[Wittenberg, September(?) 1793.]
Lieber Erasmus.
Ich habe mich sehr über Deinen Brief gefreut. Ich hatte ihn längst erwartet. Deine Nachrichten von Weißenfels waren mir, wie die Stimme aus dem Paradiese. Daß meine Mädchen Dir gefallen und daß Du so brüderlich für mich gesorgt hast, ist mir lieb und fodert meinen wärmsten Dank. Ich hoffe, daß Du wenigstens meinem Geschmacke Gerechtigkeit wiederfahren lässest, und meine Schwachheit in einem sehr liebenswürdigen Lichte siehst. Toleranz und Freundschaft ist oft alles, und beyweiten das Wichtigste, was wir einander geben können. Uebrigens will ich mich nicht weiter auf dis Kapitel: Meine Rosen, einlassen; es wird langweilig für einen Dritten, und bleibt bey der besten Ausführung immer etwas, was sich der andre entweder gar nicht denken, oder ungleich besser denken kann. Eben so erlaube mir die quästionirten 50 rch. [Reichsthaler] stillschweigend zu übergehn. Lasse Dir darum keine graue Perukke wachsen – Auf Michaïlis wird über alles transigirt und ad acta gelegt. Sine cerere et baccho friget Venus.
2tes Kapitel.
Der Held geräth nach Mersdorf.
Motto: Justum atque tenacem propositi virum, etcet.
Uns beyden geht es sonderbar. Wir spielten in Leipzig brillante Rollen auf dem Theater der Welt. Jezt vegetirt der Eine in Wittenberg und knackt lateinische Nüsse und streut Bücherstaub auf seinen Scheitel – Der Andre gähnt in einem Holzwinkel hinter den Huronen und treibt das ehrwürdige Handwerck der alten Deutschen, hängt eine Flinte auf die Schulter und lebt halb abgestorben still für die Zwecke der Zukunft. Die Hoffnung und unser Ziel müssen uns begeistern und die Gegenwart mit ihrer feindseligen Laune verdrängen. Auch ich bereite mich leise zu einem neuen Triumphe und wandre einsam auf orden[tlichen] Pfaden, geleitet von Muth und Vernunft, nach der Heimath des Ruhms und des häuslichen Glücks. Man muß sie benutzen die Zeit des λαφε βιωσας. Sie kommt einmal und dann erst spät wieder. Die Kräfte der Seele müssen sich sammlen und setzen – desto überraschender wird uns die Zeit des Genusses kommen. Die Zeit ertragen zu lernen ist ein Hauptgeheimniß des Lebens – und die Einförmigkeit ist eine Schule für Jünglinge, denen die Natur ein wenig Aether und zuviel Empfänglichkeit für alle angenehme Eindrücke gab. Auf Michaïlis werden wir beyde ungleich an Kraft gewonnen haben und damit ist der erste Schritt zum männlichen Leben geschehn. Ich werfe Dir diese Ideen nur so roh hin – Ausführen wirst Du sie selbst. Eins nur: bleibe fidel und denke, daß wir bald heyrathen und daß 4-5 Jahre blos vorwärts lang sind. Mir gehts hier ganz wol sonst – ich bin neulich in Schmiedeberg gewesen. Sie empfiengen mich kalt – Frugen spöttisch nach Dir, nach Karl, nach der Reiski – Sie war sehr erzürnt, daß die Tante in Jena uns alles hinterlassen hätte und beschuldigte meinen Vater in Kummerstedts Beyseyn der Erbschleicherey so platt, lächerlich und abgeschmackt, und schien so närrisch piquirt zu seyn, daß ich und Kummerstedt uns halb todt lachten und ich sie gewaltig aufzog. Auf den Sonntag schreib ich Dir wieder. Bleibe so gesund, als ich hier [fleißig bin.
Dein] Bruder Friz Albert.
(Kommerstedt läßt dich herzlich grüßen.)
