[Weißenfels, 23. Februar 1800. Sonntag]
Es thut mir herzlich leid, daß Du noch immer Dein Kniereißen nicht los bist. Hoffentlich hast Du alles gebraucht, was in solchen Fällen versucht wird – als warme Bäder, Bandagen von Wachstaffent, Elektricität, Guajac und Tafia, Säuren und Mercurialmittel. Gern hätt ich Dich besucht – aber bis jezt war es nicht möglich – Du mußt im Frühjahr nach Toeplitz gehn, wenn es sich nicht verliert. Ich kann mir denken, daß Du sehr gelitten hast – Mich wundert, daß Du dabey so heitern Sinns geblieben bist, um so schöne Sachen auszudenken. Ich höre, daß Du eine wundersame Melusine gedichtet hast. Auf alles bin ich gespannt – besonders auch auf Dein Gedicht über Böhme. Fridrich [Schlegel] verharrt in Müßiggänge und hat nichts, als einige Gedichte, von denen ich mehr zu wissen wünschte, zu stande gebracht. Du hast Dich mit Wilhelm zum gemeinschaftlichen Angriff des Cervantes verbunden, welches eine angenehme Aussicht eröffnet. Ich bin würcklich sehr fleißig – Wenn Du die mannichfaltigen Zerstreuungen, Zeitverluste und Geschäfte meines Berufs kenntest, so würdest Du mir ein gutes Lob ertheilen, daß ich soviel nebenbey gemacht habe. Mein Roman ist im vollen Gange. 12 gedruckte Bogen sind ohngefähr fertig. Der ganze Plan ruht ziemlich ausgeführt in meinem Kopfe. Es werden 2 Bände werden – der Erste ist in 3 Wochen hoffentlich fertig. Er enthält die Andeutungen und das Fußgestell des 2ten Theils. Das Ganze soll eine Apotheose der Poësie seyn. Heinrich von Afterdingen wird im 1sten Theile zum Dichter reif – und im Zweyten, als Dichter verklärt. Er wird mancherley Aehnlichkeiten mit dem Sternbald haben – nur nicht die Leichtigkeit. Doch wird dieser Mangel vielleicht dem Inhalt nicht ungünstig. Es ist ein erster Versuch in jeder Hinsicht – die erste Frucht der bey mir wieder erwachten Poësie, um deren Erstehung Deine Bekanntschaft das größeste Verdienst hat. Unter Speculanten war ich ganz Speculation geworden. Es sind einige Lieder drinn, nach meiner Art. Ich gefalle mich sehr in der eigentlichen Romanze.
Ich werde mannichfachen Nutzen von meinem Roman haben – der Kopf wimmelt mir von Ideen zu Romanen und Lustspielen. Sollt ich Dich bald sehn, so bring ich eine Erzählung und ein Märchen aus meinem Roman zur Probe mit.
