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Erasmus von Hardenberg to Novalis TEI-Logo

[Wermsdorf, den 6. Dezember 1794, Sonnabend]
Bestes Brüderchen!
Heute früh, als es noch finster war, schickte ich schon hinüber in die Post, um mir Deinen Brief holen zu lassen; so groß war meine Sehnsucht, etwas von Dir zu hören, so fest mein Vertrauen auf Deine Pünktlichkeit im Antworten! Besonders in diesen kritischen Zeitläuften! Und Du kannst nicht glauben, wie unendlich ich mich freute, daß Du meine Erwartungen nicht getäuscht hattest.
Wie freue ich mich, daß Du so schnell geantwortet. Das Gefühl, einen Bruder zu haben, auf den man sich selbst bei Kleinigkeiten unumstößlich fest verlassen kann, auf dessen Worte man wie auf Felsen bauen kann, tauschte ich nicht um alle Schätze und Güter dieser Erden! – Nur die Möglichkeit, die große Hälfte des einen, und zwar (das dächt ich, wüßtest Du) des mir Liebsten zu verlieren, kann mich bewegen, Dir noch einiges, vielleicht Deinen Wünschen und Deiner jetzigen Denk- und Handlungsweise nicht ganz Gemäßes über Deinen gegenwärtigen Lebensplan mit Freimütigkeit zu sagen! Am Ende meines Briefes werde ich Dir die Wahrscheinlichkeit eines solchen Verlustes, wenn Du sie nicht schon selbst einsiehst, klar und deutlich zeigen, vor jetzt höre mich und überlege, was ich sage. – –
Außerordentliche Menschen müssen außerordentliche Schicksale haben, ohnstreitig gehörst Du zu den ersteren, also müssen die letztern Deine Begleiter sein! Nur Du konntest Dich so von dem tummelvollen Schauplatz dieser Welt, wo Du ohne Zweifel eine brillante Rolle spieltest, in die anspruchlosere Einförmigkeit des bürgerlichen, in den stillen Frieden des häuslichen Lebens zurückziehen. Dem ersten Anschein nach muß dies einem jeden, der Dich und Deine Verhältnisse vorher so genau kannte als ich, äußerst paradox vorkommen, im Grunde ist es aber würklich das gar nicht. En alltäglicher Mensch, dem die Natur mit gewöhnlichen Talenten, mit einer frommen Phantasie und mit einem langsamem Blute ausstattete, schlendert so seinen Weg durchs Leben hin, d. h. er lebt, nimmt ein Weib und stirbt, ohne die Extreme anders als nur durch Hörensagen zu kennen. Dich hingegen trieben sie von der Wiege an in den weiten Ozean des Lebens und der Welt von einem Eilande zum andern. Öde und unbewohnt, oder wohl gar unsicher durch wilde Tiere und Menschen, mußtest Du sie immer, öfters kaum angelandet, wieder verlassen. Glücklich bist Du, wenn Dich das Letzte in den längst ersehnten Port der Ruhe, der Zufriedenheit und der stillen Glückseligkeit bringt. Ich fürchte, ich fürchte aber sehr, das, was Du in der Entfernung vor einen Hafen hältst, sind Klippen, von welchen Du wieder in das weite Weltmeer zurückprallen wirst, um eine neue Fahrt, reich an Gefahren und Abenteuern, zu beginnen! – Wenn Du statt 22 Jahre 26 zähltest, so würde ich sagen: Fritz macht einen klugen Streich, daß er sich schon frühzeitig dem Getümmel der großen Welt entzieht! – Jetzt muß ich schweigen, denn meiner Meinung nach sind 22 Jahre zu frühzeitig und Dein eigner Brief bestärkt mich in der Mutmaßung, daß Du einige Jahre zu früh zu leben aufhörst.
– – Mit tief verhängten Zügel
Trollt sich die Gelegenheit
Vielen Toren bis zur Asche
Unerkannt ein fremder Gast.
