[Wittenberg, Ende Mai 1794.]
Offenherzig gesagt, lieber Vater, solch einen Brief erwartete ich jezt nicht von Dir. Ich glaubte Dich so wenig böse mit der Partie zu machen, daß ich vielmehr mir einbildete, Du würdest Sie eher billigen. Der Aufenthalt in Hubertsburg hätte natürlich fast so viel gekostet, als diese Reise – denn die Hauptausgabe war dabey der Unterhalt der Pferde. Erasmus, den ich wircklich an kindischen Ideen krank fand wurde unter unsern Händen gesund und ich hoffe unser Besuch soll ihm nicht fruchtlos gewesen seyn. Hierbey fällt mir gleich ein Dich an etwas zu errinnern, was Du mir nicht übel nehmen kannst. Du hegst ein Mißtraun gegen Deine Kinder, das sie nicht ganz verdienen – Ich weiß Du bist unzufrieden über Erasmus, daß er Dir nicht sein volles Zutraun schenkt, aber wie ungerecht bist Du da gegen ihn; Du verlangst damit mehr von ihm, als selbst der Busenfreund, der selbst noch jung ist, von andern verlangen kann. Dinge, von denen man gewiß überzeugt ist, der Freund wird sie total misbilligen, von denen man weiß, sie contrastiren gänzlich mit seinem Character, seinem Alter, der Nachgiebigkeit seines Geistes – solche Dinge darf man ohne die so nothwendige Delicatesse in der Freundschaft zu verletzen, niemand sagen – Stelle Dir vollends die zarteste aller Freundschaften, zwischen Vater und Sohn vor, denke Dir auch die offenste Vertraulichkeit, die innigste, herablassendste Güte des Vaters und ein unverdorbnes Herz beym Sohne – ist es möglich, daß dieser so den angebornen Respect vergessen kann, seinem Vater alles zu entdecken, was eine junge, zügellose Fantasie schwärmt, wozu, wenigstens innerlich, eine unwiederstehliche Thorheit fortreißt? Nimm hierzu noch, daß Erasmus äußerst zärtlich behandelt seyn will und Du doch mit Deiner natürlichen Hitze Dich selbst bey einer Ergießung des Herzens nicht würdest enthalten können bey den zu frappanten Stellen zu poltern. Kannst Du Dich noch wundern, daß er mich eher zu seinem Vertrauten macht, da er weiß, daß ich ihm weder als Bruder, noch als Mitinculpat ernsthafte Vorwürfe machen darf, denn auch dar reuigste Sünder will bey seinem Bekenntniß geschont seyn, das ist menschliche Natur, da er weiß, daß ich ihm gewiß doch guten Rath gebe, daß ich ihm deu[tsch] und rund meine Meynung sage und er doch nicht nöthig hat sich so vor mir zu schämen, wie vor einem alten, ernsthaften Mann. Müßte man nicht schon eine Menge Achtung für das Alter verloren haben, wenn man nur einem fremden, alten Manne seine Liebesgeschichten etc. erzählte – So viel für Erasmus und gewiß nicht aus Billigung seiner Träume oder absichtliche Verabredung – Karl ist Zeuge, wie unverholen ich mit ihm geredet. Ich glaube auch nicht, daß Dir bange für Erasmus seyn darf. Nichts fehlt ihm, als gescheute Gesellschaft – Erdmannsdorf ist sein Freund nicht, sonst würde der nicht schweigen. Zerstreuung und ein einziger, vernünftiger Gedanke sind fähig die Gespenster und Abentheuerlichkeiten seines Kopfs zu verscheuchen. Seit ich mit ihm geredet, ist mir für die Zukunft nicht bange – Es wird vorübergehn und wenn er bey seinen Vorsätzen wegen seinen Beruf bleibt, wie ich fest vermuthe, so wird er ein sehr brauchbarer Mensch. Seine Pläne waren nur eine Folge jener lächerlichen Lieblingsidee. Er wird so gut warten lernen, wie wir andern. Ich kehre zu mir zurück und kann nichts thun, als mich ärgern, daß ein leichtsinniger Zug meines Charakters, den man herrlich finden würde, wenn ich reich wäre, für Dich die Quelle so vieles Kummers und so mannichfacher Sorgen wird, besonders, da ich sehe, daß Du fest überzeugt bist, er sey unvertilgbar. Aber erlaube mir noch einmal Dir aufrichtig meine Meynung hierüber, so wie über Deine Drohung von dem baldigen Verluste Deines Zutrauns und d[er] Erwähnung