Berlin d 12t. Febr. 1801.
Deine Besorgniß um meine Gesundheit hätte mich schon eher zum Schreiben treiben sollen; auch hat es an meinem Willen nicht gefehlt, und ich wollte ich hätte nicht nöthig Dir die fatale Geschichte zu erzählen, welche Schuld daran ist, da sie leider Dich noch mehr betrift als mich. Ich wollte Dir nemlich das verheißene Geld mitschiken, und da ich es beisammen hatte habe ich den fatalsten Unfall damit gehabt; es ist mir, eben da ich gehn wollte um das Geld, mit dem Du ein Paar mal Umstände gehabt hast in Courant umzusezen, wahrscheinlich in einem Volksgedränge durch welches mich mein Weg führte, aus der Tasche gezogen worden. Ich hatte so eine Ahndung gehabt von einem Unglük das damit begegnen würde, und war deswegen selbst gegangen, anstatt wie gewöhnlich meinen Aufwärter damit zu schiken. Es sind nun über vierzehn Tage her, und ich habe seitdem hin und her gesonnen, wie die Lüke sich bald wieder ausfüllen ließe; aber vergeblich, und ich muß nun einen leeren Brief wegschiken. Wüßte ich nur erst wie Dir bei der fatalen Nachricht zu Muthe sein wird, und ob Du ein Hülfsmittel unterdeß wirst ausfindig machen können. Ich werde nun nicht wieder warten bis ich 50 rth beisammen habe, sondern auch eine kleinere Summe schiken sobald ich kann um nur dem Dringendsten abzuhelfen. Man muß nichts gar zu gut machen wollen, dafür bin ich diesmal tüchtig gestraft. Du kannst denken daß mir diese Begebenheit wenig Lust zum Schreiben gegeben, und mich auch sonst sehr gestört hat. Es ist das erste Mal daß mir etwas von dieser Art begegnet, und wenn ich noch der leidende Theil dabei wäre würde es mir nicht soviel ausmachen: denn ich kann in meiner Oekonomie immer Rath dazu schaffen eine Zeitlang weniger Geld zu verbrauchen als gewöhnlich, aber nicht baares herbeizuschaffen, und ich würde also den Verlust nicht so empfinden wie Du, und würde mir auch eher helfen können als ich Dir wieder helfen kann. – Ich muß mich mit Gewalt von diesem fatalen Gegenstande losreißen, sonst schriebe ich noch mehr darüber, und das könnte doch Alles nichts helfen.
Ueber meine Gesundheit, meine liebe, sei nur außer Sorgen. Das Schwellen es mag nun damit beschaffen gewesen sein wie es wolle, ist ganz vorbei. Herz, ob gleich seine Mittel dies bewirkt zu haben scheinen behauptet noch immer, er wiße nicht wie es damit eigentlich zusammen gehangen habe. Mir lag auch immer die Wassersucht dabei in Gedanken, indeßen ist eine solche die nur in den fleischigen Theilen ihren Siz hat selten gefährlich, und so war ich auch für mein Leben noch nicht besorgt. Daß ich aber irgend einmal an einem chronischen Uebel, und an diesem eher als an jedem andern sterben werde macht meine ganze Constitution sehr wahrscheinlich, welche eigentlich doch schwach und dabei von jeder hizigen Krankheit in einem sonderbaren Grade abgeneigt ist, so daß ich keine Uebel wozu Fieberbewegungen gehören bekommen kann wenn auch Alles um mich herum daran leidet. Weder die Influenza noch die Catarrhalfieber an denen jezt in Berlin von allen die nicht körperliche Arbeit treiben gewiß der siebente Mensch danieder gelegen hat, haben mir das geringste anhaben können. Um desto weniger aber darfst Du besorgen irgend einmal unvermuthet eine traurige Nachricht zu bekommen indeßen habe ich doch auch dafür gesorgt, so wie auch gewöhnlich in meinem Schreibtisch ein Papier liegt welches meine Dispositionen enthält, und von Zeit zu Zeit geändert wird. Dies sollte sich wol jeder Mensch zur Pflicht machen und besonders jeder Mensch der Papiere hat. In diesem Punkt werde ich jezt wahrscheinlich in eine große Ver | legenheit kommen, indem es allen Anschein hat daß Alexander bald irgendwohin in die Provinz als KammerDirektor versezt werden wird. Dann