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Novalis to Julius Wilhelm von Oppel TEI-Logo

[Weißenfels, Ende Januar 1800.]
Ihr gütiger und in aller Hinsicht für mich erfreulicher Brief hat mich das Glück Ihrer Freundschaft in vollen Maaße empfinden lassen. Er ist für mich ein schönes Geschenk des neuen, hoffnungsvollen Jahres, das ich mit dem dankbarsten Herzen annehme. Möcht ich doch im Verlauf dieses Jahrs recht viel Gelegenheiten finden Ihnen meine innige Ergebenheit wenigstens indirect durch den thätigsten Eyfer Ihre wolwollende Aufmercksamkeit zu erhalten und noch mehr zu verdienen, beweisen zu können. Gewiß wird schon das Glück, was sie für die dankbarsten Menschen gestiftet haben, Zufriedenheit über ihr trefliches Herz verbreiten. Doch davon hernach, bis ich Sie von unsern Geschäftsangelegenheiten unterhalten habe. Der Bergrath Senf hat sich jezt über die Sonnensalzanstalten dahin geäußert, daß er statt des Holzes zu den Kästen, ein andres Material im Sinne habe. Ich bin um so neugieriger, da ich selbst an eine Steingutsmasse und an Dachschiefer gedacht habe. Wegen der Ersten, die gewiß leicht genug zu erfinden ist, ist es überhaupt wunderbar genug, daß wir in Deutschland noch nicht darauf gedacht haben, um den Engländern diesen einträglichen und nuzbaren Handelsartickel zu entziehn. Die richtigste Construction des Ofens, die nöthigen Zusätze und deren Verhältnisse würden sich bald durch einige Versuche finden lassen – An Thon fehlt es nirgends – und genaue Analysen und Proben der Thonsorten würden uns bald die schicklichste zu diesem Behuf finden lassen. Die Sorgfältige Reinigung des gemeinen Töpferthons würde schon die gemeinen Töpferwaaren verbessern. In Rücksicht der Bedeckungen, die ebenfalls noch viel Bret[t]er consumiren, sollte man vielleicht auf eine Art von Steinpapier denken, das ohnedem noch andern Nutzen gewähren könnte, als den man bisher davon zu erlangen gesucht hat. Das Schwedische muß der Beschreibung nach schon ein sehr vortheilhaftes Material zu leichten Bedeckungen abgeben und ist sehr wohlfeil. Ich werde sehn, welches zu bekommen, und vielleicht gäben die Mängel, die man daran bemerkte, Gelegenheit zu einer vorteilhaftem Composition. Bey einer neulichen Durchsicht der zum Behuf der Sonnensalzfabrication angestellten Abdampfungsversuche hab ich manches vermißt, was zu einer völligen Übersicht dieses Gegenstandes und richtiger darauf sich gründender Rechnungen und Anschläge unentbehrlich zu seyn scheint. So ist z. B. die thermometrische Wärme nicht dabey bemerckt, die doch von dem bedeutendsten Einfluß dabey ist. Um einen Anschlag über die Größe der Anstalt zu einem gegebenen Quanto mit möglichster Sicherheit, deren Nothwendigkeit die Unentbehrlichkeit des Produkts involvirt, entwerfen zu können, muß man die Schnelligkeit und Quantität der Verdampfung eines jeden Soolengrades, auf bestimmter und gleicher Oberfläche, bey jedem Grade der Temperatur genau erforscht haben. Schwierig sind die Versuche nicht, aber mühsam, und in aller Absicht, bey dem gänzlichen Mangel an theoretisch-practischen Arbeiten dieser Art, auch wissenschaftlich interressant. Mit diesen Datis muß man richtige Witterungsbeobachtungen von mehreren Jahren durchgehen und Summen der Stunden von einerley Wärmegraden ziehn, welches hier blos aus den Sommermonaten und von dem Kleinsten der erforderlichen Wärmegrade an, zu geschehn brauchte. So würde man für jedes Jahr die vorhanden gewesene nuzbare Wärme finden und darnach theils den Überschlag der Fläche machen können, die in jedem Jahre zu einer bestimmten Quantität Salz, aus der gegebenen Qualität der Soole, erforderlich gewesen wäre, oder wenn die Fläche festgesezt wäre, die Quantität Salz, die darauf zu erhalten gewesen, bestimmen können.
