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Novalis to Julius Wilhelm von Oppel TEI-Logo

[Artern, Anfang Dezember 1799.]
Längst hätt ich gern die Freyheit mich Ihnen schriftlich mittheilen zu dürfen, benuzt, wenn ich nicht zeither durch mannichfaltige kleine Reisen und Beschäftigungen wäre abgehalten worden. Ich hätte gewünscht Ihnen einige Ideen umständlicher mittheilen zu können und das Warten auf einen günstigen Zeitpunct zur Ausführung derselben ließ mich diese Mittheilung hinausschieben. Jezt da ich hier in Artern ziemlich ungestört meine Beschäftigungen eintheilen und fortsetzen kann, wag ich es mich in Ihr freundschaftliches Andenken zurückzurufen, und von allerhand Gegenständen Sie zu benachrichtigen.
Ich habe mich diese Zeit über mit dem Erdkohlenwesen bekannt zu machen gesucht. Mein Vater hat mir die Etats auf künftiges Jahr fertigen lassen und hier werd ich den für die Saline Artern ausarbeiten. Der mir aufgetragne rückständige Bericht über die Erdkohlenlager in diesem Theile von Sachsen erfodert um ihn so vollständig und gründlich zu machen, als möglich – noch viel Zeitaufwand. Es sind noch eine Menge Reisen nöthig um den geognostischen Theil zu vollenden. Hier hab ich mir vorgenommen das bisher Gesammelte zu ordnen und das hiesige Werck, als das Interressanteste der mir bekannten genau kennen zu lernen. Diese Untersuchung hat mich die Unvollständigkeit der bisherigen Beobachtungen der Flötz und aufgeschwemmten Gebürge recht lebhaft fühlen lassen. Der Geognost, durch Werners großen systematischen Geist erregt, hat ein mühsames und weitläuftiges Geschäft. Die Rücksichten sind so mannichfaltig und der Blick aufs Ganze mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Der Mangel an richtigen Situationskarten ist ein großes Hinderniß. Scheinbare Unregelmäßigkeiten hemmen die glückliche Entwicklung der geogenischen Geschichte aus großen einfachen Thatsachen. Überall stößt man auf neues, unangebautes Feld und dunkle Stellen. Besonders mercklich wird die Unmöglichkeit ein einzelnes Stück der Erdoberfläche richtig zu bestimmen. Die Urkunden dieser uralten Naturgeschichte sind voll Interpolationen und unleserlicher Stellen. Überdem fehlen uns noch höchstwichtige Capitel aus der Grammatik dieser Sprache der allgemeinen Physik und selbst Werners kühn entworfnes Alphabet und Syntax scheint noch große Lücken zu haben.
Belohnend sind die Anstrengungen und der Fleiß des Geognosten allerdings. Jede Reise trägt Früchte. Die Lesung physicalischer Schriften und Reisebeschreibungen – die Ansicht von Carten, und Cabinettern vermehrt den Vorrath geognostischer Bemerkungen und Anwendungen und die Größe und Mannichfaltigkeit der Gegenstände regt unsre Wißbegierde und Fantasie mit nicht geringer Kraft an. Ich bin Wernern auch für diese Erhöhung meines Lebensgenusses den innigsten Dank schuldig, wenn ich auch nicht jeden Tag Gelegenheit fände seinen divinatorischen Blick zu bewundern. Wie wichtig würde mir eine Reise in seiner Gesellschaft durch Thüringen seyn. Die neuen Formationen hat er noch nicht so reichlich ausgestattet, wie die Altern und er würde gewiß hier die herrlichsten Entdeckungen machen. Die Urgebürge haben auf den ersten Anblick etwas Anziehenderes – aber die Flötzgebürge sind beynah dem Geognosten wichtiger, da hier die Natur mannichfaltiger und deutlicher gearbeitet hat, und da sie noch nicht lange aufgestanden ist oder wohl gar noch bey ihrer Arbeit überrascht werden kann.
