Weißenfels: den 24sten März. 1797. [Freitag]
Mittwochs früh erhielt ich schon Ihre lieben Briefe. Sie können glauben, daß Sie einen recht tiefen Eindruck auf mich machten, daß ich innig den Besitz solcher freundschaftlichen Herzen fühle, und daß mir diese lieben Worte, so schmerzlich übrigens auch der mildeste Balsam auf eine solche Wunde däucht, doch unaussprechlich angenehm waren. Dienstag [21. März] früh hatt ich durch einen Boten meines Bruders [Anton] die Nachricht von der Vollendung meiner Sofie erhalten. So lang ich schon mit der Idee davon mich getragen, so gewiß ich schon jede Stunde diese Ankündigung lebenswieriger Hoffnungslosigkeit erwartet hatte – so fiel doch mit dieser entsezlichen Gewisheit eine Last auf mich, die mir nur die Hand abheben wird, die alle Fesseln zerbricht. Bis dahin leuchtete mir noch der ferne Schimmer einer Hoffnung, der nun auf einmal verschwand, und mich allen Schrecken einsamer Finsterniß überließ.
Die Stunden des bittersten Schmerzens sind vorüber. Schon mehr bin ich an den Anblick des Grabes, an das Gefühl der Leere, an die Errinnerung ehmaliger schönerer Zeiten gewöhnt. Meine Versteinerung geht schnellen Schrittes, wie denn das Uebel immer bey mir so schnell eingetreten ist, wie das Gute langsam. Der Schmerz hat mein Gedächtniß gelähmt, das mich am meisten quälte, weil es mich gewaltsam anzog. Nicht mehr so erschütternd stehn die lieblichen Bilder unsrer ersten Bekanntschaft, die Schatten meiner Träume, die rührenden, aber so sichern und hoffnungsvollen Szenen aus ihrer Kranckheit vor mir auf – die peinigende Unruh, solange ich wußte, daß Sie noch litt, bereitete mir diesen stillern Zustand vor, den die Schwäche meiner Nerven beschleunigte. Sie wissen, wie es schwächlichen Leuten geht, sie genießen nicht einmal die bittren Freuden der Wehmuth – Wenn die ersten Thränenkrämpfe vorbey sind, so empfängt sie das matte Bewußtseyn einer gleichgültigen Gegenwart, und vergebens ist ihre Sehnsucht nach den sanften Thränen des Nachwehs. Aber eben diese unwillkührliche Gelassenheit ist ein Gegenstand meiner quälendsten Gedanken – Mir wäre recht wohl, wenn ich so immer still weinen könnte. So bin ich wie im Traum; ich begreife so wenig von den Dingen um mich her – es geht alles so ängstlich gewöhnlich hin, daß ich mich oft noch frage – ist denn auch alles wahr? Du bist doch nicht im Wahnsinn?
Mittwoch vor 14 Tagen [8. März] bin ich zum leztenmale in dieser Welt auf einige Stunden recht herzlich froh gewesen. Sophie war recht wohl – und in frölichen Leichtsinn flogen mir einige Nachmittagsstunden hin – den Donnerstag früh kriegte Sie den ersten Anfall der schrecklichen Beängstigungen in meiner Gegenwart. Kurz vorher schmälte sie noch mit mir, weil ich meinem Herzen Luft machen mußte und weinen. Schon damals, als ich halbtodt in den Garten lief, und Sie nicht lebendig wieder zu finden glaubte, schon damals, wo der Zufall, der ihr schönes Leben endigte, so nahe war, war ich völlig resignirt, wie ich mir einbildete. Dadurch bekam ich auch den Muth den Freytag früh wegzugehn, welches mir nachgehends, ohnerachtet der entsezlichen Szenen, die ich voraussah, nicht möglich gewesen seyn würde. Wie oft hab ich es bereut, wenn mich gleich eine ruhigere Überlegung rechtfertigt. Tiefer konnte die Wunde nicht werden, aber schmerzhafter. Der Abschied von ihr bleibt mir ein immerwährendes Rähtsel; So sehr mich die Errinnerung daran noch beugt, so sonderbar heiter war er wircklich. So wie die Pferde angespannt waren – Von Ende mir allen Trost vollends benommen und ich nun meinen Hut nahm – weg waren Thränen und Bekümmernisse – Mein Herz schlug ruhig – ich umarmte Sie lange und warm – ich dachte sogar, daß es die lezte Umarmung sey – Sie bat mich bald wiederzukommen – bestellte Grüße an alle – ich umarmte still und heiter alle – Unbegreiflich froh sah ich diese einzige, holde, himmlische Gestalt beym Hinausgehn noch einmal an – und so blieb es noch einige Zeit – desto quälender war der übrige Tag.
