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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

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Gdfr d 18 Febr 1801
Du hast nun schon mein Lieber seit einigen Tagen meine lange Epistel, und kanst wenn Du nehmlich im Stande warst sie zu lesen leicht denken mit welcher Sehnsucht ich einigen Zeilen entgegen sehe die mich über Deinen GesundheitsZustand beruhigen sollen – meiner dringenden Bitte gemäß hättest Du mir gewis durch eine Deiner Freundinnen Nachricht gegeben um mich aus der peinlichen Ungewißheit zu reißen; da dis nicht geschehen ist – hoffe ich bald einen Brief von Dir selbst zu bekomen. Deine Augen und Deine Geduld, beides beklage ich – denn ich habe bei meinem besten Willen schreklich geschrieben – und auch weit mehr als sonst.
In dieser Minute – bringt man mir Deinen Brief – für welchen ich Dir noch ehe ich lese innigsten Danck bringe.
den 20. Daß ich seit vorgestern nicht weiter geschrieben habe – ist wohl ganz natürlich – jezt bin ich gefaster – ein Beweis: daß ich mir vor 1 Stunde die Arie gespielt „Wenn der junge Tag erwacht“ dazu gehört bei mir eine heitre Stimung ich welcher in mich wirklich augenbliklich befinde – kurz nach Leesung Deines llieben Briefes gab ich denen Cotwizes Knaben 2 Stunden im Französischen und dan noch dergleichen in meiner Stube – so daß mein in vieler Hinsicht geprestes Herz erst gegen Abend Luft bekam – Dein ganzer Brief machte einen tiefen Eindruk auf mich – – und die Art wie Du Dich über jenen Verlust äußerst erhöhet oder veredelt Deine Güte gegen mich um vieles die ich bei dieser Gelegenheit aufs neue in einer eignen Stärke kennen lerne – guter lieber Mensch! die Größe der Summa kan mich nicht so schmerzen – Die Hälfte davon war alles was ich mir vorstelte und auch wünschte – da wäre ich auf lange für vieles außer Sorgen gewesen! – |
Du kenst mich jezt beßer als sonst – und kanst sie Dir alle selbst mahlen die manichfaltigen Empfindungen die so sonderbar mich ergriffen und mich wechselsweise bestürmten – wie ich für mich allein litt und dan wieder mit Dir und in Deiner Seele – wie ich so bitter sie empfand alle die Nachwehen von so manchen Freuden – die ich mir zu Weinachten gemacht – die dem Geber im Kleinen oft mehr Genuß gewähren als denen Großen die Stiftung berühmter Gebäude[;] um die wahrscheinlichen Unannehmlichkeiten zu vermeiden, schrieb ich gestern an meine sonst so bereitwillige gute von Hochberg – die mich wenn sie nur zu Hause gewiß bald aus der Verlegenheit ziehen wird – und nun genug davon.