weiß ich keinen Mann, den ich dazu beauftragen könnte, und einer Frau meine Papiere vermachen, das hieße noch zu guter lezt meinem Leben das Siegel der Paradoxie aufdrüken, worüber ohnedies genug geklagt wird. Noch dazu müßte es die Herz sein, denn der Grunow könnte es nur Verdruß machen. – Daß Du Dir ohne es zu sehen mein Wesen und Verhältniß mit der Herz nicht denken kannst, ist eigen, da es doch in der That viel leichter und viel weniger schwierig ist als das mit der Grunow. Es ist eine recht vertraute und herzliche Freundschaft wobei von Mann und Frau aber auch gar nicht die Rede ist; ist das nicht leicht sich vorzustellen? Warum gar nichts anderes sich mit hineingemischt hat und nie hineinmischen wird; das ist freilich wieder eine andere Frage; aber auch das ist nicht schwer zu erklären. Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in dieser Ruhe des Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruk des Innern versteht der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftloses Wesen und wenn ich auch bloß dem Einfluß des Aeußeren Raum geben wollte, so hat sie für mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön ist, und ihre kolossale königliche Figur ist so sehr das Gegentheil der Meinigen, daß wenn ich mir vorstellte wir wären beide frei und liebten einander und heiratheten einander, ich immer von dieser Seite etwas Lächerliches und Abgeschmaktes darin finden würde, worüber ich mich nur sehr überwiegender Gründe wegen hinwegsezen könnte. Wie wir miteinander umgehn, davon habe ich Dir wol schon genug gesagt, willst Du aber noch irgend etwas darüber wißen so frage nur denn es ist mir ängstlich daß Du Dir gerade das nicht sollst vorstellen können. Daß ihre eine Schwester Brenna – die welche ich meine Schwester nannte – schon seit einiger Zeit in einem reichen Kaufmannshause in Hamburg ist als Gesellschafterin glaube ich Dir damals geschrieben zu haben. Anfangs war das arme Mädchen sehr traurig, jezt hat sie sich eingewöhnt und es geht ihr sehr gut. Die jüngste Sara mein Töchterchen ist noch bei der Mutter, welche je länger je mehr ihr Gesicht verliert und verdrießlicher wird, so daß das gute Kind oft recht schwere Tage hat. Dabei liebt sie jezt recht ernstlich einen jungen Arzt, der aber noch gar kein sicheres Etablissement hat, und mit dem wir Andern alle in mancher Hinsicht nicht so zufrieden sind, als wir es mit ihrem Freunde zu sein wünschten. Das macht ihr denn auch manchmal das Herz schwer.
den 13ten. Ich möchte gern Morgen diesen Brief expediren, und habe doch bis dahin noch soviel Andres zu thun, und auch Dir noch soviel zu beantworten, und zu erzählen, daß ich nicht sehe, wie ich werde fertig werden können. Nun habe ich noch gar einen Auftrag bekommen der sehr eilig ist. Ich soll dem älteren Schlegel der in wenigen Tagen hier sein will ein Quartier miethen; ich bin zu so etwas sehr unbeholfen, und es ist so schlecht Wetter, daß man keiner Frau zumuthen kann sich der Sache anzunehmen[.] Da sehe ich mich schon im Geist von Morgen an täglich einmal die besten Gegenden der Stadt auf und abtraben im Sturm und Schneegestöber, und nicht wißen was ich anstellen soll. Ich freue mich wol auf den Schlegel, der Umgang mit ihm wird mir auch wieder einen neuen Stoß geben denn es fehlt mir eben jezt daran daß ich nicht genug verschiedenartige Menschen sehe – aber ganz anders würde es mich doch freuen wenn es mein lieber Friedrich wäre der herkäme! Und doch könnte es mir leicht zu viel werden; er gehört zu sehr unter meine | Schmerzen, und ich habe schon einen Gegenstand hier, der mir Leiden macht so oft ich ihn sehe – nemlich die Grunow. Wol hast Du recht daß uns beiden fremde Leiden so sehr viel mehr sind als eigne; ich weiß sogar die Zeit