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Novalis to Caroline Just TEI-Logo

[Weißenfels, nach Mitte März 1796.]
Liebe Justen,
Erst jezt kann ich auf Ihren lieben Brief antworten – Mein wanderndes Schicksal macht eine kleine Pause. Ich sehne mich recht nach einer regelmäßigen Correspondenz mit Ihnen. Ich rücke täglich tiefer ins Leben hinein – und wenn ich helfen will kann ich nicht mehr bestimmungslos genießen. Sie können mir ein Vorbild in stiller Ertragung einer eingeschränkten Bestimmung seyn. Oft denke ich an Sie und in bessern Stunden find ich Sie immer. Sie hab ich auf Ewigkeiten kennen gelernt. Am nächsten fühl ich mich Ihnen, wenn ich das menschliche Weh und die endlose Verwirrung täglich mehr gewahr werden – Glauben Sie mich nicht in einer guten Lage – Vom Mangel nothwendiger Bedürfnisse rede ich nicht – aber lebt der gebildetere Mensch nicht für mehr? Es könnte mir recht wol seyn – wenn die Menschen, mit denen ich viel zu thun habe – human wären – davon rede ich nicht, daß manche äußerliche Umstände jezt ungünstig sind – Unter guten, se[e]lenvollen Menschen trägt sich die Last des Lebens leicht. So z. B. ist es mir allerdings sehr unangenehm, daß Erasmus an Seelenwunden siecht – daß Karl fortgeht – daß Söffchen wieder krank gewesen ist, daß hundert andre fromme Wünsche für Freunde und Freundinnen unbefriedigt bleiben müssen, daß noch manches Ungewitter meinen Hoffnungen droht – aber es ist eine Kraft dafür in uns, die allem trozt und uns mit jedem widrigen Schicksal versöhnt – aber darüber kann ich nur nicht immer wegkommen, daß die besten Menschen sich und andern das Leben so sauer machen, und so widersinnig allen guten Entwürfen des Zufalls in den Weg treten. Es sind Tage, wo ich nur das Gute aufnehme – aber dann behauptet auch der Wechsel sein Recht und ich muß mich lange mit unerträglichen Empfindungen plagen. Ich werde klüger, aber auch empfindlicher. Jedes rauhe Lüftchen klimpert in meinen Sayten herum. Mündlich will ich Ihnen mehr davon sagen. Auch Sie leiden an jener Eingeschränktheit, Unvermögendheit so thätig, edel, mittheilend und hülfreich zu seyn als Sie können und von Ihrer Natur getrieben werden. Nicht ganz das seyn zu dürfen, was man von Natur ist, das ist die Quelle unsers Misbehagens auf diesem Planeten. Wenn Sie wüßten, wie manchen guten Freund ich mit verschränkten Armen eingehn sehn muß, so würden Sie recht lebhaft von der Darstellung dieser schweren Empfindung gerührt werden. Ich kann nur bedauern – weiter jezt nichts – Dennoch verläßt mich die Hoffnung besserer Zeiten nicht ganz – Wozu fühlte ich mich denn so habsüchtig auf Gelegenheiten nüzlich wircksam zu seyn, wenn nicht eine wolthätige Bestimmung meiner wartete – Es sey dann Schule – freylich etwas theuer – aber wenn ihr Unterricht nur practisch werden kann. Es ist fern von mir unter bessern Zeiten die Periode zu verstehn, wo mich ein günstiges Schicksal an ein Mädchen auf ewig kettet, der ich mich zunächst gewidmet habe – Auch dies schöne Glück werd ich schwächer empfinden, wenn ich in meiner Wircksamkeit gebunden, von meiner Umgebung gefesselt bin. Ich muß schließen – Nach Gr[üningen] schreibe ich Ihnen mehr. Ewig Ihr
Freund Hardenberg.
Einen herzlichen Kuß an die gute Lina. Empfehlen Sie mich dem Onkel aufs herzlichste. Eh ich ihn das Büchelchen schicken kann, schreibe ich ihm nicht. Auch Stapf und die andern ehrlichen Thüringer – besonders Gustchen [Brandes], an die ich bald schreiben will.
Metadata Concerning Header
  • Date: [nach Mitte März 1796]
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Caroline Just
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 173‒175.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: FDH Nr. 11860
Language
  • German

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