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Karl von Hardenberg to Novalis TEI-Logo

Lützen, d[en] 17ten Dec[ember] [17]95 [Donnerstag]
Seit einer Stunde iubilire ich, und bin höchst froh, habe schon eine Boutteille Wein auf Dein und Deiner Lieben Wohl getrunken und wünsche mich zu Dir, um recht wahrhaft vergnügt seyn zu können, und das alles, eines Boten wegen, den mir Caroline geschickt hat, und mir die Nachricht geschrieben, daß der Vater in Dresden, wegen Dir alles durchgesezt hat; in was für eine Freude mich diese himmlische Nachricht versezt hat, kannst Du Dir kaum denken. Nun beynahe fest überzeugt zu seyn, Dich im Lande zu behalten, meinen Besten Freund so in die Nähe zu bekommen, an Deiner Seite einen großen Theil meines Lebens zubringen zu können, mit Dir vereint die Mühseligkeiten dieses Erdenlebens überwinden zu suchen, sind Aussichten in ein gelobtes Land; und recht bald scheint auch nun der gewöhnliche Lauf des Schicksals an mir wahr zu werden, daß nemlich nach einer unübersehbarer Menge trüber Wolken, doch endlich wieder ein goldner Strahl voll süßer Hoffnung hervorglänzt. Freundschaftlich können wir nun Hand in Hand durch das Leben hindurchwallen, uns wechselseitig Dornen aus den Wege räumen, aber auch einander wieder aufmerksam auf iedes kleine Blümchen machen, was unbemerkt uns sonst geblieben wär, und dessen Süßigkeiten durch das Gefühl von Freundschaft doppelt erhöht werden. Lebens Philosophie will ich von Dir lernen; ich kann Dir freylich nichts dagegen anbieten, aber es wird Dir gewiß schon Belohnung genug seyn, das Bewußtseyn zu haben, Deinen Bruder die größte Kunst: zu leben wissen! gelehrt zu haben.
Zwar gönnte ich Dir das größte Glück von der Welt, aber wenn Du nun bestimmt gewesen wärest, dasselbe in Preußen zu machen, so kann ich doch nicht leugnen, daß mein Eigennutz zu groß ist, als daß ich Dir nicht lieber ein mäßiges Glück in Sachsen gewünscht hätte, da es obendrein nicht ausgemacht war, ob Dein wahres Glück in einer größern Karriere bestand oder nicht; und denn bleiben wir doch auch so ein 50 Meilen näher bei G[rüningen].
Fritzgen Lindenau ist nun verheiratet. Ich bin bei ihrer Mutter gewesen; ein sonderbares Gefühl ergriff mich, als ich in die Stube kam, wo ich so viele glückliche Stunden verlebt hatte, und wo mir meine Ruhe auf lange Zeit verloren gieng. Jeder Stuhl, jeder Tisch, wo mir meine gute L. gegenüber saß, erinnert mich an glückliche Stunden mit ihr.
Der Vater kommt am 23. wieder und bringt Erasmus mit: so wird aus der Weihnachtsreise nach Gr[üningen] nichts. Verlebe dort frohe Tage, danach wollen wir alle drei in Weißenfels beisammen sein.
An Erasmus und Kessler ist geschrieben.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 17. Dezember 1795
  • Sender: Karl von Hardenberg ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Lützen · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 416‒417.
Language
  • German

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