nicht mehr daß etwas was mir selbst begegnet wäre mich recht afficirt hätte ohnerachtet in meiner ganzen Lage so Manches ist, was zusammengenommen mich für einen Freund schon besorgt machen würde. Nur den einen Vorzug, daß ich so sage, habe ich vor Dir – wie denn überhaupt die Männer doch immer kälter und träger sind, daß es mich nicht so quält wenn ich nicht helfen kann. Ich leide Alles mit ihnen, aber am Ende denke ich: ei so mögen sie es ausstehn so gut ich es ausstehn mußte. Besonders gilt das bei äußern Begebenheiten. Als Brenna weggereist war, war die gute Herz eine lange Zeit hindurch sehr gedrükt, ich fühlte das recht innig mit ihr: aber wenn ich in dem Augenblik der Brenna soviel Geld hätte geben können als sie sich in Hamburg nach und nach zu sammeln gedenkt, ich weiß nicht einmal ob ich es würde gethan haben. Es giebt sogar Uebel bei denen ich gar nicht einmal Mitleiden fühle: zB nachtheilige Gerüchte, Verläumdungen, körperliche Schmerzen; bei den lezten thut mir immer nur das leid, daß sie das Dasein unterbrechen, daß der Mensch unterdeß nichts thut und nichts wird, und ich habe mit einem der die unartige Gewohnheit hat viel zu schlafen weit mehr Mitleid als mit einem der an Kolik Zahnschmerzen und was sonst noch leidet. Aber freilich wenn das Herz so unmittelbar angegriffen wird wie bei der Grunow und zum Theil auch bei Schlegel: dann befindet sich das meine auch sehr übel. Doch ist es mir schon begegnet daß ich für hartherzig und unempfindlich gehalten worden bin weil ich so eine ganz andere Taxe für das Unglük habe. Mit der guten Lisette habe ich auch sehr mitgefühlt des kleinen Hermanns wegen; gewöhnlich greift mich so etwas aber auch nicht an, ich verseze mich drei Monat späterhin wo die Menschen selten mehr mit einem lebendigen Gefühl daran denken. Daß Hülsen seine Frau verloren hat, habe ich Dir gewiß geschrieben. Das halte ich für das Größte, was einem Menschen begegnen kann, und mein Schmerz für ihn ist noch immer derselbe. Was ich Dir einmal – ich glaube es war auch in jenem Kapitelbriefe deßen Du erwähnst – über das Verlieren von Freunden schrieb, darüber habe ich mir kürzlich eine mir recht aus der Seele gegrifne Stelle aus einem kleinen Büchlein ausgeschrieben. Ich bin in Versuchung sie Dir herzusezen, ich habe Dir ohnedies lange nichts dergleichen mitgetheilt: „Wol kann ich sagen, daß die Freunde mir nicht sterben; ich nahm ihr Leben in mich auf, und ihre Wirkung auf mich geht niemals unter: mich aber tödtet ihr Sterben. Es ist das Leben der Freundschaft eine schöne Folge von Akkorden, der, wenn der Freund die Welt verläßt, dann der gemeinschaftliche Grundton abstirbt. Zwar innerlich hallt ihm ein langes Echo ununterbrochen nach, und weiter geht die Musik: doch erstorben ist die begleitende Harmonie in ihm, zu welcher ich der Grundton war, und die war mein, wie jene in mir sein ist. Mein Wirken in ihm hat aufgehört, es ist ein Theil des Lebens verloren. Durch Sterben tödtet jedes liebende Geschöpf, und wem der Freunde Viele gestorben sind, der stirbt zulezt den Tod von ihrer Hand, wenn ausgestoßen von aller Wirkung auf die, welche seine Welt gewesen und in sich selbst zurükgedrängt der Geist sich selbst verzehrt.“ Es ist etwas dunkel, wie das ganze Büchlein aber wenn man es erst versteht, ist es schon recht. – Uebrigens Liebe lese ich gewiß noch viel weniger als Du. Auch Charlotte Sampson kenne ich nur dem Namen nach, und von Esther Rafael wozu Du es ein Gegenstük nennst weiß ich gar nichts; ich treibe jezt soviel ernste Studien daß mir keine Zeit dazu bleibt | sogar von den merkwürdigsten Büchern laße ich mir das Nöthigste erzählen. Dafür hoffe ich soll aus meinem Studiren mit der Zeit wenn ich lebe noch etwas recht ordentliches herauskommen.