meines Onkels zu sagen. Du beurtheilst mich hiebey wircklich ganz einseitig, denn Du zählst nichts, als meine jüngern Jahre, wirfst mir unaufhörlich die oftmaligen Versprechungen vor – bedenkst aber nicht, daß natürlich Willenserklärungen mit dem Character erst Festigkeit erlangen – Entschlüsse von Dauer nicht in einer Jünglingsseele, sondern kaum in der 10ten Mannsseele zu stande kommen. Kannst Du die Jugend oder das Knabenalter nach den Jahren zählen? Einige werden früher, andre später männlich – Die früher Männlichen werden gemeiniglich auch eher überreif, oder bleiben nachher stehn; die später Männlichen bleiben zwar länger in den Knabenschuhen stehn, aber dann gehts auch desto schneller ins männliche Alter hinüber. Die Schritte, die ich seit einem Jahre in dieser Rücksicht gethan habe, können Leute bemercken, die nicht vorher gegen mich eingenommen sind, wenn sie freylich nicht bestimmen können, ob ich dadurch gewonnen oder verloren habe – denn dies ist der Zeitpunct, wo es mit dem Character critisch genug aussieht – Oft bringt man, wenn man zu sehr getrieben wird, aus den Kinderschuhen zwar Kenntnisse und Verstand mit – aber das Herz ist zurückgeblieben. Wer weiß, ob nicht Deine Briefe in wenig Jahren gar seltsam gegen die Jetzigen abstechen, ob sie nicht von Dingen predigen, die sie jezt empfehlen. Ich kenne selbst meine Uebergänge zu gut. Ich weiß sicher, daß ich Dich nicht überreden werde, daß meine jetzigen Entschlüsse natürlich zehnmal fester seyn müssen, als sie es vor dem Jahre waren – Immerhin, wenn Du nur bald einsiehst, daß ich jezt richtig gesehn und wahr gesprochen habe. Wie ist es möglich, daß Du wircklich im Ernst einem jungen Menschen Dein Zutraun rauben willst, der doch wenigstens nicht schlecht denkt und der nur nicht zum bestimmten Termin Mann wurde – und um eines Fehlers willen, der nicht allein gemeinschaftlicher Erbfehler der Jugend sondern auch so äußerst gewöhnlich unter Männern und Greisen ist, der zwar allerdings verderblich im höchsten Grade ist, aber wenn er alles Zutraun rauben sollte eine Kälte und ein Mißtraun in der Welt einführen würde, das mehr Schaden anrichten würde, als der alte Fehler. Fern sey von mir damit jede leere Entschuldigung. Traue mir nur nicht Gefühllosigkeit genug zu, nicht höchst lebhaft zu fühlen, daß es mit dieser elenden Oeconomie einen schlechten Ausgang hat und daß ich Dich darüber in die unangenehmste Verlegenheit setze. Ich habe Dir schon mündlich bezeugt, wie sehr ich meinen Leichtsinn verabscheue – in vier Wochen kann ich Dir freylich keine entscheidenden Beweise meiner festen Entschlüsse hierüber geben – und wenn Du mir die Parthie nach Wörliz so hoch anschreibst, so sollen sich Dir gewiß die wenigen Thaler so gut verinteressiren, daß Du gewiß zu Michaëlis keine saure Miene mehr darüber machst. Freylich wiederhol ich schon wieder, Du wirst mir nicht glauben, Du wirst platterdings Dich daran nicht errinnern lassen wollen, daß unmündige Leute nicht gültige Versprechungen machen können, weil man von der Lubricitaet ihres Characters schon in den Gesetzen überzeugt ist, und daß zu einem männlichen Entschluß platterdings ein sehr fester Character gehört, den ich selbst jezt noch nicht ganz habe; aber auch darauf rechne, daß man hier relativ urtheilt. Gewiß wirst Du und der Onkel euer, wie ihr meynt, unwiderrufliches Urtheil gegen mich noch einmal zurücknehmen und dann bitte ich mir diesen Brief wieder aus. Was Du mir von dem fortdauernden Unwillen des Onkels sagst ist mir zwar nicht neu, aber doch eben so befremdend noch, als wie neu; und wie leicht ist mir diese Befremdung zu verzeihn, wenn ich das recapitulire, was ich schon vorhin gesagt habe. Ich begehe voriges Jahr einen übereilten und in mancher Rücksicht, wie Du mir selbst schon