Ihre Leiden werd ich ewig nicht verwinden. Die Martern dieser himmlischen Seele bleiben der Dornenkranz meiner übrigen Tage. Wollte Gott, den ich flehentlich darum gebeten habe, daß sie kurz wären. Eine unbestimmte, vielleicht sehr lange Zeit von ihr getrennt zu seyn – den Gedanken kann ich noch immer nicht tragen. Wenn meine Wehmuth zur leisen Flamme würde, die mich so verzehrte, daß mich dann ein leichter Luftstoß in einen Haufen Asche verwandelte, sollte Sofie nicht diesen Wunsch unterstützen. Ihr Leben hielt ohnedem meine geistige Existenz zusammen – seit dieser Geist wich, fangen schon die organischen Theile an sich zu trennen und zu ihren Elementen zurückzukehren. Die Gestalten meines Innern zerbröckeln – ich lebe in Ruinen – und bald wird alles dem Erdboden gleich seyn. Eins ist mir kränkend, daß ich so unter den Lebendigen, frohen Menschen, wie ein Leichenstein, herumgehn soll und ihre kurzen Freuden stören. Aber darum will ich auch recht schweigen und ruhig aussehn lernen. Was leiden nicht meine guten Geschwister allein. Wenn Sie und meine Freunde nur noch die erste Zeit mit mir Geduld haben, wo ich so ängstlich noch gern ihr Andenken erhalten will, wo ich von ihr sprechen muß und so gern von ihr hören mag – Nachher bitte ich Sie gewiß seltner darum – und nur wenn ich einmal recht müde, und kalt bin und gern einmal einen Blick in mein altes Land thun möchte. Sonst muß ich mich noch sehr für Aufblitze meines ehmaligen Bewußtseyns hüten. Ich bin ja nicht mehr derselbe – und es ist mir, als wollte Sie es haben, daß ich mich doch nicht ganz unfähig machen sollte – Vielleicht geschiehts ohnedem. Mich selbst hab ich verloren – die wichtigsten Jahre meines Lebens, wo ich zu mir selbst kam, wo ich zu leben anfieng – die muß ich, wie ein verbranntes Blatt abreißen – wenn ich kann. Grüningen, die Wiege meines bessern Selbst, ist mir zur Grabstätte geworden – das einsame Grab auf dem kleinen Kirchhofe – die drey Ellen Erde auf dieser himmelvollen Brust – das ist, was meine Fantasie erfüllt, die sonst in Paradiesen schwebte. Allein das himmlische Auge, das sich nie wieder mit unbeschreiblicher Hoheit und Milde gegen mich aufschlägt – allein dis zieht mich auf immer von allen andern Beschauungen ab.