den 14ten. Daß auch Du an meinem Geburtstage nicht hast zum Schreiben kommen können ist wieder eine von jenen sonderbaren Uebereinstimmungen die wir schon öfter bemerkt haben. Wie weich und schwermüthig mir zu Muthe war kann ich Dir gar nicht sagen. Zum Theil mochte das wol von dem Zustande meiner Gesundheit herrühren, aber ich müßte mich selbst schlecht kennen wenn ich es bloß darauf schieben wollte. Eigentlich währt es noch fort, denn ich könnte wenn ich mich gehen ließe immerwährend eben so sein. In alten Papieren und also in alten Zeiten habe ich auch viel gelebt nicht nur an meinem Geburtstage sondern auch beim Jahreswechsel. Bei solchen Gelegenheiten ist das bei mir ganz in der Tagesordnung, und auch sehr natürlich weil ich dann alle Papiere des vergangenen Jahres in die Mappen bringe wohin sie gehören. Diesmal habe ich mich ganz besonders in Schlegels Briefe vertieft die zum erstenmale recht geordnet wurden indem die älteren lange Zeit bei der Herz gelegen haben[.] Viel habe ich über die mancherlei Wendungen nachgedacht, welche diese Verbindung genommen, und über den Einfluß, den sie nach allen Seiten zu auf mich gehabt hat und gewiß auch noch haben wird; es wird immer eine der merkwürdigsten Epochen in meinem Leben sein. – In der Jahrhundertsnacht habe ich besonders viel an Dich und an die Gemeine überhaupt gedacht, wie ich allemal in der Neujahrsstunde und am Ostermorgen besonders thue wegen der schönen und allein zwekmäßigen Art wie Beides bei Euch begangen wird. Von eurer Illumination – deren Eindruk der Mondschein gewiß nichts geschadet hat – habe ich mir ein recht angenehmes Bild gemacht; hier ist in der Nacht gar nichts feierliches gewesen, weder Glokenläuten noch Kanonendonner und die meisten Menschen haben den Uebergang trinkend oder spielend, oder tanzend gemacht, von Bällen und Punschgesellschaften hörte man überall reden. Ich hatte am Neujahrstage nur Nachmittags zu predigen und ging also Vormittags in die Domkirche, welche so voll war als sie selten zu sein pflegt, auch war der ganze Hof zugegen. Der Hofprediger Stosch ist sonst einer unserer besten Kanzelredner, aber an solch einem Tage erfüllt selten jemand die Erwartung der Menschen und so ist es ihm auch gegangen. Nach der Predigt wurde das von Niemeier veränderte Herr Gott Dich loben wir gesungen aber da dachte ich wieder mit Seufzen an die Gemeine zurük. Weil das so selten gesungen wird wußte kein Mensch Bescheid; die Leute warteten immer erst auf die Musik, und die meisten wurden durch die Wiederholungen und Nachspiele so confus daß sie um ganze Zeilen vor oder zurük waren. Von Weihnachtsfreuden habe ich auch diesmal nichts erlebt. Bescherungen habe ich zwar hier nie beigewohnt, gewöhnlich aber war ich doch bald darauf bei Eichmanns um mir die Kinder noch in der ersten Freude anzusehen. Dies Jahr habe ich auch das nicht gethan; ich befürchtete statt der Freude oder wenigstens neben der Freude Verdruß zu finden, und diesem unangenehmen Eindruk wollte ich mich nicht aussezen. Wie gern wäre ich mit Dir in der Anstalt und bei Seidliz gewesen! solche kleine Freuden der einfachsten und natürlichsten Art sind mir mehr werth als die denen die Menschen so nachlaufen. Frauen und Kinder die sich mit der Bescherung freuen werden mich gewiß immer mit frölich machen dagegen die Vergnügungen der Kunst, und selbst das Anschaun der Natur mich oft nur noch schwermüthiger macht. Je einfacher, je beßer. Eine große Gesellschaft macht mir allemal den Kopf wüste, und ein Concert, ein Schauspiel eine Oper können mir eine ganze Woche verderben, dagegen ein Lied am Klavier gesungen von der wohlthätigsten Wirkung auf mich ist. Auch habe ich von jenen Herrlichkeiten den ganzen Winter noch nichts genoßen aber ich will doch noch die lezte Oper sehn und auch noch Haidns Schöpfung hören die Du mir ja auch gerühmt hast. Nach der Idee die ich so aus Beschreibungen habe denke ich mir daß es nichts für mich sein wird. Daß Du jezt ein Klavier auf Deiner Stube hast rechne ich Dir für einen großen Gewinn.
