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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

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Gdfr d 16 Jan 1801
Morgen sind es 14 Tage daß ich Deinen Brief habe – und außer den wenigen Zeilen die ich darüber an meine lezte Epistel hinzufügte – habe seitdem kein Wort schreiben könen – ein schrekliches anhaltendes noch nie gehabtes Kopfweh ordnete mir diese strenge Enthaltsamkeit – Seit gestern bin ich wieder so weit daß ich alle Nahmen und Ziffern der Epochen die ich in meinen Schulen brauche finden kan – auch hat sich der unbändige Schmerz gelegt – und nun will ich dem Drang meines Herzens folgen – obschon es bald 9 uhr Abends ist noch einige Zeilen schreiben – was ich Dir eigentlich sagen wolte ist dis – daß ich wohl vielleicht Jahr und Tag nicht so sehnlich gewünscht habe Dich zu sprechen, als seit vorgestern Abend – auf den Tag oder Stunde liegt kein besondrer Accent – kurz ich möchte Deinen in aller Art treflichen Brief am liebsten mündlich beantworten – c’est si bien ecrit et cela se sent si bien – würde die Schilden sagen il y a tant des raisonements et des Sentimens – et apres tout – il me reste tout à vous dire de moi mème que je ne trouve gueres la possibilité ni la facilité de m’expliquer par ecrit – vous sentés bien que mes maux de tête sont la suite d’une douleur – et des agitations bien vives que la perte du petit Herman viennent me causer – c’etait peut ètre un accident triste qui a saisi plusieurs personnes et le quel me donna pour ainsi dire la permission de faire couler mes larmes – d’une source qui attendit l’heureux moment pour s’epancher à son aise – mais helas on s’en moquoit pourtant – car si apresent je pleure je ne saurois les secher si vite –
Mit der Morgenröthe des heutigen Tages
verlosch wie sie unser zweiter Sohn Hermann
Freunde! Ihr weiht uns euer Mitgefühl
Ihr schenkt den tiefgebeugten Eltern
eine Thräne auch ohne eure Theilnahme uns
schriftlich zu versichern
Dis die Anzeige über Pritwizes Verlust in den Zeitungen seine Worte |
Ein für mich sonst unbedeutender Vorgang – der Heimgang eines alten ledigen Bruders aber ganz eigne noch nie gehabte Empfindungen ergriffen mich beim blasen heute früh das seinen Hinübergang anzeigte – dieser gute Alte weiland Postbothe — brachte mir zu jener Zeit Deines 1ten Auffenthalts in Berlin in Landsberg – und während Deines Seins in Preußen – alle Deine Briefe mit welcher Sehnsucht und Spannung ich damals seinem Kommen entgegen sah brauche ich Dir nicht erst zu sagen – Du weist dis eben so gut als ich – und fühlst es mit mir wie sich alles mir vergegenwärtigte – unsre beiderseitigen Verhältniße – und das öftere Dazwischenkomen unsers guten Vaters. Daß wir uns Beide jezt seltner schreiben – aber ich doch imer mehr ist wohl ganz unleugbar – doch sind wir hierüber verstanden – – Nun wieder zu Pritwizes – die nun in ihrem Kuchendorf sind – sehr verschieden wirkt dieser Verlust auf Beide – – die Mutter hat nach dem ersten heftigen Weinen nun alle ihre Liebe auf Moriz geworfen – ihn aber doch – da er sich so ungern von den GroßEltern trennt (und auch wirklich hier mehr beschäftigt wird) noch mit diesem Schmerz verschont, und will sein Eingewöhnen im väterlichen Hause nach und nach abwarten – – Er hingegen ist tiefer in Schmerz versunken – fühlt daß, nichts, weder Moriz noch ein Andres (wozu auch jezt noch keine Hofnung ist) ihm das schuldloose Lächeln – und den Liebreiz seines Hermans ersezen kann – am