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Novalis to Wilhelmine von Thümmel TEI-Logo

Tennstedt. Den 13ten April. 1797. [Donnerstag]
Von hier aus hätten Sie wohl keine Antwort auf Ihren Brief erwartet. Ein sehr trauriges Eräugniß hat mich von Hause weggetrieben – der nahe Tod meines Bruders Erasmus – Seine Kranckheit ward erst seit 14 Tagen tödtlich und jezt ruht er wahrscheinlich schon von den Mühseeligkeiten seines Lebens aus.
Sein Tod hat weniger Eindruck auf mich gemacht, als er zu jeder andern Zeit gemacht haben würde. Die Bitterkeit seiner lezten Stunden war sehr groß und diese rührte mich am meisten. Seinen Tod hab ich ihn beneidet. Meine Eltern und Geschwister sind sehr beklagenswerth – Sie waren noch so weich vom Schlage, der auch Sie so erschütternd getroffen hat – und nun dieses Glied aus der festverschlungenen Kette – – –. Diese Zeit ist furchtbar gewesen – So viele gute Menschen unglücklich – die Hoffnungen 2 blühender Familien zerstört.
Das Blüthenblatt ist nun in die andre Welt hinübergeweht – Der verzweifelte Spieler wirft die Karten aus der Hand, und lächelt, wie aus einem Traum erwacht, dem lezten Ruf des Wächters entgegen und harrt des Morgenroths, das ihn zum frischen Leben in der wircklichen Welt ermuntert. Je ängstlicher die Träume – desto näher die erquickende Frühe.
Gute Thümmeln – bleiben Sie meine Freundinn, so lange ich noch auf dieser Welt bin – Ich sehe Sie, den Engel meines Lebens, Meine ewige Sofie, bald, sehr bald wieder. Es ist frühzeitig dunkel und einsam geworden. Verkürzen Sie dem Einsamen, Sehnsuchtsvollen noch die Stunden, die ihn von sich selbst, vom ewigen Frieden trennen. Es erquickt mich so sehr mich noch recht mit einigen guten Menschen zu letzen, eh ich ihr folge. Vielleicht sehn Sie noch Einen Stein, meinem Wunsche gemäß – Ihre und meine Asche decken. Sie glauben nicht, wie abgestorben ich mich fühle – dennoch bin ich gewöhnlich ruhig, theilnehmend und fähig alle Arbeiten zu machen – Ich habe noch einiges zu verrichten – dann mag die Flamme der Liebe und Sehnsucht auflodern und dem Geliebten Schatten, die liebende Seele nachsenden. Der Augenblick des Widersehns ist der freudigste Aufblick, den ich noch unter dieser Sonne habe.
Sie umgiebt mich unaufhörlich – Alles was ich noch thue, thue ich in ihrem Namen. Sie war der Anfang – sie wird das Ende meines Lebens seyn. Ihre Leiden sind mir Wunden, die nur die balsamische Luft einer bessern Welt heilen wird. Es ist ein unaussprechliches Gefühl – einen Engel, wie Sie – eine Geliebte, wie sie, in so schrecklichen Kämpfen gewußt zu haben.
Das Verlangen Ihrem Grabe näher zu seyn, überwog die Angst für den Errinnerungen dieser Gegend. Es ist auch mein Grab – meine ganze Freude, meine Aussichten – mein Leben, meine Liebe liegen hier begraben. Ihr und mein Grab werden mich gewiß, so lang ich noch lebe, mit unaussprechlicher Liebe und Kraft zu allem Guten erfüllen. Die Gewisheit, daß Sie um mich ist, daß Sie mich, den So ganz Ihr Gewidmeten, noch ein wenig liebt, besonders da Sie jezt weis, wie treu und ewig ich es mit ihr gemeynt, diese Gewislieit erhebt mich gewiß zum Bessern und macht mich Ihrer wehrter.
Nach Gr[üningen] möcht ich allein nicht kommen. Entweder begleitet mich der Herr Kreisamtmann – oder ich bitte Sie, daß Sie mir den Tag bestimmen, wo Sie hin kommen wollen.
Ich liebe Sie alle jezt mehr, als jemals – Sie sind meinem Herzen noch theurer geworden – Sind Sie nicht die Hinterlassenen meiner Sofie – die Sie so liebte, von denen Sie so geliebt ward.
Ihre Freundschaft, Ihr allerseitiges Zutrauen wird mich noch unendlich wohl auf dieser Traumwelt machen.
Mit dieser Hoffnung, mit der innigsten Bitte darum schließe ich.
Zeitlebens
Ihr
Freund
Hardenberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 13. April 1797
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Wilhelmine von Thümmel
  • Place of Dispatch: Tennstedt ·
  • Place of Destination: Sondershausen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 217‒219.
Manuscript
  • Provider: Privatbesitz
Language
  • German

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