      Deine Besorgniß um meine Gesundheit hätte mich schon eher zum Schreiben treiben sollen; auch hat es an meinem Willen nicht gefehlt, und ich wollte ich hätte nicht nöthig Dir die fatale Geschichte zu erzählen, welche Schuld daran ist, da sie leider Dich noch mehr betrift als mich. Ich wollte Dir nemlich das verheißene Geld mitschiken, und da ich es beisammen hatte habe ich den fatalsten Unfall damit gehabt; es ist mir, eben da ich gehn wollte um das Geld, mit dem Du ein Paar mal Umstände gehabt hast in Courant umzusezen, wahrscheinlich in einem Volksgedränge durch welches mich mein Weg führte, aus der Tasche gezogen worden. Ich hatte so eine Ahndung gehabt von einem Unglük das damit begegnen würde, und war deswegen selbst gegangen, anstatt wie gewöhnlich meinen Aufwärter damit zu schiken. Es sind nun über vierzehn Tage her, und ich habe seitdem hin und her gesonnen, wie die Lüke sich bald wieder ausfüllen ließe; aber vergeblich, und ich muß nun einen leeren Brief wegschiken. Wüßte ich nur erst wie Dir bei der fatalen Nachricht zu Muthe sein wird, und ob Du ein Hülfsmittel unterdeß wirst ausfindig machen können. Ich werde nun nicht wieder warten bis ich 50 rth beisammen habe, sondern auch eine kleinere Summe schiken sobald ich kann um nur dem Dringendsten abzuhelfen. Man muß nichts gar zu gut machen wollen, dafür bin ich diesmal tüchtig gestraft. Du kannst denken daß mir diese Begebenheit wenig Lust zum Schreiben gegeben, und mich auch sonst sehr gestört hat. Es ist das erste Mal daß mir etwas von dieser Art begegnet, und wenn ich noch der leidende Theil dabei wäre würde es mir nicht soviel ausmachen: denn ich kann in meiner Oekonomie immer Rath dazu schaffen eine Zeitlang weniger Geld zu verbrauchen als gewöhnlich, aber nicht baares herbeizuschaffen, und ich würde also den Verlust nicht so empfinden wie Du, und würde mir auch eher helfen können als ich Dir wieder helfen kann. – Ich muß mich mit Gewalt von diesem fatalen Gegenstande losreißen, sonst schriebe ich noch mehr darüber, und das könnte doch Alles nichts helfen.
Ueber meine Gesundheit, meine liebe, sei nur außer Sorgen. Das Schwellen es mag nun damit beschaffen gewesen sein wie es wolle, ist ganz vorbei. Herz, ob gleich seine Mittel dies bewirkt zu haben scheinen behauptet noch immer, er wiße nicht wie es damit eigentlich zusammen gehangen habe. Mir lag auch immer die Wassersucht dabei in Gedanken, indeßen ist eine solche die nur in den fleischigen Theilen ihren Siz hat selten gefährlich, und so war ich auch für mein Leben noch nicht besorgt. Daß ich aber irgend einmal an einem chronischen Uebel, und an diesem eher als an jedem andern sterben werde macht meine ganze Constitution sehr wahrscheinlich, welche eigentlich doch schwach und dabei von jeder hizigen Krankheit in einem sonderbaren Grade abgeneigt ist, so daß ich keine Uebel wozu Fieberbewegungen gehören bekommen kann wenn auch Alles um mich herum daran leidet. Weder die Influenza noch die Catarrhalfieber an denen jezt in Berlin von allen die nicht körperliche Arbeit treiben gewiß der siebente Mensch danieder gelegen hat, haben mir das geringste anhaben können. Um desto weniger aber darfst Du besorgen irgend einmal unvermuthet eine traurige Nachricht zu bekommen indeßen habe ich doch auch dafür gesorgt, so wie auch gewöhnlich in meinem Schreibtisch ein Papier liegt welches meine Dispositionen enthält, und von Zeit zu Zeit geändert wird. Dies sollte sich wol jeder Mensch zur Pflicht machen und besonders jeder Mensch der Papiere hat. In diesem Punkt werde ich jezt wahrscheinlich in eine große Ver | legenheit kommen, indem es allen Anschein hat daß Alexander bald irgendwohin in die Provinz als KammerDirektor versezt werden wird. Dann weiß ich