Tennstädt, den 14. April 1797. [Freitag]
Die Antwort auf Ihren wohlwollenden, zustimmenden, gefühlvollen Brief, glaubt ich mündlich bringen zu können. Diese Freude war mir nicht bestimmt. Ich habe meinem Vorsatze, diesen Sommer in [Jena] eben so angenehm, als lehrreich, zuzubringen, entsagen müssen. Der unerwartet eintretende Tod meines Bruders Erasmus beschleunigte meine Abreise, und da wählt ich Tennstädt – so weh mir die Erinnerungen thaten – weil ich hier unter sehr freundschaftlichen Menschen bin, und aus Verlangen nach der Nähe Ihres Grabes.
Ich wußte schon von ihrer Krankheit, Lieber, – aber ich wußte nicht, daß sie so gefährlich sey. Nur keine lange Krankheit – es ist etwas entsetzliches und so etwas unnützes, da nur Ideen, aber körperliche Leiden nicht bilden – besonders wenn sie so schwer sind, daß der Geist sich nicht mehr ermannen kann. Meine Sofie hat einen schönen Tod gehabt – Vorher sind einige schreckliche Tage gewesen, die sie still und lächelnd und tröstend durchlebt hat. Sie ist mit jeder Minute liebenswürdiger geworden – Heiter und gefaßt hat sie zuletzt um ihren Tod gewußt – Ein sanfter Schmerz hat sie auf einmal allen Lasten enthoben. Ihr unbemerkt ist ihr Körper schon die letzten Tage fast in völlige Auflösung übergegangen, die letzte Nacht phantasirt sie – auf einmal schüttelt sie mit dem Kopf – lächelt und sagt: Ich fühl’s, ich bin närrisch – ich bin nicht mehr nütze in der Welt – ich muß fort.
Guter, – auch ich bins – das Beste in mir zieht sich zusammen – das Uebrige zerfällt in erbärmlichen Staub.
Sehr Recht haben Sie – daß ich das Zutrauen zu mir selbst nicht verlieren soll – damit halte ich sie allein noch fest. Es erwacht täglich beständiger, kräftiger in mir – es gedeiht jetzt in der süßen Ruhe, die mich umgibt. Meine Kräfte haben eher zu- als abgenommen – ich fühle es jetzt oft, wie schicklich es hat so kommen müssen. Zufrieden bin ich ganz – die Kraft, die über den Tod erhebt, habe ich ganz neu gewonnen – Einheit und Gestalt hat mein Wesen angenommen – es keimt schon ein künftiges Daseyn in mir. Diesen Sommer will ich recht genießen, recht thätig seyn, mich recht in Liebe und Begeisterung stärken – Krank will ich nicht zu ihr kommen – im vollen Gefühl der Freiheit – glücklich, wie ein Zugvogel seyn. Genußvoller fühle ich mich jetzt schon – die Farben sind heller auf dem dunkeln Grunde, der Morgen naht – das verkünden mir die ängstlichen Träume. Wie entzückt werde ich ihr erzählen, wenn ich nun aufwache, und mich in der alten, längstbekannten Urwelt finde, und sie vor mir steht – Ich träumte von dir: ich hätte dich auf der Erde geliebt – du glichst dir auch in der irdischen Gestalt – du starbst – und da währte es noch ein ängstliches Weilchen, da folgte ich dir nach.
Sie wollen im Mai fortwandern – auf lange Zeit – gern hätte ich Sie noch einmal gesehen. Könnten Sie nicht noch hier in unsre Gegend kommen – oder wenn ich wüßte, daß Sie in Erfurt wären? Werden Sie nur nicht lange krank – dafür ist mir recht bange. Mein guter Erasmus hat mich diese Leiden tief wieder empfinden lassen. Ich habe ihn sehr lieb gehabt – jetzt verliert sich der Schmerz über seinen Verlust in die ungeheure Woge, die über meine Besitzungen herschlug.
Nun noch einiges Wenige. [Göthes] Anhänglichkeit an das erhabene Bild Sofieens hat mir ihn lieber gemacht, als alle seine treflichen Werke. Jetzt habe ich ihn wahrhaft lieb – er gehört zu meinem Herzen. Ich verhehle Ihnen nicht, daß ich [Göthen] nicht für den Apostel der Schönheit halten könnte, wenn ihn nicht schon das bloße Bild ergriffen hätte – Es ist gewiß nicht Leidenschaft – ich fühle es zu unwidersprechlich, zu kalt, zu sehr mit meiner ganzen Seele, daß sie Eine der edelsten, idealischen Gestalten war, die je auf Erden gewesen sind und seyn werden. Die schönsten Menschen müssen ihr ähnlich gewesen seyn. Ein Bild von Raphael in der Physiognomik hat die treffendste Aehnlichkeit von ihr, die ich noch fand, unerachtet es gewiß kein vollkommnes Bild von ihm ist. Sollte [Schiller] ihr nicht einen stillen Kranz gewunden haben? – O! daß ich davon Gewißheit hätte.
Die gute, liebe [Schiller], der ich so dankbar für ihr Gefühl für Sofie bin – grüßen Sie sie doch recht herzlich von mir – ich habe ihr immer einige Zeilen schreiben wollen – ich weiß nicht, was mich abgehalten hat. Sofie hat mir innig von ihr gesprochen – Ob ihr wohl einige Haare lieb wären?
Leben Sie wohl – guter – ich weiß, daß Sie von denen sind, denen ihr Bild treu und wohlthätig bleibt. Bleiben Sie nur gesund. Schreiben Sie mir bald.
