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Caroline von Schelling to Novalis TEI-Logo

[Jena,] den 4 Febr[uar] 1799. [Montag]
Ob Sie mich gleich mit Ihren Dithyramben über das mercantilische Genie, das uns fehlt und Sie auch nicht haben, einmal recht bös gemacht, so sind Sie doch besser wie ich gewesen – Sie geben wenigstens Nachricht von sich. Ich aber habe mich in Absicht der nöthigen Mittheilungen ganz auf Ihre Weihnachtsunterhaltung mit der Ernst verlassen, und mehr an Sie gedacht, als geschrieben. Endlich kommt beides zusammen.
Was Sie von Ihrer Kränklichkeit erwähnen, darüber will ich mich nicht ängstigen, weil immer viel guter Muth dadurch hervorleuchtet, und Sie bei Ihrer Reizbarkeit immer Zeiten haben müssen, wo Sie nichts taugen. Das Wort des Trostes, was Sie nennen, geht mir weit mehr zu Herzen: Liebe. Welche? Wo? Im Himmel oder auf Erden? Und was haben Sie mir mündlich Schönes und Neues zu sagen? Thun Sie es immer nur gleich, wenn es nichts sehr Weitläuftiges und etwas Bestimmtes ist. Es giebt keine Liebe, von der Sie da nicht sprechen könnten, wo, wie Sie wissen, lauter Liebe für Sie wohnt. In der That – darf ich alle Bedeutung in den Schluß Ihres Briefs legen, den er zu haben scheint? Ich will ruhig schweigen, bis Sie mirs sagen.
Ihre übrige innerliche Geschäftigkeit aber macht mir den Kopf über alle Maßen warm. Sie glauben nicht, wie wenig ich von eurem Wesen begreife, wie wenig ich eigentlich verstehe, was Sie treiben. Ich weiß im Grunde doch von nichts etwas als von der sittlichen Menschheit und der poetischen Kunst. Lesen thu ich alles gern, was Sie von Zeit zu Zeit melden, und ich verzweifle nicht daran, daß der Augenblick kommt, wo sich das Einzelne auch für mich wird zusammen reihen, und mich Ihre Aeußerungen nicht blos darum, weil es die Ihrigen sind, erfreuen. Was ihr alle zusammen da schaffet, ist mir auch ein rechter Zauberkessel. Vertrauen Sie mir vors Erste nur so viel an, ob es denn eigentlich auf ein gedrucktes Werk bei Ihnen herauskommen wird, oder ob die Natur, die Sie so herrlich und künstlich und einfach auch, construiren, mit Ihrer eignen herrlichen und kunstvollen Natur, für diese Erde, soll zu Grunde gehn. Sehn Sie, man weiß sich das nicht ausdrücklich zu erklären aus Ihren Reden, wenn Sie ein Werk unternehmen, ob es soll ein Buch werden, und wenn Sie lieben, ob es die Harmonie der Welten oder eine Harmonika ist.