Mit der Dürrenberger Soole hab ich bereits einige Versuche gemacht, um ihre Verdampfbarkeit bey jedem Grade der Hitze zu bestimmen – Ich suche sie zu vervollständigen und dann aus 20jährigen Witterungstabellen die nöthigen Extracte zu machen. Vor Ostern denk ich damit fertig zu werden, und wenn auch nicht vollständige Data, doch viel wissenswürdige Resultate zu finden – doch treib ich es ganz im Stillen und will erst, wenn ich Früchte sehe, dem Bergrath Senf meine Arbeit mittheilen.
Soviel scheint gewiß, daß eine auffallende Regelmäßigkeit unter den jährlichen Summen der Wärme herrscht, so mannichfach auch ihre Vertheilung ist – und selbst einzelne Monate scheinen, Durchschnitten zu Folge, mehrere Jahre hindurch sich gleich zu bleiben. Unbedeutendere Einflüsse kann man füglich bey großen Berechnungen weglassen. So hat die Lufttrockenheit allerdings einige Wirckung auf die mehrere Verdampfung, aber theils ist dieselbe nie von einer Bedeutung, die die Rechnung mercklich verändern dürfte, theils ist ihre Bestimmung durch die Hygrometer immer äußerst schwankend und unvollständig – so daß sich wenig ächte Resultate daraus ziehn lassen. Die Wärme ist das Hauptagens und daher bey großen Unternehmungen nur ihre Veränderung in Betracht zu ziehn, die das Thermometer auch richtig genug angiebt.
Die Verdampfbarkeit der Flüssigkeiten ist noch ein unbearbeitetes Feld. Es ist schade, daß unsre großen Physiker gerade die für die Praxis wichtigsten Puncte der Theorie vernachlässigen und bey so viel Arbeiten über einzelne Puncte, so wenig systematische, erschöpfende Arbeiten übernommen werden. In Deutschland haben wir außer Richter in Breslau, Schmidt in Gießen und Mayer in Göttingen, wenig Chemiker, die dergleichen Gegenstände bearbeitet hätten.
Die französischen Chemiker zeichnen sich hierinn vortheilhaft aus, und auch Bergmann, Scheele und Kirwan, selbst Wenzel und noch einige Ältere haben schätzbare Abhandlungen dieser Art geliefert, die freylich jezt wegen höher gestiegner Experimentirkunst und durch mannichfaltige neue Hülfsmittel von ihrer Brauchbarkeit verloren haben.
Über unsre Kunstgezeuge sind in diesem Jahr merckwürdige Beobachtungen gemacht worden, die ihre Zulänglichkeit zu beweisen scheinen. Neuerlich hat auch der Condukteur Bischoff über die Dürrenberger Kunstgezeuge einen Aufsatz eingereicht, der diese angenehme Hoffnung bestätigt. Zu viel Pumpen und zu enge Pumpen haben die Wircksamkeit der Maschine gehemmt – und wenigere und weitere Pumpen werden durch vermehrte Geschwindigkeit des Rades bey gleicher Wassermenge ungleich mehr leisten. Kommt noch sorgfältigere Wartung des Gezeugs, Simplificirung des Gestänges und Verbesserung der Kolben hinzu, so werden unsre Maschinen gewiß für die Gradirung hinlänglich seyn. Es wäre dann vielleicht nüzlich noch Tabellen über den Gang der Kunstgezeuge einzuführen, die zugleich eine Controlle für die Gradirung abgeben würden.
Über den Debit und die Fabrication des vorigen Jahrs wird schon mein Vater Ihnen geschrieben haben. Salzmangel wird hoffentlich nicht eintreten, ohnerachtet das Jahr im Ganzen sehr gering ausgefallen ist. Eine artige Übereinstimmung, die für die Genauigkeit der Gradiermeister in Artern und Dürrenberg zu sprechen scheint, findet sich in den Witterungstabellen beyder Orte. In D[ürrenberg] und A[rtern] sind 175 Tage gewesen, an denen der Witterung wegen nicht [hat] gradirt werden können. Außerdem sind in Dürrenberg noch 12 Tage wegen zu großen Wasserstandes ausgefallen – welches für D[ürrenberg] schon 187 Tage Verlust ausmacht.
