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Novalis to Rahel Just TEI-Logo

Freiberg, den 5. Dezember 1798 [Mittwoch]
Jetzt, meine vortreffliche Freundin, wird wohl Ihr lieber Mann nicht bei Ihnen sein, und ich wende mich daher unmittelbar an die höhere Instanz, um meine innige Danksagung für den freundschaftlichen Doppelbrief abzustatten, der mich auf mannigfaltige Weise angenehm berührte. Erstlich hatten Sie beide mir geschrieben – zweitens so viel Herzliches geschrieben, drittens hatte der Herr meiner schriftstellerischen Produkte und die Frau eines äußerst liebenswürdigen Mädchens gedacht, in die man von Rechts wegen wenigstens halb verliebt sein muß. Sie hätten es nicht besser und vollständiger ausstudieren können, um mich vergnügt zu machen, und wenn ich ein mächtiger Mensch wäre, mich in den Zustand der Alles-Bewilligung zu versetzen. Sie und Karolinchen hab ich hier in recht leidlichen Repräsentantinnen – nur mein lieber Kreisamtmann fehlt mir hier überall. Karolinchen wird durch Karolinchen mir vergegenwärtigt – wir stehen auf ähnlichem Fuße zusammen – Sie durch jene freundliche Büßerin – deren zarte Weiblichkeit – treuer, hülfreicher Sinn, Bildung und Innehaltung unaufhörlich an Sie mich erinnert – aber ob sie mir auch so gut ist wie das Original, das steht billig zu bezweifeln, und nur das könnte vielleicht eine merkbare Unähnlichkeit hervorbringen.
Jean Paul bring ich auf Ostern nach Tennstedt. Er muß mir von Weimar aus nach diesem Salem folgen. Mit meiner Gesundheit hats seit 14 Tagen wieder gehinkt – jetzt fängts aber wieder an, auf beiden Beinen zu gehen. Es ist hier alles krank – die Römern ist gefährlich krank. Er ist in übler Lage – er war in Neumark – traf dort (sub rosa) seinen älteren Bruder verzweifelt beinah über die plötzlich von ihrer Seite abgebrochene Liebesgeschichte mit der Frl. Miltitz in Dresden – seine Mutter sehr schwach und bei seiner Zurückkunft seine Frau in Lebensgefahr.
Julien ist noch immer häufig mit dem fürchterlichen Gesichtsschmerz heimgesucht – erträgt aber diese entsetzliche Krankheit mit der heitersten Resignation und ist bis jetzt munter und stark geblieben, was um so mehr wunderbar ist, da so viele Nächte in der quälendsten Unruhe durchwacht werden. Hoffentlich verliert sich dieser Schmerz nun bald. Vor zwei Jahren hat er auch zu Weihnachten von selbst aufgehört.
So weit hatte ich geschrieben – als ich durch Liebens den lieben Brief Ihres guten Mannes erhielt. Ich habe ihm sogleich geantwortet, und Sie erhalten nun beide Briefe zugleich. Durch einen Zufall ist mir der Brief an Ihren Mann zu Schaden gekommen, und ich kann ihn nicht sogleich wieder schreiben, daher erhalten Sie ihn einen Posttag später.
Wie hübsch ist es doch, solche innige Freunde zu haben, wie Sie sind. Es hat mich unbeschreiblich gefreut und geschmeichelt, meinem Freund mit Interesse von meinen Ideen sprechen zu können. Es sind Texte zu freundschaftlichen Unterhaltungen, und meine liebe Tante sollte nichts dagegen haben, wenn ich mit ihr darüber reden könnte. Mit Geduld und gutem Willen kann man sich über alles vereinigen – besonders, wenn schon so viele Vereinigungspunkte da sind, wie zwischen uns. Verschiedenheiten im Ausdruck werden bleiben – müssen bei Individuen bleiben; wenn es nur so weit kommt, daß man sich gegenseitig versteht und erklären kann. Ich weiß von vielen Dingen, warum Sie nicht so darüber zu denken scheinen, als ich – und die Gründe gehören zu Ihrem Charakter und sind mir deshalb heilig – vielleicht finden Sie einen ähnlichen Grund vieler meiner Meinungen in meinem Charakter, und dann werden Sie auch nicht mehr unzufrieden damit sein.
Die Schriftstellerei ist eine Nebensache – Sie beurteilen mich wohl billig nach der Hauptsache – dem praktischen Leben. Wenn ich gut, nützlich, tätig – liebevoll und treu bin – so lassen Sie mir einen unnützen, unguten und harten Satz passieren. Schriften unberühmter Menschen sind unschädlich – denn sie werden wenig gelesen und bald vergessen. Ich behandle meine Schriftstellerei als ein Bildungsmittel – ich lerne etwas mit Sorgfalt durchdenken und bearbeiten – das ist alles, was ich verlange. Kommt der Beifall eines klugen Freundes noch obendrein, so ist meine Erwartung übertroffen. Nach meiner Meinung muß man zur vollendeten Bildung manche Stufe übersteigen. Hofmeister, Professor, Handwerker sollte man eine Zeitlang werden wie Schriftsteller. Sogar das Bedientenfach könnte nicht schaden – dafür möchte der Schauspieler wegbleiben, der manche Bedenklichkeiten erregt.
Zu Weihnachten wünscht ich Sie zu uns. Tielemanns kommen – Mein Bruder kommt. Wir werden die Feiertage in 7 Eichen zubringen. In Dresden freu ich mich Karlen mit Ihrer Manteuffeln und meiner Ernsten bekannt zu machen. In Tennstedt brächt ich sie indes doch noch lieber zu. Mein Herz klopft gleich viel milder und mein moralischer Sinn bekommt Luft – wenn ich in Gedanken Tennstedt erwähne.
Nach Grüningen werd ich zu Weihnachten schreiben. Mit der Anhänglichkeit an diese guten und unvergeßlichen Leute ist es wahrlich nicht aus – aber mit der Lust an sie zu schreiben. Wahrscheinlich komm ich wieder im März hin – und bin ich erst wieder ganz in Thüringen, so werd ich auch oft in Grüningen sein – das mir der liebste Ort in der Welt ewig bleiben wird. Auch an der ganzen Familie nehm ich denselben Anteil, wie an der meinigen, aber – das bloße, müßige Schreiben stört mich und hemmt mich. Der Ort selbst tut eine wohltätige, die Erinnerung eine erweichende, schädliche Wirkung auf mich. Karolinchen hab ich ebenso lieb, als sonst – aber was sollen wir einander vorklagen – mit ihr kann ich nie wieder heiter und lustig sein – und dessen bedarf sie gerade. Vielleicht kommt eine Zeit, wo ich sie auch wieder zu meiner Freundin mache – wo ich auch wieder an sie wie ehemals schreibe. Vielleicht einst mündlich mehr darüber. Empfehlen Sie mich meiner guten Tennstedter Karoline auf das wärmste – auch Gustchen, der guten. Zu Pfingsten geht eine neue Zeit wieder an, wenn ich aus dem Erzgebirge weg und für immer in Thüringen bin. – Dann kann der Himmel es mir so gut machen, daß ich ganz für meine Freunde und Freundinnen leben kann. – Ruhe ist das unentbehrliche Erfordernis zur Freundschaft.
H.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 5. Dezember 1798
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Rahel Just
  • Place of Dispatch: Freiberg · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 264‒267.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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