keinen Mann, den ich dazu beauftragen könnte, und einer Frau meine Papiere vermachen, das hieße noch zu guter lezt meinem Leben das Siegel der Paradoxie aufdrüken, worüber ohnedies genug geklagt wird. Noch dazu müßte es die Herz sein, denn der Grunow könnte es nur Verdruß machen. – Daß Du Dir ohne es zu sehen mein Wesen und Verhältniß mit der Herz nicht denken kannst, ist eigen, da es doch in der That viel leichter und viel weniger schwierig ist als das mit der Grunow. Es ist eine recht vertraute und herzliche Freundschaft wobei von Mann und Frau aber auch gar nicht die Rede ist; ist das nicht leicht sich vorzustellen? Warum gar nichts anderes sich mit hineingemischt hat und nie hineinmischen wird; das ist freilich wieder eine andere Frage; aber auch das ist nicht schwer zu erklären. Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in dieser Ruhe des Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruk des Innern versteht der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftloses Wesen und wenn ich auch bloß dem Einfluß des Aeußeren Raum geben wollte, so hat sie für mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön ist, und ihre kolossale königliche Figur ist so sehr das Gegentheil der Meinigen, daß wenn ich mir vorstellte wir wären beide frei und liebten einander und heiratheten einander, ich immer von dieser Seite etwas Lächerliches und Abgeschmaktes darin finden würde, worüber ich mich nur sehr überwiegender Gründe wegen hinwegsezen könnte. Wie wir miteinander umgehn, davon habe ich Dir wol schon genug gesagt, willst Du aber noch irgend etwas darüber wißen so frage nur denn es ist mir ängstlich daß Du Dir gerade das nicht sollst vorstellen können. Daß ihre eine Schwester Brenna – die welche ich meine Schwester nannte – schon seit einiger Zeit in einem reichen Kaufmannshause in Hamburg ist als Gesellschafterin glaube ich Dir damals geschrieben zu haben. Anfangs war das arme Mädchen sehr traurig, jezt hat sie sich eingewöhnt und es geht ihr sehr gut. Die jüngste Sara mein Töchterchen ist noch bei der Mutter, welche je länger je mehr ihr Gesicht verliert und verdrießlicher wird, so daß das gute Kind oft recht schwere Tage hat. Dabei liebt sie jezt recht ernstlich einen jungen Arzt, der aber noch gar kein sicheres Etablissement hat, und mit dem wir Andern alle in mancher Hinsicht nicht so zufrieden sind, als wir es mit ihrem Freunde zu sein wünschten. Das macht ihr denn auch manchmal das Herz schwer.
den 13ten. Ich möchte gern Morgen diesen Brief expediren, und habe doch bis dahin noch soviel Andres zu thun, und auch Dir noch soviel zu beantworten, und zu erzählen, daß ich nicht sehe, wie ich werde fertig werden können. Nun habe ich noch gar einen Auftrag bekommen der sehr eilig ist. Ich soll dem älteren Schlegel der in wenigen Tagen hier sein will ein Quartier miethen; ich bin zu so etwas sehr unbeholfen, und es ist so schlecht Wetter, daß man keiner Frau zumuthen kann sich der Sache anzunehmen[.] Da sehe ich mich schon im Geist von Morgen an täglich einmal die besten Gegenden der Stadt auf und abtraben im Sturm und Schneegestöber, und nicht wißen was ich anstellen soll. Ich freue mich wol auf den Schlegel, der Umgang mit ihm wird mir auch wieder einen neuen Stoß geben denn es fehlt mir eben jezt daran daß ich nicht genug verschiedenartige Menschen sehe – aber ganz anders würde es mich doch freuen wenn es mein lieber Friedrich wäre der herkäme! Und doch könnte es mir leicht zu viel werden; er gehört zu sehr unter meine | Schmerzen, und ich habe schon einen Gegenstand hier, der mir Leiden macht so oft ich ihn sehe – nemlich die Grunow. Wol hast Du recht daß uns beiden fremde Leiden so sehr viel mehr sind als eigne; ich weiß sogar die Zeit nicht