mit der Zeit, je consistenter und ausgebildeter jener wird, auf hört seine Unerträglichkeit zu verlieren und in edlere, männlichere Bescheidenheit übergeht; überdem auch zur schnellern Ausbildung nicht wenig beyträgt. Ich werde auch mit jedem Tage aufmercksamer auf diese Auswüchse des an und vor sich edlen Selbstgefühls, das allemal mehr als gewönliche Anlagen begleitet, und ich hoffe, daß diese strenge Selbstcritik das liebe Ich immer mehr beschränken und in seine ächte, Natürliche Form zurückweisen wird. Verzeihe, daß ich so viel von mir selbst rede in dem Augenblicke, wo ich gegen diese Selbstsucht mein wahres Gefühl äußre, aber ich war Dir es schuldig, der aus Freundschaft für mich so oft und gern sein Selbst vergißt. Was Du mir vom Onkel schreibst kam mir nicht unerwartet. Der Vater hat es mir schon gesagt. Mindermann hab ich selbst gesprochen, denn ich bin in Eisleben gewesen. Die Erzählung dieser Reise gibt mir die beste Gelegenheit Dich von allem zu unterrichten, was jezt geschehen ist. Gestern vor 8 Tagen kam um Mittag ein 2ter Brief von Hardenberg, worinn er schrieb, daß ich gleich kommen sollte, um Fahnjunker zu werden, freylich mit den besten Aussichten zum baldigen Avançement. Ich sezte mich gleich zu Pferde und ritt nach Eisleben. Den Rentmeister traf ich in einer sehr vernünftigen Laune, so daß ich mit ihm mich recht angenehm unterhielt. Er gab mir Aufschlüsse über unser Vermögen, die mir völlig neu waren. Ich hatte mir unterwegs schöne spanische Schlösser gebaut. Die Erbschaft der Tante hatte mir Muth gemacht an die Cavallerie zu denken. Diese sanken nun gleich. Sonntag früh um 6 Uhr wollte mein Vater nach Artern; Jezt fieng er erst an mit mir zu reden. Das erste Wort, das ich von Churfürst Cuirassier fallen ließ wurde gleich wegen der Kosten ad acta gelegt und die Perspektive des Fahnjunkers blieb allein. Er schickte gleich alles an den Onkel und entließ mich mit sorgenbelasteten Herzen. Ich war kaum auf meinem Rosse so fiel mir alles zentnerschwer auf die Seele. Mit Geld ists überall gut seyn, selbst Fahnjunker, aber ohne Geld da ists ein armseelig Ding zu leben. Tausend Projecte liefen durch meine Seele, die endlich bey 2en stehn blieb. Das Eine war von Miltiz 500 Th. zur Equipage zu leihn; das 2te fortzustudiren. Um alles gehörig überlegen zu können ritt ich den Sonntag [10. März] noch nach Leipzig. Von dort aus schrieb ich an Miltiz. Montag Nachmittag kam ich nach Weißenfels. Um Dich nicht zu ermüden überlaß ichs Deinem Scharfsinn und Deiner Kenntniß meines Characters die Gründe auszumitteln, die mich bestimmten fortzustudiren; freylich nicht in Leipzig oder Wittenberg. Einer der Hauptgründe war, daß ich zu gut sah, wie langsam und eingeschlossen meine militairische Laufbahn troz alles Glücks bey unsern mittelmäßigen Vermögensumständen seyn würde, und wie ich meinen Hauptzweck doch noch eher beym Studiren erreichen würde, besonders da die Leidenschaft des Ehrgeizes, die in mir jezt noch nicht sehr hell brennt, sich mit gewissen Jahren erst entzündet und dann zur unerträglichen Peinigerinn wird; und dann auch, daß mir noch vieles an äußerlicher und innerlicher Bildung ahgeht um eine freye Rolle blos durch Verstand in der Welt spielen zu können, was doch selbst bey der Ergreifung des Militairs im Anfang meine Lieblingsidee war, die ich aber nicht recht durchgedacht hatte. Meine Mutter ergriff mit beyden Händen meinen abgeänderten Entschluß; Mein Vater kam; und einige Vorwürfe abgerechnet, die Du auswendig wissen kannst und die höchst natürlich sind, hatt ich Ursache mit seiner Humanitaet zufrieden zu seyn. Du wirst schon durch den Onkel eher als durch meinen Brief es erfahren haben; vielleicht ein wenig entstellt; Hier ist lautre Wahrheit. Weiter weiß ich noch nichts. An Miltiz hab ich