Wie oft denk ich mir jezt, daß ein geöffneter Sinn längst ihre Bestimmung für den Himmel hätte ahnden sollen. Sie trug das Gesicht so gesenkt – Sie war zu schön – zu frühzeitig – Meine Mutter sagte, wie Sie zum erstenmale ihre Silhouette sah – Ihr Gesicht gefällt mir unbeschreiblich – Sie sieht so from[m], so still aus – als wäre Sie nicht auf dieser Welt an Ihrem Platze. Meynen Sie nicht auch, daß Sie zu gut für mich war. Ach! und bin ich nicht die entfernte Ursach ihres Todes; doch hab ich mir darüber noch keinen Vorwurf gemacht. Vor meiner Liebe brauch ich nicht zu erröthen – Jezt weis Sie besser, wie herzlich, einzig ich Sie geliebt habe – wie ich nur Einen Gedanken hatte, der alle andre einfaßte – Sie so glücklich zu machen, als ich könnte. Gute Justen – Ihre Vision – ach! und mein Lied zum vorigen Geburtstag – wie seltsam profetisch zum Schluß.
Den 15ten März sagte Sie mir zum erstenmale, daß Sie Mein seyn wollte. Den 17ten war Sie geboren – den 19ten ist Sie heimgegangen – den 21sten erhielt ich die Nachricht – sollt ich nicht ahnden dürfen, daß ich den 23sten ihr nachkäme. Wie glücklich wär ich, wenn ich heute wüßte – heute übers Jahr bist du bey ihr. Schon der Gedanke macht mich sehr heiter. Ihr Brief enthielt so manches Unvergeßliche – so manches, das gerade meine tiefsten Empfindungen traf.
[28. März. Dienstag]
Gott belohne Sie für diesen warmen Antheil an dem Schicksal eines Menschen, der wenigstens allen guten Willen hatte, die Freundschaft ächter Menschen zu verdienen. Dieses neue Blatt hab ich einige Tage später angefangen, als ich das vorige endigte. Jeder Tag bestätigt die traurige Muthmaaßung meiner zunehmenden Gleichgültigkeit. Seitdem hab ich gar nicht mehr geweint – die weichere Stimmung verliert sich immer mehr – und die guten Augenblicke auflodernder Heiterkeit sind ganz ausgeblieben. Meine Ideen sind geschäftig – mein Verstand hat eher gewonnen, als verloren – aber die Liebe, die Liebe fehlt – und mit ihr fehlt alles – denn sie giebt Alles – aber Sie nimmt auch alles. Was hilft es mir ein Ideenwebstuhl zu seyn – Für das Lebendige ist kein Ersatz. Eins hab ich gewonnen – die feste Hoffnung Sie nicht verloren zu haben – auch würde mich diese Hoffnung noch mehr stärken, wenn Sofie mir erscheinen könnte und dürfte. Wie unaussprechlich glücklich wär ich noch hier, wenn Sie mir zuweilen sich offenbarte – mich aufrichtete, stärkte – nur mit einem einzigen liebevollen Blick. Wie verklärt lebt ich mir selbst. Noch geb ich diese Hoffnung nicht auf – Sie hängt noch an einer Andern, von der ich Ihnen vielleicht noch mehr schreiben werde.
Was Sie von Sofieens unsichtbarer Gegenwart reden ist eine herrliche Wahrheit – Ihr Bild soll und wird mein bessres Selbst seyn – das Wunderbild, das in meinem Innern von einer ewigen Lampe erleuchtet wird und das mich gewiß retten wird für so manchen Anfechtungen des Bösen und Unlautern. In die verklärten Hände hab ich der Tugend von Herzen gehuldigt – Sie soll mir ein Vorbild seyn – Um Todte weht der Geist des ewigen Friedens, und dieser Geist der Eintracht[,] Liebe, Herzensgüte, Sanftheit und Demuth soll mich auch umwehn, denn was fehlt mir zum Todten – bin ich nicht so gut wie gestorben? Trost, sagen Sie, kann nur die Zukunft geben – ja! die wahre Zukunft, nicht die wenigen, übrigen mühevollen Jahre – aber was jenseits ist, was uns aus so manchen Naturtönen, aus so manchen ihrer Gestaltungen mit unbeschreiblichen Ahndungen erfüllt.
