Hubertsburg, 18. September 1795 [Freitag]
Entweder, Fritz, Du bist krank oder es geht Dir recht wohl! Das erste glaub ich nicht, weil Du in der Nahe von Gr[üningen] bist. Letzteres glaube ich auch deswegen, weil Du in der Nähe von Grüningen bist. Das weiß der Teufel: Glaube und Unglaube, Würkung und Ursach, Subjekt und Prädikat, Anfang und Ende der Welt liegt in den Örtchen. Es kommt mir, hol mich der Bock, sogar auf meine Waldrisse; neulich wie ich mit einem fertig bin, beschaue ich ihn noch einmal recht genau, und siehe da, die Bäume haben alle die Figur von den Buchstaben G! Was sollt ich dazu sagen, ich dachte, du mußt dich drin ergeben, liebes Hardenbergelchen, du bist einmal vom + + + Gott sei bei uns bestrickt, du läßt es gehen, wies geht, geraten oder verdorben! Denn ich denke noch immer mit Schrecken an die Worte des alten ehrlichen Titschgürge in Mörsdorf, die er mir einmal im Vertrauen sagte: Ja allen Ständen hilft das Örtchen auf, ja allen Fakultäten! Exempla sunt inpromptu. Wer nicht sieht, daß es uns 3, als Repräsentanten des Lehr- Wehr- und Nährstandes auf die Beine geholfen hat (aber nicht etwa wie jener Edelmann seinen Bauern, der auch sagte, nachdem er ihnen die Pferde weggenommen hatt, er hätte ihnen auf die Beine geholfen), der muß den grauen und schwarzen Star doppelt und 3fach haben; hierüber will ich mich also nicht weiter explizieren. In Rücksicht der Fakultäten, so haben wir erstens in der Theologie alle 3 in corpore ansehnliche Fortschritte gemacht, denn wir sind solider, toleranter, bescheidener geworden! –
In der Jurisprudenz mußt Du (der Du sans comparaison wie der Affe im ABC Buche unter uns der erste dort bist und da Dir die Aeppelchen so gut schmecken, auch wohl wahrscheinlich der letzte sein wirst) es am besten wissen, welche Millionen von Definitionen und Distinktionen Du dort gelernt hast, und wie leicht Dir die Arcana und Jura Romana geworden sind.
In der Philosophie da haben unsere Alten profitiert, denn die zerbrechen sich die Köpfe, wie es zugegangen sein müsse, daß so eine Veränderung mit uns vorgegangen sei; und wenn sie es nicht durch den h[eiligen] Geist erklären können, so kriegen sie noch einmal die Wälzer von Ernesti und Crusius her und stänkern in der Lehre vom zureichenden Grunde herum, und wenn sie da nichts finden, so denken sie: „Es steht geschrieben: Forschet in der Schrift, so werdet ihrs finden“, und nehmen wieder die Bibel zur Hand, ja wenn wir nicht ein tausend Jährchen weiter wären, heilige Unwissenheit steckt die Nasen in die Landkarte und forschet in der Spezialkarte des thüringischen Kreises, dort werdet ihr finden die wahre Pomade und die herrlichste Sorte von Krebsen! – Was aber noch das Beste dabei ist, ist das, daß sie keine neuere Exegetiker sind, sonst könnten sie die Stelle: „Forschet in der Schrift“, so auslegen: Brecht die Briefe eurer Jungen an einander auf und lest sie! Und, Hans Christoph, das wär dumm, recht arg dumm! –
Was aber die Arzneigelahrtheit anlangt und betrifft, so hat es mich gar zum Doktor gemacht, und zwar zu einem Wasserdoktor, denn Karl hat mir weiter nichts als einen Brief geschickt, über welchen seine Tränen hingeflossen waren wie eine Meeresflut, und daraus hab ich gleich die ganze Krankheit gesehen und beurteilt, es war ein Rezidiv eines hitzigen Liebesfeuerfiebers welches, wie Du wohl wissen wirst, die neueste Modekrankheit ist. Ich schickte ihm die Medizin und in drei Tagen war er wieder gesund, ich hatte eine derbe Portion gegeben und glaubte, die Kur würde etwas schmerzhaft sein, denn die Tränen-diluvies waren mit dem Dintenfluidum zusammengelaufen, und daher hielt ich die Krankheit für größer, als sie würklich war, es hat ihm aber nichts getan. Meine Medizin hatte ich (zur Ehre des Gärtners R[ockenthien] sei es gesagt) aus dem botanischen Garten zu G[rüningen] und aus den Händen der vier Kräuterweiber S[ophie], C[aroline], F[ritzchen], M[utter?]; die sind eigentlich die Häupter, weil sie die besten, praktischen Kenntnisse in der Kräuterkunde besitzen, ohne die hätte ich nichts ausgerichtet. Ja, ja, ha, ha, ha! Meine Kräuterweiber, meine Kräuterweiber, das ist eine Teufelsnation, wenn ich die nicht hätte, ich müßte Hunde führen bis Bauzen! Aber was sind das auch vor allerliebste Dingerchen, sie haben Äuglein in ihren Hirnkästleins wie die güldenen Sternlein am blauen Firmamente, Löckchen so sanft und so weiche wie die Härchen der Seidenhäslein und sehen immer so fröhlich und lachend aus, wie die jungen Maikäzchens, ich dächte unsern lieben Herr Gott müßte das Herz im Leibe rackeln, wenn er sein fideles Machwerk so herumjubeln sieht. O fidelitas, fidelitas! wer dich nicht kennt, der ist verloren, wär besser nie geboren! Drum trink ich, weil ich trinken kann.