geschrieben und meine Bitte zurückgenommen. Wenns der Onkel erlaubt, so komm ich nach Lucklum; Mein Vater hats ihm, wie ich vermuthe, geschrieben. Mündlich will ich Dir noch detaillirter manches sagen. Ueber Deinen Streit mit den beyden altmodigen Köpfen will ich Dir nur eins sagen; nemlich, daß es mit allen solchen controversen ein mislich Ding ist und man zweyerley Gefahr dabey läuft. Einmal einseitig zu urtheilen und sich hartnäckig zu machen und dann jenen Unrecht wircklich zu thun und gar nichts dabey von ihrer Seite zu gewinnen. Daß jede Sache zwey Seiten hat ist ein abgedroschner Gemeinplaz, der aber gleich Leben und Neuheit gewinnt, wenn man mit ihm jeden Schritt im alltäglichen Leben mißt und seine Anschaulichkeit bis zu einer Art von Instinkt der Urtheilskraft erhöht. Stilles Zurücktreten in sich selbst, leise Abwägung der mancherley Verhältnisse des menschlichen Lebens und eine Bescheidenheit, die man fast nicht zu weit treiben kann sowol im innern als äußern Leben, sind einige Hauptingredienzen der wahrsten, anschaulichsten Philosophie des Lebens, deren vortheilhaften Einfluß man fast mehr noch im Ganzen als im Einzelnen bemerkt und denen man einen großen, wol den größten Theil der Leichtigkeit und des glücklichen Erfolgs zuschreiben kann, mit denen man in der gewissenhaften Ausübung dieser Tugenden, durch die mannichfaltigsten Begegnisse des Lebens schlüpft.
Was Du mir von den Absichten meines Vaters mit Dir schreibst seh ich von einer andern Seite an, als Du. Ich sehe da einen Kreis der Beschäftigung für Dich, der weder höchst mühsam noch eingeschränkt ist. Du versicherst Dir so Dein Daseyn vielleicht etwas enger als Deine Thatkraft sonst in Gesellschaft der Fantasie strebte und vielleicht träumte; aber ich finde da ein ganzes Leben voll Thätigkeit vor Dir, das gar nicht den kleinen Horizont hat, den Du siehst. Die allzugroße Nähe des väterlichen Hauses hat nur insofern etwas Drückendes, als Du mehr außer Dir als in Dir lebst. Kannst Du so viel über Deine Einbildungskraft gewinnen, wie mir es sehr möglich scheint, daß sie Dir nicht immer andere Zustände vorspiegelt, die eine gewisse bloß idealische Behaglichkeit haben, und hingegen der Vernunft und Empfindung so untergeordnet ist, daß sie Dir blos zur Verschönerung und inneren Unabhängigkeit von der Außenwelt dient, so wirst Du muthig und fest die Bahn gehn, die Dir der Genius Deines Schicksals jezt hier vorzeichnet. Mir scheint dieser Plan sehr zweckmäßig in der Folge Deines angefangenen Lebens zu liegen, und zu seiner willigen Ausführung von Deiner Seite blos eine gewisse feste Bestimmung zu Etwas, Vorstellung von der Macht und dem Zauber der Gewohnheit, Abziehung der Fantasie von fremden, nicht genug gekannten Gegenständen und Beschränkung auf Eine Stelle zu gehören, zu der sich jeder bequemen muß und die jedem lebhaftern Kopf im Anfang unerträglich wird und sollt er mit dem Kabinetsminister den Anfang machen. Selbstständigkeit und die Ruhe, die aus ihr entspringt, ist Folge und Ursach zugleich von einer einmal gewählten Lebensart, die zu unsern Kräften und Bedürfnissen paßt. An dem leztern zweifelst Du, aber verzeihe mir, aus wahrer, jugendlicher Unkunde des Lebens. Glaube mir; wir können alles aus uns selbst herausbilden, und nichts von innerlicher Beständigkeit und Zufriedenheit ist an eine äußere Stelle gebunden. Man hat Langeweile, Ueberdruß, findet Unbedeutendheit und Leerheit, martert sich mit kränkelnder Empfindung und Fantasie ebenso gut in der glänzendsten Laufbahn als im beschränktesten Zirkel. Alle Begriffe von Beschränktheit und Umfang, Unbedeutendheit und Leerheit und Wichtigkeit und Befriedigung sind höchst relativ. Der Lebensgenuß findet sich überall bey gesunden Kräften der Seele; Wichtig kann uns der Raum einer Nußschaale