Wie wichtig übrigens neuere chémische und physicalische Entdeckungen der Geognosie werden können, davon hab ich neulich noch einen merckwürdigen Beweis zu finden geglaubt – einen Beweis, der auch aufs Neue Werners divinatorischen Sinn bestätigt. Ich war neulich bey dem Physiker Ritter in Jena, von dem ich Sie schon einmal unterhielt. Er erzählte mir unter andern von höchstmerckwürdigen Versuchen, die der französische Chemiker Guyton über die Verbrennung des Diamants angestellt und in einer eignen Abh[andlung] beschrieben habe, und glaubte in ihnen Indikationen zu einer neuen Betrachtung und Untersuchung der Kieselerde zu finden, Indikationen, die vermuthen ließen, daß die Kieselerde vielleicht nichts, als verbrannter Diamant und also ein Kohlenoxyd sey – wenigstens möchten die Kieselgattungen wohl einen sehr beträchtlichen Antheil Kohlenstoff enthalten. Sollte sich diese Vermuthung bestätigen, so gienge ein neues Licht in der Geognosie auf, eine Menge Phaenomene, z. B. der empyreumatische Geruch des Bergkrystalls, die animalische Kieselerde etc. würden einer Erklärung zugänglich und die Formationen des Kohlenstoffs, die Entstehung der Steinkohlen und ihre geognostischen Verwandtschaftsverhältnisse erschienen von einer neuen Seite und – Werners hartnäckige Beybehaltung des Diamants und der andern Edelgesteine unter dem Kieselgeschlecht wäre gerechtfertigt.
20 Jede Reise giebt mir jezt Veranlassung allgemeine und locale geognostische Thatsachen zu sammeln, aber ich glaube, daß vielfaches Nachdenken zu ihrer Ordnung und Vervollständigung gehört. Die brennbaren Fossilien sind freylich der nächste Gegenstand meiner Aufmercksamkeit – ich sammle und lese darüber, was ich habhaft werden kann. Neulich hab ich das Wettiner Steinkohlenwerk befahren, und mich mit der Gegend etwas bekannt gemacht. Zwischen Weimar und Kösen, anderthalb Stunden von Auerstedt, in der Flur des Dorfs Mattstedt ist ein Steinkohlenwerk entdeckt und bereits abzubauen angefangen worden. Der Herzog von Weimar, in dessen Gebiet Mattstedt liegt, hat sich mit dem Entdecker, dem dasigen Pfarrer [Günther] und einem Flerrn von Eglofstein zum Abbau desselben verbunden. Da im Weimar’schen die Branntweinbrenner kein Holz brennen dürfen, und die Gegend auch sonst an Holzmangel leidet, so scheint der Absatz beträchtlich werden zu können. Die Lage des Wercks ist sehr vortheilhaft – Es liegt hoch über der Ilm und das Flötz hat sehr wenig Falten – so daß sobald keine Wasserhaltungskosten eintreten dürften. Das Flötz liegt zwischen fettem bläulich grauen Thon, der sehr gut steht, und durch und durch mit unvollkommnen Frauenglaskrystallen gemengt ist. Das Flötz ist durch eine 6“ Bank von braunen Thon getheilt – das obere Flötz ist 6-8“ mächtig und das untere drey“. Die Kohle gehört zu keiner der bekannten Steinkohlenarten – Sie hat ein schiefriges Gefüge – und schimmert streifig. Sie soll im Großen gut und lebhaft brennen – Auf Kohlen im Kleinen probirt brannte sie mit schwacher bläulicher Flamme und roch im Mittel zwischen Erdkohle und Steinkohle. Die Schmiede sollen sie brauchen können. Sie ist weniger schwer, als die Steinkohle, aber beträchtlich schwerer, als die Erdkohle, mit der sie übrigens weniger Ähnlichkeit hat, als mit dem Alaunschiefer. Der Gyps im aufliegenden Thon, der viele Schwefelkies in der Kohle und die Nähe von Eckartsberge, wo sehr viel Alaunschiefer vorkommt, lassen mich vermuthen, daß es eine Annäherung zu diesem sey. Auf Alaun hab ich sie noch nicht probiren können. Jezt treiben sie nur VersuchsStrecken nach dem Streichen und Fallen – der ordentliche Abbau wird wohl strebeweise vorgerichtet werden müssen.
Mich interressirte das Werk wegen der Nähe unsrer Grenze und ich habe deswegen auch Ihnen etwas umständlicher davon geschrieben. Es wäre immer zu vermuthen, daß dieses Flötz auch in unserm Thüringen vorkäme, weshalb ich auch noch diesen Winter einige Touren zu machen gedenke. Eine Aussicht auf Erdkohlen in der Gegend von Weißensee werd ich in kurzen durch Bohrversuche auf dem Gute eines Freundes [Adolf Selmnitz] näher zu erörtern suchen.