Was kann ich Ihnen von Ritter melden? Er wohnt in Belvedere und schickt viel Frösche herüber, von welchen dort Ueberfluß und hier Mangel ist. Zuweilen begleitet er sie selbst, allein ich sah ihn noch nie, und die Andern versichern mir, er würde auch nicht drei Worte mit mir reden können und mögen. Er hat nur einen Sinn, so viel ich merke. Der soll eminent sein, aber der höchste, den man für seine Wissenschaft haben kann, ist es doch wohl nicht – der höchste besteht aus vielen. Schelling sagt, Sie sollen Rittern nur schreiben, wenn Sie ihm etwas zu sagen haben. Es thäte nichts, daß Ritter selbst gar nicht schreiben könnte. Aufs Frühjahr werden Sie ihn ja sehn. – Was Schelling betrifft, so hat es nie eine sprödere Hülle gegeben. Aber ungeachtet ich nicht 6 Minuten mit ihm zusammen bin, ohne Zank, ist er doch weit und breit das Interressanteste was ich kenne, und ich wollte, wir sähen ihn öfter und vertraulicher. Dann würde sich auch der Zank geben. Er ist beständig auf der Wache gegen mich und die Ironie in der Schlegelschen Familie; weil es ihm an aller Fröhlichkeit mangelt, gewinnt er ihr auch so leicht die fröhliche Seite nicht ab. Sein angestrengtes Arbeiten verhindert ihn oft auszugehn; dazu wohnt er bei Niethammers und ist von Schwaben besetzt, mit denen er sich wenigstens behaglich fühlt. Kann er nicht nur so unbedeutend schwatzen oder sich wissenschaftlich mittheilen, so ist er in einer Art von Spannung, die ich noch nicht das Geheimnis gefunden habe zu lösen. Neulich haben wir seinen 24. Geburtstag gefeiert. Er hat noch Zeit milder zu werden. Dann wird er auch die ungemeßne Wuth gegen solche, die er für seine Feinde hält, ablegen. Gegen alles, was Hufeland heißt, ist er sehr aufgebracht. Einmal erklärte er mir, daß er in Hufel[ands] Gesellschaft nicht bei uns sein könnte. Da ihn H. selbst bat, ging er aber doch hin. Ich habe ihm mit Willen diese Inconsequenz nicht vorgerückt. Er hat so unbändig viel Charakter, daß man ihn nicht an seinen Charakter zu mahnen braucht. – Der Norwege Steffens, den ich Ihnen schon angekündigt habe, hat hier in der Gesellschaft weit mehr Glück gemacht. Das scheint ihn auch so zu fesseln, daß es die Frage ist, ob er noch nach Freiberg kommt. Er würde Ihnen angenehm gewesen sein. Er ist es uns auch, aber ganz kann ich ihn nicht beurtheilen, denn ich weiß nicht, wie weit er da hinausreicht, wo ich nicht hinreiche, und die Philosophie ist es doch, die ihn erst ergänzen muß. – In Fichten ist mir alles klar, auch alles, was von ihm kommt. Ich habe Charlotten aufgetragen, Ihnen seine Appellation zu schicken; er läßt Sie daneben grüßen. Schreiben Sie mir etwas darüber, das ich ihm wieder bestellen kann. Was sagen Sie zu diesem Handel? was zu Reinharden? und wie ihn Fichte zwischen Spalding und Jacobi stellt. – Ein wenig zuviel Accent hat Fichte auf das Märtyrerthum gelegt. Das Uebrige ist alles hell und hinreißend – ich bin andächtig gewesen, da ich es las, und überirdisch. In Dr[esden] wird die Schrift noch nicht zu haben sein – ich beredete F[ichte], sie Ihrem Vater zu schicken, und glaube, daß ers gethan hat. – Nach dem Atheismus ist hier das neueste Evenement die Aufführung des ersten Theils von Wallenstein, Die Piccolomini, in Weimar. Wir haben sie gesehn, und es ist alles so vortrefflich und so mangelhaft, wie ich mir vorstellte. Die Wirkung des Ganzen leidet sehr durch die Ausdehnung des Stoffes in zwei Schauspiele. Aber das Dramatische interreßirt Sie nicht – ich will mir die paar Augenblicke, die uns bleiben, hiermit nicht rauben. Göthe bringt den Februar hier zu. Die Elegie ist noch nicht vollendet, das Athenäum erst zur Hälfte gedruckt.
Von Friedrich nichts – bis ich die Veit und Lucinde gesehn. Wir gehen in der Woche vor Ostern nach Berlin, wo jene den Sommer über bleiben werden. Lieber Hardenberg, gehn Sie mit uns – wir können Sie ja in Naumburg treffen. Es wäre gar zu hübsch. Denken Sie mit Ernst daran.
Wir sind fleißig und sehr glücklich. Seit Anfang des Jahrs komme ich wenig von Wilhelms Zimmer. Ich übersetze das zweite Stück Shakespear, Jamben, Prosa, mitunter Reime sogar. Adieu, ich muß dies wegschicken.
Caroline S.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 4. Februar 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Freiberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 518‒520.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verbrannt
Language
  • German

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