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Novalis to Christian Friedrich Brachmann TEI-Logo

Weißenfels: den 21sten Febrfuar] [1796] [Sonntag]
Gestern Abend bey meiner Rückkunft von Kösen erhielt ich Deinen Brief. Die Entschuldigungen wollen wir ein für allemal weglassen: Unsre Freundschaft ist zu männlich, um noch einer solchen Galanterie zu bedürfen. Wir schreiben, wenn wir können und mögen. Briefe sind in unsern Lagen nur ein Nothbehelf. An und für sich selbst interressant können sie nur als Bindungspartikeln in einem zweckvollen Ganzen seyn – und ein solches auszuarbeiten und zu realisiren, dazu gehört – wircksame Sfäre. Bis dahin sind Briefe – todte Buchstaben – Aufschriften. Was ist selbst Freundschaft, ohne verbundene Thätigkeit zu einem Ganzen? Baumaterialien, ohne Bestimmung und Mörtel. Harmonische Wircksamkeit ist Karacter des Lebens. Jezt ist das Leben unsrer Freundschaft nur – Stimme – Echo. Aber ich hoffe, es soll mehr werden. Geduld und Muth muß uns zur andern Natur werden. Freylich sind Sorgen der Nahrung das eigentlichste Aqua Tofana eines regen, vorwärts strebenden Geistes. Wie kann man Künstlerzwecke sich versetzen, wenn ängstliche Brodtsorge alle Zeit wegnimmt, uns nie aus dem Kreislauf gemeiner Bedürfnisse entläßt, und unsre besten Kräfte sich in Unthätigkeit verzehren läßt.
Du hast von jeher einen Hang zum leidenschaftlichen Sorgen gehabt. Aeußerliche Umstände haben zwar neuerlich sehr viel zu dessen Verstärkung beygetragen – aber dennoch kann ich Dir nichts angelegentlicher rathen, als Deinen Muth so viel [wie] möglich zu concentriren und zum täglichen Gebrauch fähig zu machen. Deinen Vater habe ich noch nicht gesprochen – Meine Zeit ist so getheilt, daß ich wenig oder nichts abmüßigen kann. Heute gehe ich zu ihm, und erfahre da mehreres von Deinen Plänen, die ich aus Deinem Briefe nicht zu beurtheilen im Stande bin. Erasmus soll die Erwähnung Deiner gegen Miltiz übernehmen. Er ist mit ihm am genauesten bekannt. Miltiz ist ein durchaus braver Mann, dessen Freundschaft gewiß werkthätig seyn wird. Meine übrige Wircksamkeit steht Dir zu Diensten – es ist aber der unbehülflichste Diener von der Welt – nur der Schatten von einem Gefangenen. Mir scheint es besser zu gehn, als es in der That geht. Mein Sonnenschein ist ein Artefactum. Draußen ist November. Freylich hab ich nicht unmittelbare Nahrungssorgen, aber Mittelbare genug. Dir kann ich es nun wol sagen. Ich bin seit Jahr und Tag so gut, wie versprochen – übrigens publice, nur fehlt zur gänzlichen Legalitaet noch die Einwilligung meiner Eltern. Die Möglichmachung dieses Plans ist aber so sehr auf günstige Umstände berechnet, daß Du wohl denken kannst – daß ich nicht ohne Herzklopfen lebe. Mein Vater ist nicht wolhabend genug, um allein ein Etablissement für mich machen zu können und ich hänge also vom Glück ab. Die Ungewißheit ist um so peinlicher, da ich heroisch die Flotte hinter mir verbrannt habe. Selbst die Legalisirung ist noch manchen Schwierigkeiten unterworfen, die um so beschwerlicher sind, je armseliger sie in der That sind. Kein Vermögen und halbwüchsige Ahnen sind Alpen für gewisse Aristokraten, worunter aber meine Eltern nicht gehören, deren Einfluß ich aber sehr unterworfen bin. Dieser Brief steht unterm Maurereisiegel und für eine mündliche Unterhaltung behalte ich mir das Detail dieser Dich gewiß überraschenden Neuigkeit vor. Ich hoffe Dich dies Jahr zu sehn. Mein Vater sezt mich jezt in unaufhörliche Bewegung – In den nächsten 2 Monaten werde ich nicht 8 Tage zu Hause seyn. Ich muß ex officio eine Menge Zeit höchst langweilig vertrödeln. Die eigentliche Arbeit ist sehr beschränkt. Mündlich will ich Dir noch mehr Unahnnemlichkeiten sagen, die ich aber für nothwendige Uebel des bürgerlichen Lebens halte. Es ist etwas krebsartiges in jeder bürgerlichen Bedienung. Lebe wohl – bester Freund. Jezt ist Winterschlaf. Einst werden wir einander mehr seyn. Karl läßt Dich schön grüßen. Erasmus ist wieder gefährlich krank gewesen, aber jezt wieder besser. Schreibe ihm öfters, wenn Du kannst. Er hat Aufheiterungen nöthig. Es liegt eine Wolkenhand schwer auf ihm. Doch ist er fidel. Dein Bruder
Hardenberg
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 21. Februar 1796
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Christian Friedrich Brachmann
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Dresden · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 167‒169.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: FDH Nr. 5282
Language
  • German

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