Begräbnißtage war Moriz auch sehr krank – da soll er sich geäußert haben – wenn dieser auch nicht lange leben solte – er ihn am liebsten auch jezt sterben sähe – ich kann mich darein sehr gut finden mit ihnen selbst habe ich wenig darüber gesprochen – Pritwiz sähe ich die ganze Zeit nur 1mahl bei Seidlizes wo wir zusammen speisten habe aber mit Ihm gefühlt – Sie außer jenem Morgen – nur noch 2mahl – da ich mir Mühe gab sie aufzuheitern – und das leztere mahl Deinen Brief über den sie viel Freude hatte ihr mittheilte solo bei einem The – Sie las ihn laut vor – ich hätte Dir gewünscht alle ihre Anmerkungen zu hören – und manches nur in ihrem Blik zu lesen – wir waren sehr traulich zusamen – Sie versteht Dich so ganz – |
den 18ten Abends Seit 5 Wochen war ich heute Mittag auf eine dringende Einladung von ihr bei Peistels die Feiertage in denen ich ohnedis viel Menschen dort wuste – und dann mein entsezliches Kopfweh welches mich für alle Unterhaltung unfähig gemacht – verursachten diese Pause – 8 Tage vor Weinachten war ich dort – schon damals fand ich sein ganzes ich auf einem äußerst traurigen Standpunct – Gott wie hat sich das verschlimert – daß einige seiner Verwandten und Schwestern GemütsKrankheiten hatten die ihren Todt natürlich – oder durch SelbstMord veranlaßten mag hier vorangehen – um Dir die Sache deutlich zu machen. Der Kampf wegen seinen Kindern – der schon Folge einer sehr harten Krankheit war – machte voriges Frühjahr den Anfang zu denen sonderbaren Verirrungen seines Geistes – die Er mit Wirk- wnd Reusucht betittelt – und in welchen er sich leider gar zu gern beschauet[,] Monumente groß und klein so traurig sie auch sind – scheinen ihm mehr als alles was um Ihn her zu beschäftigen – da ist kein Geschmak an irgend etwas – kein Interesse – nichts – als der nächste Gedanke! Todt – sein sanftes angenehmes Wesen hat sich ganz verlohren – sein Wankelmuth – und die zu wenige Haltung seiner Frau – hat es so weit gebracht – daß sie das Gut wieder an sich genomen – dazu komt in diesen Tagen – das eclat beim Chambellan – qui a tout mangé – et tout perdü[;] das macht ihn vollends wegen seinem oeconomischen bestürzt[;] kurz es ist traurig – heut kam es so weit – daß er seine Frau flehentlich bat – uns allein zu laßen – um nach so langer Zeit wieder mit mir zu reden – Sie die wirklich seit geraumer Zeit ganz allerliebst mit Ihm umgeht – that es gern – Gott ich muste alle meine Beredsamkeit zusamen nehmen – und es half doch nichts
gute Nacht für heute |
den 21ten Januar Wenn das so fortgeht werden diese Blätter zu einer ziemlichen Epistel anwachsen – die dennoch nicht eher fort soll bis ich wieder etwas von Deinen GesundheitsUmständen weis – die, wie war es anders möglich mich beunruhigen. Du hast nun meinen lezten Brief der ein wahres Allerley ist – der Stof und die Art des Schreibens – als ich mir das Wesen ansah – machte ich mir es zur Schande es in Deine Hände – so zu überliefern – Da ich beim tieferen Hineinschauen in die feinen nuanzen Deines innern sensoriums die natürlich auch auf die äußern Organen wirken und deren Liebhabereien für Zierlichkeiten – – alle Ursach habe mich etwas in Acht zu nehmen – um dieselben durch einen solchen Anblik nicht zu sehr zu beleidigen – wenn ich nur mit meinem besten Willen doch nicht imer wieder in die alte Manier verfiele. – Am Ende meines leztern ersuchte ich Dich mir wieder einmahl von unsern berühmten Schiller oder Ifland etwas zu schiken – Seitdem lese ich nun endlich nach langem Warten