Wohl dem Weisen, der die Rasche
Richtig bei der Stirne faßt. – –
Wehe aber dem, der sie zu früh faßt! Besonders, wenn sie das Glück, oder Unglück seines Lebens bestimmt. Der glücklichen Augenblicke sind freilich nicht viel, liegt der Würfel aber einmal, so ist auch unser Schicksal für immer entschieden, tragen müssen wirs alsdann mit Geduld, es sei gut oder böse. Und daß man sich da doch besinnen, recht besinnen muß, das wirst du mir zugeben. – – –
„Beständigkeit in meinen Ideen und beharrlicher Mut in der Ausführung meiner Entwürfe fehlt mir noch!“ so lauten Deine eignen Worte! Was heißt das anders als: Es fehlt mir noch an Festigkeit des Charakters oder an Standhaftigkeit, meine Wünsche für immer auf einen Punkt zu konzentrieren! – – – Und mit diesem Gefühl Deiner selbst beharrst Du noch bei Deinem Entschluß? Brüderchen, Brüderchen! Einen solchen Entschluß gut durchzuführen, dazu gehört mehr als gemeine Klugheit, Geistesgegenwart, Mut und unerschütterliche Geistesbeharrlichkeit, und wenn Du auch die beiden ersten in einem hohen Grade besitzest, so muß Dir doch eben der Abgang der beiden letzteren unübersteigliche Hindernisse entgegensetzen! – „Zufall und Empfänglichkeit waren bis jetzt Deine Führer, Bestimmung und Humanität sollen es ins Künftige sein!“ Und doch soll der Zufall die wichtigste Begebenheit Deines Lebens, die Wahl Deiner zukünftigen Frau, Deiner treuesten Freundin und Begleiterin, bestimmen? – – Dann erst, wenn Bestimmung und Humanität Deiner Wahl den Ausschlag geben werden, dann und nicht eher werde ich Dir zurufen: „Fritz, Du hast klug, Du hast lebensweise gehandelt.“ – – –
Das Projekt, Dich dem Vater substituieren zu lassen, hat zwar dem Anscheine nach viel Blendendes. Aber ich habe doch zweierlei Einwendungen dagegen, wie ich Dir auch ohne Zurückhaltung schreiben werde, wenn Dich gleich die Realisierung dieses Projekts bei Deinen jetzigen Aussichten Deinem Ziele näher bringt! – – –
Erstlich, wer verspricht Dir denn die gewisse Aussicht auf die Stelle des Vaters bei Lebzeiten? Der Kurfürst ist ein Feind von allen Substitutionen des Sohnes bei dem Vater, das ist eine bekannte Sache. Graf Wallwitz ist des Vaters Freund nicht mehr. Es sind eine ganze Menge anderer Kompetenten, die mehr Protektion und gerechtere Ansprüche auf diese Stelle haben, weil sie dem Herrn schon länger dienen! – – Glaubst Du, daß bei allem diesen bloß Deine Geschicklichkeit prävalieren wird, die vielleicht größer ist als der anderen ihre? und glaubst Du, daß die Verdienste des Vaters den Söhnen bei Beförderungen etwas helfen werden? Ich dächte doch, Du kenntest die Welt besser! Du wendest mir vielleicht Oppelten ein? Ja, lieber Fritz, unser Vater ist auch kein wilder SauenPapa, noch viel weniger ein Lustiger Rat oder Hanswurst, und nur das sind die Leute, die hier zu Lande belohnt werden?
Gesetzt aber auch, Du erhieltest die Stelle noch bei Lebzeiten des Vaters, so müßtest Du doch vorher eine ganze Zeitlang unter ihm und, wenn Du sie erhalten hättest, vielleicht mehrere Jahre mit ihm arbeiten und daher fast immer um ihn sein! Nun dächte ich doch, müßte Dich eine 22jährige Erfahrung hinlänglich belehrt haben, daß Ihr beide euch nicht zusammenpaßt, daß die unendliche Verschiedenheit Eurer Denkungs- und Handlungsart und weise eine ungeheuere Kluft zwischen Euch befestigt hat, so daß, wenn Du auch nach den Grundsätzen: daß man mit allen Menschen müsse leben und auskommen können, zu einem Vergleiche die Hand bötest, der Alte doch niemals ihn annehmen, sondern vielmehr mit Unwillen von sich weisen würde! – – – – –
Blinder Religionseifer und wütende Feindschaft gegen alles, was Neuerung heißt, haben eine ewige Scheidewand zwischen Euch aufgerichtet, die weder Toleranz von der einen Seite noch Bekehrungseifer von der andern je einreißen werden! Wenn ich Dich sehe, welches vielleicht bald geschehen kann, werde ich Dir Erdmannsdorf des Aelteren seine Geschichte erzählen, die muß einem die sächsischen Dienste vollends verleiden! – – –
