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Hans Georg von Carlowitz to Novalis TEI-Logo

Dresden, 10. Februar 1799. [Sonntag]
Dein Bild von den Ständen ist leider sehr wahr, aber der Entschluß, nie auf dem Landtage zu erscheinen, ist nicht patriotisch. Jeder thut für die gute Sache was er kann, und gerade Du würdest viel können. Du bist der einzige mir bekannte Mensch, dem ich zutraue, daß er eine ganze Generation erheben und die verhaßte Stimme des Egoismus, der Dummheit und der Brutalität unterdrücken könnte; Du allein würdest uns von der Verachtung retten, die wir verdienen. Glaube nicht, daß meine Neigung zu Dir, die weder Dankbarkeit allein veranlaßt, noch das Wort Freundschaft in ihrem Umfang ausdrückt, mich zum Uebertriebenen fortreißt. Ich habe mehr Selbstständigkeit als viele von den Andren, und doch fühle ich meine unbedingte Abhängigkeit von Dir: ich weiß gewiß, daß auch dem Schwarm geborener Sclaven Deine Ueberlegenheit fühlbar sein müßte, die sich jetzt von einem Münchhausen, Planitz, Werthern am Narrenseile führen lassen. Sie machen die Mehrheit unter uns aus und würden sich gewiß unter einem würdigeren Chef mit eben der Bereitwilligkeit zum Guten lenken lassen, mit der sie sich jetzt zu kleinlichen, entehrenden Zwecken hingeben. Nur Du könntest die Scheidewand zwischen den Guten und Bösen bei uns vernichten und das Band wieder knüpfen, das man muthwillig zerrissen hat, um uns Alle der allgemeinen Verachtung und vielleicht künftig der Verantwortung bloszustellen. Ich wollte gern Alles darum geben, wenn Du unter uns wärst, denn der Schmerz, daß auch ich, beim besten Willen, von der Welt und, bei der heftigsten Widersetzlichkeit, an meiner Ehre leiden muß, ist unerträglich. Ich habe schon viel Verdruß gehabt, man tadelt mich um meiner eingebildeten Anhänglichkeit an den Hof, eben weil der Sansculottismus unsrer ritterschaftlichen Despoten nicht meine Sache ist. Es ist interessant zu bemerken, wie unbedeutend die Gründe sind, die den elenden Parteizwist unter uns veranlaßt haben. Sie liegen in dem Kopfe eines einzelnen Thoren, Münchhausens! Der Satz: ,Wer nicht für uns ist, ist wider uns‘, gilt allgemein. Jeder Mensch ist also, er sei so dumm wie er wolle, ein kluger, politisch denkender Mensch. Jeder, der sein Urtheil nicht von der Hand eines erbärmlichen Menschen erbetteln will, ist ein Dummkopf, oder ein Schranz. So siehst Du also hier Genies, die ich nicht zum Reitknecht haben möchte, und Creaturen des Hofs, die den Hof nie anders zu sehen bekommen, als wenn sie gebeten werden. Ich fühle mich sehr geehrt, daß man mich unter die letzte Classe gesetzt hat. Schulenburg von Kirchscheidungen, mein Bruder und Deine übrigen Freunde sind gleicher Meinung. Wir formiren zwar eine Opposition und gewinnen jetzt täglich mehr an Ansehen, aber wir können doch nur das Böse verhindern, ohne deshalb das Gute zu befördern.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 10. Februar 1799
  • Sender: Hans Georg von Carlowitz ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Freiberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1975, S. 520‒521.
Language
  • German

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