Bey der Gradirung glaub ich noch manche nöthige Bestimmungen zu vermissen. Es ist besonders die vollständige Auflösung des Problems, bey einer gegebenen Größe der Gradiranstalt den in Rücksicht auf die Sicherheit nöthige Quantität vortheilhaftesten Grad der Qualität bey jeder Beschaffenheit der Witterung zu bestimmen. Genaue und vollständige Tabellen können allein die empirischen Data zu dieser Bestimmung liefern. Die Eintheilung der Fälle, die vielleicht veränderlich seyn sollte, so gut, wie die Stellung der Hähne und der Zufluß der Soole würde hiernach genau regulirt werden können. Vielleicht seh ich den Bergrath Werner bald und da will ich ihm alle meine Nachrichten über die Erdkohlen vor der Hand privatim mittheilen und mir seinen Rath über manche Puncte dabey ausbitten. Dem Berichte wünscht ich eine Vollständigkeit und Umständlichkeit zu geben, die der Wichtigkeit des Gegenstand[s] angemessen ist – die mir aber die Erwartung des Frühjahrs zu einigen erforderlichen Reisen nöthig macht. Ganz abgerissen kann ein geognostischer Gegenstand nicht behandelt werden, ohne sehr viel zu verlieren – man muß mit den Flötz, mit den Steinkohlen– und den aufgeschwemmten Gebürgen sich bekannt gemacht haben, um eine bedeutende Übersicht eines einzelnen Gliedes dieser Kette entwerfen zu können. Der ehrenvolle, geognostische Auftrag kommt mir hier sehr zu statten und begreift gerade die Gegend, die mir noch am fremdesten ist, und deren Kenntniß mich um einen großen Schritt jener Übersicht näher bringt, da nach dieser Seite zu die hiesige neuere Gegend sich zunächst an die Ur und Übergangsgebürge anschließt, und jener District die reichsten noch zum Theil unbenuzten Erdkohlen Niederlagen befaßt.
Die Nachricht von der durch das Reichsche Mittel bewürckten Besserung der Hofräthin Manteuf[f]el hat uns sämtlich unendliche Freude gemacht. Es ist schön, daß dieses Mittel der Menschheit so große Vortheile verspricht und eine trostreiche Aussicht auf die Befreyung von so manchen fürchterlichen Feinden gewährt. Curt Sprengel in Halle glaubt das Mittel errathen zu haben. Er sagt, daß ihn das Studium der Arabischen Aerzte zu dieser Entdeckung geholfen und äußert sich sehr freundschaftlich und günstig gegen Reich. Er hat seine Entdeckung bey einigen Aerzten niedergelegt, und will Reichen nicht vorgreifen, um ihn nicht einen Theil seiner verdienten Entschädigung zu entziehn.
