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Novalis to Wilhelmine von Thümmel TEI-Logo

Weißenfels: den 1ten April. [1796] [Freitag]
Eine Reflexion über den heutigen Tag ließ mich schnell die Feder ergreifen um an Sie zu schreiben. Sie wissen in welchem Credit der Tag steht; Fast scheint es, als hätte er seinen Ruf dem weiblichen Geschlecht zu danken; wenigstens könnte jemand, der viel mit demselben zu kramen hätte, in Versuchung gerathen den ersten April für den Tonangeber des ganzen Jahres zu halten. Sie verzeihen diese Digression ohne die Sie schwerlich heute um einen Brief reicher von mir geworden wären, und wenn besagter Brief leserlich wird, so hat der 1ste April daran seinen guten Theil, denn wo käme mir sonst die gute Laune her Ihren schönen, schwarzen A[ugen] gegenüber so ruhig zu filosofiren, als blätterte ich auf meinem Sofa in dem großen Buche der Natur, und holte mir Erläuterungen aus den vieldeutigen Gypsbärten um mich her. Wie würden Sie sich wundern, wenn Sie das berühmte Buch der Natur sich so behend zwischen meinen Fingern drehen sähen, wenn sie in einigen Bogen in 4. alle die Wunder gedrängt erblickten, die die Natur seit Jahrtausenden thut und täglich unter unsern Augen wiederholt – Sie würden es ohne Zweifel für den genievollsten Extract halten, der sich je habe schwarz auf weiß sehn lassen und so begierig danach greifen, als ein Schiffbrüchiger nach dem lezten Brete; ja wenn ich Bedingungen machen sollte, sie würden sich jede Capitulation gefallen lassen, denn würde nicht jede Aufopferung [dad]urch reichlichst ersezt?
Wenn Sie mich ruhig aushören wollen, so werden Sie, ohne etwas zu wagen, eine Entdeckung machen, die Sie den Tag des Empfangs von diesem Briefe vielleicht immer segnen lehrt und die in genauer Beziehung auf vorgedachtes Buch steht. Sie sollen erfahren, daß Sie bereits im Besitz eines gewissen Etwas sind, ohne es zu wissen, dessen gehörige Kenntniß und Gebrauch sie zu dem Range jener fabelhaften Wesen erhebt, die man Feen nennt, und von denen keine Spur mehr existirt, als die Launen, wodurch sich diese höheren Geschöpfe sehr kenntlich machten, und die sie bey ihrer Flucht in ein besseres Clima wahrscheinlich als Masken von sich warfen, mit denen sich nachher ein Geschlecht geschmückt hat, das nie feenhafter ist, als in seinen Launen. Obiges Etwas wird Sie im Stand setzen 1. die Zukunft aufs genauste vorherzusehn 2. [vor]herzubestimmen, was jeder Tag für ein Geschäft am meisten begünstigt. 3. lehrt es Sie den Einfluß der Gestirne kennen. 4. gibt Ihnen alle Gelegenheit um steinreich, allklug und allmächtig zu werden. 5. dient Ihnen zum Faustischen Mantel, wenn Sie sich nach den Mitteln bequemen, die es enthält um überall hinzukommen. 6. macht es Sie mit einer großen Anzahl unbekannter Wolthäter und Wolthäterinnen der Menschheit bekannt. 7. Können Sie sich nach seiner Vorschrift bis zum jüngsten Tage finden – Ueberdem enthält es noch eine Fülle von Menschenkenntniß – einen Schatz schäzbarer, wissenschaftlicher Bemerkungen – Anweisung zu Millionen gesellschaftlicher Gespräche, – Stoff um eine Lebenszeit zu studiren – endlich ist jedes Blatt voll von unsichtbaren Freunden, die Sie nie verlassen und die sich unablässig bestreben Ihnen das Leben so leicht, die Zeit so ku[rz], Genuß und Arbeit so angenehm zu machen, als Sie verdienen. Von allen diesen enthält es auch das Entgegengesezte und ich sehe Ihre Verwunderung und Neugier aufs Höchste steigen, wenn ich noch hinzufüge, daß es überall verfertigt wird und so gut das Werk des dümmsten Teufels, als des klügsten Mannes ist – daß ich mich sehr irren müßte, wenn es nicht hinter Ihrem Spiegel, oder dem Spiegelein von Dero Zofe steckt – Sie errathen daß ich –
den Kalender
meyne. Es hieße ein schlechtes Zutrauen zu Ihrem Witze verrathen, wenn Sie nicht aufs Buchstäblichste jedes meiner Worte über ihn wahr fänden und zu Ihrem Hertzen – wenn Sie mir nicht ewig für diese Enthüllung verbunden wären und im Mangel einer persönlichen Dankbarkeit mir wenigstens alle andere Ehrenbezeugungen erwiesen, die in Ihren Kräften ständen, z. B. aus dem Stegreif ein Denkmal taliter qualiter ohne Subscription errichteten; Mir Ihr Herz in Taschenformat dedicirten; Mich bey Gelegenheit in Kupfer stächen (die Art überlasse ich Ihrer Erfindungskraft) meinen Namen an einen Galgen schlügen, an den ich selbst originaliter, nicht blos titulative, gern ewig zappeln möchte (allenfalls en Medaillon). Denken Sie über die Sache nach – Ich kenne Ihr Herz und man braucht nicht für dem Zu Wenig bange zu seyn. Das müssen Sie mir aber doch gestehn, daß mit diesem Tage eine ganz neue Periode ihres Lebens beginnt – denn Sie wissen nun, was Sie an einem Kalender haben und überzeugen sich von dem, was ich daran habe, am b[esten] aus diesem Briefe – der ganz ein Produkt des Kalenders ist. O! wenn Sie wüßten, welche Dienste mir dieser Freund täglich erweißt – wie ich bey ihm nie nach Trost und Muth vergebens suche, wie er meine einzige Lectüre gewöhnlich ist, wie lehrreich, Zeit verkürzend er mir ward, Sie würden den Enthusiasmus noch Kühl finden, mit dem ich von ihm rede. Lassen Sie ihn gut bey sich accreditirt seyn – Sie vergessen mir es nie, daß ich Ihnen diese Bekanntschaft gemacht habe – und könnte ich mit einer glücklicheren Aussicht einen Brief schließen, der glücklicher ist, als sein Verfasser,
Ihr
Freund Hardenberg.
W. den 1 April.
1796
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 1. April 1796
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Wilhelmine von Thümmel ·
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Sondershausen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 177‒179.
Manuscript
  • Provider: Privatbesitz
Language
  • German

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