Tennstedt, 20. Januar 1799. [Sonntag]
Zuerst Etwas über unsere beiderseitigen Vorstellungsarten in Religionssachen. Meine erste wahre Ueberzeugung von der christlichen Religion war historisch. Damals war mir noch Theologie und Religion Eins, und ich vermengte Orthodoxie und Christenthum. Nach und nach erweiterte sich mein Gesichtspunkt, ich lernte absondern und scheiden. Im Praktischen vermischte ich wiederum Halbheit und Moralität und im Theoretischen Moral mit Religion. Ueber viele Punkte war ich Zweifler. So belebte sich nach und nach mein System, nachdem ich die christliche Religion nicht nur für historisch glaubwürdig, sondern auch darum für wahr und anbetungswürdig halte, weil sie nach meiner Ueberzeugung der Würde Gottes, soweit wir davon urtheilen können, angemessen und so ganz auf die Hauptbedürfnisse des Menschen, Beruhigung und Besserung, berechnet ist. In dem Sinne, in dem Kant die Existenz Gottes aus dem Bedürfniß des Menschen, sie zu glauben, herleitet, leite ich auch die Wahrheit der christlichen Religion aus dem Bedürfniß der Menschen, sie zu glauben, her. Und darum finde ich auch die Lehre, daß Jesus nach der Veranstaltung Gottes durch seinen Tod dem Menschengeschlecht Vergebung der Sünden verschafft hat, woran Jeder, der sich nach der Lehre Jesu ernstlich bessert, Antheil nehmen kann, für wahr, weil sie so ganz auf das Bedürfniß jedes Menschen paßt, mit der Moral in genauer, schwesterlicher Verbindung steht und der Würde des gerechtesten und gütigsten Wesens entspricht.
Ich habe jetzt Nathan den Weisen gelesen, und so wenig ich die verborgenen Invectiven gegen das Christenthum, welches doch Lessing, der kluge Lessing, so offenbar mit dem Katholicismus vermengt, billige, so willig unterschreibe ich doch alle in dem Buche ausgesprochenen Grundsätze.
Sie, lieber Freund, Ihr Herr Vater und ich, wir gehen Alle nach Einem Ziele, aber auf verschiedenen Wegen. Daß wir auf verschiedenen Wegen gehen, wird dem Gott, der uns auf verschiedenen Wegen werden und existiren ließ, nicht mißfallen, wenn wir nur das Ziel genau im Auge behalten. – Sie und Ihr Herr Vater gehen auf dem Wege der Phantasie und des Herzens, nur daß dieser hierbei einem frommen Führer, Sie Sich selbst zuerst folgen. Ich, wenn Sie wollen, gehe mehr auf dem Wege des Verstandes. Allein ich muß Ihnen sagen, daß dieser zwar in manchem Betracht sicherer, aber auch in manchem gefährlicher ist, weil das Herz so leicht doch kalt bleibt und weil man sich so leicht dabei schmeichelt, Religion zu haben, während man sie doch blos kennt. Und ich schätze Diejenigen für glücklich, bei denen Religion mehr Bedürfniß des Herzens, als Gegenstand des Verstandes ist, weil sie bei Allen mehr Sache des Lebens, der That wird, wennschon sie durch einige Auswüchse entstellt sein sollte. Sonst scheinen Sie mir immer in der Religion zu sehr auf’s ästhetisch Schöne zu rechnen, und ich glaube auch einige Spuren davon in Ihren Schriften entdeckt zu haben. Nach und nach werden Sie es aber auch Sich selbst eingestehen, daß die ästhetische Schönheit nur Nebensache ist, welches uns aber auch die christliche Religion empfehlenswerth machen kann.
Zuerst Etwas über unsere beiderseitigen Vorstellungsarten in Religionssachen. Meine erste wahre Ueberzeugung von der christlichen Religion war historisch. Damals war mir noch Theologie und Religion Eins, und ich vermengte Orthodoxie und Christenthum. Nach und nach erweiterte sich mein Gesichtspunkt, ich lernte absondern und scheiden. Im Praktischen vermischte ich wiederum Halbheit und Moralität und im Theoretischen Moral mit Religion. Ueber viele Punkte war ich Zweifler. So belebte sich nach und nach mein System, nachdem ich die christliche Religion nicht nur für historisch glaubwürdig, sondern auch darum für wahr und anbetungswürdig halte, weil sie nach meiner Ueberzeugung der Würde Gottes, soweit wir davon urtheilen können, angemessen und so ganz auf die Hauptbedürfnisse des Menschen, Beruhigung und Besserung, berechnet ist. In dem Sinne, in dem Kant die Existenz Gottes aus dem Bedürfniß des Menschen, sie zu glauben, herleitet, leite ich auch die Wahrheit der christlichen Religion aus dem Bedürfniß der Menschen, sie zu glauben, her. Und darum finde ich auch die Lehre, daß Jesus nach der Veranstaltung Gottes durch seinen Tod dem Menschengeschlecht Vergebung der Sünden verschafft hat, woran Jeder, der sich nach der Lehre Jesu ernstlich bessert, Antheil nehmen kann, für wahr, weil sie so ganz auf das Bedürfniß jedes Menschen paßt, mit der Moral in genauer, schwesterlicher Verbindung steht und der Würde des gerechtesten und gütigsten Wesens entspricht.
Ich habe jetzt Nathan den Weisen gelesen, und so wenig ich die verborgenen Invectiven gegen das Christenthum, welches doch Lessing, der kluge Lessing, so offenbar mit dem Katholicismus vermengt, billige, so willig unterschreibe ich doch alle in dem Buche ausgesprochenen Grundsätze.
Sie, lieber Freund, Ihr Herr Vater und ich, wir gehen Alle nach Einem Ziele, aber auf verschiedenen Wegen. Daß wir auf verschiedenen Wegen gehen, wird dem Gott, der uns auf verschiedenen Wegen werden und existiren ließ, nicht mißfallen, wenn wir nur das Ziel genau im Auge behalten. – Sie und Ihr Herr Vater gehen auf dem Wege der Phantasie und des Herzens, nur daß dieser hierbei einem frommen Führer, Sie Sich selbst zuerst folgen. Ich, wenn Sie wollen, gehe mehr auf dem Wege des Verstandes. Allein ich muß Ihnen sagen, daß dieser zwar in manchem Betracht sicherer, aber auch in manchem gefährlicher ist, weil das Herz so leicht doch kalt bleibt und weil man sich so leicht dabei schmeichelt, Religion zu haben, während man sie doch blos kennt. Und ich schätze Diejenigen für glücklich, bei denen Religion mehr Bedürfniß des Herzens, als Gegenstand des Verstandes ist, weil sie bei Allen mehr Sache des Lebens, der That wird, wennschon sie durch einige Auswüchse entstellt sein sollte. Sonst scheinen Sie mir immer in der Religion zu sehr auf’s ästhetisch Schöne zu rechnen, und ich glaube auch einige Spuren davon in Ihren Schriften entdeckt zu haben. Nach und nach werden Sie es aber auch Sich selbst eingestehen, daß die ästhetische Schönheit nur Nebensache ist, welches uns aber auch die christliche Religion empfehlenswerth machen kann.