zugegeben sehr verzeihlichen Streich – Daß mein Onkel noch nach einem Jahre dis gedenken kann, ist ein Zug, der mit der Herzensgüte meines Onkels sonst incompatibel ist und den ich mir gar nicht erklären kann. Wär ich ein Mensch, schon tief ins männliche Alter vorgerückt, der eine unverzeihliche, völlig überwiesene Undankbarkeit gezeigt hätte – wer könnte dann noch mit meinem Onkel hadern. Aber ein Mangel an Zutraun von einen jungen, höchstübereilten Menschen, der in mancher Rücksicht aufs äußerste gebracht war und glaubte, der Mann, zu den er bittend gehn sollte, sey Urheber alles Uebels, der voraus überzeugt war, seine Bitte sey vergebens – dieser soll verrathen, daß an einen jungen Menschen nichts ist, daß nichts aus ihm werden wird, dieser soll ihm eine Verachtung eines Manns, den er liebt, in einem Alter zuziehn, wo man jede Erniedrigung doppelt fühlt, wo man sich so mancher glücklichen Kräfte bewußt ist, und unmöglich sich mit einer ascetischen Strenge verdammen kann – Sage, lieber Vater, mußt Du mir hier nicht beystimmen: Dein Herz, weiß ich zu gut, fühlt die Ungerechtigkeit dieses Benehmens und kann selbst an dem trefflichsten Manne diese Hartnäckigkeit nicht ganz entschuldigen, wenn er auch Bruder oder Vater wäre, vorzüglich, da man von so einem erfahrnen, gütigen und religioesen Manne ein ganz fleckenloses Betragen, noch weniger aber die Entschuldigung erwarten kann, daß es ein Zug ist, der jetzt unüberwindlich ist. Wenn noch solche Leute unüberwindliche Züge und Neigungen haben, wer kann uns dann mit Recht Vorwürfe über Leichtsinn und passagere Unordnungen machen? Doch ich verlasse diese für mich so unangenehme Materie, von der ich [mir] nur gegen einen solchen gütigen Vater, wie Du bist, der mich selbst zur offensten Freymüthigkeit aufgefordert hat, so frey zu reden erlaube.
Als ich diesen Brief anfieng, war ich wieder im Begriff ein Palliativ zu ergreifen um mir fernere Vorwürfe zu ersparen. Du schreibst mir so aufgebracht, daß ich wircklich willens war den hiesigen Cassendeficit noch einmal heimlich zu decken – aber ich habe mirs besser bedacht – Ich will mich diesem Unwillen aussetzen um nie wieder Vorwürfe über Heucheley zu erhalten. Willst Du ja nicht bezahlen, so muß ich freylich leider sehn, wie ich mir helfe, aber Du weißt dann doch alles – Der Protonotar wird Dir hiermit die sämmtlichen noch rückständigen Rechnungen schicken und ich erwarte Deine Entschließung. Für diesen Sommer wirst Du zufrieden seyn müssen. Denn ich schränke mich so sehr ein, als ich kann. Du sollst außer den Ueberrock und Hut und zwey Sommerwesten in Leipzig, von denen Du schon weißt nicht einen Pfennig dem Schneider bezahlen dürfen. Von Büchern brauch ich nichts, als Meusels Statistik. Ein paar Schuhe laß ich mir noch machen. Die Professorinn schindet mich nicht mehr. Ich tractire niemand. Abends eß ich Butter und Brodt und früh eß ich Obst. Von Stunden bezahlst Du nichts, als eine französische, das Relatorium privatissimum und d[as] Privatum. Ich freue mich im voraus auf Deine Zufriedenheit, wenn ich nach Haus komme.
Was meinen Fleiß belangt, so hab ich nun keine Treiber mehr nöthig. Ich hoffe diesen Sommer mehr zu lernen, als ich je [gelernt] habe – Die Arbeit schmeckt mir und was Französisch betrift, so kann ich positiv genug auf Michaïlis. Staatsrecht, Statistik, Völkerrecht und Referiren füllen außerdem meine Stunden völlig. Mich treibt eine Sehnsucht nach einer Anstellung, wo ich bald von Deinem Beutel unabhängig bin. Die Wahl der Mittel überlaß ich Dir gänzlich und errinnre nur, daß Sachsen jezt die unvorteilhaftesten aller Aussichten darbietet. Kommerstedt wird sehr wahrscheinlich bald glänzend versorgt; doch ist dis vor der Hand noch Geheimniß. Ubi bene, ibi patria. Ich empfehle mich Deiner Gnade.
