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Novalis to Coelestin August Just TEI-Logo

Weißenfels, den 29ten März 1797. [Mittwoch]
Es ist für mich eine bittersüße Bemerkung, daß Unglück unsern Sinn für Freundschaft und Liebe so sehr vermehrt, wenigstens zu vermehren scheint, indem es ihn mehr erweckt. Die Freude des ruhigen Besitzes ist so unbemerkt, aber im Gefühl des Verlustes merkt die Seele erst, welche stille Wohlthäterin sie zugleich verlohren hat. Die Sehnsucht nach Sofieen hat durch ihren Tod sehr merklich zugenommen, und mit ihr ist mein Gefühl für Freundschaft ebenfalls beträchtlich gestiegen. Ihre milden Briefe waren eine sehr angenehme Nahrung für dasselbe. Es freute mich, daß Sie, mein erster, ältester, sicherster Freund, so deutlich den wahren Verlust übersahn, den mir der Heimgang meiner Sofie verursacht. Eine solche Bestätigung meines Gefühls mußte sehr wohlthätige Wirkungen hervorbringen. Die Errinnerung an das, was mir zeitlebens davon bleibt, ist wenigstens ein bedeutender Fingerzeig, und doch ein lieblicher Zug im vollendeten Bilde des Trostes. Bisher ist mir dieses nicht erschienen, ob ich wohl seit gestern Abend eine Ahndung seines Kommens habe. Wie ich bisher in der Gegenwart und in der Hoffnung irdischen Glücks gelebt habe, so muß ich nunmehr ganz in der ächten Zukunft, und im Glauben an Gott und Unsterblichkeit leben. Es wird mir sehr schwer werden, mich ganz von dieser Welt zu trennen, die ich so mit Liebe studirt; die Recidive werden manchen bangen Augenblick herbeyführen – aber ich weiß, daß eine Kraft im Menschen ist, die unter sorgsamer Pflege sich zu einer sonderbaren Energie entwickeln kann. Sie würden Mitleiden mit mir haben, wenn ich Ihnen von den Widersprüchen der zeitherigen Stunden erzählen wollte. In Carolinchens Brief steht manches davon. Ich leugne nicht, daß ich mich noch vor dieser entsetzlichen Verknöcherung des Herzens – vor dieser Seelenauszehrung fürchte – die Anlage ist unter den Anlagen meiner Natur. Weich gebohren hat mein Verstand sich nach und nach ausgedehnt und unvermerkt das Herz aus seinen Besitzungen verdrängt. Sofie gab den Herzen den verlohrenen Tron wieder – Wie leicht könnte ihr Tod nicht dem Usurpator die Herrschaft wieder geben, der dann gewiß rächend das Herz vertilgen würde. Seine indifferente Kälte hab ich schon sehr empfunden – aber vielleicht rettet mich noch die unsichtbare Welt, und ihre Kraft, die bisher in mir schlummerte. Die Idee von Gott wird mir mit jedem Tage lieber – Wie würde Jemand entzückt, beruhigt seyn – wenn er noch nie von Gott gehört hätte, und er wäre sehr unglücklich und man machte ihn von dieser Idee bekannt. Auf eine ähnliche Weise hoff ich, solls mir gehn.
Freylich mit der Liebe zu den Angelegenheiten der Menschen für diese Stufe ist es aus – die kalte Pflicht tritt an die Stelle der Liebe. Meine Geschäfte werden eigentliche Offizialgeschäfte.
Auch ists mir überall zu geräuschvoll. Ich werde mich immer mehr zurückziehn – So wird mir der Schritt ins Grab, einmal immer gewöhnlicher – der Abstand der mich davon trennt, wird so immer kleiner. Die Wissenschaften gewinnen ein höheres Interresse für mich, denn ich studire sie nach höheren Zwecken – von einem höheren Standpunkte. In ihnen, in Aussichten auf die unsichtbare Welt, in wenigen Freunden und in Pflichtgeschäften, will ich bis zum letzten Athemzuge leben, der, wie mir scheint, so entfernt nicht ist, als ich oft fürchte.
Die Meinigen nehmen stillen, herzlichen Antheil. Besonders Karl und mein Vater. Der lezte hat sie aufrichtig beweint – die ersten Thränen seit vielen Jahren – er ist mir wieder recht lebhaft werth geworden, auch ihn hat so ein Verlust auf immer der Welt fremd gemacht. Erasmus ist seit 3 Wochen hier. Er ist bedenklich krank und macht sich durch entsetzliche Grillen und Eigensinn die ohne dem drückende Lage noch drückender. Meine Gleichgültigkeit hat mich bisher vor schmerzhaften Gefühlen Seinetwegen geschüzt.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 29. März 1797
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Coelestin August Just
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 214‒215.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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