Den 21ten Februar. Eigentlich habe ich Dir seit den 14 Tagen da ich meine große Epistel geendigt viel zu sagen. Schon mitten in dieser Beschäftigung überfiel mich morgens und Abends eine Wehmuth die sich in ThränenFluthen auflöste – und die auch mitten am Tage durch den geringsten Anstoß aufgeregt würde – so daß ich jede Beschäftigung dankvoll ergriff[;] es war viel CörperSchwäche dabei – aber es gieng mir so wie Dir es war mir ohnmöglich mich zu bereden daß es dies nur allein war. So bald ich mich davon befreit fühlte – das war vergangenen Montag gieng ich einmahl ungebeten zu Peistels – weil ich gehört daß Er auf einmahl ungewöhnlich heiter sei – welches ich auch bestätigt fand ich gieng erst abends gegen, 6, fand ihn allein und wir hatten nach manchen Spanungen die seit November – ihn wunderbar ergriffen hatten – ein Stündgen in welchen wir wie Du zu sagen pflegst so recht aus dem inern heraus geredet – ich fühlte mich glüklich in der Stimung zu sein – auch das fröhliche und alle die guten Vorsäze so aufzunehmen als vorher die Wanderungen in seinen Irgängen. Gott gebe daß sich diese glükliche Aenderung nicht wieder verwandelt – daß freilich das Verhältniß unter ihnen nun wieder auf dem alten Fuß – und Sie lauter Wiederspruch, da sie so bald er heiterer und geschmakvoller, es, nun nicht mehr als Krankheit betrachtet – das ist auch Dir wohl erklärbar – ach es war mir ein trauriges Abendeßen – Er hatte mich freilich dazu vorbereitet – er verließ uns auch um halb, 9 – ach! wie so glüklich könte er nun mit einem andern fühlenden Weibe sein die seine phisische und moralische Genesung mit empfindet – und wenn Er selbst dergleichen zu mir sagt – ach wie drükend!!! obschon die Ergießungen eines Leidenden – wolthätig für den welchen er des Vertrauens würdig achtet – wie weitläuftig bin ich schon wieder – kaum hast Du einen ganzen Folianten darüber ausgelesen! – – wahrscheinlich hast Du jene 4 Bogen starke Epistel bald nach Abgang Deines leztern erhalten – ach laß mich nur nicht lange warten – gern möcht ich unsichtbar bei Dir sein um Deine Mienen bei manchen Stellen zu belauschen.
den 22ten Es ist nun schon nicht anders mein Lieber! das Schreiben an Dich ist mir seit geraumer Zeit zum Bedürfniß und ich würde mir Vorwürfe machen, eine Aufforderung meines Herzens unbenuzt vorbei gehen zu laßen wenn es äußere Verhältniße nicht hindern aber mit jeder Unterhaltung ist eine gewiße Wehmuth verwebt die ich freilich besonders seit ich weiß daß Du cörperlich leidest als eine traurige Anzeige bemerke – – Dank innigen Dank – | für die schöne abgeschriebne Stelle die auch aus dem innersten meines Sensoriums genommen – und darinen zehnfach wiederhallt – ich habe es ganz gefaßt und in mich aufgenommen – und natürlich daß sich das Andenken meiner lieben Entschlafnen an die ich fast täglich denke – stärker als gewöhnlich vergegenwärtigt hat! Am Abend als ich Deinen Brief empfieng – kam mir durch die Zeichnerin eine piece in die Hände – die zu meinen Gefühlen ganz ausgesucht war – Denkmahl an Friedrich von Bernhard, ich hoffe es noch einmahl zu lesen – dann werde ich Dir einen Begriff von dem Ganzen machen könen – es waren einige vortrefliche Stellen von Jean Paul angeführt ganz dieselben die Du mir weiland aus Hesperus abgeschrieben – Du kanst schon daraus schließen wie viel ich bei dieser Lecture die ich freilich unter millionen Thränen las, an Dich dachte und mit Dir fühlte. Nun zu einer MusicScene. Montag den 16ten war ich bei Peistels – und den folgenden Abend widmete ich wie schon lezt gemeldet – einigen meiner Scholaren – die mir äußerst selten aber doch auf meine Bitten etwas auf dem Clavecin spielen die eine von Bruningk hat ihre eigne Stube wo ich die LehrStunden gebe – Sie hat eine ganze Fülle schöner Musicalien – unter welchen denn auch das schon lezt erwähnte Gedicht die Ideale aber jeder Vers auf eine eigne ausgesuchte Melodie – Friederique Schubart ihre Freundin die mit ihr aufgewachsen spielte – und Henriette Tochter des bei der UnitätsältestenConferenz gewesenen Bruningk – sang ganz unvergleichlich – ungezwungen mit einer so reinen Stimme! o! es war mir viel werth – ich dachte natürlich an Dich – an jene unvergeßlichen Augenblike auf dem Glazhof – und wünschte Dich laut zu Uns! die guten Mädgen müßen mir das noch einmahl – wiederholen! heute bin ich gar nicht ausgekomen nur in die Predigt – ob Du heute bei – der Leidenden und coeur warst – |
