[Wittenberg, Anfang August 1793.]
Lieber Erasmus,
Schade, daß Dein Brief so laconisch war: Er hat mich recht gefreut – räthselhaft ist mirs, was Du mir von Verdrießlichkeiten schreibst. Aus welchem Boden sollten sie steigen, wie Larven aus der Unterwelt? Ich bitte Dich herzlich, opfre Dich Deiner Fantasie nicht auf. Laß keine äußern Dinge die innern Sayten Deines Herzens verstimmen. Nimm Dir jeden Morgen vor, wo möglich froher und heitrer, als den vorigen Tag zu seyn, und glaube mir, troz allen schaalen Predigten, daß Leichtsinn nothwendig für den Menschen gehört, der leben will und sein Daseyn nicht im Müßiggänge vertrödeln. Ich bringe noch den ernsthaften Leichtsinn in ein System. Sey Du dann des Profeten Ali. Ganz nach mir kann ich Dich nicht beurtheilen; Mein Wesen besteht aus Augenblicken. Will ich diese nicht ergreifen mit männlicher Hand, so bleibt mir nichts übrig als eine unerträgliche Vegetation.
Ich lebe jetzt sehr vergnügt. Alle Stunden, die mir nicht Beruf und Fleiß ausfüllt, leb ich in geselligem Genuß. Wittenberg fesselt mich jezt ordent[lich] an sich. Kommerstedt und ich leben in hoher Eintracht und suchen den Stein der Weisen unter jeder Gestalt. Ich befinde mich sehr wohl und meine Natur loht recht kräftig auf. Ich könnte nicht besser jezt leben. Wir spielen hier fast mit die erste Rolle – wohnen und essen gut – Haben unsre Zeit sehr gut eingerichtet – und ich vorzüglich sehe kein anderes Buch an. Ich mache ziemlich beträchtliche Fortschritte. Mein Repetent Mangold ist bey mir jezt Mode. Ich rede von nichts als von ihm. Es ist ein excellenter Kerl. Burgsdorf lebt hier recht vernünftig und ordentlich. Wir, bester Junge, haben uns in ein Häuschen eingenistet, das uns sehr gut steht.
In diesem Häuschen Eine Treppe hoch in dem Erker, wohnen ein paar Schwestern. Das Schicksal hat gewollt, daß wir zum Glück uns jeder in die andre verliebt haben. So kommen wir einander nicht ins Gehege und bestehn brüderlich alle Affentheuer. Auf Michaïlis kann ich Dir tagelang erzählen. Sie sind sehr hübsch, wunderschön, aber um sie zu erlangen, haben wir Freyherm müssen eine Fahrt in die Bürgerwelt machen. Es sind nichts als blanke, baare Bürgermädchen – aber sie haben hundertmal mehr Verstand, als die Vornehmsten. Du kannst Dir vorstellen, wie angenehm wir leben. Alle Abend um 7-1/28 gehn wir fast hin und bleiben dann bis 10-1/211 da. Sie haben nur eine alte Mutter – Eine Herzensgute Frau. Mehreres mündlich. Du wirst mich in vielen Dingen verändert finden. Ich bin jezt viel gründlicher und lebensklüger, als vorhin. Ich freue mich sehr auf Michaëlis – und noch mehr auf mein Examen. Der Philisterstand ist herrlich. Die überspannten, jugendlichen Ideen sinken dann von selbst in die Grenzen einer bestimmten Wircksamkeit und Thätigkeit herab.
Gott sei mit Dir! und alle gute Laune! Die Schreibtafel schicke ich Dir hier mit. Latrobe grüße herzlich von mir. Ich schicke Dir bald einmal einen Brief an Mereau – den gieb gewissenhaft ab. Karl ist natürlich jezt als froher Sieger in Maynz. Gott gebe, daß wir ihn auf Michaïlis sehn können. Leb wohl.