werden wenn wir selbst Fülle des Daseyns mitbringen. Ich will deswegen nicht behaupten, daß man alle ehrgeitzige Neigungen diesen Ideen unterordnen soll, aber der Character unsers Lebens, der deutliche Fingerzeig des Schicksals, Zwecke, die mit unserm Wesen innig verwebt sind und treue Untersuchung dessen, wozu uns unsre Organisation und alle Umstände und Verhältnisse der Außenwelt zu bestimmen scheint, können und müssen allein unsrer Wahl Richtung, unsren Aussichten Gränzen, unsrer Gedankenwelt Anordnung und Bestimmung geben. Auch mein und fast der Meisten Lieblingsfehler ist alles in eins und Eins in Allem haben zu wollen. Wir suchen alle mehr, als wir für unsre Bedürfnisse nothwendig brauchen, und wünschen gern alle Bedürfnisse und alles, was zur Befriedigung aller dieser Bedürfnisse gehört in uns zu sammeln. Wir sehn dann oft den Wald vor lauter Bäumen nicht, oder streben nach etwas, das wir nicht anschaulich sondern nur begriffsweise begehren, und verfehlen dadurch des leisen Winks, den uns die Natur gab. Untersuche Dich selbst, bitt ich, und sage Dir dann selbst aufrichtig, ob viele Dinge, die Du wünschest, oder die Dir Sorgen und Pein machen, wircklich so vorhanden sind und ob Du sie auch wircklich nöthig bedarfst oder sie wesentlich entbehrst. Lieber Erasmus, folge der Natur nur mehr und trenne nachgerade alles von Dir ab, was nicht Natur ist. Ich habe gefunden, daß der unbehaglichen Sehnsucht nach einem andern Zustande und der Unzufriedenheit mit unserm Jetzigen allemal Eingeschränktheit, Unwissenheit und Schwäche zum Grunde liegen. Die Natur führt uns warlich am sichersten und leichtesten; nur das ist schwer zu unterscheiden, was Natur ist und was nicht Sie ist. Um dis zu erfahren kann ich Dir nichts bessers empfehlen als sorgfältige Untersuchung dessen was Du wircklich bist und nicht bist. Ungeduldig mußt Du freylich nicht hierbey seyn, denn selber dieser anscheinend langsame Gang unsrer Bildung und Entwicklung ist Gang der Natur. Ihr getreulich folgen, nie ungeduldig zu seyn, immer das Gute anzuerkennen, was wir haben und nicht von der krancken Empfindung und Fantasie Parallelen ziehn zu lassen, die höchst unnütz, schädlich und unwahr sind, nicht zu raffiniren auf Empfindung oder Situation, nichts unterdrücken, was gesundes wahres Gefühl ist, unbefangen sich und seine trüben Launen zu beurtheilen, thätig der Natur entgegen zu kommen, und sich vor jeder Ueberspannung in Acht zu nehmen, das ist das was uns zu thun übrig bleibt und warlich es ist genug. Das nil admirari des Horaz und zweckmäsige, anhaltende Beschäftigung sind große Hülfsmittel seinen Character fest und seine Ruhe, Unbefangenheit und gute Laune dauerhaft zu machen. Der Augenblick erschöpft nicht das Universum; die Gegenwart befängt nicht unser ganzes Daseyn wenn wir nicht wollen. Reine Willenskraft ohne alles Gewühl von raffinirten Gefühlen ist das, wodurch wir einzig leben und handeln können. Sie ist das Element des Mannes, der ohne sie nie Mann sondern ein halber Verschnittner ist. Sie ists wodurch wir gesund sind und werden. Denn gewiß nur die Harmonie unsrer Kräfte, die nur durch sie möglich ist, macht uns zu wahren Menschen[,] zu ächten Wesen in der Reihe der Dinge und dem wunderbaren Zusammenhange der moralischen und physischen Welt. Wo krancke Fantasie, da ist auch krancke Empfindung und krancker Verstand. Eins wird durch das andre gesund, so wirkt auch Gesundheit des Körpers und der Seele in einander, obgleich nie oder höchst selten Krankheit des Körpers wesentlich nachtheiligen Einfluß auf das Gemüth haben kann, wenn reine, feste, ewige Willenskraft da ist. Doch es ist genug; Du selber wirst vielleicht Dir dis alles anschaulicher machen können und mußt es, wenn es nicht für Dich unwahr seyn soll und umsonst. Kein