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Novalis to Karl von Hardenberg TEI-Logo

[Grüningen, den 20. November 1795. Freitag]
Lieber Karl.
Wie nah uns oft der Verlust unsers ganzen Glücks, wie gefährlich daher jede Speculation auf Glück allein und wie dauerhafte Ruhe nur durch Erhebung der Seele über alle Streiche des Schicksals durch Loßreißung von allem, was unter der Macht des Zufalls steht, möglich ist, davon bin ich in diesen Tagen aufs neue lebhaft überzeugt worden. Zu Anfang voriger Woche war der –– bey uns mit dem Polarstern. Wir waren sehr vergnügt – und ich überließ mich nach ihrer Abreise der sorgenlosesten Ruhe. Vorigen Dienstag war der Termin der Rechnungsabnahme festgesezt – Es war der Jahrstag meiner Bekanntschaft. Den Sonnabend vorher [14. November] gieng ich ruhig Mittags nach Hause und als mein Xstel mir mit dem Kaffee die Nachricht brachte – es sey ein Bote da und die Philosophie wäre krank – selbst da erschrak ich nicht sonderlich – eilte jedoch ins Amt und erfuhr da von der Justen – daß der Hofrath Ebhard von Sondershausen geholt worden sey – Ohne weiter mich zu erkundigen, lief ich fort und zur Stadt hinaus – Ich trat ins Haus und fand alles bestürzt – Ebhard declarirte sie für eine gefährliche Patientin – die Leber war stark entzündet – die heftigsten Schmerzen, seit dem Montag [9. November] schlaflose Nächte, brennendes Fieber – Schon war ihr zweymal zur Ader gelassen – Sie war sehr matt, konnte sich nicht rühren – aber so heiter und gelassen. Weiter will ich Dir nichts erzählen. Jezt, den Freytag, da ich Dir schreibe, ist alle Gefahr vorüber, der Appetit stellt sich wieder ein und die Besserung ist im vollen Gang.
Urtheile, was wir alle empfunden haben. Jezt bin ich wieder vergnügt und bitte Dich Erasmus den Brief sogleich zu schicken – mündlich und schriftlich von diesen Wochen mehr.
Aber nun – 1. In Erfurt und Gotha kann ich keine Austern kriegen, die Ebhard, als die erste Nahrung für Sie verordnet hat – Schicke mir daher mit einem sichern Boten, den ich hier bezahle, 200 Stück circa, mit der Note. 2. Schicke mir meine Hosen, meine Stiefeln, die Santés und die wollenen Strümpfe. 3. bitte ich Dich um feines, grünes Tuch zu einem Rocke. 4. Borge mir auf einige Zeit Deine goldenen Epaulettes. 5. weißen Casimir zu Weste und Hose. 6. bittet Dich der Vater um einem elastischen Hosenheber und einen feinen Hut v[on] Abel, etwas weiter, wie Deiner, gerade, wie für mich.
Sieh, lieber Carl, alles dies muß ich Dir auftragen – daß Du nicht böse wirst, dafür bürgt mir Dein Herz – Den Rock und die Epaulettes wünschte ich wegen einer Ursache zu haben, die ich Dir mündlich sagen will – beschuldige mich nicht der unüberlegten Verschwendung. Andern Leuten zu gefallen muß man viel thun – Schicke mir den Boten nicht eher, als bis Du alles beysammen hast – und bleibe alle Noten schuldig – den Betrag bringe ich Dir selbst mit, da ich vielleicht in kurzer Zeit selbst komme – jedoch nur auf ein paar Tage und sub rosa, wenn der Alte nach Dresden ist. Lebe wohl, bester Junge, Dich und Erasmus grüßt alles, was lebt und webt und Wie?
Dein
treuer Bruder
Fritz.
Elysium. Den 20sten Nov.
1795.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 20. November 1795
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Karl von Hardenberg ·
  • Place of Dispatch: Grüningen (Greußen) · ·
  • Place of Destination: Weißenfels · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 161‒162.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: No. 25, Bl. 1; FDH Nr. 18552
Language
  • German

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