Freyberg: den 20sten Jänner. 1799. [Sonntag]
Ich bin seit ich Ihnen nicht schrieb glücklich genug gewesen. Julien ist wie durch ein Wunder, seit dem heilgen Abend, wo das fürchterliche Übel plötzlich abriß, wieder gesund und heiter. Meine Gesundheit ist recht leidlich und ich habe die gute Ernsten gesehn. Freylich nur auf sehr kurze Zeit – indeß denk ich Sie bald wieder zu sehn und länger. Mich dauert es unendlich, daß meine künftige Wohnstätte so entfernt von Dresden ist – die Nähe der Ernsten würde mir sehr viel werth seyn. Ich sage unendlich viel von meinem Herzen, wenn ich sage, Sie ist eine Frau nach meinem Herzen. Auch über Fridrichs glückliche Verbindung hab ich mich innig gefreut. Auch ich hab eine neue vortreffliche Schwägerinn erhalten. Freylich säh ich auch die bürgerliche Verbindung sehr gern, wenn es möglich wäre. Wilhelms lieber Brief war mir neulich recht willkommen. Er wird wohl verzeihn, wenn ich Ihnen darauf antworte – Ihnen, die mir wircklich werther und lieber durch Ihre neuliche herzliche Theilnahme und Eilfertigkeit geworden ist.
Seit 2 Monaten ist alles bey mir ins Stocken gerathen, was zum liberalen Wesen gehört. Nicht 3 gute Ideen hab ich in dieser geraumen Zeit gehabt. Jezt leb ich ganz in der Technik, weil meine Lehrjahre zu Ende gehn, und mir das bürgerliche Leben mit manchen Anforderungen immer näher tritt. Für künftige Pläne sammle ich nur jezt und gedenke vielleicht diesen Sommer manches Angefangne oder Entworfne zu vollenden. Die Poësie mit lebendigen Kräften, mit Menschen, und sonst gefällt mir immer mehr. Man muß eine poëtische Welt um sich her bilden und in der Poësie leben. Hieher gehört mein mercantilischer Plan. Diesem ordne ich die Schriftstellerey unter. Ich lobe W[ilhelm] wegen seines lebhaften Treibens der Professorey. Auch dies gehört zur schönen, liberalen Oeconomie, dem eigentlichen Element der gebildeten Menschen.
Auf seine Elegie bin ich sehr begierig – die wird unstreitig ein schöngebildeter Niederschlag von Lebensstoff aus dem Duft der Vergangenheit seyn. Wenn er doch auch ein wenig Zukunft zuvor darinn auflößte, so würde der Anschuß noch schöner.
Das Wiederaufleben des Athenaeums ist mir unschätzbar. Auf Fridrichs Roman wag ich keine Vermuthung – Es ist gewiß etwas durchaus neues. Tieks Fantasieen hab ich gelesen – So viel Schönes darinn ist, so könnte doch weniger darinn seyn. Der Sinn ist oft auf Unkosten der Worte menagirt. Ich fange an das Nüchterne, aber ächt fortschreitende, Weiterbringende zu lieben – indeß sind die Fantasieen immer fantastisch genug und vielleicht wollen Sie auch dies nur seyn. Tiecks Don Quixote ist ja auch schon unterweges. Schreiben Sie mir nur bald von Ritter und Schelling. Ritter ist Ritter und wir sind nur Knappen. Selbst Baader ist nur sein Dichter.
Das Beste in der Natur sehn indeß diese Herrn doch wohl nicht klar. Fichte wird hier noch seine Freunde beschämen – und Hemsterhuis ahndete diesen heiligen Weg zur Physik deutlich genug. Auch in Spinotza lebt schon dieser göttliche Funken des Naturverstandes. Plotin betrat, vielleicht durch Plato erregt, zuerst mit ächtem Geiste das Heiligthum – und noch ist nach ihm keiner wieder so weit in demselben vorgedrungen. In manchen ältern Schriften klopft ein geheimnißvoller Pulsschlag und bezeichnet eine Berührungsstelle mit der unsichtbaren Welt – ein Lebendigwerden. Göthe soll der Liturg dieser Physik werden – er versteht vollkommen den Dienst im Tempel. Leibnitzens Theodicee ist immer ein herrlicher Versuch in diesem Felde gewesen. Etwas ähnliches wird die künftige Physik – aber freylich in einem höhern Style. Wenn man bisher in der sogenannten Physikotheologie nur statt Bewunderung ein ander Wort gesezt hätte!
Aber genug – behalten Sie mich nur ein bischen lieb, und bleiben Sie in der magischen Atmosphäre, die sie umgiebt, und mitten in einer stürmischen Witterung, mitten unter kümmerlichen Moosmenschen, wie eine Geisterfamilie isolirt, so daß keine niedern Bedürfnisse und Sorgen sie anziehn und zu Boden drücken können. Schicken Sie doch den Brief an Fridrich, dem ich nur sehr kurz geschrieben habe, weil ich jezt viel unter der Erde bin und über der Erde mit so vielen nüchternen Studien geplagt bin. Ostern geh ich hier weg und denke im April bey Ihnen zu seyn. Mein künftiges Leben kann sehr reitzend und fruchtbar werden.
Schreiben Sie mir bald – wo möglich, in Begleitung des Athenaeums. Mir liegt jezt zu viel untereinander auf dem Halse. Nach Ostern werd ich tief neue Luft schöpfen und das Frühjahr mich wieder aufthauen und erwärmen. Ohne Liebe hielt ichs gar nicht aus. Mündlich recht viel Neues und Schönes. W[ilhelm] und Augusten tausend herzliche Grüße.