Ich komme nun zu dem Schlusse ihres Briefs, der mich zu einer offnen Mittheilung meiner Privatangelegenheiten ermuntert. Ihre freundschaftliche Güte muntert mich auf Sie mit der Geschichte meiner lezten Jahre bekannt zu machen. Ihr freundschaftliches Interresse an meiner Personalität läßt Sie diesen Beweis meines gänzlichen Zutrauns gewiß gütig aufnehmen und es würde mich unendlich freun, wenn Ihr Herz meinen Handlungen beyfällig wäre. Mein Onkel, der im Deutschen Orden ist, hatte von Kindheit auf mir vorzüglich seine Gnade angedeihen lassen und eine besondre Sorge für meine Erziehung getragen. Mein Vater stand von seiner Jugend an in den engsten Verbindungen mit diesem in aller Absicht vortrefflichen Mann. Seine Verhältnisse zu ihm waren aber immer mehr die Verhältnisse eines Sohns zum Vater, als die eines Bruders zum Andern. Meines Onkels Charakter ist unerschütterliche Rechtschaffenheit und die strengste Anhänglichkeit an seine Grundsätze. Sein Verstand hat die Cultur eines alten Weltmanns, aber auch dessen Eingeschränktheit. Von jeher verzog ihn das Glück. Dürftigkeit fühlte er nie und mithin lernte er auch nie die Erträglichkeit der Einschränkung auf die unentbehrlichsten Bedürfnisse und die Entschädigungen des Herzens und Geistes für tausend Bequemlichkeiten des Wollebens kennen. In der großen Welt wuchs er auf und lebte unaufhörlich in ihren Kreisen. Ohne Fantasie und gewöhnt die Bedürfnisse des Herzens aus dem Gesichtspunct der Klugheit zu beurtheilen, und den Ansprüchen des äußern Ansehns und Glanzes unterzuordnen verlor er im Laufe seines Lebens den Sinn für ihre Foderungen, und opferte selbst seiner Meynung und Familie seine Neigungen.
Er gab mir von Jugend auf Gelegenheit meine Eitelkeit zu befriedigen und versprach sich von meiner Lebhaftigkeit einen glänzenden Erfolg. Er schmeichelte mir mit den angenehmsten Hoffnungen eine Rolle in der Welt zu spielen und gewiß hätt er mich auf einer solchen Laufbahn auf das wärmste unterstüzt. So ergeben mein Vater auch übrigens meinem Onkel war, so ähnlich auch in manchen Gesinnungen, so wich er doch in diesem Stück sehr von ihm ab und brachte uns durch Beyspiel und Reden eine Verachtung des äußren Glanzes bey. Er ermahnte uns zum Fleis und zur Genügsamkeit und äußerte seine Freude, wenn wir unserm Herzen folgten, ohne Rücksicht auf die Meynung der Welt zu nehmen. Er pries uns das Glück einer stillen, häuslichen Lage und bat uns oft nie aus Rücksichten des Interresse, und der Ambition zu handeln und zu wählen. Mein Onkel hieng an den Vorzügen des Standes und der Geburt und mein Vater lächelte über beydes. Ich gieng auf Academieen mit den eitlen Hoffnungen meines Onkels voll, und entzündet von Verlangen die große Welt zu betreten. Eine reiche Parthie hofft ich sollte mir den Weg zu diesem Eldorado bahnen und ich glaubte ein tiefes Studium der Jurisprudenz nicht eben sehr nöthig zu haben. Zum Glück hatt ich von frühen Zeiten an einen unüberwindlichen Hang zu den schönen Wissenschaften bekommen, und dieser hatte schon manche Collisionen mit meiner Weltsucht gehabt. Mein Onkel hatte mir oft schon vergebens das Ridicule eines Schöngeistes gezeigt und wenn ich auch im Gefühl dieser Lächerlichkeit mich wohl in Acht nahm meine Vorliebe blicken zu lassen, so konnte ich doch im Stillen nicht unterlassen diese reitzenden Beschäftigungen zu verfolgen.