mehr daß etwas was mir selbst begegnet wäre mich recht afficirt hätte ohnerachtet in meiner ganzen Lage so Manches ist, was zusammengenommen mich für einen Freund schon besorgt machen würde. Nur den einen Vorzug, daß ich so sage, habe ich vor Dir – wie denn überhaupt die Männer doch immer kälter und träger sind, daß es mich nicht so quält wenn ich nicht helfen kann. Ich leide Alles mit ihnen, aber am Ende denke ich: ei so mögen sie es ausstehn so gut ich es ausstehn mußte. Besonders gilt das bei äußern Begebenheiten. Als Brenna weggereist war, war die gute Herz eine lange Zeit hindurch sehr gedrükt, ich fühlte das recht innig mit ihr: aber wenn ich in dem Augenblik der Brenna soviel Geld hätte geben können als sie sich in Hamburg nach und nach zu sammeln gedenkt, ich weiß nicht einmal ob ich es würde gethan haben. Es giebt sogar Uebel bei denen ich gar nicht einmal Mitleiden fühle: zB nachtheilige Gerüchte, Verläumdungen, körperliche Schmerzen; bei den lezten thut mir immer nur das leid, daß sie das Dasein unterbrechen, daß der Mensch unterdeß nichts thut und nichts wird, und ich habe mit einem der die unartige Gewohnheit hat viel zu schlafen weit mehr Mitleid als mit einem der an Kolik Zahnschmerzen und was sonst noch leidet. Aber freilich wenn das Herz so unmittelbar angegriffen wird wie bei der Grunow und zum Theil auch bei Schlegel: dann befindet sich das meine auch sehr übel. Doch ist es mir schon begegnet daß ich für hartherzig und unempfindlich gehalten worden bin weil ich so eine ganz andere Taxe für das Unglük habe. Mit der guten Lisette habe ich auch sehr mitgefühlt des kleinen Hermanns wegen; gewöhnlich greift mich so etwas aber auch nicht an, ich verseze mich drei Monat späterhin wo die Menschen selten mehr mit einem lebendigen Gefühl daran denken. Daß Hülsen seine Frau verloren hat, habe ich Dir gewiß geschrieben. Das halte ich für das Größte, was einem Menschen begegnen kann, und mein Schmerz für ihn ist noch immer derselbe. Was ich Dir einmal – ich glaube es war auch in jenem Kapitelbriefe deßen Du erwähnst – über das Verlieren von Freunden schrieb, darüber habe ich mir kürzlich eine mir recht aus der Seele gegrifne Stelle aus einem kleinen Büchlein ausgeschrieben. Ich bin in Versuchung sie Dir herzusezen, ich habe Dir ohnedies lange nichts dergleichen mitgetheilt: „Wol kann ich sagen, daß die Freunde mir nicht sterben; ich nahm ihr Leben in mich auf, und ihre Wirkung auf mich geht niemals unter: mich aber tödtet ihr Sterben. Es ist das Leben der Freundschaft eine schöne Folge von Akkorden, der, wenn der Freund die Welt verläßt, dann der gemeinschaftliche Grundton abstirbt. Zwar innerlich hallt ihm ein langes Echo ununterbrochen nach, und weiter geht die Musik: doch erstorben ist die begleitende Harmonie in ihm, zu welcher ich der Grundton war, und die war mein, wie jene in mir sein ist. Mein Wirken in ihm hat aufgehört, es ist ein Theil des Lebens verloren. Durch Sterben tödtet jedes liebende Geschöpf, und wem der Freunde Viele gestorben sind, der stirbt zulezt den Tod von ihrer Hand, wenn ausgestoßen von aller Wirkung auf die, welche seine Welt gewesen und in sich selbst zurükgedrängt der Geist sich selbst verzehrt.“ Es ist etwas dunkel, wie das ganze Büchlein aber wenn man es erst versteht, ist es schon recht. – Uebrigens Liebe lese ich gewiß noch viel weniger als Du. Auch Charlotte Sampson kenne ich nur dem Namen nach, und von Esther Rafael wozu Du es ein Gegenstük nennst weiß ich gar nichts; ich treibe jezt soviel ernste Studien daß mir keine Zeit dazu bleibt | sogar von den merkwürdigsten Büchern laße ich mir das Nöthigste erzählen. Dafür hoffe ich soll aus meinem Studiren mit der Zeit wenn ich lebe noch etwas recht ordentliches herauskommen.
