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Novalis to Erasmus von Hardenberg TEI-Logo

[Tennstedt, 12. November 1795. Donnerstag]
Lieber Erasmus,
Schon längst wollte ich Dir einmal etwas zu meiner Entschuldigung sagen. Du schreibst mir so angenehme, con amore geschriebene Briefe und ich antworte Dir gewöhnlich nur mit einzelnen Lauten. Es könnte Indifferentism oder gar Geringschätzung scheinen, aber erwäge erstlich, daß ich nicht gar zu oft völlig frey bin, um mich ohne Zwang und zusammenhängend auf Ideen einlassen zu können, zweytens aber, wie viele prioritaetische Ansprüche auf diese freyen Perioden formirt werden. Dem liebsten Gläubiger kann man nicht immer die erste Hypothek geben. Ich habe ohngefähr 3 Stunden des Tags frey i[d] e[st] wo ich für mich zu arbeiten wollen kann. Dringende Einleitungsstudien auf mein ganzes künftiges Leben, wesentliche Lücken meiner Erkenntniß und nothwendige Uebungen meiner Denkkräfte überhaupt nehmen mir diese Stunden größestentheils weg. Ich weis, Du forderst nicht ihre Hintansetzung. Doch Du kennst mich ohnedem zu gut und weißt, wie innig mit meinem ganzen Ich die Freundschaft für Dich verwebt ist, als daß Du aus solchen zweydeutigen Beweisen etwas Bewiesenes annehmen solltest.
Dein lezter Brief war wieder deliciös. Er hat doppelten Reitz für mich – Er unterhält mich und gibt mir Stoff zum Nachdenken. Ich stimme Deinen Bemerkungen über Schwärmerey ganz bey, und will nur beyläufig bemerken, daß ich Karlen aus Grundsatz in eine unbekannte Höhe gehoben habe, und daß ich Deine eignen Bemerkungen auf Dich selbst wegen Grüningen anwenden möchte.
Du mußt Dir Gr[üningen] nicht zur fixen Idee machen. Anthropomorphisire Dir diese Idee mehr. Es sollt mir für Dich und Gr[üningen] leid thun, wenn einst ein plözlicher Uebergang erfolgen sollte und diesem ist der leidenschaftliche Verehrer von feinem Gefühl leicht ausgesezt.
Die Leute liebe ich, wie mich und euch – aber es sind Menschen und bey einem so langen Aufenthalt daselbst, wie ich gemacht habe, würde Dir der schmutzigere Revers gewiß nicht entgehn. Ich habe ihn gefunden und bin nach, wie vor für Gr[üningen] gesinnt. Ich sah es aber a priori vorher und bereitete mich vor. So ward ich nicht überrascht und mein Gefühl erhielt kein Dementi. Ich werde Gr[üningen] ewig lieben, und wenn ich nie meine jetzige Hoffnung erreichte. Wenn nicht einzelne, krancke Stunden kommen, so bin ich fest versichert, daß mich ihr Scheitern nicht in meinem Grundvesten erschüttert, sondern ich in meinem alten Gleichgewicht bleibe. Sind denn nicht genug Möglichkeiten dieser Eräugniß vorhanden. O! ich verberge sie mir nicht – ich muß mich mit ihnen eingewöhnen – denn sind wir nicht unterm Monde – wo unser Wille nicht immer causaler Imperatif in der Zeitwelt unmittelbar ist. Für die Menschen zu leben und Gutes zu thun, wo ich kann – diese himmlische Rolle bleibt mir immer gewiß und wünsche mir Glück, daß ich tagtäglich mehr Sinn dafür bekomme. Hoffentlich werde ich ein Mann – Sicher werdet ihr es. Sind wir bey diesen Aussichten unglücklich? O! wenn wir uns einst mit diesem Bewußtseyn erfüllter, innerer Bestimmung umarmen – werden wir dann unglücklich seyn, wird dieses schöne Resumé eines Augenblicks uns nicht allenfalls selbst für mißglückte Besiznehmung einer Sofie entschädigen und das wachsende Gefühl: sie verdient zu haben, das schwindende Gefühl eines imaginairen Verlusts nicht auf wiegen? Mein Schicksal ist das Eurige – Unsre Begebenheiten sind in ein schönes Ganze geflochten. Der Familiengeist verbindet dieses Mannigfaltige in eine Einheit. Einer, wie alle und alle, wie einer. Ich vermuthe, daß es sich, wie die meisten natürlichen Romane, in einer Kinderstube schließen, und d[er] Vorhang über einem Brautbette zufallen wird. Doch dis sub rosa. Man darf nicht vor der Zeit plaudern, um den Spaß nicht zu verderben – was sind Jahre voll Beschäftigung, gegen Gefühle einer Ewigkeit?
Karlen habe ich schon einigemal wegen des fortgesezten Umgangs mit F[ritzchen] L[indenau] gewarnt. Er scheint nicht recht zu hören. Stimme Du doch piano auch mit ein. Es ist un-klug und unweise gehandelt.
Heute hat er mir von dem bevorstehenden Marche geschrieben. Ich glaube noch nicht dran. Auf allen Fall hätten wir dann vor dem Aufbruch noch eine brüderliche Conferenz irgend wo. Ich behalte mir deshalb fernere Communication bevor und bitte Dich indeß recht schön in meinem und der Meinigen Namen frisch und munter zu bleiben, gute Laune zu behalten, den lahmen Fuß zum Teufel zu jagen und so zu seyn, als wärst Du selbst in Dich gefahren.
Auf den Dienstag ist Vormundschaftsrechnungsabnahme und ich bin wieder Actuarius. Du sollst nicht der lezte bey den Gesundheiten seyn. Die Mandelsloh hat sich neulich recht schön bey mir, als eurem Repraesentanten für die Odeurs bedankt. Sie ist euch sehr zugethan. Lebe wohl – Erasmus.
Dein
ewiger Freund
Fritz.
Söffchen läßt Dich um Haare in das Medaillon bitten – bald.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 12. November 1795
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Erasmus von Hardenberg ·
  • Place of Dispatch: Tennstedt ·
  • Place of Destination: Wermsdorf · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 158‒161.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: No. 21, Bl. 1-3; FDH Nr. 11851
Language
  • German

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