In Jena kam ich in genaue Bekanntschaft mit ausgezeichneten Gelehrten und die Liebe zu den Musen gewann, je mehr mich die Mode der damaligen Democratie abtrünnig von dem alten aristocratischen Glauben machte. Die Philosophie wurde mir interressant, ich war aber viel zu flüchtig um es weiter als zu einer Geläufigkeit in der philosophischen Sprache zu bringen. Ich kam nach Leipzig und gerieth dort in reitzende Gesellschaften, die mich wieder zurük zu den ehemaligen Aussichten und Wünschen führten und meine Eitelkeit wieder lebhaft rege machten. Zuerst erwachte dort mein Herz und eine lebhafte Leidenschaft für ein Mädchen, die Sie wohl kannten, die jetzige Mad[ame] Jourdan in Berlin ließ mich auf einmal einen Mittelweg ergreifen, nemlich den Soldatenstand. Die Vorurtheile der Welt waren mir hier zu dieser Parthie weniger hinderlich und doch konnt ich ein freyes und poëtisches Leben führen. Jezt zerfiel ich mit meinem Onkel zuerst. Meine Geliebte entfernte sich von mir nachdem ich schon entscheidende Schritte zur Veränderung meiner Lage gethan hatte, und meine Eltern wandten alle Mittel an, um meinen Entschluß umzustimmen. Es gelang Ihnen durch allerhand Künste, und ich wurde gewissermaaßen gezwungen nach Wittenberg zu gehn und zu der Jurisprudenz zurückzukehren. Mein Mißgeschick weckte meine Ambition und mein Glück führte mir vortreffliche Lehrer zu – so daß in fünf Vierteljahren das Versäumte nachgeholt und ich examinirt war. Diesem Zeitraume dank ich die Fähigkeit mich mit unangenehmen und mühsamen Gegenständen anhaltend beschäftigen zu können. Mein Onkel war mittlerweile mit mir ausgesöhnt und dachte auf Erneuerung seiner alten Projecte. Der Minister Hard[enberg] schien sich meiner annehmen zu wollen und ich sah mich endlich dem ehmaligen Ziele, einer Laufbahn in der großen Welt nahe – Die Zwischenzeit bis zu nähern Nachrichten vom M[inister] glaubte mein Vater mir durch Übung in schriftlichen Arbeiten in einem Amte nüzlich machen zu können und ich kam nach Tennstedt. Ich war noch nicht lange in Tennstedt gewesen, als ich die Bekanntschaft des unvergeßlichen Mädchens machte, der ich meinen Character zu verdanken habe. Sie war nicht von Familie und arm – Nun war die Zeit der Thorheiten und Frivolitaeten vorüber und ich sah mich beym Eintritt in das männliche Leben von der edelsten Gestalt begrüßt, und auf ewig gefesselt. Solang ich in Tennstedt war, und den Unterricht meines Freundes Just genoß, und mit vollen Eyfer dem Studio der sächsischen Rechte und Verfassung oblag und meine Nebenstunden alten Lieblingsideen und einer mühsamem Untersuchung der Fichtischen Philosophie widmete, erfuhr mein Vater von meinen Verhältnissen nichts. Jener Plan mit dem M[inister] wurde jedoch indeß aufgegeben – Mein Vater wünschte mich bey sich zu behalten und wollte seinem Verwandten keine Verbindlichkeit schuldig seyn. Ich willigte gern ein, weil ich einsah, daß ich den Besitz meiner Geliebten am leichtesten in der Nähe meines Vaters und durch Annahme seines Plans, mich zum Salinisten zu bilden, erlangen würde. Mein Vater war zwar anfänglich nicht mit meiner Verbindung zufrieden, die ich ihm bey meiner Zuhausekunft entdeckte, indeß sein Herz nahm keinen Anstoß an ihrer Geburt und ihrem Mangel an Vermögen – Er erkannte meine vortheilhafte Veränderung durch Sie und nahm den zärtlichsten Antheil an Ihr, wie er sie kennen lernte. Sie wurde tödtlich kranck – in den lezten Monaten ihres Lebens wurde mein Onkel mit dieser Verbindung bekannt und kündigte mir alle Freundschaft auf – zürnte mit meinem Vater und regte diesen selbst wieder gegen mich auf. Meine Noth war unbeschreiblich – ein entsezliches Vierteljahr vergieng, während dem mein Onkel in Weißenfels blieb, und uns allen, besonders mir das Leben verbitterte und die Besuche bey meiner armen Geliebten erschwerte. Meine guten Geschwister nahmen alle den innigsten, schmerzhaftesten Antheil und mein seliger Bruder verlor durch seine dreiste Liebe zu mir die Gunst meines Onkels ebenfalls und litt in den lezten gesunden Tagen seines Lebens an Gram und Bekümmerniß. Noch während der Anwesenheit meines Onkels ward Sie diesem Leben entrissen, und in kurzer Zeit folgte ihr mein Bruder. Der tiefe Schmerz meines Vaters, mein bodenloses Elend, die Thränen meiner Familie und manche Betrachtungen über die Rolle, die er in diesen Tagen gespielt hatte, mochten ihn tief erschüttert haben. Mein Unwillen gegen ihn ist längst erloschen. Jede gehässige Empfindung schwand mit der Blüthe meines Lebens, und jene Heilige Asche wird ewig die Glut meines Herzens, und meine Sehnsucht nach Frieden und Liebe erhalten. Seitdem ist mein Onkel gänzlich von mir getrennt und bewahrt tiefen Unwillen gegen mich. Was nun folgte in meiner äußern Lage und in Rücksicht meiner Thätigkeit, das wissen Sie schon – aber noch war Ihnen eine Begebenheit nicht bekannt, die den Sommer meines Lebens erheitert, meiner Thätigkeit eine neue Gewähr verschaffte, und meine Grundsätze durch haltbare, äußre Verhältnisse unabänderlich bevestigt hat.