Ihr
Freund
Hardenberg.
Ich bin seit ich Ihnen nicht schrieb glücklich genug gewesen. Julien ist wie durch ein Wunder, seit dem heilgen Abend, wo das fürchterliche Übel plötzlich abriß, wieder gesund und heiter. Meine Gesundheit ist recht leidlich und ich habe die gute Ernsten gesehn. Freylich nur auf sehr kurze Zeit – indeß denk ich Sie bald wieder zu sehn und länger. Mich dauert es unendlich, daß meine künftige Wohnstätte so entfernt von Dresden ist – die Nähe der Ernsten würde mir sehr viel werth seyn. Ich sage unendlich viel von meinem Herzen, wenn ich sage, Sie ist eine Frau nach meinem Herzen. Auch über Fridrichs glückliche Verbindung hab ich mich innig gefreut. Auch ich hab eine neue vortreffliche Schwägerinn erhalten. Freylich säh ich auch die bürgerliche Verbindung sehr gern, wenn es möglich wäre. Wilhelms lieber Brief war mir neulich recht willkommen. Er wird wohl verzeihn, wenn ich Ihnen darauf antworte – Ihnen, die mir wircklich werther und lieber durch Ihre neuliche herzliche Theilnahme und Eilfertigkeit geworden ist.
Seit 2 Monaten ist alles bey mir ins Stocken gerathen, was zum liberalen Wesen gehört. Nicht 3 gute Ideen hab ich in dieser geraumen Zeit gehabt. Jezt leb ich ganz in der Technik, weil meine Lehrjahre zu Ende gehn, und mir das bürgerliche Leben mit manchen Anforderungen immer näher tritt. Für künftige Pläne sammle ich nur jezt und gedenke vielleicht diesen Sommer manches Angefangne oder Entworfne zu vollenden. Die Poësie mit lebendigen Kräften, mit Menschen, und sonst gefällt mir immer mehr. Man muß eine poëtische Welt um sich her bilden und in der Poësie leben. Hieher gehört mein mercantilischer Plan. Diesem ordne ich die Schriftstellerey unter. Ich lobe W[ilhelm] wegen seines lebhaften Treibens der Professorey. Auch dies gehört zur schönen, liberalen Oeconomie, dem eigentlichen Element der gebildeten Menschen.
Auf seine Elegie bin ich sehr begierig – die wird unstreitig ein schöngebildeter Niederschlag von Lebensstoff aus dem Duft der Vergangenheit seyn. Wenn er doch auch ein wenig Zukunft zuvor darinn auflößte, so würde der Anschuß noch schöner.
Das Wiederaufleben des Athenaeums ist mir unschätzbar. Auf Fridrichs Roman wag ich keine Vermuthung – Es ist gewiß etwas durchaus neues. Tieks Fantasieen hab ich gelesen – So viel Schönes darinn ist, so könnte doch weniger darinn seyn. Der Sinn ist oft auf Unkosten der Worte menagirt. Ich fange an das Nüchterne, aber ächt fortschreitende, Weiterbringende zu lieben – indeß sind die Fantasieen immer fantastisch genug und vielleicht wollen Sie auch dies nur seyn. Tiecks Don Quixote ist ja auch schon unterweges. Schreiben Sie mir nur bald von Ritter und Schelling. Ritter ist Ritter und wir sind nur Knappen. Selbst Baader ist nur sein Dichter.
Das Beste in der Natur sehn indeß diese Herrn doch wohl nicht klar. Fichte wird hier noch seine Freunde beschämen – und Hemsterhuis ahndete diesen heiligen Weg zur Physik deutlich genug. Auch in Spinotza lebt schon dieser göttliche Funken des Naturverstandes. Plotin betrat, vielleicht durch Plato erregt, zuerst mit ächtem Geiste das Heiligthum – und noch ist nach ihm keiner wieder so weit in demselben vorgedrungen. In manchen ältern Schriften klopft ein geheimnißvoller Pulsschlag und bezeichnet eine Berührungsstelle mit der unsichtbaren Welt – ein Lebendigwerden. Göthe soll der Liturg dieser Physik werden – er versteht vollkommen den Dienst im Tempel. Leibnitzens Theodicee ist immer ein herrlicher Versuch in diesem Felde gewesen. Etwas ähnliches wird die künftige Physik – aber freylich in einem höhern Style. Wenn man bisher in der sogenannten Physikotheologie nur statt Bewunderung ein ander Wort gesezt hätte!
Aber genug – behalten Sie mich nur ein bischen lieb, und bleiben Sie in der magischen Atmosphäre, die sie umgiebt, und mitten in einer stürmischen Witterung, mitten unter kümmerlichen Moosmenschen, wie eine Geisterfamilie isolirt, so daß keine niedern Bedürfnisse und Sorgen sie anziehn und zu Boden drücken können. Schicken Sie doch den Brief an Fridrich, dem ich nur sehr kurz geschrieben habe, weil ich jezt viel unter der Erde bin und über der Erde mit so vielen nüchternen Studien geplagt bin. Ostern geh ich hier weg und denke im April bey Ihnen zu seyn. Mein künftiges Leben kann sehr reitzend und fruchtbar werden.
Schreiben Sie mir bald – wo möglich, in Begleitung des Athenaeums. Mir liegt jezt zu viel untereinander auf dem Halse. Nach Ostern werd ich tief neue Luft schöpfen und das Frühjahr mich wieder aufthauen und erwärmen. Ohne Liebe hielt ichs gar nicht aus. Mündlich recht viel Neues und Schönes. W[ilhelm] und Augusten tausend herzliche Grüße.
Ihr
Freund
Hardenberg.