Der Verfaßer der gedachten Piece besucht mit seinen Eleven und einem Freund des Hauses den ehemaligen Wohnsiz eines Holländers an einer RheinGegend wo die Franzosen die schönsten Ansichten verwüstet haben. Der Verfaßet bricht darüber in JamerTöne aus – und B der HausFreund erwiedert. Aber wer söhnt ihre Verbrechen gegen die Menschheit aus! wer heilt die Wunden die sie der Menschheit schlugen – Wer läst die gestörte Ruhe zurükkehren – wer baut das zertrümerte FamilienGlük wieder – Wer knüpft die Bande der Ordnung des gegenseitigen Zutrauens wieder zusamen! Wer giebt dem Menschenleben wieder Werth – Wer giebt den Glauben an die menschliche Tugend wieder zurük. Hier hielt er inne. Eine schwere Thräne hieng in seinem Auge und in allen Zügen seines sonst so ruhigen Gesichtes lag bittrer Schmerz. Endlich erhob sich sein Blik mit rührenden innigen Ausdruk zum heitren Himel. Der Strahl der Sonne verklärte sein Antliz und sich selbst vergeßend rief er aus!
Ja Du wirst es alles enthüllen Land des Lichts
Des Lebens Traum ist dann vorüber!!! –
Alle Thränen sind getroknet!
Was der Leiden gröstes härtestes uns schien
Wird hoher Dankgesänge höchstes Ziel.
Der Verfaßer sagt ihm statt aller Antwort die Stelle aus Hesperus 2 Theil 248: So leget das Schiksaal Nacht um uns – – |
Ueber Jean Paul spricht der Verfaßer folgendes – was Dir weil Du ihn und gewiß viele Seiner Schriften wenn auch nur vom Hörensagen kenst.
„Wie mancher gesunkne Muth mag an dem Seinigen sich aufgerichtet wie mancher erschütternde Glaube an dem seinigen sich gestärkt haben! Wie mancher ihm die Rettung danken! Dessen was mehr werth ist als Gold und Silber. Du kenst J. P. Er will gesucht sein wie jedes wahre und große Genie. Um sein Vertrauen zu gewinnen, daß er uns einführe in die unerschöpfliche Fülle seines Geistes bedarf es manches Opfers von unsrer Seite. Ohne Mühe und Anstrengung ohne Geduld und Hingeben erhältst Du nichts von ihm. Aber wer hindurchdringt wem es gelingt auf seinen Standpunkt sich zu erheben – dem lohnt er überschwenglich – und der hält ihm denn gern seine Launen seine Schwächen zu gut, denn er sieht daß er ohne sie unmöglich J. Paul sein köne. Wie könte seine feine Originalitaet der rasche lebendige Flug seiner Phantasie sich unter die kalten schwerfälligen Regeln der Schule schwingen. Seine Schriften sind mir das Leben wo Scherz und Ernst Lachen und Weinen auch nicht nach streng abgemeßnen Zeitmaße sondern im wechselnden Fluge sich ablöst und oft in einem Moment zusamenfließen.“
Es würde mir lieb sein Deine Gedanken hierüber zu hören ich kene keine Schriftsteller – aber doch Leute ja gar FrauenZimer die viel ähnliches mit dem haben was hier gesagt ist. |
den 6ten Merz Wie inig ich Dich in diesen Tagen und auch noch in diesem Augenblike zu mir wünsche dafür habe ich keine Worte – Du würdest alsdan ohne Erläuterungen mich mit allen meinen kleinen Verhältnißen und denen wechselnden Gefühlen, mich, ganz verstehen und gewiß herzlichen Theil nehmen – nichts von Peistel von dem ich seit beinahe 3 Wochen nichts weiß – sondern nur diejenigen betreffend die täglich um mich sind! – Da heißt es – wie ich mir weiland aus einem treflichen Buche abschrieb: Wilst Du wandeln ein Mensch unter Menschen, so ehre die Geseze unterwirf Dich denen, die der Gang der Zeit Dir auflegt Wolle nichts von ihnen, nim aber willig was sie geben! Hänge Dich nicht an Sie, dulde sie aber freundlich auf Momente wo ihre Thorheiten Dich ärgern, ihre Ränke Dich bitter machen wollen – aber kehre bald zu ihnen zurük, und dann sei es mit dem Lächeln der HerzensGüte, so unterschieden von dem eines beleidigten Mitleidens, mehr noch von dem der harten Verachtung. Von dem was Du wirklich bist laß ihnen nichts bliken, aber handle und sei so, daß welcher Sinn hat den Deinigen erkenne, und wenn Deine Kraft zürnte, so versöhne bald wieder Deine Milde.
