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Erasmus von Hardenberg to Novalis TEI-Logo

[Hubertsburg, den 26. November 1795, Donnerstag]
Lieber Junge, wie unendlich habe ich mich gefreut, daß die Gefahr vorüber ist; wenn ich nie mit der Vorsehung gezürnt hätte, ich glaube, dieses Mal hätte mich der Schmerz dazu gebracht, aber siehe nun einen neuen Beiweis, daß uns der Himmel liebt, und unsere Aktien nicht, wie es hier der Fall gewesen wäre, bis auf minus Null sinken läßt. Unmöglich konnte er ein Meisterstück seiner Schöpfung aus dem innigsten, fest verwebtesten Bunde der Freundschaft und Liebe herausreißen, ohne zwei Ungerechtigkeiten gegen die Menschen auf einmal zu begehen! Er, der große Vater des Weltalls, ist ja der Urquell der Liebe und Freundschaft, und ungern nur zerreißt er das Band, das die Herzen seiner Kinder so enge verbindet, und ruft das eine aus den Armen des andern zur Ruhe in seinen sanften Schoß zurück. O, lieber Fritz, auch Dich und Deine S[ophie] und die ganze Familie liebt er gewiß mit warmer Zärtlichkeit, das kannst Du nun mehr wie jemals, und zwar ohne Zeichen und Wunder sehen! Ich habe ihm das feurigste Dankgebet gezollt, was je aus meinem von seiner unendlichen Liebe vollem Herzen geflossen ist. – – Unter solchen Umständen tut man am besten, man schweigt, denn das Herz spricht dann durch Tränen besser als durch den Mund, der öfterer dem Herzen als dem Verstände seine Dienste versagt! – – Wenn ich an Ahndungen glaubte, so müßte ich diesmal eine gehabt haben! Gerade zu der Zeit, wie S[ophie] ist krank gewesen, war ich in einer fürchterlichen Unruhe Euretwegen, es war mir aber immer mehr, als wenn Karl etwas zugestoßen wäre, so daß ich einigemal im Begriff war, ihm einen Boten zu schicken oder selbst zu ihm hin zu werden, bis ich endlich Deinen Brief von ihm erhielt, nun war mir alles aufgeklärt. Schreib mir doch ja bald, was Sie macht, und versichre sie und das ganze Haus von meinem herzlichen Bedauern, aber auch von meiner kindischen Freude über ihre Besserung; und meiner ewigen unveränderlichen Liebe und Anhänglichkeit. Wenn man mit dem Tode handeln könnte, wahrhaftig, ich hätte mich ihm lieber angeboten, als Dir dies Mädchen entrissen gesehn? Am Ende wären auch so ein paar Lebensjahre, um so einer Verbindung kein überteures Opfer gewesen, und ich hätte das himmlische Bewußtsein mit hinweggenommen, wenigstens mit meinem Tode noch etwas Göttliches getan zu haben! Doch wir wollen froh sein, daß es vorüber ist! – Der Mutter habe ich in Meißen eine recht hübsche Schokoladentasse für 11/2 Karolin zum Weihnachtspräsent gekauft; tu mir aber den Gefallen und sage nichts, denn es soll eine Überraschung sein und überdem will ich sie Dir erst weisen, damit Du sagen kannst, ob sie auch hübsch genug ist. Von Karln habe ich wieder 2 lamentöse Briefe erhalten, und habe an ihn ein trostvolles Sendschreiben abgelassen. Das weiß der Teufel, was noch aus dem Menschen wird; da hilft kein Zureden und kein Abmahnen nicht; Zeit und Umstände werden aber schon das ihrige tun, wenn er sich nur seine Gesundheit nicht so sehr ruiniert, denn das Dümmste ist die verfluchte Kampagne, und er bleibt doch nicht Soldat, das sehe ich aus allem, um so mehr sollte es mir leid tun, wenn er seiner Gesundheit jetzt vollends den Rest gäbe. Wenn wir einmal zusammenkommen, müssen wir uns mündlich mehr darüber besprechen und einen ordentlichen Rat über ihn halten. Lebe wohl, bester Fritz, und schenke auch in G[rüningen] einen freundlichen Augenblick
Deinem
Erasmus.
Hubertsburg
den 26. November 1795
P.S. Wie wird es aber mit der Weihnachtsreise werden? Das wird wohl nichts sein! Denn, wie mir der Vater schreibt, so kommt der Onkel bald nach Weißenfels und da müssen wir vielleicht alle hin?
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 26. November 1795
  • Sender: Erasmus von Hardenberg ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Hubertusburg ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 414‒415.
Language
  • German

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