Jacob Böhm les ich jezt im Zusammenhange, und fange ihn an zu verstehn, wie er verstanden werden muß. Man sieht durchaus in ihm den gewaltigen Frühling mit seinen quellenden, treibenden, bildenden und mischenden Kräften, die von innen heraus die Welt gebären – Ein ächtes Chaos voll dunkler Begier und wunderbaren Leben – einen wahren, auseinandergehenden Microcosmus. Es ist mir sehr lieb ihn durch Dich kennen gelernt zu haben – Um so besser ist es, daß die Lehrlinge ruhn – die jezt auf eine ganz andre Art erscheinen sollen – Es soll ein ächtsinnbildlicher, Naturroman werden. Erst muß Heinrich fertig seyn – Eins nach den Andern, sonst wird nichts fertig. Darum sind auch die Predigten liegen geblieben und ich denke sie sollen nichts verlieren. Wenn die Litt[eratur] Zeit[ung] nicht so jämmerlich wäre, so hätt ich Lust gehabt eine Recension von Wilh[elm] Meist[ers] L[ehrjahren] einzuschicken – die freylich das völlige Gegenstück zu Fridrichs Aufsatze seyn würde. Soviel ich auch aus Meister gelernt habe und noch lerne, so odiös ist doch im Grunde das ganze Buch. Ich habe die ganze Recension im Kopfe – Es ist ein Candide gegen die Poësie – ein nobilitirter Roman. Man weiß nicht wer schlechter wegkömmt – die Poësie oder der Adel, jene weil er sie zum Adel, dieser, weil er ihn zur Poësie rechnet. Mit Stroh und Läppchen ist der Garten der Poësie nachgemacht. Anstatt die Comoediantinnen zu Musen zu machen, werden die Musen zu Comoediantinnen gemacht. Es ist mir unbegreiflich, wie ich so lange habe blind seyn können. Der Verstand ist darinn, wie ein naïver Teufel. Das Buch ist unendlich merckwürdig – aber man freut sich doch herzlich, wenn man von der ängstlichen Peinlichkeit des 4ten Theils erlößt und zum Schluß gekommen ist. Welche heitre Fröhlichkeit herrscht nicht dagegen in Böhm, und diese ists doch allein, in der wir leben, wie der Fisch im Wasser – Ich wollte noch viel darüber sagen, denn es ist mir alles so klar und ich sehe so deutlich die große Kunst, mit der die Poësie durch sich selbst im Meister vernichtet wird – und während sie im Hintergründe scheitert, die Oeconomie sicher auf festen Grund und Boden mit ihren Freunden sich gütlich thut, und Achselzuckend nach dem Meere sieht.
Mein Bruder grüßt Dich herzlich – auch meine Eltern und Sidonie nehmen den wärmsten Antheil an Deinen Widerwärtigkeiten, und lassen euch freundschaftlich grüßen. Wegen meiner Lieder hast Du nicht ganz Unrecht. Fridrichen sage, daß es gut sey, wenn er das Wort Hymnen wegließe. Über das Gedicht selbst mündlich mehr. Grüße die [...] gern das Frühjahr zu unserer Zusammenkunft erwarte – entschuldige mich, daß ich nicht selbst Fridrichen [...]
Es thut mir herzlich leid, daß Du noch immer Dein Kniereißen nicht los bist. Hoffentlich hast Du alles gebraucht, was in solchen Fällen versucht wird – als warme Bäder, Bandagen von Wachstaffent, Elektricität, Guajac und Tafia, Säuren und Mercurialmittel. Gern hätt ich Dich besucht – aber bis jezt war es nicht möglich – Du mußt im Frühjahr nach Toeplitz gehn, wenn es sich nicht verliert. Ich kann mir denken, daß Du sehr gelitten hast – Mich wundert, daß Du dabey so heitern Sinns geblieben bist, um so schöne Sachen auszudenken. Ich höre, daß Du eine wundersame Melusine gedichtet hast. Auf alles bin ich gespannt – besonders auch auf Dein Gedicht über Böhme. Fridrich [Schlegel] verharrt in Müßiggänge und hat nichts, als einige Gedichte, von denen ich mehr zu wissen wünschte, zu stande gebracht. Du hast Dich mit Wilhelm zum gemeinschaftlichen Angriff des Cervantes verbunden, welches eine angenehme Aussicht eröffnet. Ich bin würcklich sehr fleißig – Wenn Du die mannichfaltigen Zerstreuungen, Zeitverluste und Geschäfte meines Berufs kenntest, so würdest Du mir ein gutes Lob ertheilen, daß ich soviel nebenbey gemacht habe. Mein Roman ist im vollen Gange. 12 gedruckte Bogen sind ohngefähr fertig. Der ganze Plan ruht ziemlich ausgeführt in meinem Kopfe. Es werden 2 Bände werden – der Erste ist in 3 Wochen hoffentlich fertig. Er enthält die Andeutungen und das Fußgestell des 2ten Theils. Das Ganze soll eine Apotheose der Poësie seyn. Heinrich von Afterdingen wird im 1sten Theile zum Dichter reif – und im Zweyten, als Dichter verklärt. Er wird mancherley Aehnlichkeiten mit dem Sternbald haben – nur nicht die Leichtigkeit. Doch wird dieser Mangel vielleicht dem Inhalt nicht ungünstig. Es ist ein erster Versuch in jeder Hinsicht – die erste Frucht der bey mir wieder erwachten Poësie, um deren Erstehung Deine Bekanntschaft das größeste Verdienst hat. Unter Speculanten war ich ganz Speculation geworden. Es sind einige Lieder drinn, nach meiner Art. Ich gefalle mich sehr in der eigentlichen Romanze.