Fridrich von Hardenberg.
Offenherzig gesagt, lieber Vater, solch einen Brief erwartete ich jezt nicht von Dir. Ich glaubte Dich so wenig böse mit der Partie zu machen, daß ich vielmehr mir einbildete, Du würdest Sie eher billigen. Der Aufenthalt in Hubertsburg hätte natürlich fast so viel gekostet, als diese Reise – denn die Hauptausgabe war dabey der Unterhalt der Pferde. Erasmus, den ich wircklich an kindischen Ideen krank fand wurde unter unsern Händen gesund und ich hoffe unser Besuch soll ihm nicht fruchtlos gewesen seyn. Hierbey fällt mir gleich ein Dich an etwas zu errinnern, was Du mir nicht übel nehmen kannst. Du hegst ein Mißtraun gegen Deine Kinder, das sie nicht ganz verdienen – Ich weiß Du bist unzufrieden über Erasmus, daß er Dir nicht sein volles Zutraun schenkt, aber wie ungerecht bist Du da gegen ihn; Du verlangst damit mehr von ihm, als selbst der Busenfreund, der selbst noch jung ist, von andern verlangen kann. Dinge, von denen man gewiß überzeugt ist, der Freund wird sie total misbilligen, von denen man weiß, sie contrastiren gänzlich mit seinem Character, seinem Alter, der Nachgiebigkeit seines Geistes – solche Dinge darf man ohne die so nothwendige Delicatesse in der Freundschaft zu verletzen, niemand sagen – Stelle Dir vollends die zarteste aller Freundschaften, zwischen Vater und Sohn vor, denke Dir auch die offenste Vertraulichkeit, die innigste, herablassendste Güte des Vaters und ein unverdorbnes Herz beym Sohne – ist es möglich, daß dieser so den angebornen Respect vergessen kann, seinem Vater alles zu entdecken, was eine junge, zügellose Fantasie schwärmt, wozu, wenigstens innerlich, eine unwiederstehliche Thorheit fortreißt? Nimm hierzu noch, daß Erasmus äußerst zärtlich behandelt seyn will und Du doch mit Deiner natürlichen Hitze Dich selbst bey einer Ergießung des Herzens nicht würdest enthalten können bey den zu frappanten Stellen zu poltern. Kannst Du Dich noch wundern, daß er mich eher zu seinem Vertrauten macht, da er weiß, daß ich ihm weder als Bruder, noch als Mitinculpat ernsthafte Vorwürfe machen darf, denn auch dar reuigste Sünder will bey seinem Bekenntniß geschont seyn, das ist menschliche Natur, da er weiß, daß ich ihm gewiß doch guten Rath gebe, daß ich ihm deu[tsch] und rund meine Meynung sage und er doch nicht nöthig hat sich so vor mir zu schämen, wie vor einem alten, ernsthaften Mann. Müßte man nicht schon eine Menge Achtung für das Alter verloren haben, wenn man nur einem fremden, alten Manne seine Liebesgeschichten etc. erzählte – So viel für Erasmus und gewiß nicht aus Billigung seiner Träume oder absichtliche Verabredung – Karl ist Zeuge, wie unverholen ich mit ihm geredet. Ich glaube auch nicht, daß Dir bange für Erasmus seyn darf. Nichts fehlt ihm, als gescheute Gesellschaft – Erdmannsdorf ist sein Freund nicht, sonst würde der nicht schweigen. Zerstreuung und ein einziger, vernünftiger Gedanke sind fähig die Gespenster und Abentheuerlichkeiten seines Kopfs zu verscheuchen. Seit ich mit ihm geredet, ist mir für die Zukunft nicht bange – Es wird vorübergehn und wenn er bey seinen Vorsätzen wegen seinen Beruf bleibt, wie ich fest vermuthe, so wird er ein sehr brauchbarer Mensch. Seine Pläne waren nur eine Folge jener lächerlichen Lieblingsidee. Er wird so gut warten lernen, wie wir andern. Ich kehre zu mir zurück und kann nichts thun, als mich ärgern, daß ein leichtsinniger Zug meines Charakters, den man herrlich finden würde, wenn ich reich wäre, für Dich die Quelle so vieles Kummers und so mannichfacher Sorgen wird, besonders, da ich sehe, daß Du fest überzeugt bist, er sey unvertilgbar. Aber erlaube mir noch einmal Dir aufrichtig meine Meynung hierüber, so wie über Deine Drohung von dem baldigen Verluste Deines Zutrauns und d[er] Erwähnung meines