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Novalis to Caroline Just TEI-Logo

Freyberg: den 5ten Februar.
1798. [Montag]
Ihre lieben Briefe haben mir von neuem Gelegenheit gegeben, über mein Glück die angenehmsten Betrachtungen anzustellen. Auf eine für mich ganz wunderbare Weise hab ich eine so treue Liebe der besten Menschen gewonnen, und was hab ich gethan, Sie zu verdienen? was, Sie zu erhalten? Zum Genuß des Guten schein ich nicht gemacht zu seyn – so empfindlich ich auch für dasselbe zu seyn glaube. Zum beharrlichen Gegenwircken fehlt es mir an Ruhe – in unaufhörlichen Streben nach einem dunkeln Etwas begriffen, bin ich nicht im Stande alle guten, liebevollen Eindrücke zu erwiedern. Dieser beständige Kampf, um mich selbst zu erhalten, raubt mir die Kräfte, die ich so wolthätig für meine Freunde anlegen könnte, und läßt mir nichts übrig, als einen frommen Wunsch und hoffnungsvolle Aussicht in eine friedlichere Zukunft. Ihre Briefe haben mich auch wieder lebhaft fühlen lassen, wie fremd ich doch überall und eigentlich nirgends einheimisch bin, als bey Ihnen. Thüringen macht mir hier allein manchen bangen Augenblick und es ist mir beynah gewiß[,] daß ich Ostern zu Ihnen komme. Was hilfts, daß ich mich bis zur höchsten Ermüdung bey Buchstaben aufhalte – verliere ich darüber nicht die lehrreichste Schrift, die Menschengestalt, aus den Augen? Ich kehre am Ende immer zu Einem zurück – und dieses Eine ist der Geist des Menschen – von dem am Ende doch alles Ausfluß und Offenbarung ist – und warum dieses Eine gerade in dem todten Zeichen, und nicht in lebendiger Anschauung suchen. Zwar entbehr ich hier keine Art des Umgangs; aber das Beste bleibt doch in Einer Rücksicht Tennstedt, und in der andern Jena. Liebens sind äußerst brave Leute – aber in Hinsicht auf Unterhaltung giebt es doch viele Schrancken. Sie spricht zu wenig. Überdem ist die Zeit, die ich Besuchen gewidmet habe, gewöhnlich auch bey Ihnen besezt. Sie hat einige Freundinnen, die Sie täglich sieht – und er spielt gern Abends in Einer Geschlossnen Gesellschaft Billard oder Tarok. Nun würde er zwar Meinetwegen vielleicht zu Hause bleiben – aber das mag ich ihm natürlich nicht zumuthen. Bey Heynitzens bin ich aus Grundsatz oft. Hingegen bey Charpentiers bin ich sehr gern, und wünsche Sie und die Tante oft in diesen Zirkel, der mich auf eine mannichfache Weise angenehm berührt. Je öfter ich da gewesen bin – je mehr haben die beyden Mädchen bey mir gewonnen. Sie sind einigermaaßen das für mich, was Sie und Carolinchen Kühn für mich sind. Die älteste ist klug, in allen Dingen geschickt, und ein durchaus eigenthümliches, höchstlebhaftes Wesen – ächtes ionisches Blut, wenn Sie mir diesen Platnerischen Ausdruck verzeihen – der so viel ausdrückt, wie Sanguinisch und hübscher, wie mich dünckt, ist – Sie ist für alles empfänglich, und weiß meiner Schwachheit laut zu denken, sehr gut zu schmeicheln. Julchen ist ein schleichendes Gift – man findet sie, eh man sich versieht, überall in sich, und es ist um so gefährlicher, je angenehmer es uns däucht. Als ein junger Wagehals würde ich einmal eine solche Vergiftung probiren – So aber, abgestumpft, wie ich bin, reizt es meine alten Nerven nur so eben zu leichten, frölichen Vibrationen, und erwärmt stundenlang mein starres Blut. In zarten, kaum vernehmbaren Empfindungen begegnet man ihr und ist gewiß, daß das Schönste von Ihr zuerst bemerckt, gethan, und bewahrt wird. Sie spielt nur die Harmonika, indeß ihre Schwester alle übrigen Künste mit gleichen Glück treibt. Sie würden sich überzeugen, wie wohl ich mich dort befinde, wenn Sie neulich eine stille Zuschauerin gewesen wären, wie ich beyden Abends in einer großen Stube, wo wir ganz allein waren, einige Ideen über Zukunft, Natur und Menschenleben vortrug, und von Ihrer wahrhaften Aufmercksamkeit und thätigen Theilnahme begeistert, wie ein Eleusinischer Priester, vor Ihnen saß. Dies ist nun alles zwar recht schön, aber ich bin nicht mehr, der ich vor war – ich tauge nicht mehr in die Welt – Vollkommen wohl bin ich nur in meiner Klause zu Tennstedt,
Wo von der bunten Welt geschieden
In stiller Ruh mein Busen schlägt
Und manche Seele Lust und Frieden
Herüber in die Meine trägt,
Wo auf der Spur des alten Lebens
So gern der Schatten noch verweilt
Und froh den Rest der Zeit des Strebens
Mit herzensguten Menschen theilt.
Sie sehn meine Bereitwilligkeit Ihnen das Gute, was ich habe, mitzutheilen. Auf alles Liebe, woran ihr Brief so reich ist, kann ich Ihnen nichts antworten, als daß Sie zu gut sind, viel zu gut.
Ihr Freund Hardenberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 5. Februar 1798
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Caroline Just
  • Place of Dispatch: Freiberg · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 248‒250.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: FDH Nr. 11864
Language
  • German

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