Während ich dieses schrieb, ist es mir recht warm aufs Herz gefallen, ob meine Klagen nicht selbstsüchtig, kleinlich und beschränkt sind. Wenn ich ein wahrhaft hoher Mensch seyn wollte, sollte nicht jezt eine ewige Heiterkeit meine Augen und meine Stirn beseelen – und himmlischer Enthusiasmus meine Brust erfüllen. Wer bin ich, daß ich so irrdisch klage? Sollt ich nicht Gott danken, daß er mir so früh meinen Beruf zur Ewigkeit kund machte? Ist es nicht Beruf zur apostolischen Würde? Kann ich im Ernst Sofieens Schicksal beklagen – Ist es nicht ein Vorzug für Sie – Ist nicht Ihr Tod und mein Nachsterben eine Verlobung im höhern Sinn? Gott hat mich und Sie für die schleichende Ansteckung der Gemeinheit bewahren – er hat Sie in eine höhere Erziehungsanstalt bringen, diese zarte Blume unter einen bessern Himmel verpflanzen und mich den stärkern, den rohern Mann noch in der Erdenluft zeitigen wollen. Sollte Gott von mir jezt ächte Erhebung, männliche Vollendung, tiefes Zutraun zu seiner Liebe – unverwandten Blick auf den Himmel und meine höhere Bestimmung, ewiges Gelübde der Tugend und des Glaubens an die Samenideen der innersten Menschheit fodern?
So eben treten diese Ideen mit einer ungewohnten Wärme in mein Bewußtseyn – ich fühle was ich seyn könnte – aber Gott sieht wie gebrechlich und schwach ich bin – Kann ich hoffen, daß in dieser kraftlosen Seele solche Ideen haften und nicht vorbeygehn werden. Jezt ist einmal Leben in mir – aber wird es gegen die Nervenstumpfheit, gegen die Gewöhnlichkeit und das Verwöhntseyn sich halten können? Sophie weiß, was mir gut ist – Sie bittet Gott gewiß mit für mich – und nur dann muß meine Klage perenniren, wenn selbst solche Ideen nicht mehr Bleibens haben.
Wenn solche lichtvolle Augenblicke vielleicht Berührungen meiner Sophie sind; ach! wann wird es ihr dann gefallen immer um mich zu seyn.
Der traurige Brief schließt sich heiterer, als ich dachte. Ich fühle mich eben jezt so hoch – als ich mich bisher, Einen Moment ausgenommen, noch nie fühlte. Es ist ein sonderbarer Abstich mit meiner bisher beharrlichen Indifferenz, mit meiner entsezlichen Kälte und Leblosigkeit. Leben Sie wol – gutes Mädchen – Schreiben Sie mir recht bald – und recht viel von meiner Sophie – was Sie noch von ihr wissen – jede Kleinigkeit ihrer lezten Tage – die Umstände ihres Todes – von ihrem Begräbniß. Diesen Sommer besuch ich gewiß einmal ihr Grab. Es soll mein Magnet seyn und wird die Stätte meiner Heiligung seyn. Vielleicht kann ich auch dann wieder weinen.
Ihr
Freund
Hardenberg.
Nun noch Eins – Nach Gr[üningen] kann ich noch nicht schreiben. Ich bat die Danscour im vorlezten Briefchen um eine Haarlocke der Verewigten. Besorgen Sie doch diese für mich, wenn die Danscour nicht diese Bitte vergessen hat – und dann bitten Sie doch die Mutter um das grüne Tuch, das Sofie in der Kranckheit immer trug und um die graue Chémise, die Sofie in Jena und vielleicht zum leztenmale getragen hat. Wollte die Mutter mir noch einige Kleinigkeiten accordiren, wenn sie da sind, worunter ich blos ihre kleinen Schreibereyen im Taschenbuch oder sonst, verstehe, insoweit ich ohne Indiskretion sie erhalten kann, so ist mirs desto lieber. Ihr irrdisches Selbst liegt mir noch so am Herzen.