Dein
Bruder
Friz Albert.
Lieber Erasmus,
Schade, daß Dein Brief so laconisch war: Er hat mich recht gefreut – räthselhaft ist mirs, was Du mir von Verdrießlichkeiten schreibst. Aus welchem Boden sollten sie steigen, wie Larven aus der Unterwelt? Ich bitte Dich herzlich, opfre Dich Deiner Fantasie nicht auf. Laß keine äußern Dinge die innern Sayten Deines Herzens verstimmen. Nimm Dir jeden Morgen vor, wo möglich froher und heitrer, als den vorigen Tag zu seyn, und glaube mir, troz allen schaalen Predigten, daß Leichtsinn nothwendig für den Menschen gehört, der leben will und sein Daseyn nicht im Müßiggänge vertrödeln. Ich bringe noch den ernsthaften Leichtsinn in ein System. Sey Du dann des Profeten Ali. Ganz nach mir kann ich Dich nicht beurtheilen; Mein Wesen besteht aus Augenblicken. Will ich diese nicht ergreifen mit männlicher Hand, so bleibt mir nichts übrig als eine unerträgliche Vegetation.
Ich lebe jetzt sehr vergnügt. Alle Stunden, die mir nicht Beruf und Fleiß ausfüllt, leb ich in geselligem Genuß. Wittenberg fesselt mich jezt ordent[lich] an sich. Kommerstedt und ich leben in hoher Eintracht und suchen den Stein der Weisen unter jeder Gestalt. Ich befinde mich sehr wohl und meine Natur loht recht kräftig auf. Ich könnte nicht besser jezt leben. Wir spielen hier fast mit die erste Rolle – wohnen und essen gut – Haben unsre Zeit sehr gut eingerichtet – und ich vorzüglich sehe kein anderes Buch an. Ich mache ziemlich beträchtliche Fortschritte. Mein Repetent Mangold ist bey mir jezt Mode. Ich rede von nichts als von ihm. Es ist ein excellenter Kerl. Burgsdorf lebt hier recht vernünftig und ordentlich. Wir, bester Junge, haben uns in ein Häuschen eingenistet, das uns sehr gut steht.
In diesem Häuschen Eine Treppe hoch in dem Erker, wohnen ein paar Schwestern. Das Schicksal hat gewollt, daß wir zum Glück uns jeder in die andre verliebt haben. So kommen wir einander nicht ins Gehege und bestehn brüderlich alle Affentheuer. Auf Michaïlis kann ich Dir tagelang erzählen. Sie sind sehr hübsch, wunderschön, aber um sie zu erlangen, haben wir Freyherm müssen eine Fahrt in die Bürgerwelt machen. Es sind nichts als blanke, baare Bürgermädchen – aber sie haben hundertmal mehr Verstand, als die Vornehmsten. Du kannst Dir vorstellen, wie angenehm wir leben. Alle Abend um 7-1/28 gehn wir fast hin und bleiben dann bis 10-1/211 da. Sie haben nur eine alte Mutter – Eine Herzensgute Frau. Mehreres mündlich. Du wirst mich in vielen Dingen verändert finden. Ich bin jezt viel gründlicher und lebensklüger, als vorhin. Ich freue mich sehr auf Michaëlis – und noch mehr auf mein Examen. Der Philisterstand ist herrlich. Die überspannten, jugendlichen Ideen sinken dann von selbst in die Grenzen einer bestimmten Wircksamkeit und Thätigkeit herab.
Gott sei mit Dir! und alle gute Laune! Die Schreibtafel schicke ich Dir hier mit. Latrobe grüße herzlich von mir. Ich schicke Dir bald einmal einen Brief an Mereau – den gieb gewissenhaft ab. Karl ist natürlich jezt als froher Sieger in Maynz. Gott gebe, daß wir ihn auf Michaïlis sehn können. Leb wohl.
Dein
Bruder
Friz Albert.