des leztern Theathralische Laufbahn – durch welche mann den treflichen Mann – von seiner ersten Existenz – die Er frühe gefühlt hat – kennen lernt — und ihn verfolgt durch alle Stuffen seiner Begeisterung – und seiner Energie – seiner feinen Gefühle – Sein festhalten des günstigen Augenbliks – seine Aufopferungen – usw – Ohne Zweifel hast Du doch dis gelesen – und wirst denken könen wie sehr ich wünschte Liebe um Liebe zu lesen – was in Manheim bei den Feierlichkeiten aufgeführt wurde – wo er durch das gewaltige Gefühl des Auditoriums – als durch die Huld des ChurFürsten so herzlich erfreut – und so zart belohnt wurde; ich kan mir nicht helfen Ifland ist ein Mensch – dem ich gern einen recht biedern Gruß ausrichten ließ – wenn er als Mensch und Freund eben dazu empfänglich ist – meine Zuneigung ganz zu verstehn. |
den 28ten Januar 1801 Wegen des sehr schlechten Wetters sind die kleinen Söhne des Barons Cotwiz die ich französisch lesen lehre – nicht gekomen – ich habe welches Mitwoch und Sonabend (dis sind ihre Tage) etwas seltnes ist, eine freie Stunde – die ich mit Dir verplaudern will. Nach Tische überlas ich mir gleichsam zum Desert – theils auch um für meine augenblikliche Gefühle, mir – Deine Theilnahme zu vergegenwärtigen – Deinen treflichen Brief. Um nicht zu weitläuftig zu werden – will ich dismahl jede Stelle – mit, einer, aus meinem Leben, beantworten. Das 1te die Dohnas in deren ganze Verhältniße – im Umriß und den einzelnen Laagen und Personen ich mich jezt so viel mir wegen der Theilnahme nötig besonders durch den kurzen aber doch nachhaltigen Brief des Louis ganz verstehe – – dieser ist mir ein recht liebes Pfand – Deiner Güte – und seines liebliches Wohlwollens gegen mich – das was Du von dem KamerHern auf den vorigen Blättern findest – und manche einzelne Züge wahrer Theilnahme, und Geld Interresse – als auch schreklicher Argwohn so mancher der Verwandten – haben mich sehr lebhaft – an jene Auftritte – und Mittheilungen die man Dir gemacht erinert – die Frau von Schlößel – die mir seit einigen Jahren immer schäzbarer wird – hat sich durch rechtschafner Unpartheilichkeit – und edler Festigkeit des Caracters besonders schön hiebei – als auch bei verschiednen Peistels-Angelegenheiten benommen – – nach Dir erkundigt sie sich so selten ich Sie spreche imer sehr liebevoll – daß dies ihren Ruhm weiter nicht erhöhet versteht sich – auch hat sie dis imer gethan! eigentlich hat der Verlust ihres Charles sonderbar aber vortheilhaft auf Sie gewirkt – |
2tens. Über die sparsamen Mittheilungen mit Bartholdi – die ich wie Du meinst auch in ihren Werth zu schäzen weis – könte ich eine ganze Elegie – über die schon erwähnte Zeichnerin halten – die so viel wahren und feinen Geschmak hat, mit der ich – da Wir auf einer Stube wohnen – gern manches lesen und sprechen mögte muß aber wegen Andrer äußerst sparsam geschehen – ersteres läst sich gar nicht thun – da unterstreiche ich ihr denn manche Stelle vorher – und lezteres – muß man – theils erschleichen – und den glüklichen Augenblik festhalten – wie Ifland sagt – da bekomt denn freilich die ganze Sache wie Du von der Aulock sagst ein ängstliches Ansehn. Da ich eben jezt zu dem Wenzel Article kome – (Meinen Brief an Ihn hättest Du gerne gelesen? hat Er Dir darüber ein Wort gesagt? Und wie ist es wegen der Comtesse – Soltest Du meine Epistel nicht beherzigt haben?) so will ich bald fortfahren von der Treflichen zu reden und Dir meine Freude bezeugen – daß Du weder sein Denkmahl von