Sie können sich gewiß leicht die Leere eines Herzens vorstellen, das 3 Jahre in der süßesten Verbindung gelebt und den Widerwillen gegen eine Geschäftigkeit und Lage, die jenes Verhältniß nothwendig gemacht hatte, und das nun aufgelößt war. Durch Thielemanns Freundschaft wurde ich mit dem Charpentierschen Hause näher bekannt. Ich hatte noch oft Anwandlungen von tiefer Trauer und Ängstlichkeit, die mir jede herzliche Theilnahme, jede milde, stille Geselligkeit unendlich wünschenswerth machten. Ich glaubte nicht lange mehr zu leben und schloß mich daher an freundliche Menschen mit doppelter Innigkeit an. Sie kennen Julien Charpentier und es wird Sie gewiß nicht wundern, daß das sanfte, bescheidne Wesen dieses liebenswürdigen Mädchens mich bald vorzüglich in meiner Stimmung anziehn und mir Zutraun zu ihr einflößen mußte. Sie ward mir nach und nach unentbehrlich, ohne daß ich ahndete, daß ich mit ihr in festere Verhältnisse kommen solle. Die Kranckheit ihres Vaters zeigte mir die glänzende Seite ihres Herzens in vollem Lichte – Die zärtliche Sorgfalt, die vielen Nachtwachen schadeten ihr und im Sommer 98 wurde sie selbst von einem fürchterlichen Übel, dem Gesichtsschmerz, befallen. Ich ward nach einem neuen Verluste einer alten Freundinn, der Erzieherinn meiner Sofie, auch krank, mußte nach Toeplitz und fand sie bey meiner Zurückkunft in diesem peinlichen Zustande. Jezt erst fiel mir der Gedanke ihr mein Leben zu widmen lebhaft ein. Ich sah, daß ohne eine liebende Gehülfin das Leben und jede Theilnahme an weltlichen Angelegenheiten mir eine drückende Last seyn und bleiben würde – Juliens ganze Lage stellte sich mir lebhaft vor Augen – ich wußte, daß ich nie eine treuere, zuverlässigere und zärtlichere Gattin finden könnte – fühlte, daß eine beschränkte meinen Fleis aufregende Lage mir vortheilhaft seyn, und Kein Mädchen mir dieselbe leichter ertragen helfen würde – war überzeugt, daß ich Ihrentwillen keine Aufopferung scheuen und Ihr vielleicht durch meinen Entschluß eine unangenehme Zukunft ersparen würde – Alte Verbindlichkeiten glaubte ich durch Übernahme derselben Beschwernisse abtragen zu können – ich sah die ehmaligen Schwierigkeiten – aber auch die veränderten Umstände – ich verließ mich auf Fleis und gütige Vorsehung und bot J[ulien] meine Hand an. Gleich anfänglich war ich Willens meinen Vater zum ersten Vertrauten und Rathgeber zu machen. Ich kannte seine mir günstigen Grundsätze, wußte daß ihn Offenheit unendlich rührt, und verließ mich auf die gänzliche Entfernung des Onkels von mir, der jezt wohl nicht mehr den alten Antheil an seinen fremdgewordnen Neveu nehmen würde. So wenig mir dieser Plan gelang, indem mein Vater zu früh etwas erfuhr und durch Zufälle meine Mutter und Geschwister früher unterrichtet wurden, so freundlich bewies sich mir das Schicksal durch die Erwerbung von Werners Freundschaft, und der Ihrigen. So einverstanden nun meine Mutter und Geschwister mit mir sind, und so gütig Juliens Eltern Ihr den Umgang mit mir erlaubten, wenn ich gleich keinen feyerlichen Schritt bey Ihnen that und Sie nur durch J[ulie] umständlich mit meinen Hoffnungen und Plänen bekannt machte, so war doch mein Vater besonders anfänglich sehr unzufrieden mit meinem Schritt und nöthigte mich zum gänzlichen Stillschweigen. Jezt scheint er seine Gesinnungen geändert zu haben und ich hoffe bald mich seiner Einwilligung erfreuen zu können. Ich ehre seine Bedenklichkeiten, die allein aus seinem väterlichen Wolwollen entspringen! Er sieht sich unvermögend mich beträchtlich zu unterstützen und traut mir nicht zu mich in die eingeschränkte Lage finden zu können, die in den ersten Jahren mir bevorsteht. Er fürchtet mich in Noth gerathen zu sehn und dies hält ihn zurück.