[Erasmus berichtet dann über Erdmannsdorf, der spekulativ theoretisch eingestellt ist, ein Schleicher ist und Mitte November fortgeht, und über Kalitsch, der ein ehrlicher Kerl mit vielen praktischen Kenntnissen sei. Mitte November will Erasmus Hubertusburg-Wermsdorf verlassen. Er schließt:]
Lebe wohl, Brüderchen, grüße alles 1000mal herzlichst von mir, sage nur: ich lebte, webte, wäre nur durch und in Gr[üningen] und freute mich kindisch, sie alle einmal wiederzusehen und ihnen zu sagen, wie sehr ich mit Leib und Seele, Gut und Blut, Leben und Vermögen der ihrige wäre. Besonders der guten Mutter. Lebe wohl. Ewig Dein
Erasmus.
Schreibe mir nur mit 2 Zeilen, wann eher Du nach Weißenfels gehst.
Entweder, Fritz, Du bist krank oder es geht Dir recht wohl! Das erste glaub ich nicht, weil Du in der Nahe von Gr[üningen] bist. Letzteres glaube ich auch deswegen, weil Du in der Nähe von Grüningen bist. Das weiß der Teufel: Glaube und Unglaube, Würkung und Ursach, Subjekt und Prädikat, Anfang und Ende der Welt liegt in den Örtchen. Es kommt mir, hol mich der Bock, sogar auf meine Waldrisse; neulich wie ich mit einem fertig bin, beschaue ich ihn noch einmal recht genau, und siehe da, die Bäume haben alle die Figur von den Buchstaben G! Was sollt ich dazu sagen, ich dachte, du mußt dich drin ergeben, liebes Hardenbergelchen, du bist einmal vom + + + Gott sei bei uns bestrickt, du läßt es gehen, wies geht, geraten oder verdorben! Denn ich denke noch immer mit Schrecken an die Worte des alten ehrlichen Titschgürge in Mörsdorf, die er mir einmal im Vertrauen sagte: Ja allen Ständen hilft das Örtchen auf, ja allen Fakultäten! Exempla sunt inpromptu. Wer nicht sieht, daß es uns 3, als Repräsentanten des Lehr- Wehr- und Nährstandes auf die Beine geholfen hat (aber nicht etwa wie jener Edelmann seinen Bauern, der auch sagte, nachdem er ihnen die Pferde weggenommen hatt, er hätte ihnen auf die Beine geholfen), der muß den grauen und schwarzen Star doppelt und 3fach haben; hierüber will ich mich also nicht weiter explizieren. In Rücksicht der Fakultäten, so haben wir erstens in der Theologie alle 3 in corpore ansehnliche Fortschritte gemacht, denn wir sind solider, toleranter, bescheidener geworden! –
In der Jurisprudenz mußt Du (der Du sans comparaison wie der Affe im ABC Buche unter uns der erste dort bist und da Dir die Aeppelchen so gut schmecken, auch wohl wahrscheinlich der letzte sein wirst) es am besten wissen, welche Millionen von Definitionen und Distinktionen Du dort gelernt hast, und wie leicht Dir die Arcana und Jura Romana geworden sind.