Lieber Erasmus.
Ich habe mich sehr über Deinen Brief gefreut. Ich hatte ihn längst erwartet. Deine Nachrichten von Weißenfels waren mir, wie die Stimme aus dem Paradiese. Daß meine Mädchen Dir gefallen und daß Du so brüderlich für mich gesorgt hast, ist mir lieb und fodert meinen wärmsten Dank. Ich hoffe, daß Du wenigstens meinem Geschmacke Gerechtigkeit wiederfahren lässest, und meine Schwachheit in einem sehr liebenswürdigen Lichte siehst. Toleranz und Freundschaft ist oft alles, und beyweiten das Wichtigste, was wir einander geben können. Uebrigens will ich mich nicht weiter auf dis Kapitel: Meine Rosen, einlassen; es wird langweilig für einen Dritten, und bleibt bey der besten Ausführung immer etwas, was sich der andre entweder gar nicht denken, oder ungleich besser denken kann. Eben so erlaube mir die quästionirten 50 rch. [Reichsthaler] stillschweigend zu übergehn. Lasse Dir darum keine graue Perukke wachsen – Auf Michaïlis wird über alles transigirt und ad acta gelegt. Sine cerere et baccho friget Venus.
2tes Kapitel.
Der Held geräth nach Mersdorf.
Motto: Justum atque tenacem propositi virum, etcet.
Uns beyden geht es sonderbar. Wir spielten in Leipzig brillante Rollen auf dem Theater der Welt. Jezt vegetirt der Eine in Wittenberg und knackt lateinische Nüsse und streut Bücherstaub auf seinen Scheitel – Der Andre gähnt in einem Holzwinkel hinter den Huronen und treibt das ehrwürdige Handwerck der alten Deutschen, hängt eine Flinte auf die Schulter und lebt halb abgestorben still für die Zwecke der Zukunft. Die Hoffnung und unser Ziel müssen uns begeistern und die Gegenwart mit ihrer feindseligen Laune verdrängen. Auch ich bereite mich leise zu einem neuen Triumphe und wandre einsam auf orden[tlichen] Pfaden, geleitet von Muth und Vernunft, nach der Heimath des Ruhms und des häuslichen Glücks. Man muß sie benutzen die Zeit des λαφε βιωσας. Sie kommt einmal und dann erst spät wieder. Die Kräfte der Seele müssen sich sammlen und setzen – desto überraschender wird uns die Zeit des Genusses kommen. Die Zeit ertragen zu lernen ist ein Hauptgeheimniß des Lebens – und die Einförmigkeit ist eine Schule für Jünglinge, denen die Natur ein wenig Aether und zuviel Empfänglichkeit für alle angenehme Eindrücke gab. Auf Michaïlis werden wir beyde ungleich an Kraft gewonnen haben und damit ist der erste Schritt zum männlichen Leben geschehn. Ich werfe Dir diese Ideen nur so roh hin – Ausführen wirst Du sie selbst. Eins nur: bleibe fidel und denke, daß wir bald heyrathen und daß 4-5 Jahre blos vorwärts lang sind. Mir gehts hier ganz wol sonst – ich bin neulich in Schmiedeberg gewesen. Sie empfiengen mich kalt – Frugen spöttisch nach Dir, nach Karl, nach der Reiski – Sie war sehr erzürnt, daß die Tante in Jena uns alles hinterlassen hätte und beschuldigte meinen Vater in Kummerstedts Beyseyn der Erbschleicherey so platt, lächerlich und abgeschmackt, und schien so närrisch piquirt zu seyn, daß ich und Kummerstedt uns halb todt lachten und ich sie gewaltig aufzog. Auf den Sonntag schreib ich Dir wieder. Bleibe so gesund, als ich hier [fleißig bin.
Dein] Bruder Friz Albert.
(Kommerstedt läßt dich herzlich grüßen.)