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Erasmus von Hardenberg to Novalis TEI-Logo

Hubertusburg, den 11. September 1795. [Freitag]
Ich habe mich herzlich gefreut, liebes Brüderchen, über Deine vier wohlwollenden Zeilen [vom 1. September], die mir ein Zufall erst den Sonntag in die Hände geführt hat, da ich sonst Deine Briefe gewöhnlich den Donnerstag früh bekam. Indessen waren mir diese wenigen Zeilen eben so willkommen, da ich hörte, daß es Dir wohl ging und daß Du vergnügt warst; was könnte ich wohl weiter verlangen; Deine Wünsche sind ja die meinigen, Dein Glück und Deine Zufriedenheit die meinige und Dein Interesse, Deine Pläne ja auch die meinigen; ja, lieber Fritz, Gr[üningen] und S[ophie] das Ziel Deiner feurigsten Wünsche und Deiner beneidenswerten Glückseligkeit, konzentriert auch alle meine liebsten Hoffnungen und Aussichten, aber wahrlich nicht aus eigennütziger Rücksicht; denn das war nur einmal ein schöner Traum, und ich baue nicht gern auf das möglichste Ungefähr und auf die ungewissesten ZukunftKartenhäuser, sondern bloß aus warmer, zärtlicher, unveränderlicher, ewiger Liebe und Freundschaft für Dich, und um des Wunsches, zwei ebenso gute und liebenswürdige, als vorzüglich große und edle Menschen nicht allein glücklich zu sehen, sondern sie womöglich noch glücklicher zu machen. O, das ist eine Aussicht, um die ich meine Seligkeit verschleudern könnte! – Ob ich fleißig für unsern Plan bete, darüber magst Du entscheiden, wenn Du folgendes kleine Anekdötchen aus meinem alltäglichen Leben gelesen hast: Vor einigen Tagen ziehe ich ein Paar baumwollene feine Strümpfe an, die unten im Fuße angestrickt waren, wahrscheinlich mit einem Strumpfe von Sidonie, denn es waren die Buchstaben hineingenäht: S. H. Vor Freuden schmiß ich den Strumpf in die Luft, und jubelte laut, denn Du kannst Dir leicht vorstellen, welche Idee sich in diesem Augenblicke meines ganzen Daseins bemächtigte und wie in dem großen Gedanken, daß es mir doch recht sehr angenehm sein würde, wenn erst gewisse andere, etwas hübschere Leute ihren Namen so in ihre Strümpfe zeichneten –, die herrlichste Entwicklung Deines Schicksals vor mir lag. – – Und was sollte mir auch am Ende mehr am Herzen liegen, für was sollte ich mich wärmer interessieren, als für das Glück meiner liebsten und besten Freunde, meiner Brüder, das ja auch zugleich das meinige sichert und ausmacht. Wahrhaftig, ich bin sehr dabei interessiert, wenn ich einmal mein erstes und einziges Geschäft, nämlich, Euch frohe und heitere Tage zu machen, mit dem größten Eifer treibe, denn im Grunde arbeite ich für mich selber! Schon jetzt macht es einen großen Teil meiner Zufriedenheit aus, daß ich Euch zuweilen mit meiner vergnügten und lustigen Laune zu Hülfe kommen und aufheitern und so das gewissermaßen vergelten kann, was Ihr sonst an mir getan habt; Karln hab ich auch wieder ins rechte Gleis gescherzt, Gott sei Dank, und wenn er erst bei mir gewesen ist, so soll er gar nicht mehr mit der Büchse der Lust aus dem Schwarzen der [...] des Vergnügens kommen! – Pfui Teufel, das war ein dummes Gleichnis!, ich wollte sagen: Gram und Kummer sollten ihn nie wieder gleich einer wilden Sau hetzen; so laß ich mirs gefallen! I nun, was hilfts, schiß der in die Welt, lauf in Busch, fidel muß man sein. Ich bin ein junger Kerl, frei und lustig, und NB. nicht [. . .] ist auch davor hier gesorgt, daß ich es sobald nicht wieder werde, die ganze Welt steht mir offen, Sorgen habe ich nicht, die ausgenommen, die ich mit euch gemein habe, was ich brauche, das habe ich, dazu wird auch immer noch Rat, daß ich mein täglich Brot habe, und etwa alle Sonn- Fest- und Feiertage meinen Schweinebraten und Gurkensalat, was geht mir da ab! – –
Kurios ist es, wenn man die Gr[üninger] Mädchensorte gesehen hat, daß einen alsdann so wenig, so blutwenig Mädchen noch interessant vorkommen; für viele, für die man sonst in einer zärtlichen Stunde würde ins tiefste Wasser gesprungen sein, springt man jetzt nicht von der Hitsche, oder bliese ihnen vielleicht noch gar auf dem Parforcehorn dazu, wenn sie etwa auf den Einfall kämen, sich ins tiefste Wasser zu stürzen, wie Elten sein Trompeter! Es fehlen den allermeisten die edlen, schönen Formen, auf welche der Stempel der liebenswürdigsten Gutmütigkeit so tief und mit so unverkennbaren Zügen geprägt ist, so daß man ihre edlere Bestimmung verkennt und ihren Wert auf die mehr oder minder erhöhten Reize des gröbern sinnlichen Genusses reduziert!