Onkels zu sagen. Du beurtheilst mich hiebey wircklich ganz einseitig, denn Du zählst nichts, als meine jüngern Jahre, wirfst mir unaufhörlich die oftmaligen Versprechungen vor – bedenkst aber nicht, daß natürlich Willenserklärungen mit dem Character erst Festigkeit erlangen – Entschlüsse von Dauer nicht in einer Jünglingsseele, sondern kaum in der 10ten Mannsseele zu stande kommen. Kannst Du die Jugend oder das Knabenalter nach den Jahren zählen? Einige werden früher, andre später männlich – Die früher Männlichen werden gemeiniglich auch eher überreif, oder bleiben nachher stehn; die später Männlichen bleiben zwar länger in den Knabenschuhen stehn, aber dann gehts auch desto schneller ins männliche Alter hinüber. Die Schritte, die ich seit einem Jahre in dieser Rücksicht gethan habe, können Leute bemercken, die nicht vorher gegen mich eingenommen sind, wenn sie freylich nicht bestimmen können, ob ich dadurch gewonnen oder verloren habe – denn dies ist der Zeitpunct, wo es mit dem Character critisch genug aussieht – Oft bringt man, wenn man zu sehr getrieben wird, aus den Kinderschuhen zwar Kenntnisse und Verstand mit – aber das Herz ist zurückgeblieben. Wer weiß, ob nicht Deine Briefe in wenig Jahren gar seltsam gegen die Jetzigen abstechen, ob sie nicht von Dingen predigen, die sie jezt empfehlen. Ich kenne selbst meine Uebergänge zu gut. Ich weiß sicher, daß ich Dich nicht überreden werde, daß meine jetzigen Entschlüsse natürlich zehnmal fester seyn müssen, als sie es vor dem Jahre waren – Immerhin, wenn Du nur bald einsiehst, daß ich jezt richtig gesehn und wahr gesprochen habe. Wie ist es möglich, daß Du wircklich im Ernst einem jungen Menschen Dein Zutraun rauben willst, der doch wenigstens nicht schlecht denkt und der nur nicht zum bestimmten Termin Mann wurde – und um eines Fehlers willen, der nicht allein gemeinschaftlicher Erbfehler der Jugend sondern auch so äußerst gewöhnlich unter Männern und Greisen ist, der zwar allerdings verderblich im höchsten Grade ist, aber wenn er alles Zutraun rauben sollte eine Kälte und ein Mißtraun in der Welt einführen würde, das mehr Schaden anrichten würde, als der alte Fehler. Fern sey von mir damit jede leere Entschuldigung. Traue mir nur nicht Gefühllosigkeit genug zu, nicht höchst lebhaft zu fühlen, daß es mit dieser elenden Oeconomie einen schlechten Ausgang hat und daß ich Dich darüber in die unangenehmste Verlegenheit setze. Ich habe Dir schon mündlich bezeugt, wie sehr ich meinen Leichtsinn verabscheue – in vier Wochen kann ich Dir freylich keine entscheidenden Beweise meiner festen Entschlüsse hierüber geben – und wenn Du mir die Parthie nach Wörliz so hoch anschreibst, so sollen sich Dir gewiß die wenigen Thaler so gut verinteressiren, daß Du gewiß zu Michaëlis keine saure Miene mehr darüber machst. Freylich wiederhol ich schon wieder, Du wirst mir nicht glauben, Du wirst platterdings Dich daran nicht errinnern lassen wollen, daß unmündige Leute nicht gültige Versprechungen machen können, weil man von der Lubricitaet ihres Characters schon in den Gesetzen überzeugt ist, und daß zu einem männlichen Entschluß platterdings ein sehr fester Character gehört, den ich selbst jezt noch nicht ganz habe; aber auch darauf rechne, daß man hier relativ urtheilt. Gewiß wirst Du und der Onkel euer, wie ihr meynt, unwiderrufliches Urtheil gegen mich noch einmal zurücknehmen und dann bitte ich mir diesen Brief wieder aus. Was Du mir von dem fortdauernden Unwillen des Onkels sagst ist mir zwar nicht neu, aber doch eben so befremdend noch, als wie neu; und wie leicht ist mir diese Befremdung zu verzeihn, wenn ich das recapitulire, was ich schon vorhin gesagt habe. Ich begehe voriges Jahr einen übereilten und in mancher Rücksicht, wie Du mir selbst schon zugegeben sehr