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Novalis to Wilhelmine von Thümmel TEI-Logo

[Weißenfels, Februar 1796]
Beste, gnädige Frau,
Endlich ergreife ich eine der süßesten Erlaubnißen meines Lebens. Es würde langweilig seyn Ihnen die Hinderniße vorzurechnen, die bisher Einem meiner liebsten Wünsche entgegentraten. Lieber verweile ich bey dem frohern Hinblick auf eine Zukunft, wo ein regelmäßiger Briefwechsel, Leiden und Freuden zwischen uns theilt und eine Freundschaft schon hier unterhält, die längern Othem haben dürfte, als für die Erdgebürge. Das Bedürfniß einer Mittheilung an eine feingebildete, weibliche Seele ist für mich so dringend, so wolthätig, so natürlich, daß ich es als einen sehr bestimmten Zug meines Lebens ansehe, daß ich Liebe und Freundschaft zugleich fand – und so beyde durch diese Vereinigung gewannen. In der Freundschaft muß ein Funken Liebe – in der Liebe eine Ader von Freundschaft seyn – In Mischungen solcher Art wohnt die Seele des Genusses. Ich fodre Sie zu der wolthätigsten Bestimmung auf – Ihr Geschlecht empfieng von der Natur die unauslöschliche Sehnsucht – wolzuthun – Seyn Sie meine Bildnerinn – meine Rathgeberinn, meine Freundinn – und erlauben Sie mir dann alle Bürgerkränze Ihnen zu Füßen zu legen, die ich dann verdienen muß. Ruhe – verständiger Sinn – Geschmack und Aufheiterung – das hoffe ich in Ihrer Schule zu lernen – Mehr aber noch, als dies, ich hoffe dabey von Ihnen zu lernen wolthätig zu seyn ohne Dank zu verlangen, ohne Erwiederung voraussehen zu können.
Bisher haben Sie mich nur von der muntern Seite kennen gelernt – Verzeihen Sie mir die Unbescheidenheit – es wäre mir nicht lieb, wenn ich nicht bessere Seiten hätte – und hätte ich auch nur die Eine, daß ich den ernsthaftesten Wunsch von der Welt hege, einst der Achtung aller Menschen, die Ihnen gleichen, werth zu seyn. Ich sehe viele Unannehmlichkeiten auf meinem Gange voraus – mein Anfang wird klein – die Hindernisse groß und meine Kraft ungeübt seyn – aber Muth und Zuversicht lassen nicht stecken und können die mir fehlen, wenn Ihre Freundschaft, Ihre Wünsche mich begleiten? Ich werde vielleicht unglücklich seyn, denn die Natur schuf mich reizbar; – aber die Achtung der beßern Menschen, die mich genauer kennen, hoffe ich nie zu verlieren. Ein seltener, schöner Zufall hat mich in den Kreis einer Familie geführt, wo ich gefunden habe, was ich suchte, wo ich finden werde, was ich fast nicht zu hoffen wagte. Was die Geburt mir versagte, hat das Glück mir gegeben – Ich vermisse in meinem Geburtskreise, was ich in einer fremden Mitte beysammen sehe. Ich fühle, daß es nähere Verwandschaften giebt, als die das Blut knüpft – ich finde, daß der Zufall in eine sehr mütterliche Laune für mich gerathen ist – indeß der gewöhnliche Schlendrian der Dinge mir so viel, als möglich, die übelsten Dienste von der Welt leistet. Ein fremdes Auge beurtheilt ein Spiel am richtigsten – Stellen Sie sich hinter meinen Stuhl – Ihrer Erfahrung, Ihrem unwiderstehlichen Trost bey Unfällen vertraue ich mich ganz an – aber ich darf die Rechnung nicht ohne Wirth machen, darum bis zu dieser Gewisheit
Ihr
unterthäniger Diener
Fr. v. Hardenberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: [Februar 1796]
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Wilhelmine von Thümmel ·
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Sondershausen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 165‒167.
Manuscript
  • Provider: Privatbesitz
Language
  • German

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