Über Grüningen umarmen sich Liebe, Freundschaft, Eintracht und alle häuslichen Tugenden, schwesterlich, und bieten der Vernunft und der Vorsicht die Hand, um uns unserm Zwecke immer näher zu bringen und uns demselben gegen alle Hindernisse zu sichern! Daß Du seither nicht wohl gewesen bist, das tut mir herzlich leid. Vollkommene Gesundheit ist zwar zum Frohsinn und lieblichen Lebensgenuß (lieblich kann ich den Deinigen in Rücksicht von Grüningen nennen) nicht die conditio sine qua non, indessen macht einen doch Kränklichkeit besonders bei längerer Dauer schlaff und träge, benimmt einem den Geschmack an ernsthafter Beschäftigung, befördert das Ungeheuer, die Langeweile, und läßt uns oft da erst Freuden suchen, wo wir sie sonst ungesucht fanden.
Meinen Hofjäger habe ich mit möglichster Behutsamkeit von unsern Plänen instruiert und durch die Allgewalt meiner Beredsamkeit völlig in unser Interesse gezogen, so daß er mir allen nur möglichen Vorschub in Rücksicht des Nichtwissens im Maison paternelle zu leisten versprochen hat, d. h., daß sie nichts zu Hause erfahren, wenn ich von hier aus einmal hinreise! – Auf ihn können wir uns ganz verlassen. Ich lebe immer so fidel vor mich hin, ganz allein mit der Gegenwart und meinen Berufsarbeiten beschäftigt, die mir ganz exzellent schmecken und ohne welche ich in Zukunft nicht werde leben können. Solange ich noch hier bin, hoffe ich noch manches von mir bringen zu können, und es soll mir gewiß nicht schwer werden, einmal etwas Außerordentliches in meinem Fache zu leisten; es gibt kein unangebauteres Feld als die Forstwissenschaft; viel, sehr viel läßt sich noch darinnen tun; aber freilich hat man auch nirgends soviel mit den Leidenschaften und Vorurteilen, mit Dummheit und Unwissenheit der Menschen zu kämpfen, die einen, wenn man anders etwas für die Aufklärung und die vollkommnere praktische Ausübung in dieser Wissenschaft würken will, unübersteigliche Hindernisse entgegensetzen. Der Bruder des Hofjägers [Nollain], der als Oberjäger soviel als Unteroffizier bei dem Preußischen Jägerkorps steht, versicherte uns neulich, daß bei seiner Compagnie nur drei wären, die ein wenig zeichnen könnten, und vor einiger Zeit wäre ein Oberjäger versorgt worden, der nur einen ganz hübschen Riß hätte machen können und übrigens von Geometrie nicht viel verstanden hätte und hätte eine der allerbesten Versorgungen in ganz Westpreußen erhalten, sodaß er sich gewiß auf 7500 Thaler stünde. Hieraus kannst Du nur sehen, wie weit die gepriesenen preußischen Forsteinrichtungen öfters her sein mögen, da solche alltägliche Kenntnisse schon vor etwas außerordentliches ausgeschrien werden, und auch würklich von den Forstdepartment Rücksicht darauf genommen wird. Dort muß man mit vollständigen Kenntnissen, mit Tätigkeit, Ordnungsliebe und aufgeklärten, hellem und durchschauendem Verstande sehr brilliren können! Glückauf. Mut und Ausdauer hab ich, sie mögen mich zum Forstmeister oder Oberforstmeister, zum Oberlandjägermeister oder zum Minister und Chef des Forst und Jagddepartements machen, ich bin alles zufrieden, wenn sie mich nur nicht zum Heegereuter übers sechste Gebiet ernennen, und mir einen schlechten Gehalt geben!
An den Onkel habe ich kürzlich geschrieben. Karl schrieb mir neulich, Du ließest mir sagen: Mein Forstcalender täte Dir sehr leid, Du würdest aber alle nur mögliche Werbungen für mich tun, die ich nur verlangen würde. – Das ist mir zu hoch, Hl. Bruder, das verstehe ich nicht, darüber mußt Du Dich näher erklären. Schreib mir, wenn eher Du nach Weißenfels gehst, damit ich mich mit meiner Korrespondenz danach richten kann, denn Du erhälst jetzt alle Woche einen. Grüße mir alles Grüßbare in Grüningen und küsse allen Handkußbaren die Hände 1000mal, in meinem Namen; ich liebe, ich ehre sie, ich bete sie an, ich vergöttere sie, ich schwöre Dir zu, ich habe jetzt jeden Abend, den ich bei den schönen Tagen draußen zugebracht habe, den innigsten Wunsch getan! Ach wärest du doch diesen Abend, ach wärest du doch immer und ewig in Grüningen. Ewig Dein
Erasmus.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 11. September 1795
  • Sender: Erasmus von Hardenberg ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Hubertusburg ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 393‒396.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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