Hier Brüderchen hast Du nun meinen Schwanengesang und zugleich meine Hand darauf, daß ich Dir nie wieder etwas, vielleicht Unangenehmes hierüber sagen werde; vielmehr werde ich in Zukunft diesen Deinen Entwurf nach allen meinen Kräften, und was ich kann, mit meiner Dir bekannten, unermüdeten Tätigkeit unterstützen. Meine unbegrenzte, unbedingte und unwandelbare Liebe und Zuneigung bürgt Dir dafür! – – – Aber, daß ich jetzt die große Hälfte von Dir verlieren soll, darüber kann ich freilich meinen gerechten Schmerz nicht bergen. Sonst besaß ich, wenigstens schmeichle ich es mir, die größte Hälfte Deines Herzens, jetzt und in Zukunft hat sie Sophie! – und ich muß mich mit der kleinen Hälfte begnügen! – – – Sonst war ich Dir, wenn wir allein so zusammen über Gegenwart und Zukunft koßten, sonst sage ich, war ich Dir alles! – Jetzt kann ich Dir, wenn Sophie nicht unsere Unterhaltung ist, kaum die Hälfte von dem sein, was ich Dir vorher war! – – Sonst freutest Du Dichan der Gesellschaft Deiner Brüder, öfters außerordentlich, weil Deinem Freuden, wenn wir Genossen derselben waren, Dir lieber zu sein und einen höheren Wert zu haben schienen! – – – Jetzt wird Dich jedes Vergnügen, jede Freude anekeln, wenn Sophie nicht Teilnehmerin ist! – – Lieber Friz, zu deutlich war der Wink, den Du mir hierüber in Deinem Briefe gabst: „Meiner Fidelität, schreibst Du, soll nichts abgehen; Sophie ist die jugendliche Munterkeit selbst“ Sonst endlich hattest Du ein unbeschränktes Zutrauen auf mich, jetzt wirst Du es auf Sophie übertragen. – – –
Ich weiß, Brüderchen, was Du mir einwenden wirst, ob ich glaubte, daß Deine Seele so eng sei, daß sie nicht mich und Sophia zu gleicher Zeit beherbergen könne, aber das ist nichts, Brüderchen, wer sich einmal verlobt hat, mit dem ists vor seine Freunde vorbei, es ist nichts mehr mit ihm anzufangen! – – –
Ich will Euch aber nicht untreu werden, ihr sollt stets das an mir behalten, was ich euch jetzt bin, Du sollst, wenigstens durch mich nicht, in die unangenehme Lage kommen, es zu fühlen, wie schwer es einem ankommt, jemanden, der uns viel war, zu verlieren. In die Lage wie ich, von jemanden die große Hälfte zu verlieren, die Dir alles war, kannst Du nie kommen, weil Du nicht so von Menschen abhängig bist als ich, und deswegen konnte nur Deine gutmütige brüderliche Toleranz, nicht die Wahrheit, es sagen: „Du würdest mir in einem ähnlichen Falle ebenso einen Brief als ich Dir geschrieben haben.“ Aber eben weil ich fühle, daß ich abhängig bin, daß nichts Drückenderes und zugleich Beschimpfenderes ist für einen Mann als Weiberherrschaft, und daß ich doch vielleicht im Stande wäre, einst, wenn nichts anders, doch vielleicht in einer Schäferstunde mein Herz und meine Freiheit an ein gemeines Mädchen zu verschenken, von der ich mich nicht hernach, ohne wortbrüchig zu werden, wieder losmachen könnte, so werde ich, höre und staune, so werde ich fest steht jetzt mein Entschluß, in Zeit von drei Jahren – – – Novize des Deutschen Ordens. Schon die Klugheit erfordert es bei einer so ansehnlichen Familie, daß nicht alle Brüder heiraten; gern will ich mich freiwillig zuerst dem allgemeinen Besten aufopfern. Ich entbehre freilich ein großes Glück des Lebens, aber ich will mir mein Schicksal dadurch, daß ich öfters in Eurer Umarmurng lebe wo ich Euere Familien wie die Meinigen ansehen werde, erleichtern. So will ich als ein treuer Gefährte mit Euch durchs Leben hinschlumpern, Euch helfen und in meinem Berufe meinen Nebenmenschen soviel nützen als ich kann, so lange fidel mit Euch sein, bis mich der fidele Tod aus der Welt pumpern wird! Wenn Erasmus sat bibit! – –
Daß Du schlechterdings haben willst, daß ich Deine Sophie künftige Ostern sehen soll, das machst Du nicht dumm; Du kennst meine Schwäche gegen das weibliche Geschlecht und hoffst an ihr die beste Fürsprecherin zu finden, allerdings muß sie ein sehr liebenswürdiges Mädchen sein, da sie Friz, den Flatterer, mit Demantketten fesseln konnte. Meine besten Wünsche, daß Du an der Hand deiner Sophie die drei Ungeheuer in dem Labyrinthe des menschlichen Lebens: Hypochondrie, Mißmut und Langeweile umbringen magst, begleiten Dich. Sehnlich erwartet Deine Antwort und die Instruktion für Weißenfels Dein Dich ewig treu liebender
Erasmus,
Wermsdorf
d. 6. Dez. 94

Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 6. Dezember 1794
  • Sender: Erasmus von Hardenberg ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Wermsdorf · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 369‒373.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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