Er hätte völlig Recht, wenn J[ulie] nicht ein Mädchen wäre, die aus Liebe zu mir gern jede Unbequemlichkeit einer beschränkten Lage übernähme, und wenn ich kostspielige Bedürfnisse hätte. Ihre Freundschaft hat mir 400 rch. verschafft. Schießt mir mein Vater nur die ersten Jahre noch hundert Thaler jährlich vor und verschafft mir Annehmlichkeiten durch seinen Garten und die freye Anfuhre von Erdkohlen, so hab ich ein Auskommen, wovon viele bürgerliche Familien mit mehreren Personen leben müssen. Veränderungen in meiner Familie können meines Vaters Lage vielleicht bald verbessern und sollt ich ja einige Schulden machen müssen, so sezt mich mein künftiges Vermögen in Stand sie leicht wieder zu bezahlen. Ich will nicht besser, als so viele rechtliche und brave Menschen leben – ich habe mich mit Preisen und Bedürfnissen genau bekannt gemacht – und kann, was ich Ihnen ganz allein vertraue, meine Nebenstunden zu einträglichen litterairischen Arbeiten benutzen. Einst lohnt mich für tausend Mühseligkeiten ein erhebendes Bewußtseyn[,] J[uliens] Liebe und Dank und der Beyfall meiner trefflichen Freunde.
Sie wissen nun alles und nun kann ich Ihnen erst sagen, welchen grenzenlosen Dank ich Ihnen schuldig bin, wie glücklich Sie Julien und mich machen und wie dankbar Ihnen auch dieses treffliche Mädchen ist. Sie verbreiten ein herrliches Glück über unser Leben und gewiß freut sie dieser wolthätige Antheil an dem Leben des dankbarsten Paars. Ich weis, daß auch mein Freund Werner Julien innig schäzt und sich herzlich über meine Wahl freuen wird, so entfernt er auch übrigens vom alten Charpentier ist, den ich, als den Vater meiner Geliebten ehre, ohne Notiz von seinen Verhältnissen und Meynungen zu nehmen.
Verzeihn Sie die Umständlichkeit meiner Erzählung – Ich mußte Sie ganz mit meiner Lage bekannt machen, wenn ich Ihnen einen Beweis meines wahren, herzlichen Zutrauns geben wollte.
Nehmen Sie ihn gütig auf – und bestätigen Sie meinen Glauben an Ihr freundschaftliches Herz und die Zuversicht der lebenslänglichen Fortdauer Ihrer gütigen Gewogenheit, mit der ich verharre
Ihr
Sie innigverehrender
Diener und Freund
Fridrich v. Hardenberg.





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  • Date: [Ende Januar 1800]
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Julius Wilhelm von Oppel ·
  • Place of Dispatch: Weißenfels · ·
  • Place of Destination: Dresden · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 304‒314.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: No. 5, Bl. 1-2; Nr. 18, Bl. 1-2, Nr. 6, Bl. 1a; FDH Nr. 11896
Language
  • German

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