Ihr zurük noch von mir begehrt – noch nie hatte ich einen solchen Beweis Deiner Anspruchlosigkeit – wofür ich Dir noch herzlich danke – es würde mich sehr viel kosten – denn ich bin nicht allein damit zufrieden – sondern ich wünsche das in seiner Zuschrift angeführte Gedicht – zu haben – wer weis laße ich Ihn nicht durch Charles darum ersuchen – von Ihm und Allen diesen lieben Leuten weis ich schon lange nichts – des Breslauers Brief der mir dismahl ungewöhnlich lange warten lies – lautete sehr kläglich – wegen Spielers woselbst Krankheit und Todt manches lamento angerichtet – auch ist der gute Junge so wie ich wegen Deiner Gesundheit sehr besorgt – ach! daß man deshalb so lange in Ungewißheit bleiben muß – dieses Sujet ist mir so äußerst empfindlich daß ich hier abbreche – |
den 5ten Februar Gott gebe daß Du mit Hülfe der Aerzte beßer – ach wie peinigend ist mir diese Ungewißheit – bekome ich diese Woche nach meiner dringenden Bitte nicht einige Zeilen von Dir so geht diese Epistel komenden Montag ab – um so eher da Du mich wegen meinem vielen Schreiben ganz beruhigst, daß Du an Deinem Geburtstag – (um in Deiner Beantwortung weiter zu kommen) in einem sehr leidenden Zustand befandest – kan ich aus den wenigen Worten die Du darüber sagst leicht ersehen – die Weste erinnerte mich recht laut so wohl an meine Ungeschiklichkeit in Handarbeiten – die mir bei mancher Freude die mir die Fortschritte meiner Schülerin gewähren – öfters Demütigung ist – – als auch an meinen sonstigen Briefwechsel mit dem guten Oncle – an den ich wohl seit Jahr und Tag nicht geschrieben – ich will suchen es wieder über mich zu gewinnen – den abgerißnen Faden anzuknüpfen welches mir eigentlich sehr schwer ankomt – der Gedanke daß ich seit meinem 9ten Jahre eine schriftliche Bekantschaft fast ununterbrochen fortgesezt – fordert mich stark auf eine Kette nicht zu brechen die mich so lebhaft an die Seelige kittet – noch ein ganz andres ist die Unterhaltung mit der Stiefmutter – die seit 1 Jahr schweigt – Charles treibt mich sehr an ihr zu schreiben – ach es ist dis mit einer solchen tiefen Wehmuth vereinbart – die ohnedis jezt bei mir herschend ist verbunden – doch ich will alles vor dem 31ten Merz ins reine bringen |
den 7ten Februar 1801 Auch heute ist nichts von Berlin erschienen – ich eile daher mit dieser Epistel zu Ende, welche Montag fort soll – um Dich recht dringend um Nachrichten wegen Deiner Gesundheit zu bitten – solten es auch traurige sein – so sind sie doch beßer als die schrekliche peinigende Ungewißheit – –
Nun stoße ich auf den Article Deines Briefes der meine Ichheit betrift – die Du freilich jezt aus einem andern Gesichtspunct – und in einem ganz andern GesichtsCreis erblikst. Wohl hast Du recht – daß mein ganzes Wesen gleichsam seine lezte Gestalt angenomen – die sich wohl nie mehr ändern dürfte – wenn nicht etwa Verhältniße oder Menschen um mich her ganz und gar umgestürzt werden –. Seit dem mein Cörper einige Jahre fast an allen Theilen gelitten – hat eigentlich – meine Consistenz – in allen Theilen meines innern – ein gewißes etwas bekomen – was ich selbst erst seit Jahr und Tag inne geworden bin – und durch mancherley Vorkomenheiten – auch andrer Menschen – und meiner Theilnahme daran werde ich, täglich, mehr davon gewahr – mein ganzes eigenthümliches wie mich meine gute Mutter schon kante – bricht nach verschiedenen Wandelungen meiner Ideen – imer mehr hervor – und von jenem andren was ich Jahre lang mit allen seinen NebenPhantasien festgehalten – bleibt nur, das, was mir wahres Bedürfniß ist | Wenn Du mich während meines ganzen Hierseins in allen Verhältnißen und Äußerungen beobachtet hättest – so würdest Du diese Stufen weise Veränderungen – und auch manchmahl das Stille stehn meines IdeenGanges noch mehr inne haben – was die total Eindrüke betrift die Du bei aller meiner Freundheit gegen Dich dennoch davon getragen – so sind, diese, die Grundlaage Deiner Bekantschaft mit meinem jezigen Wesen –