Mittwochs früh erhielt ich schon Ihre lieben Briefe. Sie können glauben, daß Sie einen recht tiefen Eindruck auf mich machten, daß ich innig den Besitz solcher freundschaftlichen Herzen fühle, und daß mir diese lieben Worte, so schmerzlich übrigens auch der mildeste Balsam auf eine solche Wunde däucht, doch unaussprechlich angenehm waren. Dienstag [21. März] früh hatt ich durch einen Boten meines Bruders [Anton] die Nachricht von der Vollendung meiner Sofie erhalten. So lang ich schon mit der Idee davon mich getragen, so gewiß ich schon jede Stunde diese Ankündigung lebenswieriger Hoffnungslosigkeit erwartet hatte – so fiel doch mit dieser entsezlichen Gewisheit eine Last auf mich, die mir nur die Hand abheben wird, die alle Fesseln zerbricht. Bis dahin leuchtete mir noch der ferne Schimmer einer Hoffnung, der nun auf einmal verschwand, und mich allen Schrecken einsamer Finsterniß überließ.
Die Stunden des bittersten Schmerzens sind vorüber. Schon mehr bin ich an den Anblick des Grabes, an das Gefühl der Leere, an die Errinnerung ehmaliger schönerer Zeiten gewöhnt. Meine Versteinerung geht schnellen Schrittes, wie denn das Uebel immer bey mir so schnell eingetreten ist, wie das Gute langsam. Der Schmerz hat mein Gedächtniß gelähmt, das mich am meisten quälte, weil es mich gewaltsam anzog. Nicht mehr so erschütternd stehn die lieblichen Bilder unsrer ersten Bekanntschaft, die Schatten meiner Träume, die rührenden, aber so sichern und hoffnungsvollen Szenen aus ihrer Kranckheit vor mir auf – die peinigende Unruh, solange ich wußte, daß Sie noch litt, bereitete mir diesen stillern Zustand vor, den die Schwäche meiner Nerven beschleunigte. Sie wissen, wie es schwächlichen Leuten geht, sie genießen nicht einmal die bittren Freuden der Wehmuth – Wenn die ersten Thränenkrämpfe vorbey sind, so empfängt sie das matte Bewußtseyn einer gleichgültigen Gegenwart, und vergebens ist ihre Sehnsucht nach den sanften Thränen des Nachwehs. Aber eben diese unwillkührliche Gelassenheit ist ein Gegenstand meiner quälendsten Gedanken – Mir wäre recht wohl, wenn ich so immer still weinen könnte. So bin ich wie im Traum; ich begreife so wenig von den Dingen um mich her – es geht alles so ängstlich gewöhnlich hin, daß ich mich oft noch frage – ist denn auch alles wahr? Du bist doch nicht im Wahnsinn?
Mittwoch vor 14 Tagen [8. März] bin ich zum leztenmale in dieser Welt auf einige Stunden recht herzlich froh gewesen. Sophie war recht wohl – und in frölichen Leichtsinn flogen mir einige Nachmittagsstunden hin – den Donnerstag früh kriegte Sie den ersten Anfall der schrecklichen Beängstigungen in meiner Gegenwart. Kurz vorher schmälte sie noch mit mir, weil ich meinem Herzen Luft machen mußte und weinen. Schon damals, als ich halbtodt in den Garten lief, und Sie nicht lebendig wieder zu finden glaubte, schon damals, wo der Zufall, der ihr schönes Leben endigte, so nahe war, war ich völlig resignirt, wie ich mir einbildete. Dadurch bekam ich auch den Muth den Freytag früh wegzugehn, welches mir nachgehends, ohnerachtet der entsezlichen Szenen, die ich voraussah, nicht möglich gewesen seyn würde. Wie oft hab ich es bereut, wenn mich gleich eine ruhigere Überlegung rechtfertigt. Tiefer konnte die Wunde nicht werden, aber schmerzhafter. Der Abschied von ihr bleibt mir ein immerwährendes Rähtsel; So sehr mich die Errinnerung daran noch beugt, so sonderbar heiter war er wircklich. So wie die Pferde angespannt waren – Von Ende mir allen Trost vollends benommen und ich nun meinen Hut nahm – weg waren Thränen und Bekümmernisse – Mein Herz schlug ruhig – ich umarmte Sie lange und warm – ich dachte sogar, daß es die lezte Umarmung sey – Sie bat mich bald wiederzukommen – bestellte Grüße an alle – ich umarmte still und heiter alle – Unbegreiflich froh sah ich diese einzige, holde, himmlische Gestalt beym Hinausgehn noch einmal an – und so blieb es noch einige Zeit – desto quälender war der übrige Tag.