In der Philosophie da haben unsere Alten profitiert, denn die zerbrechen sich die Köpfe, wie es zugegangen sein müsse, daß so eine Veränderung mit uns vorgegangen sei; und wenn sie es nicht durch den h[eiligen] Geist erklären können, so kriegen sie noch einmal die Wälzer von Ernesti und Crusius her und stänkern in der Lehre vom zureichenden Grunde herum, und wenn sie da nichts finden, so denken sie: „Es steht geschrieben: Forschet in der Schrift, so werdet ihrs finden“, und nehmen wieder die Bibel zur Hand, ja wenn wir nicht ein tausend Jährchen weiter wären, heilige Unwissenheit steckt die Nasen in die Landkarte und forschet in der Spezialkarte des thüringischen Kreises, dort werdet ihr finden die wahre Pomade und die herrlichste Sorte von Krebsen! – Was aber noch das Beste dabei ist, ist das, daß sie keine neuere Exegetiker sind, sonst könnten sie die Stelle: „Forschet in der Schrift“, so auslegen: Brecht die Briefe eurer Jungen an einander auf und lest sie! Und, Hans Christoph, das wär dumm, recht arg dumm! –
Was aber die Arzneigelahrtheit anlangt und betrifft, so hat es mich gar zum Doktor gemacht, und zwar zu einem Wasserdoktor, denn Karl hat mir weiter nichts als einen Brief geschickt, über welchen seine Tränen hingeflossen waren wie eine Meeresflut, und daraus hab ich gleich die ganze Krankheit gesehen und beurteilt, es war ein Rezidiv eines hitzigen Liebesfeuerfiebers welches, wie Du wohl wissen wirst, die neueste Modekrankheit ist. Ich schickte ihm die Medizin und in drei Tagen war er wieder gesund, ich hatte eine derbe Portion gegeben und glaubte, die Kur würde etwas schmerzhaft sein, denn die Tränen-diluvies waren mit dem Dintenfluidum zusammengelaufen, und daher hielt ich die Krankheit für größer, als sie würklich war, es hat ihm aber nichts getan. Meine Medizin hatte ich (zur Ehre des Gärtners R[ockenthien] sei es gesagt) aus dem botanischen Garten zu G[rüningen] und aus den Händen der vier Kräuterweiber S[ophie], C[aroline], F[ritzchen], M[utter?]; die sind eigentlich die Häupter, weil sie die besten, praktischen Kenntnisse in der Kräuterkunde besitzen, ohne die hätte ich nichts ausgerichtet. Ja, ja, ha, ha, ha! Meine Kräuterweiber, meine Kräuterweiber, das ist eine Teufelsnation, wenn ich die nicht hätte, ich müßte Hunde führen bis Bauzen! Aber was sind das auch vor allerliebste Dingerchen, sie haben Äuglein in ihren Hirnkästleins wie die güldenen Sternlein am blauen Firmamente, Löckchen so sanft und so weiche wie die Härchen der Seidenhäslein und sehen immer so fröhlich und lachend aus, wie die jungen Maikäzchens, ich dächte unsern lieben Herr Gott müßte das Herz im Leibe rackeln, wenn er sein fideles Machwerk so herumjubeln sieht. O fidelitas, fidelitas! wer dich nicht kennt, der ist verloren, wär besser nie geboren! Drum trink ich, weil ich trinken kann.
[Erasmus berichtet dann über Erdmannsdorf, der spekulativ theoretisch eingestellt ist, ein Schleicher ist und Mitte November fortgeht, und über Kalitsch, der ein ehrlicher Kerl mit vielen praktischen Kenntnissen sei. Mitte November will Erasmus Hubertusburg-Wermsdorf verlassen. Er schließt:]
Lebe wohl, Brüderchen, grüße alles 1000mal herzlichst von mir, sage nur: ich lebte, webte, wäre nur durch und in Gr[üningen] und freute mich kindisch, sie alle einmal wiederzusehen und ihnen zu sagen, wie sehr ich mit Leib und Seele, Gut und Blut, Leben und Vermögen der ihrige wäre. Besonders der guten Mutter. Lebe wohl. Ewig Dein
Erasmus.
Schreibe mir nur mit 2 Zeilen, wann eher Du nach Weißenfels gehst.