Mensch giebt mehr als er weiß und als er darstellen kann. Bey der Verschiedenheit jedes Karakters kommt überdem noch bey dem andern vieles in Anschlag, was ich übersehe und mir nicht eigenthümlich ist. Daher muß jeder Mensch seine Philosophie aus sich selbst heraus bilden. Durch treue Anschauung wahrer Darstellungen andrer Seelen kann nur sein Beobachtungsgeist geweckt, seine Aufmercksamkeit geschärft und seine Thatkraft rege gemacht werden. Noch bin ich auch selbst zu unausgebildet, zu unbestimmt, zu verwirrt in der Wahl der Begriffe und Ideen, als daß ich in der Darstellung deutlicher und glücklicher seyn sollte. Ich empfehle Dir also alles zu eignem Nachdenken und freue mich recht innig, wenn Du durch diese wenigen Bemerkungen aufmercksamer auf manche Lücken und Mißverständnisse Deiner Natur wirst. Was ich Dir hier etwas weitläuftig auseinandergesezt beantwortet auch manches von dem, was Du mir wegen Deiner Lektüre schriebst. Vorschriften sind hier ganz unnüz: es kommt ganz auf Dein Bedürfniß und Deinen Geschmack an. Nur nicht zu viel überhaupt, und zu viel untereinander gelesen. Wielands Schriften scheinen mir für Dich äußerst zweckmäßig zu seyn; so wie überhaupt mehr heitre, lebensweise Schriftsteller als gespannte, fantasiereiche, individuellere. Schiller garnicht. Viel Geschichte und Reisebeschreibungen; doch besonders, die zugleich geistvoll geschrieben sind. Philosophie und Verse sind jezt für Dich nichts nütze und die leztern werden es nie seyn. Die Philosophie kann Dir einst Bedürfniß werden; aber jezt ist sie es noch nicht. Von Romanen lies wenige und von diesen auch nur solche, die mit freyen, unbefangenen, heitern Geist geschrieben ganz heitre Laune athmen und dem Genius des Lebens und der Wahrheit gewidmet sind. Voltaire ist für Dich der gesundeste, heilsamste Schriftsteller. Rousseau gar nicht. Helvetius, Moliere, Destouches und mehrere kleine französische Romane sind Dir sehr nüzlich. Die Französische Litteratur kann Dir mehr als Brunnenkur und Pillen seyn, und Deinen gespannten Unterleib eine sehr dienliche Relaxation geben. Horaz besonders in der Wielandischen Uebersetzung laß Deinen vertrautesten Freund seyn. Das helle, gemäßigte Licht in dem diese Schriftsteller die sublunarische Welt sehn, wird Dich unvermerkt auch an diesen Gesichtspunkt gewöhnen, der der Gesichtspunkt der Klügsten, Nüchternsten, Bescheidensten und Glücklichsten ist, und Dir die milde Denkart der Humanitaet und der Socratischen Sophrosyne geläufig machen. Laß Dir diese feinere Kultur Deines Geistes recht angelegen seyn. Sie paßt in das was ich vorhin einleitete. Nur falle nicht in das andre Extrem, wofür Dich gerade diese Denkart auch schützen soll und was das wahre punctum saliens dieser sanften, menschlichen Philosophie der Mittelstraße des Lebens ausmacht, daß Du das thätige Leben, die Unbedeutendheit des alltäglichen Lebensganges, und die wahre Praxis aller Philosophie fliehst und blos in angenehmen Träumereyen Deiner Seele und in Empfindungen und Raisonnements lebst, die nicht ihrer selbst willen, sondern blos um der wircklichen Welt, und dem wahren thätigen Leben da sind, wenigstens daher ihren geltenden Werth empfangen. Und alle solche Beschäftigungen mit Empfindungen und Begriffen arten gewönlich in Buhlereyen mit der Fantasie und Empfindung aus, die die natürliche Kraft der Seele lähmen, die reinen, vollen Natureindrücke schwächen, alle Wahrheit zerstören, unnütz und unglücklich zugleich machen, weil sie das höchste Mißverhältniß in unsrer Bestimmung und zwischen unsern Verhältnissen, sowol innern als äußern, hervorbringen. Frau von Reiski ist hier. Ich habe sie noch nicht gesehn. Meiner Mutter und Karolinen gefällt sie. Sie fangen an mit ihr umzugehn. Dein
Dich innig liebender Bruder Fridrich
von Hardenberg.