den 14ten. Daß auch Du an meinem Geburtstage nicht hast zum Schreiben kommen können ist wieder eine von jenen sonderbaren Uebereinstimmungen die wir schon öfter bemerkt haben. Wie weich und schwermüthig mir zu Muthe war kann ich Dir gar nicht sagen. Zum Theil mochte das wol von dem Zustande meiner Gesundheit herrühren, aber ich müßte mich selbst schlecht kennen wenn ich es bloß darauf schieben wollte. Eigentlich währt es noch fort, denn ich könnte wenn ich mich gehen ließe immerwährend eben so sein. In alten Papieren und also in alten Zeiten habe ich auch viel gelebt nicht nur an meinem Geburtstage sondern auch beim Jahreswechsel. Bei solchen Gelegenheiten ist das bei mir ganz in der Tagesordnung, und auch sehr natürlich weil ich dann alle Papiere des vergangenen Jahres in die Mappen bringe wohin sie gehören. Diesmal habe ich mich ganz besonders in Schlegels Briefe vertieft die zum erstenmale recht geordnet wurden indem die älteren lange Zeit bei der Herz gelegen haben[.] Viel habe ich über die mancherlei Wendungen nachgedacht, welche diese Verbindung genommen, und über den Einfluß, den sie nach allen Seiten zu auf mich gehabt hat und gewiß auch noch haben wird; es wird immer eine der merkwürdigsten Epochen in meinem Leben sein. – In der Jahrhundertsnacht habe ich besonders viel an Dich und an die Gemeine überhaupt gedacht, wie ich allemal in der Neujahrsstunde und am Ostermorgen besonders thue wegen der schönen und allein zwekmäßigen Art wie Beides bei Euch begangen wird. Von eurer Illumination – deren Eindruk der Mondschein gewiß nichts geschadet hat – habe ich mir ein recht angenehmes Bild gemacht; hier ist in der Nacht gar nichts feierliches gewesen, weder Glokenläuten noch Kanonendonner und die meisten Menschen haben den Uebergang trinkend oder spielend, oder tanzend gemacht, von Bällen und Punschgesellschaften hörte man überall reden. Ich hatte am Neujahrstage nur Nachmittags zu predigen und ging also Vormittags in die Domkirche, welche so voll war als sie selten zu sein pflegt, auch war der ganze Hof zugegen. Der Hofprediger Stosch ist sonst einer unserer besten Kanzelredner, aber an solch einem Tage erfüllt selten jemand die Erwartung der Menschen und so ist es ihm auch gegangen. Nach der Predigt wurde das von Niemeier veränderte Herr Gott Dich loben wir gesungen aber da dachte ich wieder mit Seufzen an die Gemeine zurük. Weil das so selten gesungen wird wußte kein Mensch Bescheid; die Leute warteten immer erst auf die Musik, und die meisten wurden durch die Wiederholungen und Nachspiele so confus daß sie um ganze Zeilen vor oder zurük waren. Von Weihnachtsfreuden habe ich auch diesmal nichts erlebt. Bescherungen habe ich zwar hier nie beigewohnt, gewöhnlich aber war ich doch bald darauf bei Eichmanns um mir die Kinder noch in der ersten Freude anzusehen. Dies Jahr habe ich auch das nicht gethan; ich befürchtete statt der Freude oder wenigstens neben der Freude Verdruß zu finden, und diesem unangenehmen Eindruk wollte ich mich nicht aussezen. Wie gern wäre ich mit Dir in der Anstalt und bei Seidliz gewesen! solche kleine Freuden der einfachsten und natürlichsten Art sind mir mehr werth als die denen die Menschen so nachlaufen. Frauen und Kinder die sich mit der Bescherung freuen werden mich gewiß immer mit frölich machen dagegen die Vergnügungen der Kunst, und selbst das Anschaun der Natur mich oft nur noch schwermüthiger macht. Je einfacher, je beßer. Eine große Gesellschaft macht mir allemal den Kopf wüste, und ein Concert, ein Schauspiel eine Oper können mir eine ganze Woche verderben, dagegen ein Lied am Klavier gesungen von der wohlthätigsten Wirkung auf mich ist. Auch habe ich von jenen Herrlichkeiten den ganzen Winter noch nichts genoßen aber ich will doch noch die lezte Oper sehn und auch noch Haidns Schöpfung hören die Du mir ja auch gerühmt hast. Nach der Idee die ich so aus Beschreibungen habe denke ich mir daß es nichts für mich sein wird. Daß Du jezt ein Klavier auf Deiner Stube hast rechne ich Dir für einen großen Gewinn.