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Novalis to Auguste von Hardenberg TEI-Logo

[Wittenberg, Ende Juni 1793.]
Liebe Mutter,
Danke schön für Deinen lieben Brief. Ich habe mich recht herzlich darüber gefreut. Ich sehe daß Du mir noch immer gut bist wie sonst, und das Gefühl ersezt mir tausendfaches Unangenehme. Wie innig kann ich Dir zu Deinem 23sten Hochzeittage Glück wünschen. So ein Glück ist das Ziel meiner fernsten, aber liebsten Wünsche. Dieser Sinn für Familienglück, der in mir so kräftig und lebendig ist, wird auf das Schicksal meines Lebens gewiß einen wolthätigen Einfluß haben und am allerersten die wilden Auswüchse meiner Fantasie beschneiden, die mich beständig innerlich unstät und flüchtig machen. Diesen Sinn recht rein auszubilden, ihm vorzuarbeiten, so viel ich kann, im dunklen Gewebe meines Schicksals, soll mein Hauptzweck seyn, und nur das wiederwärtigste Loos, die Loskettung von allem, was mich ans Leben knüpft, könnte mir dies Ziel verrücken. Ich hab ihn von euch diesen Sinn, der jezt schon bei mir oftt leidenschaftlich wird und sich in die lächerlichsten Träume verliert. Die Familie ist mir noch näher als der Staat. Freylich muß ich thätiger Bürger seyn um eine Familie an mich knüpfen zu können. Aber mir ist das Leztere näherer Zweck als der Erstere. Man ist auch am allervollkommensten Bürger des Staats, wenn man zuerst für seine Familie ganz da ist – Aus dem Wohlseyn der einzelnen Familien besteht der Wohlstand des Staats. Nur durch meine Familie bin ich unmittelbar an mein Vaterland geknüpft – das mir sonst so gleichgültig seyn könnte, als jeder andere Staat. O! ich fühle Sie ganz, die Süßigkeit des Berufs Stütze einer Familie zu seyn und darum plagt mich auch oft mein wildes, leidenschaftliches Temperament, mein unverwüstlicher Leichtsinn bis zum höchsten Ueberdruß und zur unerträglichsten aller Launen. Es ganz zu seyn erfordert unendliche Talente, Kraft des Geistes, Sinneskraft, eine Fülle des Herzens und eine unbeschreibliche, unnachahmliche Bestimmtheit des Karakters. Wie weit ich noch von allem dem, troz aller zufälligen Bildung meiner Seele, bin, kann ich am besten beurtheilen. Ich bringe nichts dazu mit als ein leidenschaftliches Gefühl für stille, häusliche Glückseligkeit. Vielleicht erleichtert mir dis noch meinen Weg zu dieser Bestimmung. Eine freundliche Ahndung sagt mir, ich sey dazu geboren, und selbst mein äußeres Schicksal flößt mir kein Mißtrauen ein. Ich bin voll Glauben und Zuversicht – und erwarte Alles, wenn ich meine ruhlosen Launen bezwinge. Fleißig bin ich jezt immer, und deswegen ist mir nicht bange, besonders da es mir leichter wird, als ich mir selbst vorstellte. Der Vater wird auf Michaïlis gewiß zufrieden seyn und vielleicht, daß mir euer Anblick und eure Freude ein bischen Frieden in die Seele gibt und manchen innern Aufruhr stillt. Indeß lebe wohl, beste Mutter, und sey heiter. Küsse die Geschwister und auch im Geist herzlich
Deinen
unterthänigen Sohn
Fridrich von Hardenberg.

Metadata Concerning Header
  • Date: [Ende Juni 1793]
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Auguste von Hardenberg ·
  • Place of Dispatch: Wittenberg · ·
  • Place of Destination: Weißenfels · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 120‒122.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: No. 5, Bl. 1-2; FDH Nr. 11845
Language
  • German

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