Ihre Leiden werd ich ewig nicht verwinden. Die Martern dieser himmlischen Seele bleiben der Dornenkranz meiner übrigen Tage. Wollte Gott, den ich flehentlich darum gebeten habe, daß sie kurz wären. Eine unbestimmte, vielleicht sehr lange Zeit von ihr getrennt zu seyn – den Gedanken kann ich noch immer nicht tragen. Wenn meine Wehmuth zur leisen Flamme würde, die mich so verzehrte, daß mich dann ein leichter Luftstoß in einen Haufen Asche verwandelte, sollte Sofie nicht diesen Wunsch unterstützen. Ihr Leben hielt ohnedem meine geistige Existenz zusammen – seit dieser Geist wich, fangen schon die organischen Theile an sich zu trennen und zu ihren Elementen zurückzukehren. Die Gestalten meines Innern zerbröckeln – ich lebe in Ruinen – und bald wird alles dem Erdboden gleich seyn. Eins ist mir kränkend, daß ich so unter den Lebendigen, frohen Menschen, wie ein Leichenstein, herumgehn soll und ihre kurzen Freuden stören. Aber darum will ich auch recht schweigen und ruhig aussehn lernen. Was leiden nicht meine guten Geschwister allein. Wenn Sie und meine Freunde nur noch die erste Zeit mit mir Geduld haben, wo ich so ängstlich noch gern ihr Andenken erhalten will, wo ich von ihr sprechen muß und so gern von ihr hören mag – Nachher bitte ich Sie gewiß seltner darum – und nur wenn ich einmal recht müde, und kalt bin und gern einmal einen Blick in mein altes Land thun möchte. Sonst muß ich mich noch sehr für Aufblitze meines ehmaligen Bewußtseyns hüten. Ich bin ja nicht mehr derselbe – und es ist mir, als wollte Sie es haben, daß ich mich doch nicht ganz unfähig machen sollte – Vielleicht geschiehts ohnedem. Mich selbst hab ich verloren – die wichtigsten Jahre meines Lebens, wo ich zu mir selbst kam, wo ich zu leben anfieng – die muß ich, wie ein verbranntes Blatt abreißen – wenn ich kann. Grüningen, die Wiege meines bessern Selbst, ist mir zur Grabstätte geworden – das einsame Grab auf dem kleinen Kirchhofe – die drey Ellen Erde auf dieser himmelvollen Brust – das ist, was meine Fantasie erfüllt, die sonst in Paradiesen schwebte. Allein das himmlische Auge, das sich nie wieder mit unbeschreiblicher Hoheit und Milde gegen mich aufschlägt – allein dis zieht mich auf immer von allen andern Beschauungen ab.
