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Novalis to Erasmus von Hardenberg TEI-Logo

Weißenfels. Sonnabends den 27. Februar [1796].
Ich bin Dir jezt immer in Athem. Das geht von Einem Ort zum andern. Ich für meinen Theil wäre fürs Stillsitzen. Daher das seltne Schreiben, da Du es doch so nöthig hättest. Übermorgen gehts nach Wiederstedt. Dort bleiben wir 8 Tage. Von da nach Artern, dann nach Kösen auf den Holzmarkt und endlich nach Schlöben. Weiter weiß ich noch nichts – jezt bin ich noch nicht für eine Odyssee. Wie gern wär ich jezt bei Dir. Dein erster Brief betrübte mich sehr. Deinem zweyten sah man schon wieder den alten Erasmus an, von dem ich wünschte, daß Du es zeitlebens bliebst. Die Langeweile ist das Allerschlimmste. Warum sie Dir Lesen und Schreiben verboten – das begreife ich nicht recht. Raffe allen Deinen Muth jezt zusammen. Ich bin jezt überzeugt, daß der Mensch nichts Besseres in der Welt thun kann. Mein System der Filosofie hoff ich zu dem Deinigen zu machen. Dann sollte mir mein Nachdenken recht lieb werden. Es enthält eine unerschöpfliche Quelle von Trost und Beruhigung. Freylich bedarf es noch sehr der Feile. Du wirst auch da eine gewisse Deutung über Dein höchst räthselhaftes Schicksal finden. Du bist ein physisch leidender – aber moralisch thätiger Mensch. Das Blatt dreht sich einst – die Letzten werden die Ersten sein. In diesen Worten liegt eine Fülle trostreichen Sinns. Bleibe fest im Glauben an die Universalitaet Deines Ichs. Du wirst auf Deine Leidensstunden, wie auf ein verwelktes Blatt, einst herunterblicken. Himmlische Flucht der Zeit! Halte Dich am Großen und Guten in der Zeit der Mühe und des Duldens. Du hast noch eine Ewigkeit vor Dir. Wenn Dir weh wird, so denke an die Menschheit, die Du bist. Ein himmlisches Mädchen steht sie auf Hügeln und streckt die Hand, um Dich heraufzuheben aus dem Thale der Geduld. Denke Dich als verwundeter Held auf dem Siegsplatze. Um Dich herum Deine Kamaraden, die Edlen aller Zeiten, und am Himmel schon die Hand, die Deinen Namen mit Sternen setzt – Wäre da nicht jeder Seufzer ein Triumphgesang – O! wie leicht wäre der Schmerz zu ertragen. Laß Dich nicht eitle Sehnsucht dann zusammenpressen – überall ist Hubertsburg – wo Dein Geist nicht frey aufsteht und den Staub von seinen Flügeln schüttelt. Du bist ja so nah an Deinen Lieben – nicht in sibirischen Wüsten, krank, verlassen – der schneidende Nord Dein Tröster. Mache Dir Deine Lage interressant, denke alles, was Dich umgibt, im Verhältnis zur unendlichen Dauer – Resultat einer Ewigkeit a parte ante und post. Setze Nullen an die Einer nach Willkühr – ich denke Deine Fantasie soll müde und der Raum Deiner Seele voll werden. Weise Einteilung Deiner Zeit – Concentrirung Deiner Kraft – das sind die Mittel, Dir die Zeit nicht unlustig zu kürzen. Ruhe vor allen – Ach! hätte ich die, so wäre ich glücklich. Krankheit ist Erzieherin zur Ruhe. Doch dies mag vorderhand genug sein.
Karl ist gestern nachmittag nach Westen. Du kannst denken, wie gern ich heute Abend bei ihm wäre. Er kommt auf den Donnerstag [3. März] zurück und wird Dir gewiß gleich alles schreiben. Nach Briefen ist alles wohl und nimmt an deinen Leiden den herzlichsten, ungezwungensten Antheil. Miltiz hat jezt seine Heyrath den Alten notificirt und ist nunmehr auf ewig, wie es heißt, ausgestrichen. Der Alte that sehr darüber – er dauerte mich fast. Wegen unsrer Schuld bey ihm schreib mir nähere Auskunft. Karl bezieht sich immer auf Dich. Mit Beck will ich alles in Richtigkeit bringen. Ich habe Karlen recht zur Oeconomie ermahnt. Sie ist auch dringend nöthig. Karl will die noch restirenden Schuldner bei seinem Ausmarsch an mich überweisen, und dann muß ich doch wissen, wenn ich sie bezahlen kann. Miltiz will nach Lausanne – daher muß alles vorher noch genau mit ihm abgethan werden. Der Onkel hat in Karlen gedrungen seine Schulden anzuzeigen. Der Casus ist bedenklich – wir haben uns entschlossen erst alles reiflich zu überlegen. Anton, Semler, Coyen und die Mutter wissen um meinen Magnetismus halbwegs schon Bescheid. Die leztere ist dabei äußerst diskret und ich bin ruhig. Lebe indes wohl. Ich bitte nur um Muth und gute Laune. Ewig
Dein Bruder
Fritz.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 27. Februar 1796
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Erasmus von Hardenberg ·
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Wermsdorf · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 171‒173.
Language
  • German

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