Deine Betrachtungen über das menschliche Leben und die verschiednen Arten von Menschen mit denen Du gewandelt bist – sollen mir sehr wilkomen sein – aber der lange Termin erschrekt mich –
Dicht an dieses Chapitre meines Seins kettest Du meinen Umgang mit Peistels und den Deinen mit Grunows – ich glaube selbst daß durch Beide manches in uns – gewekt – oder uns selbst anschaulicher geworden – auch ich kann sagen daß seit denen 4 Jahren meiner näheren Bekantschaft mit ihnen – ich nie – ohne einiges schmerzhaftes Gefühl dort weggegangen weil, ich, bei eignem cörperlichen Leiden – und seinem feinen sanften Sensorium es ganz mit ihm fühlen konte wie unbehaglich ihm der fortgesezte Wiederspruch – und die platten gemeinen Ausdrüke – Unordnung – und dergleichen – ganz zu geschweigen – – ihm sein musten – und seine Eigenheiten durch dis Betragen gewiß nie abnahmen – sondern im tiefsten inersten höher stiegen – und nach und nach – durch heilsame Verschloßenheit und stilles Dulden – endlich in Krankheit ausbrachen – mir ist es unbegreiflich – – daß, Sie, imer voll Vertrauens und herzlichen Wohlwollen gegen mich bleibt – mich immer wieder bittet – – da sie doch gegen eine Andre (gegen die ganze Noblesse – und ihre Dienstbothen welche bei ihr glaube ich eben den Rang haben – hat sie sehr laut davon gesprochen – mündlich mehr davon.) – deren exterieur ihr freilich im Wege war – gar sehr redete, und arbeitete – doch auch davon nie gegen mich etwas verständliches geäußert – weil Sie wuste daß wir Bekant und auf einer Stube waren. |
Zu Anfang dieser Woche holte Sie mich wieder zum Abendeßen – so schreklich platt es auch war gieng ich doch – da mann lezt beim Abschied sagte „Ach kommen Sie doch bald wieder wenn Ihnen auch hier nicht wohl sein kann“, ich fand dort den alten Pritwiz mit Moriz – die noch ein Stündgen verweilten, kurz vor dem Weggehen entfernte man sich – und kam wieder so bald sie das Haus verlaßen hatten – wir waren wieder einige mahl allein – der Gedanke an den Todt war ihm nicht so fürchterlich nahe – aber doch der liebste – ich fand ihn sanfterer – sich selbst wieder ähnlicher – ergebner in das Dasein oder Hiersein seiner Kinder – über deren Zurükholung er sich imer noch Vorwürfe macht – zufriedner mit dem Hofmeister der sich nicht allein bei dieser ersten Condition viel Mühe giebt – sondern auch was mir das schäzbarste, bei einem chetiven exterieur – sich durch andre Eigenschaften die Liebe beider so sehr verschiednen Knaben zu erwerben – ja auch welches bald wurde – das Vertrauen des leidenden Pritwiz als Hausfreund erhielt (Schon die ersten 14 Tage war er au fait der ganzen häußlichen Verhältniße – und wuste den eigenthümlichen Caracter – und die GemütsSchwäche gut zu unterscheiden – ich glaube er ist 24 –) Sonderbar eben da ich das alles schreibe tritt Sie in meine Stube und holt mich zum MittagsEßen – –. Sie sah mir nicht so heiter aus als sonst – und ich will hier nicht was anders darzwischen schreiben sondern Dir bey meiner Rükkunft melden wie es dort steht.