Wie oft denk ich mir jezt, daß ein geöffneter Sinn längst ihre Bestimmung für den Himmel hätte ahnden sollen. Sie trug das Gesicht so gesenkt – Sie war zu schön – zu frühzeitig – Meine Mutter sagte, wie Sie zum erstenmale ihre Silhouette sah – Ihr Gesicht gefällt mir unbeschreiblich – Sie sieht so from[m], so still aus – als wäre Sie nicht auf dieser Welt an Ihrem Platze. Meynen Sie nicht auch, daß Sie zu gut für mich war. Ach! und bin ich nicht die entfernte Ursach ihres Todes; doch hab ich mir darüber noch keinen Vorwurf gemacht. Vor meiner Liebe brauch ich nicht zu erröthen – Jezt weis Sie besser, wie herzlich, einzig ich Sie geliebt habe – wie ich nur Einen Gedanken hatte, der alle andre einfaßte – Sie so glücklich zu machen, als ich könnte. Gute Justen – Ihre Vision – ach! und mein Lied zum vorigen Geburtstag – wie seltsam profetisch zum Schluß.
Den 15ten März sagte Sie mir zum erstenmale, daß Sie Mein seyn wollte. Den 17ten war Sie geboren – den 19ten ist Sie heimgegangen – den 21sten erhielt ich die Nachricht – sollt ich nicht ahnden dürfen, daß ich den 23sten ihr nachkäme. Wie glücklich wär ich, wenn ich heute wüßte – heute übers Jahr bist du bey ihr. Schon der Gedanke macht mich sehr heiter. Ihr Brief enthielt so manches Unvergeßliche – so manches, das gerade meine tiefsten Empfindungen traf.
[28. März. Dienstag]
Gott belohne Sie für diesen warmen Antheil an dem Schicksal eines Menschen, der wenigstens allen guten Willen hatte, die Freundschaft ächter Menschen zu verdienen. Dieses neue Blatt hab ich einige Tage später angefangen, als ich das vorige endigte. Jeder Tag bestätigt die traurige Muthmaaßung meiner zunehmenden Gleichgültigkeit. Seitdem hab ich gar nicht mehr geweint – die weichere Stimmung verliert sich immer mehr – und die guten Augenblicke auflodernder Heiterkeit sind ganz ausgeblieben. Meine Ideen sind geschäftig – mein Verstand hat eher gewonnen, als verloren – aber die Liebe, die Liebe fehlt – und mit ihr fehlt alles – denn sie giebt Alles – aber Sie nimmt auch alles. Was hilft es mir ein Ideenwebstuhl zu seyn – Für das Lebendige ist kein Ersatz. Eins hab ich gewonnen – die feste Hoffnung Sie nicht verloren zu haben – auch würde mich diese Hoffnung noch mehr stärken, wenn Sofie mir erscheinen könnte und dürfte. Wie unaussprechlich glücklich wär ich noch hier, wenn Sie mir zuweilen sich offenbarte – mich aufrichtete, stärkte – nur mit einem einzigen liebevollen Blick. Wie verklärt lebt ich mir selbst. Noch geb ich diese Hoffnung nicht auf – Sie hängt noch an einer Andern, von der ich Ihnen vielleicht noch mehr schreiben werde.
Was Sie von Sofieens unsichtbarer Gegenwart reden ist eine herrliche Wahrheit – Ihr Bild soll und wird mein bessres Selbst seyn – das Wunderbild, das in meinem Innern von einer ewigen Lampe erleuchtet wird und das mich gewiß retten wird für so manchen Anfechtungen des Bösen und Unlautern. In die verklärten Hände hab ich der Tugend von Herzen gehuldigt – Sie soll mir ein Vorbild seyn – Um Todte weht der Geist des ewigen Friedens, und dieser Geist der Eintracht[,] Liebe, Herzensgüte, Sanftheit und Demuth soll mich auch umwehn, denn was fehlt mir zum Todten – bin ich nicht so gut wie gestorben? Trost, sagen Sie, kann nur die Zukunft geben – ja! die wahre Zukunft, nicht die wenigen, übrigen mühevollen Jahre – aber was jenseits ist, was uns aus so manchen Naturtönen, aus so manchen ihrer Gestaltungen mit unbeschreiblichen Ahndungen erfüllt.
