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Erasmus von Hardenberg to Novalis TEI-Logo

Hubertusburg, 6. März 1796. [Sonntag]
Dein lieber Brief hat mich zwar nicht in den ersten Augenblicken – denn da war ich zu schwachnervig, um ihn lesen zu können, und ich mußte ihn, damit es mich nicht zu sehr angriff, ganz weglegen und erst nachmittags lesen, aber hernach desto mehr mit herzerquickendem Trost genährt, je weniger ich jetzt im Stande bin, durch einen andern als Dich solchen Trost zu erhalten! – Im ganzen bin ich aber jetzt nicht in einer zu solchem Troste passenden Stimmung; meine Nerven sind wirklich zu schwach, um nur solchen Trost vertragen zu können und ich ihn auch wirklich nicht mehr dringend nötig habe, denn ich fange an, wieder fidel zu werden, und zu meiner Besserung sind jetzt die absurdesten und karikaturmäßigsten Hanswurststreiche besser, als sanfte, herzrührende und unter allen anderen Umständen himmlische Trostworte! –
Ich versichere Dir, eine Welt liegt in meinem Kopfe, um Dir Deinen Brief vollständig zu beantworten, ich kann und darf es aber jetzt schlechterdings nicht tun, denn schon diese wenigen Zeilen, die ich Dir hier schreibe, greifen mich außerordentlich an, weil ich an Dich schreibe, wenn ich an den großen Mogul schriebe, so wollte ich wohl so viel Bogen wie Zeilen schreiben, und ich bliebe ruhig; aber alles, was das Herz attakiert oder den Verstand, denn gestern mußte ich ein algebraisches Rechenexempel weglegen, das ich angefangen hatte – das muß ich jetzt meiden! – Du wunderst Dich, daß sie mir das Lesen und Schreiben verboten hätten, ja, lieber Fritz, das verbietet sich wohl von selber, das Blut steigt mir gleich zu Kopfe, wenn ich etwas lese oder schreibe, und wenn es etwas ist, das ein tiefes Denken fordert, so greift es mich an; daher muß ich nur in kurzen Zwischenräumen lesen und arbeiten; – meine einzige Zuflucht ist jetzt Horaz und Ciceros Briefe. Diese beiden kann ich auch lesen, ohne daß es mich im geringsten angreift, und da kannst Du Dir wohl vorstellen, daß ich die Lebensweisheit des Horazes nicht in Löffeln sondern mit Scheffeln verschlinge! Mein Aussehen bessert sich mit jedem Tage und wenn ich Dich nach Ostern sehe, sollst Du mir nicht das geringste ansehen! – Gewiß und ausgemacht ist, daß, wenn ich mich nicht allemal bei den Attacken vom Blutspeien so alterirt hätte, ich jetzt gewiß vollkommen wieder gesund wäre, denn meiner Lunge fehlt positiv nichts, wie der Doktor sagte mir noch neulich: „Ihre Lungen sind gesünder als meine“, so sagte er und verschwand.
Dem lieben heiligen Vater [Rockenthien] habe ich kürzlich einen bogenlangen Brief geschrieben, der zugleich einen Bogen an den Bruder Charles enthielt, weil es um die Zeit seines dortigen Aufenthalts anlangen mußte; Sie werden alle denken, daß ich immer noch der alte fidele Erasmus bin und im Grunde bin ich es auch jetzt wieder, nächstens werde ich einen Brief an die Scta. Mater absenden und ihn in ein Billet an die Französische Nation einschließen, glaubst Du wohl, daß es gut getan wäre, wenn ich der Mutter Maria zum Spaß meine Silhouette mitschickte? – – – –
Wegen unserer Geldaffairen höre kürzlich folgendes! Wir haben jetzt von Miltitz 1600 Rthl. über welche ich ihm einstweilen unter meinem Namen einen Wechsel ausgestellt habe, den wir in der Ostermesse, wo Carl noch 600 Rthl. bekommen sollte, gegen eine gerichtlich rekognoscirte Obligation von 2200 Rthl. aus tauschen wollten; Nun hat er mir aber vor einigen Tagen geschrieben, er könnte uns die 600 Rthl. erst zu Johanni verschaffen, ich glaube, das wird Carln einerlei sein und wir tun doch immer besser, wenn wir das Geld an einem Orte stehen haben; Ich habe es aber doch Carln geschrieben und erwarte nun Antwort hierüber! – Sonst schrieb mir Miltitz nichts Interessantes, ausgenommen, daß er gehört hätte, ich wäre krank und wenn ich wieder gesund wäre, so mögte ich doch gleich zu ihm kommen und ihn besuchen, er wünschte recht sehr mich bald zu sehen und zu sprechen! – Sollte, das Letztere, wohl auf Deine Nouvelle, die mir doch im ganzen nicht angenehm ist, Bezug haben! – Sobald ich wieder völlig gesund bin, so werde ich sicher auf ein paar Tage zu ihm gehen, und dann sollst Du alles erfahren, was ich gesehen und gehört habe, ich bin doch neugierig wie sich die neue Cousine benehmen wird!
Daß es Dir recht wohl, in aller Absicht recht wohl geht, freut mich herzlich [. . .] Wenn ich ganz wieder gesund bin, dann sollst Du sehr öfter etwas hören, von Deinem Dich im Leben und im Tode unaufhörlich zärtlich und treuliebenden
Erasmus
der fidele Jäger.
Non si male nunc, et olim
Sic erit
Vivite fortes
Fortiaque adversis opponite pectora rebus.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 6. März 1796
  • Sender: Erasmus von Hardenberg ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Hubertusburg ·
  • Place of Destination: Weißenfels · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 428‒429.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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