Das waren einige sehr traurige Stunden! eine halbe Stunde welche mir sehr lang wurde – befanden wir uns vor Tische ohne, Sie, und doch nicht ganz allein weil der Bediente aus und eingieng – er war äußerst angegriffen seine GemütsKrankheit scheint zu steigen – er war so heftig – sprach so laut daß Sie an allem Schuld – – sprach von Zerrütung seiner Sinne – kurz mir war | recht Angst – und ich bat ihn recht herzlich nur bei Tische ruhig zu scheinen weil er selbst nur alzugut weiß wie viel Einfluß seine Stimung auf seinen 12jährigen Knaben hat – überhaupt mache ich mirs zur Pflicht ihn oft unvermerkt auf die Entwikelungen oder Annehmlichkeiten seiner Kinder aufmerksam zu machen – auch die kleine Louise ein allerliebstes Geschöpf von drittehalb Jahren – verursacht ihm nicht die geringste Freude – ich gieng nach Tische mit der Mutter zu ihr in die Kinderstube – während der Zeit ist es dem Hofmeister gelungen ihn aufzuheitern er kam mir – als ich mit der Kleinen nachher ins Zimer trat mit einem heitern Gesicht entgegen mir seine lichtvollen Augenblike zu verkündigen – – die Frau gieng in die ChorViertelStunde – Du kanst denken daß ich unterdeß bei Ihm blieb – und beinahe die meinige versäumt hätte – Gott wie viel habe ich gesprochen – und wer weiß ob Du dennoch au fait von der Sache bist! Seine Gemüts und CörperKrankheit hat freilich seit einem Vierteljahr der Sache eine große Wendung gegeben – sonst hat das Ganze viel ähnliches mit Grunows diese ist mir doppelt interressant – wilst Du ihr nicht bei einem solo – einen recht herzlichen Gruß ausrichten[;] in die Scene mit den bei ihr aufbewahrten Kindern verstehe ich mich – ob ich schon nicht Weib bin, sehr gut – auch erinern sie mich sehr lebhaft an die unvergeßliche Hofpredigern sehr lebhaft – die in Glogau auch mehrentheils solche kleine Lieblinge bei sich hatte – aber wegen der Disharmonie sich eben so wenig eigne wünschte als die gute Grunow – |
Diese Epistel wird wie ich schon gesagt zu einer außerordentlichen Länge gedeihen – da ich durchaus alle Puncte Deines Briefes beantworten will – also wird er doppeltes Postgeld machen – doch darüber als auch wegen der Ausführlichkeit soll ich keine Entschuldigung machen. Nun kome ich zu der Beschreibung Deiner TagesOrdnung die mir äußerst interressant war ich kann mich nun weit mehr in Dein ganzes Wesen hineindenken – und freue mich ganz besonders Professor Spalding und Eichmans mit in der Reihe zu treffen so auch daß Du manchmahl in die Ressourcen gehst – damit Du doch dem hochlöblichen Magistrat Deine Devotion bezeigest – – Auch Lotte Schede nach der ich schon so öfters gefragt habe war mir angenehm – in Deinem Andenken zu finden. Hülsen wird doch wohl einmahl wieder schreiben – wenn sich der Schmerz – etwas gelagert hat – wird es ihm vielleicht Bedürfniß werden – ich möchte schon einmahl mit seiner Art zu schreiben bekant werden. Mit der Veit und Schlegel ist es also wirklich alles so wie ich längst geahndet habe – so wohl ihr Verhältniß miteinander – als jedes in seinem Grade – das geht so weit daß ich auch das Unangenehme was sich bis auf Dich erstrekt mir gedacht habe – – Dein Benehmen dabei gefält mir recht gut – Ach! es scheint auch hier als wenn wir Beide recht viele liebe Menschen in der Nähe und Ferne hätten mit denen, und für welche wir manches zu dulden haben so regt sich auch jezt bei dem Banquerot des Chambelans meine alte | herzliche Theilnahme an der Lotte seiner Frau die in denen jüngern Jahren da sie noch bei Uns war mir ihr ganzes Vertrauen schenkte – und um derentwillen ich auch gar manches gelitten besonders von ihrem Abtreten bis zur Verheirathung da sie imer noch mit den Eltern Graf von Pfeil auf Dirsdorf herüberkam und ich eigentlich keinen Umgang mit ihr haben solte – – natürlich daß die gänzliche Entfernung auch ihre Bedürfniße nach mir und die Möglichkeit des Besuchs aufhörte – Anno 1790 heiratete Sie – seitdem sahen wir Uns nie bis vor 2 Jahren da ich bei Peistels und sie eben auch hinkam – Gott wie inigst beschämt machte mich das Feuer mit welchem Sie mir in die Arme stürzte – und das trauliche Wesen welches gleich wieder began – solte ich Dir schon einmahl davon geschrieben haben, so verzeihe meine Wiederholung – aus allem kanst Du schließen wie groß mein Verlangen ihr jezt durch ein Ungefähr zu begegnen und die arme Unglükliche die freilich auf eine ganz eigne Art während der Zeit ihres Ehestandes ausgeschweift – und viel Schuld an dem jezigen ruïn – meine wehmütige Theilnahme zu bezeugen (Bis jezt ist Sie noch in Girlachsdorf – Tzirschky hat sich nach Fuerstenstein geflüchtet.) – dergleichen Sujets giebts noch mehrere – –
Nun wieder zu Deiner TagesOrdnung – die ohngeachtet der großen Verschiedenheit doch viel ähnliches mit der meinigen hat. Sogar Deine Art zu Abend zu speisen – – Seit jener großen Kränklichkeit ist mir der The zwar verboten und meine Aulock hat mir ihn ganz untersagt aber 1mahl die Woche thue ich es doch wenn ich Wurst dazu eße – und auch zuweilen wenn ich nehmlich welchen habe, Wein, hineingieße welches schon seit mehr als 6 Jahren eine meiner grösten Delicen ist – die übrigen Abende – laße ich mir | 1mahl etwas aus der Küche geben – 1mahl, auch wohl noch 1mahl wird was gewärmt – wenn Cartoffeln oder ein LieblingsGemüse war – 1 Abend gehe ich zu Peistels – wohl diesen Winter nicht alle Wochen – und dann trinke ich auch zuweilen Schocolade mit welcher mich meine Aulock gütigst versorgt diese wird aber en tout piece im Wasser gekocht – und Zuker nebst BäkerWare Brezel und Zwiebak eingebrokt – auch size ich nicht pünktlich alle Abende in der Stube – vorigen Winter gieng man oft ganze Geselschaften zur Comtesse Posadowsky – diesen aber ist es eingeschlafen – 1 Abend widme ich gewöhnlich 3 jungen Mädgens – denen ich privatSchule halte – und die gerne etwas historisches oder Reisebeschreibungen lesen – einen andern Abend bringe ich (d h alles im Winter) schon einige Jahre lang 1mahl in der Woche bei der Schilden zu, auf welche Du als Gouvernante bei der OrtsHerrschaft dich wohl besinnen wirst – wo wir gemeiniglich etwas französisch lesen – jezt haben wir die Tragoedies von Voltaire und haben eben Zaïre et Orosmann beendigt – ganz vortreflich so wie die Andren jedes in seiner Art – daß diese Schilden von allen Orten französische Bücher zusamenbringt um ihren ganzen Plan d’education auszuführen – und mich so manches davon genießen läßt ist ja wohl lobenswerth! Hier fält mir ein daß ich die Illiade nicht Henriade die gewiß ins französische übersezt ist gar zu gern lesen möchte – wenn Du es wüstest wie weit meine Wünsche hierin gehn in allem was Geschichte betrift – Du würdest Dich vielleicht auch über diese Art der Aenderung wundern – denn als wir Uns sahen – fieng erst mein Geschmak mit dem Unterricht geben ann – wie gut ich mich deshalb in eure griechische Lectüre mit Herz verstehe ist leicht zu erachten – – – |