Ihr Freund Hardenberg.
Die Antwort auf Ihren wohlwollenden, zustimmenden, gefühlvollen Brief, glaubt ich mündlich bringen zu können. Diese Freude war mir nicht bestimmt. Ich habe meinem Vorsatze, diesen Sommer in [Jena] eben so angenehm, als lehrreich, zuzubringen, entsagen müssen. Der unerwartet eintretende Tod meines Bruders Erasmus beschleunigte meine Abreise, und da wählt ich Tennstädt – so weh mir die Erinnerungen thaten – weil ich hier unter sehr freundschaftlichen Menschen bin, und aus Verlangen nach der Nähe Ihres Grabes.
Ich wußte schon von ihrer Krankheit, Lieber, – aber ich wußte nicht, daß sie so gefährlich sey. Nur keine lange Krankheit – es ist etwas entsetzliches und so etwas unnützes, da nur Ideen, aber körperliche Leiden nicht bilden – besonders wenn sie so schwer sind, daß der Geist sich nicht mehr ermannen kann. Meine Sofie hat einen schönen Tod gehabt – Vorher sind einige schreckliche Tage gewesen, die sie still und lächelnd und tröstend durchlebt hat. Sie ist mit jeder Minute liebenswürdiger geworden – Heiter und gefaßt hat sie zuletzt um ihren Tod gewußt – Ein sanfter Schmerz hat sie auf einmal allen Lasten enthoben. Ihr unbemerkt ist ihr Körper schon die letzten Tage fast in völlige Auflösung übergegangen, die letzte Nacht phantasirt sie – auf einmal schüttelt sie mit dem Kopf – lächelt und sagt: Ich fühl’s, ich bin närrisch – ich bin nicht mehr nütze in der Welt – ich muß fort.
Guter, – auch ich bins – das Beste in mir zieht sich zusammen – das Uebrige zerfällt in erbärmlichen Staub.
Sehr Recht haben Sie – daß ich das Zutrauen zu mir selbst nicht verlieren soll – damit halte ich sie allein noch fest. Es erwacht täglich beständiger, kräftiger in mir – es gedeiht jetzt in der süßen Ruhe, die mich umgibt. Meine Kräfte haben eher zu- als abgenommen – ich fühle es jetzt oft, wie schicklich es hat so kommen müssen. Zufrieden bin ich ganz – die Kraft, die über den Tod erhebt, habe ich ganz neu gewonnen – Einheit und Gestalt hat mein Wesen angenommen – es keimt schon ein künftiges Daseyn in mir. Diesen Sommer will ich recht genießen, recht thätig seyn, mich recht in Liebe und Begeisterung stärken – Krank will ich nicht zu ihr kommen – im vollen Gefühl der Freiheit – glücklich, wie ein Zugvogel seyn. Genußvoller fühle ich mich jetzt schon – die Farben sind heller auf dem dunkeln Grunde, der Morgen naht – das verkünden mir die ängstlichen Träume. Wie entzückt werde ich ihr erzählen, wenn ich nun aufwache, und mich in der alten, längstbekannten Urwelt finde, und sie vor mir steht – Ich träumte von dir: ich hätte dich auf der Erde geliebt – du glichst dir auch in der irdischen Gestalt – du starbst – und da währte es noch ein ängstliches Weilchen, da folgte ich dir nach.
Sie wollen im Mai fortwandern – auf lange Zeit – gern hätte ich Sie noch einmal gesehen. Könnten Sie nicht noch hier in unsre Gegend kommen – oder wenn ich wüßte, daß Sie in Erfurt wären? Werden Sie nur nicht lange krank – dafür ist mir recht bange. Mein guter Erasmus hat mich diese Leiden tief wieder empfinden lassen. Ich habe ihn sehr lieb gehabt – jetzt verliert sich der Schmerz über seinen Verlust in die ungeheure Woge, die über meine Besitzungen herschlug.
Nun noch einiges Wenige. [Göthes] Anhänglichkeit an das erhabene Bild Sofieens hat mir ihn lieber gemacht, als alle seine treflichen Werke. Jetzt habe ich ihn wahrhaft lieb – er gehört zu meinem Herzen. Ich verhehle Ihnen nicht, daß ich [Göthen] nicht für den Apostel der Schönheit halten könnte, wenn ihn nicht schon das bloße Bild ergriffen hätte – Es ist gewiß nicht Leidenschaft – ich fühle es zu unwidersprechlich, zu kalt, zu sehr mit meiner ganzen Seele, daß sie Eine der edelsten, idealischen Gestalten war, die je auf Erden gewesen sind und seyn werden. Die schönsten Menschen müssen ihr ähnlich gewesen seyn. Ein Bild von Raphael in der Physiognomik hat die treffendste Aehnlichkeit von ihr, die ich noch fand, unerachtet es gewiß kein vollkommnes Bild von ihm ist. Sollte [Schiller] ihr nicht einen stillen Kranz gewunden haben? – O! daß ich davon Gewißheit hätte.
Die gute, liebe [Schiller], der ich so dankbar für ihr Gefühl für Sofie bin – grüßen Sie sie doch recht herzlich von mir – ich habe ihr immer einige Zeilen schreiben wollen – ich weiß nicht, was mich abgehalten hat. Sofie hat mir innig von ihr gesprochen – Ob ihr wohl einige Haare lieb wären?
Leben Sie wohl – guter – ich weiß, daß Sie von denen sind, denen ihr Bild treu und wohlthätig bleibt. Bleiben Sie nur gesund. Schreiben Sie mir bald.
Ihr Freund Hardenberg.