Ich wünschte nur in der hiesigen Gegend noch größere Aussichten ausfindig machen zu können. Hoffentlich wird mein Vater ihnen den Erfolg der Unterhandlungen mit dem Herrn von Laue zu Voigtstedt geschrieben haben. Dieser verlangt eine Entschädigung pro praeterito mit der Hälfte des Profits, den die Saline gegen das Holz an der Erdkohlenfeurung gemacht hat und pro futuro die Bezahlung der Erdkohlen nach festen Sätzen. Er schien das Commissoriale an die Salinendirection für rechts widrig zu halten, und ohnerachtet der Hofrath Eisenhuth selbst gegen uns hierüber Zweifel äußerte, so muß ich doch gestehn, daß mir dieselben nicht einleuchteten, da bey gütlichen Unterhandlungen juristische Rücksichten nicht ins Spiel kommen und der Landesherr die Abschließung eines neuen Vergleichs selbst denen auftragen kann, die abseiten Seiner einen frühern und disceptabel gewordnen Contract abschlossen, ohne daß der Andre diese Commissarien perhorressciren kann, da hier von rechtlicher Entscheidung, die einer juristischen Commission, mithin fremder Commissarien bedarf, nicht die Rede ist. Äußerst auffallend war mir die Nachricht, daß die Landesregierung in Riestedt gegen das Privilegium exclusivum der Bergmänner für die Grundbesitzer entschieden hat, und der Zweifel des Hofraths an dem Rechte des Bergamts, das nur zur Verleihung von Steinkohlenwerken berechtigt seyn soll. Erstlich ist der juristische Unterschied zwischen Erdkohle und Steinkohle nicht passirlich – Beyde gehn in einander über, und unter dem Namen Steinkohle kann nichts anders gemeynt seyn, als jedes kohlige Fossil. Überdem begreift auch der Grund der Regalisirung der Steinkohle die Erdkohle mit, und wenn der Churfürst in dem Mandate von [17]43 ausdrücklich das bituminöse Holz mit frey giebt, weil man zu diesen Zeiten dasselbe schon oryktognostisch von den Steinkohlen unterschied, so muß es also vor diesem Zeitpunct mit zum landesherrlichen Eigenthum gerechnet worden seyn. Die Geognostische Verschiedenheit des Vorkommens ist auch nicht allgemein, da man auch Steinkohlenflötze in aufgeschwemmten Gebürgen antrift und beyde wircklich durch die Braunkohle der Flötztrappformation und den Alaunschiefer in einander übergehn. Einmal ist das Bergamt im Contradictorio gegen die Herrn v. Pfuhl schon im Besitz dieser Verleihung geschüzt worden und so scheinen mir allerdings die Ansprüche der Saline auf das Voigtstedtische Erdkohlenlager gesichert genug und ich sähe nicht ein, wie Laue mit Recht sowohl auf die Gerechtigkeit, als die Gnade des Churfürsten sich Rechnung machen könnte. Sein Advocat der Oberstadtschreiber Breyther in Sangerhausen ist als ein geschickter, aber auch rechtschaffner Mann bekannt, von dessen günstigen Einfluß man sich eine gütliche Beylegung versprechen dürfte.
Die Anfechtung des alten Vergleichs propter Laesionem ultra Dimidium fällt von selbst weg, wenn das praetendirte Kohleneigenthum wegfällt, und so kann die Saline den Ausgang der Sache um so ruhiger erwarten, da sie ohnedies in wenig Jahren des Erdkohlenbedürfnisses durch die Sonnensalzfabrication entübrigt seyn kann. Ich glaubte den Hofrath Eisenhuth auf diesen Gesichtspunct aufmercksam machen zu müssen, da derselbe vielleicht, wenn er durch Breythern an Lauen gelangte, diesen nachgiebiger machen möchte.
Wenn auch die Saline übrigens nicht in Zukunft weitern Gebrauch von diesem Wercke zu machen nöthig hätte, so wär es doch äußerst wünschenswerth, daß der Landesherr bewandten Umständen nach, alle beträchtlichen Kohlenlager acquiriren möchte um diese Naturschätze so vortheilhaft für das Land zu benutzen, als möglich, da sie gemeiniglich in den Händen der Privatleute unverantwortlich bewirthschaftet werden, wie dies z. B. gleich bey dem höchst wichtigen Riestädter Werke der Fall ist, seitdem es sich in den Händen der Bauern befindet. In Mertendorf hat man zwar die Strecke nach den Rathshügeln zu, die auf höchsten Befehl getrieben worden ist, wegen des Fallens des Flötzes und der eintretenden Wasser nicht ganz durchtreiben können – indeß ist doch gewiß geworden, daß die Kohle in diesem Zwischenraum in beträchtlicher [...]
Metadata Concerning Header
  • Date: [Anfang Dezember 1799]
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Julius Wilhelm von Oppel
  • Place of Dispatch: Artern · ·
  • Place of Destination: Dresden · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 297‒302.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: No. 16. Bl. 1-2; FDH Nr. 11847
Language
  • German

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