Berlin d. 21t. Junius 1801.
Ich dachte es wol, liebe Lotte, als es mit meinem Schreiben von einem Posttage zum andern nichts werden wollte, daß es mir noch so gehn würde, wie es mir nun wirklich gegangen ist, daß ich nemlich noch einen Brief von Dir bekommen würde ehe einer von mir abgegangen oder auch nur angefangen wäre, und ich habe mir auch schon immer die gehörigen Vorwürfe darüber gemacht. Allein sie sind nichts gegen das, was ich jezt empfinde, da ich sehe mein Stillschweigen hat Dich zu der Hofnung eines Besuchs veranlaßt, eine Hofnung die zu erfüllen ich in diesem Jahre gar keine Möglichkeit sehe, und in der getäuscht zu sein so sehr bitter und peinlich sein muß. Ich hatte indeß gehoft Karl würde Dir eher wenigstens in einigen Worten von der wahren Beschaffenheit der Sache etwas gemeldet haben. Es ist dabei gar vielerlei zusammen gekommen. Zuerst bin ich wirklich seit Anfang dieses Jahres in einem solchen Grade fleißig gewesen, wie ich mich noch nicht erinnere es gewesen zu sein; aber die Noth war da und es mußte geschehen – was nemlich für mich Noth ist, eine durch gegebene Versprechen und durch freundschaftliche Verhältnisse herbeigeführte Nothwendigkeit. Selbst einen großen Theil der sonst der Geselligkeit gewidmeten Zeit habe ich mit Freunden und Bekannten in Studien die mit diesen Arbeiten in Verbindung standen hingebracht. Alle diese Arbeiten waren sehr Augen angreifend durch beständiges hin und her sehen aus einem Buch ins andre, von griechischen auf lateinische, von diesen auf deutsche Lettern und zwischendurch wieder auf geschriebenes von verschiedenen Händen; dabei immerwährendes Schreiben daß mir die Feder nicht aus der Hand kam bald in dieses bald in jenes Heft. Wenn ich mich auf diese Art müde gearbeitet und geschrieben hatte war ich zu nichts weniger aufgelegt als noch wieder zum Schreiben und Dir wollte ich so viel und in rechter Ruhe schreiben denn von solchen Briefen, die in zehn Minuten abgemacht sind habe ich freilich in dieser Zeit eine ganze Menge geschrieben. Mit der Ruhe sah es noch aus andern Gründen gar sehr mißlich aus. Von allen Seiten kamen mir unangenehme Gedanken und Empfindungen zugeströmt; Karl mit seiner nicht zu Ende gehenden Geschichte, die Grunow mit ihren immer erneuerten und eben so wenig zu beendigenden Leiden, Schlegel mit seiner unangenehmen Lage, die sich noch auf eine mir sehr empfindliche Art verschlimmert hat, das Alles und Manches Geringere nahm mir das Gemüth auf eine drükende Art ein, und ich wartete außer der Zeit und Augenbiiken von beßerer Muße auch noch recht kindlich darauf daß irgend etwas geschehen sollte wodurch eine dieser Angelegenheiten auf eine erwünschte Art sich entwikeln könnte: es ist aber nichts geschehen und ich will nur jezt da ich wirklich von Arbeiten etwas Athem schöpfen und mir wenigstens dann und wann ein Stündchen zum Schreiben aussezen kann frisch weg den Anfang zu einer tüchtigen Epistel machen, die aber doch, das sehe ich leider voraus bei weitem nicht Alles enthalten wird, was ich Dir gern sagen möchte. Laß mich nur gleich die Ordnung der Dinge umkehren und von Deinem lezten Briefe anfangen, den ich nur heute Nachmittag bekommen habe da ich im Begrif war ein wenig spazieren zu gehn. Wollte Gott daß von Dir selbst etwas tröstliches darin stände
den 23ten Abends. Ich brach Vorgestern hier ab weil ich mich in ein Meer von Gedanken und Empfindungen versenkt hatte, aus dem ich mich nicht mehr heraus finden konnte. Dabei ergriff mich lebendiger als je die Sehnsucht Deinen Wunsch befriedigen und Dich in diesem Jahre noch sehen zu können, und ich sann vergeblich hin und | her ob ich irgendwie eine Möglichkeit ausfindig machen könnte. Du hast gewiß eine Vorstellung davon wie so etwas angreift, und wirst Dich nicht darüber wundern, daß ich – ohnehin nach einem ermüdenden Predigttage bald genöthigt war im Schlaf Erholung zu suchen, der sich mir, selbst in solchen Fällen nicht leicht versagt.
