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Novalis to Caroline Just TEI-Logo

Weißenfels: den 10ten April. [1796] [Sonntag]
Ihr lieber Brief war mir gestern eine recht willkommne Erscheinung. Lange hab ich nichts von Ihnen gehört und doch gehn Sie meinem Herzen so nahe an. Es bleibt eine Lücke, wenn man lange genau mit jemand umgieng und lebt jezt in der Ferne. Ihr Abschiedsgefühl war mir nicht fremd – besonders empfinde ich tief Stapfs Verlust mit Ihnen. Es ist eine recht wesentliche Einbuße für sie und noch seh ich nicht, woher der Ersatz Ihnen kommen soll. Stapf war so gefällig, so sanft, so gutmüthig und theilnehmend. Man konnte sich ihm ohne Rückhalt anvertrauen – er war so treuer Depositair und gieng seinen Weg so friedlich, ohne jemands Existenz näher zu treten, als mit einem freundlichen guten Morgen, und immer bereit zu helfen, zu trösten und zurechtzuweisen. Wohl gehn wird es ihm gewiß – die Natur hat ihn zu entschädigen und dem Genügsamen schenkt sichs so gut. Schicksal und sich schicken scheinen mir nicht ohne Bedeutung nahe verwandt. Wie wir uns schicken, so ist unser Schicksal – Sollte dann nicht sein Schicksal leicht und gefällig werden? Dort sollte es nicht seyn – Ein andrer Ort zieht ihn schon – Er muß seiner einstigen Heymath näher, oder soll ich sagen, seinem Grabe – wir wollen ihm nachsehn und uns freuen, wenn jenes die Penitenzpfarre war, und er nun wärmer und reicher sizt. Sie aber haben nun einen hübschen Ausschnitt Ihres Lebens hinter sich liegen. Es ist so etwas Ganzes – Ihr Zusammenseyn mit ihm. Nun ründet es sich – nun wird es so durchsichtig und zusammenhängend – und giebt Stoff zu unzählichen Stillgenüssen und Betrachtungen. Es ist wahr, es ist Verlust; aber die gelassene Resignation, das immer nothwendiger werdende Anschmiegen an Ihr innres Selbst, dieses festere Fußfassen im Unvergänglichen, im Göttlichen in uns – rechnen Sie es immer ein wenig mit. Es ist keine leichte Aufgabe sich eine künstliche Bestimmung zu machen – es ist allemal ein Poëm, denn dies bedeutet in der Ursprache nichts, als Machwerck; und es gehört sonntägliche Energie dazu um sich selbst genug zu seyn, um nicht in der Welt der Sinne, sondern in der Welt der Ideen einheimisch zu seyn. Eine künstliche Bestimmung gehört aber in das Reich der Ideen. Hingegen glaub’ ich auch, daß abgerechnet ihre Würde und ihre Selbstbelohnung, sie auch schon eine Stufe jenseit des Grabes ist, die der noch zu ersteigen haben wird, dem hier die Natur sein gewöhnliches Ziel ohne Störung erreichen ließ. In dieser Hinsicht glaub ich die Entwicklung Ihres Schicksals, liebe Caroline, mit Beruhigung erwarten zu können – das Loos mag fallen, wie es wolle. Einige räthselhafte Stellen Ihres Briefs zusammengehalten mit einigen Worten aus einem Briefe des Onkels scheinen mir auf etwas hinzudeuten, das ich mir zu beurtheilen nicht getraue – dessen glücklichste und dauerhafteste Constellation aber meine lebhaftesten Wünsche beschäftigt. Sagen Sie dem guten Onkel, daß ich ihm vor der Messe nicht schreiben würde. Ein verwünschter Zufall, der schleunige Druck des Fichteschen Naturrechts, hat den Druck der Anmerkungen verzögert. Drey Bogen schick ich indeß zur Probe mit. Ich freue mich sehr sie auf der Messe zu sehn und käme selbst gern nach Merseburg, wo ich ohnedieß noch bis jezt nicht habe hinkommen können, wenn ich den Tag Ihrer Ankunft allda und die Zeit ihres Aufenthalts daselbst erführe. Der Lina dank ich sehr, für das mir sehr liebe Andenken. Ich will ihr nächstes antworten. Indeß geben Sie Ihr von mir einen recht Herzlichen Gr Druck des Fichteschen Naturrechts, hat den Druck der Anmerkungen verzögert. Drey Bogen schick ich indeß zur Probe mit. Ich freue mich sehr sie auf der Messe zu sehn und käme selbst gern nach Merseburg, wo ich ohnedieß noch bis jezt nicht habe hinkommen können, wenn ich den Tag Ihrer Ankunft allda und die Zeit ihres Aufenthalts daselbst erführe. Der Lina dank ich sehr, für das mir sehr liebe Andenken. Ich will ihr nächstes antworten. Indeß geben Sie Ihr von mir einen recht Herzlichen Gr – nein, Kuß – ohne Praejudiz des anderweitigen Competenten, der etwa Arrest auf die hübschen Lippen gelegt haben könnte. Von mir aber heißts:
Hanc veniam damus petimusque vicissim;
Das lassen Sie sich vom Onkel verdeutschen, oder seyn Sie mit folgender Uebersetzung zufrieden:
Ich kucke durch die Finger; Du
Drück auch das Eine Auge zu.
Wundern Sie sich nicht über meine Continenz. Sub rosa – die Osterfeyertagc hätte ich kommen können – aber
Ich nahm aus strenger Politik
Denn allzuschnellen Wunsch zurück.
Die Haustafel erlaubter Politik ist nur zu lang verhüllte Geseztafel gewesen – Jezt im Joch studiert man die Filosofie des Zwangs umsonst beyher und macht sich ein kleines, nuzbares Capital, woran man sonst nicht gedacht hätte. Übrigens bin ich noch ganz der Alte – vielleicht ein wenig lustiger. Wissenschaften und Liebe füllen meine ganze Seele. Ich habe mein Ich so mit Ihrem Bilde amalgamirt, daß ich keinen Athemzug ohne Sie thue. Es wächst mit jedem Tage und ich hätte nie geglaubt, eine Empfindung könne so unaufhörlich wachsen und doch noch immer Raum behalten. Dabey bin ich doch sowenig Schwärmer, daß ich in dieser Rücksicht einem jährigen Ehemann den Handschuh hinwerfen könnte – Nur Huldigung, nur unaussprechliches Gefallen, nur wundersame Anhänglichkeit – nicht eine Spur von wilder, an sich reißender Leidenschaft. Mir fehlt Hier in der That nichts, als etwas mehr Gesellschaft, nach meinem Sinn und Herzen. Sonst ist alles gut und ich lache die Welt an, wie im 16ten Jahre. Ich beschäftige mich beyher mit Kleinigkeiten, die sie mit der Zeit einmal zu sehn bekommen sollen. Grüßen Sie mir alle Freunde und fahren Sie fort treue Freundinn zu seyn
von Ihrem
Freund Hardenberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 10. April 1796
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Caroline Just
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 179‒182.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: FDH Nr. 11861
Language
  • German

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