verzeihlichen Streich – Daß mein Onkel noch nach einem Jahre dis gedenken kann, ist ein Zug, der mit der Herzensgüte meines Onkels sonst incompatibel ist und den ich mir gar nicht erklären kann. Wär ich ein Mensch, schon tief ins männliche Alter vorgerückt, der eine unverzeihliche, völlig überwiesene Undankbarkeit gezeigt hätte – wer könnte dann noch mit meinem Onkel hadern. Aber ein Mangel an Zutraun von einen jungen, höchstübereilten Menschen, der in mancher Rücksicht aufs äußerste gebracht war und glaubte, der Mann, zu den er bittend gehn sollte, sey Urheber alles Uebels, der voraus überzeugt war, seine Bitte sey vergebens – dieser soll verrathen, daß an einen jungen Menschen nichts ist, daß nichts aus ihm werden wird, dieser soll ihm eine Verachtung eines Manns, den er liebt, in einem Alter zuziehn, wo man jede Erniedrigung doppelt fühlt, wo man sich so mancher glücklichen Kräfte bewußt ist, und unmöglich sich mit einer ascetischen Strenge verdammen kann – Sage, lieber Vater, mußt Du mir hier nicht beystimmen: Dein Herz, weiß ich zu gut, fühlt die Ungerechtigkeit dieses Benehmens und kann selbst an dem trefflichsten Manne diese Hartnäckigkeit nicht ganz entschuldigen, wenn er auch Bruder oder Vater wäre, vorzüglich, da man von so einem erfahrnen, gütigen und religioesen Manne ein ganz fleckenloses Betragen, noch weniger aber die Entschuldigung erwarten kann, daß es ein Zug ist, der jetzt unüberwindlich ist. Wenn noch solche Leute unüberwindliche Züge und Neigungen haben, wer kann uns dann mit Recht Vorwürfe über Leichtsinn und passagere Unordnungen machen? Doch ich verlasse diese für mich so unangenehme Materie, von der ich [mir] nur gegen einen solchen gütigen Vater, wie Du bist, der mich selbst zur offensten Freymüthigkeit aufgefordert hat, so frey zu reden erlaube.
Als ich diesen Brief anfieng, war ich wieder im Begriff ein Palliativ zu ergreifen um mir fernere Vorwürfe zu ersparen. Du schreibst mir so aufgebracht, daß ich wircklich willens war den hiesigen Cassendeficit noch einmal heimlich zu decken – aber ich habe mirs besser bedacht – Ich will mich diesem Unwillen aussetzen um nie wieder Vorwürfe über Heucheley zu erhalten. Willst Du ja nicht bezahlen, so muß ich freylich leider sehn, wie ich mir helfe, aber Du weißt dann doch alles – Der Protonotar wird Dir hiermit die sämmtlichen noch rückständigen Rechnungen schicken und ich erwarte Deine Entschließung. Für diesen Sommer wirst Du zufrieden seyn müssen. Denn ich schränke mich so sehr ein, als ich kann. Du sollst außer den Ueberrock und Hut und zwey Sommerwesten in Leipzig, von denen Du schon weißt nicht einen Pfennig dem Schneider bezahlen dürfen. Von Büchern brauch ich nichts, als Meusels Statistik. Ein paar Schuhe laß ich mir noch machen. Die Professorinn schindet mich nicht mehr. Ich tractire niemand. Abends eß ich Butter und Brodt und früh eß ich Obst. Von Stunden bezahlst Du nichts, als eine französische, das Relatorium privatissimum und d[as] Privatum. Ich freue mich im voraus auf Deine Zufriedenheit, wenn ich nach Haus komme.
Was meinen Fleiß belangt, so hab ich nun keine Treiber mehr nöthig. Ich hoffe diesen Sommer mehr zu lernen, als ich je [gelernt] habe – Die Arbeit schmeckt mir und was Französisch betrift, so kann ich positiv genug auf Michaïlis. Staatsrecht, Statistik, Völkerrecht und Referiren füllen außerdem meine Stunden völlig. Mich treibt eine Sehnsucht nach einer Anstellung, wo ich bald von Deinem Beutel unabhängig bin. Die Wahl der Mittel überlaß ich Dir gänzlich und errinnre nur, daß Sachsen jezt die unvorteilhaftesten aller Aussichten darbietet. Kommerstedt wird sehr wahrscheinlich bald glänzend versorgt; doch ist dis vor der Hand noch Geheimniß. Ubi bene, ibi patria. Ich empfehle mich Deiner Gnade.
Fridrich von Hardenberg.