Da ich nun einmahl bei dem BücherKapitel bin – so laß mich noch von Matthison reden – deßen Briefe an Koepken und Bonsteten ich jezt durch die Güte meiner Pritwiz gelesen – nicht nur alles das Große und Schöne was es in der Schweiz giebt – stelt er in so herrlichen Gemählden und schönen Essenzen – dar – sondern auch alles das merkwürdige von großen Mänern die er kenen gelernt – hat – besonders in Goettingen usw – dabei vereinigt er die inigsten stärksten Äußerungen über wahre Freundtschaft – – daß man es mit Vergnügen einigemahl liest – es ist ganz für FrauenZimmer gemacht – die gern eine kleine brochüre von den besten deutschen Gelehrten hätten und doch nicht große Werke lesen – auch nicht verstehn – ist Dir dieses Buch auch nicht Deinen Freundinnen bekant? ich habe die Gedichte dazu gelesen – weil vieles damit Bezug hat – Von Wieland habe ich nie etwas gelesen außer vor vielen Jahren seinen Oberon den ich jezt auch beßer verstehen würde – wenn Du die Schöpfung von Haiden in der königlichen Capelle gehört hast so schreibe mir doch was darüber – von der SingAcademie hast Du mir noch nie einige Meldung gethan – warst Du auch nicht am 1ten Januar auf dem NationalTheater – schon die Beschreibung in der Zeitung hat mir sehr wohlgefallen –
Nun noch einiges über die Menschen nach denen Du frägst. Pritwiz ist schon beantwortet – die Stegmann: ist vorigen Herbst dem Tode sehr nahe gewesen – so daß ich lange von ihr gar nichts wuste – und eben so lange sehr in Sorgen um sie war an ihrem Geburtstag den 9ten November schrieb sie mir wieder die ersten Zeilen – natürlich daß ich ihr zu Ende des Jahres eine | ganze Epistel schrieb – seitdem aber nichts von ihr weis. Von Charles erhielt ich auch vor 8 Tagen einen erfreulichern Brief als lezt – er liest ja recht eifrig Bücher in der französiscben Sprache das macht mir viel Freude – nur wünschte ich wie Du daß er bald seinem eigentlichen Ziel näher käme – das einsame Leben – bei schlechter Witterung so abgelegen von Allen und dan auch das ganze oeconomische Verhältniß – macht mir manche Sorge – Du meinst ich würde mit Dir nach Breslau [,] Nein mein Lieber hierüber bin ich ganz bestimt – auch sind an diesem refus unsre Arbeiter nicht allein Schuld – wie Dich wahrscheinlich Charles berichtet hat; ein andermahl, oder vielmehr mündlich weiter davon – Du sprichst zwar von Deinem Herkomen aber noch so entfernt – daß ich mir gar keine ordentliche Hofnung darüber machen kann – eine tour ins Gebürge machte ich gar herzlich gern mit Dir – sonst dürfte ich wohl nie hinkommen – nehmlich nach Fuerstenstein[;] bitte laß mich bald etwas näheres von Deiner Reise hören – und nun die dringende wiederholte Bitte – laß mich bald nach Empfang dieser Stubenrauchschen Epistel – von Deiner Gesundheit Nachricht haben – bist Du nicht im Stande selbst zu schreiben – so werden Herz oder Grunow mir gern aus Liebe für Dich den Gefallen erzeigen und mich aus der peinlichen Verlegenheit reißen – die Du Dir vielleicht nicht so vorstellst als es im inern
Deiner
Lotte
Wenn Du mir die beliebte Summa noch vor dem 31ten Merz schiken kanst – wird es mich freuen
Metadata Concerning Header
  • Date: 16. Januar bis 7. Februar 1801
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 15‒30.

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