Friedrich von Oertel.
Den 8ten Merz. Eine andre Seite meines inern – die von einem ganz eignen AhndungsGefühl wehmutsvoll bebet – ergreift diese Strophen. Trennung ist wie Herbstesmorgen trübe – aber frühlingshell glänzt Wiedersehn.
Ihr seid zerstreut auf fernen Wegen! muß ich ein Spiel | des Schiksaals gehn! O! werd ich in den dunklen Gründen durch die sich meine Schritte winden nicht Einen von Euch wiedersehn!!!
Den 9ten Heute soll dieser Brief auf die Post – um Dir mein Lieber die beruhigende Nachricht zu bringen – daß die gute von Hochberg mich schon vor 8 Tagen aus meiner Verlegenheit eben durch 25 rthr riß, die ich Deiner Güte zutraute – da habe ich denn alles bezahlt und kann auch davon die Ausgaben zum 31ten besorgen – Sorge also nicht weiter meinetwegen – eher, als bis Du es ohne die geringste Aufopferung kanst – guter lieber Mensch!
Gestern holte mich die Peisteln zu Tische – und seit 2 Jahren mußte ich auf dringendes Bitten den ganzen Tag bleiben ach! was könte ich alles hierüber sagen – Er hatte seit jenem heiteren Tag manche Abwechselungen – doch hat sein inerstes einen starken Anhalt – das ihm bei allem Leiden (eigentlich durch das Weib veranlaßt) doch wieder lichtvolle Blike durch das Gewölke gewährt – Wir waren viel allein – er glaubte mir manches neue zu sagen was aber mein ScharfSin und Gefühl längst ahndete ich bedauerte ihn deshalb am meisten – daß er immer so inig nach wahrer Theilnahme verlangt – und eben wen Er sie findet wird ihm dadurch das herzloose geistloose Wesen – des Geschöpfes was ihm am nächsten ist – imer peinlicher – er meint aber, doch, daß ihm diese Augenblike viel werth und immer mehr Bedürfniß werden – in 3 Wochen hoffe ich Charles hier zu sehn – alsdann mehr von
Deiner Lotte |
Auf eine ganz andre Art kanst Du mich wegen des wunderbaren Geldverlustes jezt angenehm schadlos halten – schon mehreremahle schrieb ich Dir daß ich gern was von Wieland lesen möchte – aus mehr als einer Ursache wünschte ich Du köntest mir bald – seinen Musarion – Mönch und Nonne oder wie der ganze Titel Wielands rosenfarbne Zauberwelt – schiken – | und zwar mit der Post – ich hoffe ohnedies auf jene und diese Epistel vor dem 31ten Antwort zu erhalten – da kanst Du ja was von dem feinen Papiere dazu paken. Du thust mir und Andern lieben Leuten die mit meinem innern verwebt einen großen Gefallen – Du wirst ja wohl diese piecen auftreiben. Hast Du seine Aristippe noch nicht gelesen auch diese wünschte ich – bitte erfülle meine Wünsche bald.
Metadata Concerning Header
  • Date: 18. Februar bis 9. März 1801
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 58‒66.

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