Ich werde mannichfachen Nutzen von meinem Roman haben – der Kopf wimmelt mir von Ideen zu Romanen und Lustspielen. Sollt ich Dich bald sehn, so bring ich eine Erzählung und ein Märchen aus meinem Roman zur Probe mit.
Jacob Böhm les ich jezt im Zusammenhange, und fange ihn an zu verstehn, wie er verstanden werden muß. Man sieht durchaus in ihm den gewaltigen Frühling mit seinen quellenden, treibenden, bildenden und mischenden Kräften, die von innen heraus die Welt gebären – Ein ächtes Chaos voll dunkler Begier und wunderbaren Leben – einen wahren, auseinandergehenden Microcosmus. Es ist mir sehr lieb ihn durch Dich kennen gelernt zu haben – Um so besser ist es, daß die Lehrlinge ruhn – die jezt auf eine ganz andre Art erscheinen sollen – Es soll ein ächtsinnbildlicher, Naturroman werden. Erst muß Heinrich fertig seyn – Eins nach den Andern, sonst wird nichts fertig. Darum sind auch die Predigten liegen geblieben und ich denke sie sollen nichts verlieren. Wenn die Litt[eratur] Zeit[ung] nicht so jämmerlich wäre, so hätt ich Lust gehabt eine Recension von Wilh[elm] Meist[ers] L[ehrjahren] einzuschicken – die freylich das völlige Gegenstück zu Fridrichs Aufsatze seyn würde. Soviel ich auch aus Meister gelernt habe und noch lerne, so odiös ist doch im Grunde das ganze Buch. Ich habe die ganze Recension im Kopfe – Es ist ein Candide gegen die Poësie – ein nobilitirter Roman. Man weiß nicht wer schlechter wegkömmt – die Poësie oder der Adel, jene weil er sie zum Adel, dieser, weil er ihn zur Poësie rechnet. Mit Stroh und Läppchen ist der Garten der Poësie nachgemacht. Anstatt die Comoediantinnen zu Musen zu machen, werden die Musen zu Comoediantinnen gemacht. Es ist mir unbegreiflich, wie ich so lange habe blind seyn können. Der Verstand ist darinn, wie ein naïver Teufel. Das Buch ist unendlich merckwürdig – aber man freut sich doch herzlich, wenn man von der ängstlichen Peinlichkeit des 4ten Theils erlößt und zum Schluß gekommen ist. Welche heitre Fröhlichkeit herrscht nicht dagegen in Böhm, und diese ists doch allein, in der wir leben, wie der Fisch im Wasser – Ich wollte noch viel darüber sagen, denn es ist mir alles so klar und ich sehe so deutlich die große Kunst, mit der die Poësie durch sich selbst im Meister vernichtet wird – und während sie im Hintergründe scheitert, die Oeconomie sicher auf festen Grund und Boden mit ihren Freunden sich gütlich thut, und Achselzuckend nach dem Meere sieht.
Mein Bruder grüßt Dich herzlich – auch meine Eltern und Sidonie nehmen den wärmsten Antheil an Deinen Widerwärtigkeiten, und lassen euch freundschaftlich grüßen. Wegen meiner Lieder hast Du nicht ganz Unrecht. Fridrichen sage, daß es gut sey, wenn er das Wort Hymnen wegließe. Über das Gedicht selbst mündlich mehr. Grüße die [...] gern das Frühjahr zu unserer Zusammenkunft erwarte – entschuldige mich, daß ich nicht selbst Fridrichen [...]