Während ich dieses schrieb, ist es mir recht warm aufs Herz gefallen, ob meine Klagen nicht selbstsüchtig, kleinlich und beschränkt sind. Wenn ich ein wahrhaft hoher Mensch seyn wollte, sollte nicht jezt eine ewige Heiterkeit meine Augen und meine Stirn beseelen – und himmlischer Enthusiasmus meine Brust erfüllen. Wer bin ich, daß ich so irrdisch klage? Sollt ich nicht Gott danken, daß er mir so früh meinen Beruf zur Ewigkeit kund machte? Ist es nicht Beruf zur apostolischen Würde? Kann ich im Ernst Sofieens Schicksal beklagen – Ist es nicht ein Vorzug für Sie – Ist nicht Ihr Tod und mein Nachsterben eine Verlobung im höhern Sinn? Gott hat mich und Sie für die schleichende Ansteckung der Gemeinheit bewahren – er hat Sie in eine höhere Erziehungsanstalt bringen, diese zarte Blume unter einen bessern Himmel verpflanzen und mich den stärkern, den rohern Mann noch in der Erdenluft zeitigen wollen. Sollte Gott von mir jezt ächte Erhebung, männliche Vollendung, tiefes Zutraun zu seiner Liebe – unverwandten Blick auf den Himmel und meine höhere Bestimmung, ewiges Gelübde der Tugend und des Glaubens an die Samenideen der innersten Menschheit fodern?
So eben treten diese Ideen mit einer ungewohnten Wärme in mein Bewußtseyn – ich fühle was ich seyn könnte – aber Gott sieht wie gebrechlich und schwach ich bin – Kann ich hoffen, daß in dieser kraftlosen Seele solche Ideen haften und nicht vorbeygehn werden. Jezt ist einmal Leben in mir – aber wird es gegen die Nervenstumpfheit, gegen die Gewöhnlichkeit und das Verwöhntseyn sich halten können? Sophie weiß, was mir gut ist – Sie bittet Gott gewiß mit für mich – und nur dann muß meine Klage perenniren, wenn selbst solche Ideen nicht mehr Bleibens haben.
Wenn solche lichtvolle Augenblicke vielleicht Berührungen meiner Sophie sind; ach! wann wird es ihr dann gefallen immer um mich zu seyn.
Der traurige Brief schließt sich heiterer, als ich dachte. Ich fühle mich eben jezt so hoch – als ich mich bisher, Einen Moment ausgenommen, noch nie fühlte. Es ist ein sonderbarer Abstich mit meiner bisher beharrlichen Indifferenz, mit meiner entsezlichen Kälte und Leblosigkeit. Leben Sie wol – gutes Mädchen – Schreiben Sie mir recht bald – und recht viel von meiner Sophie – was Sie noch von ihr wissen – jede Kleinigkeit ihrer lezten Tage – die Umstände ihres Todes – von ihrem Begräbniß. Diesen Sommer besuch ich gewiß einmal ihr Grab. Es soll mein Magnet seyn und wird die Stätte meiner Heiligung seyn. Vielleicht kann ich auch dann wieder weinen.
Ihr
Freund
Hardenberg.
Nun noch Eins – Nach Gr[üningen] kann ich noch nicht schreiben. Ich bat die Danscour im vorlezten Briefchen um eine Haarlocke der Verewigten. Besorgen Sie doch diese für mich, wenn die Danscour nicht diese Bitte vergessen hat – und dann bitten Sie doch die Mutter um das grüne Tuch, das Sofie in der Kranckheit immer trug und um die graue Chémise, die Sofie in Jena und vielleicht zum leztenmale getragen hat. Wollte die Mutter mir noch einige Kleinigkeiten accordiren, wenn sie da sind, worunter ich blos ihre kleinen Schreibereyen im Taschenbuch oder sonst, verstehe, insoweit ich ohne Indiskretion sie erhalten kann, so ist mirs desto lieber. Ihr irrdisches Selbst liegt mir noch so am Herzen.