Gestern konnte ich kaum ein Paar Vormittagsstunden arbeiten; ich war den Mittag bei unserm alten Onkel Reinhardt, der jezt eine Tochter von seiner Tochter in Preußen, der Prediger Bornemann in Schlodien (deren Du Dich vielleicht aus Schlobittischen Briefen erinnerst) bei sich [hat], ein gutes Mädchen, die froh war eine halbe Stunde mit mir allein zu sprechen, und über Manches Rath und Trost bei mir zu holen, und den Abend war ich bei Grunows, wo der größte Theil ihrer Familie war, die alle sehr freundlich und liebevoll gegen mich sind. Nebenbei ist dies zusammen, ein Paar Gänge in der Stadt, die ich zugleich mit abmachte eingerechnet ein Weg von gewiß anderthalb Meilen, und Du kannst denken, ob ich, da ich gegen eilf Uhr nach Hause kam das Gesez das ich mir für den Sommer unverbrüchlich gemacht habe nemlich nicht spät in die Nacht aufzubleiben gern befolgte. Ich erzähle Dir das so im Vorbeigehn, damit Du siehst, wie selbst bei einer recht eingezogenen Lebensart manche Tage in dieser großen Stadt so zu sagen verloren gehn. Heute habe ich denn das Versäumte fleißigst nachgeholt, und will nur noch ein Weilchen mit Dir plaudern. Deine Stubenveränderung ist mir eine recht traurige und herzzerschneidende Begebenheit gewesen und zugleich eine von denen, die mich böse machen könnte auf die Leute dort. Wissen sie denn, was sie einer solchen Menschenseele, wie Du durch so etwas anthun? und was hatten sie denn für Noth Dich aus Deinem lieben Winkel herauszuziehn? und was für ein Recht haben sie Dich so zu martern? Hättest Du aber nicht, wenn sie doch das Andere nicht verstehn, wenigstens gegen den Oberstok von Seiten Deiner Gesundheit gegründete Einwendungen machen können? Und nun gar zu ungebildeten Leuten! läßt sich von einer solchen Versezung wol irgend ein vernünftiger Grund angeben[?] Als Du aus der Anstalt zogst, das ließ sich begreifen, es konnte Deiner Kränklichkeit wegen für Dich und für die Kinder besser sein – aber dieses! Nur vor kurzem noch habe ich gelesen, wie Du im lezten November den Tag Deines Einzugs in jene Stube gefeiert, und Dich gefreut hast, daß Du nun Drei Jahr ununterbrochen auf derselben Stelle geseßen hattest. So wird dem Menschen oft etwas genommen, wenn er es am dankbarsten erkennt. Es hat mich wemüthig gemacht. Was ich Dir damals beim Ausziehn aus der Anstalt schrieb bezog sich vornemlich auf das Verhältniß mit Lotte Schlegel, und ich habe wol nicht Unrecht gehabt, daß es dadurch gelitten hat; wenigstens habe ich seitdem immer weniger von ihr gehört, und es scheint sich nun fast ganz aufgelöst zu haben. Wie ist das doch zugegangen? Mit der Zeichnerin wird es Dir gewiß eben so gehn, und wie lange wird es dauern ehe Du da oben wieder ein Wesen findest, dem Du eine Stelle in Deinem Herzen anweisen kannst, und das aus Deinem Wesen und den Schätzen Deines Innern sich irgend etwas zu Nuze zu machen versteht! Das Klavier entbehrst Du nun auch wieder denn die da oben haben gewiß keines. Bei eurer Lebensweise ist eine solche Veränderung eben so groß als bei der unsrigen die Versezung an einen ganz fremden Ort, und ich habe ganz dasselbe Gefühl dabei als wenn meine Obern mich hätten nöthigen wollen oder können eine Predigerstelle in einer ganz kleinen Stadt und unter lauter ungebildeten Menschen einzunehmen. – Doch ich will lieber abbrechen; ich käme jezt aus diesem Kapitel nicht heraus, und es kann so gar nichts helfen weiter darüber zu reden. |
den 1ten Julius. Ich habe in diesen Tagen noch Alles mögliche aufgeboten um Deine Ahndung eines Besuches zu realisiren, und eben deshalb auch nicht geschrieben. Bei der geringsten Hofnung stellte sich mir der Gedanke so lebendig dar, daß ich daran glauben mußte: aber nun sehe ich die entschiedene Unmöglichkeit vor mir. Ich habe das lezte versucht und abgewartet, allein weder mit der Zeit noch mit dem lieben Gelde läßt es sich machen, und nun will ich nur soviel möglich ununterbrochen fortschreiten damit nur wenigstens statt meiner die Epistel recht bald zu Dir komme. Nicht einmal auf das Geld welches Du haben willst werde ich warten denn das könnte sich leicht noch ein Paar Wochen verziehen. Ob ich nun dabei Alles werde beantworten können worüber Du gern etwas von mir hörtest, das steht noch dahin.
Von Karls Aufenthalt bei Dir habe ich erst durch Dich eine ausführlichere Nachricht bekommen; er hatte mir nach seiner Art das Alles nur in ein Paar Worten geschrieben, indessen doch das Wichtigste berührt, daß er Dich von seinem Verhältniß mit Friederiken unterrichtet, und daß es ihm gelungen Dir Deine ungünstige Meinung von ihr zu benehmen. Wie ich mich darüber gefreut, das kannst Du Dir kaum vorstellen; ich hatte es höchlich gemißbilligt daß er Dir das erneuerte Verständniß verschwiegen und Dich um jener Meinung willen in einer unrichtigen Meinung von dem Zustande seines Herzens gelassen hatte, ich hatte ihm ausdrüklich deshalb geschrieben, und ihn dringend gebeten wenn er seinen Besuch nicht dazu benuzt hätte Dich von der Sache zu unterrichten, es sogleich schriftlich nachzuholen. Bei der abschlägigen Antwort des alten Onkels muß er sich nur nicht beruhigen; ich habe ihm gerathen 135 ihm in einem recht guten und bescheidenen Tone wieder zu schreiben und ihm sanftmüthig aber eindringend vorzustellen, daß es gar nicht seine Absicht wäre Friederiken in Absicht auf den Glauben von der Gemeine zu trennen, daß es ja auf das Wohnen dann nicht ankomme, wie ja auch er selbst nicht darin wohnte und daß es ja Beispiele genug gäbe von Schwestern die sich auf eine solche Weise verheiratheten. Wenn aber Friederikens Herz selbst von der Gemeine abgewendet, so wäre es ja den Grundsäzen der Gemeine selbst zuwider sie gewaltsam darin festzuhalten, seine Aeußerung sie zu enterben wäre nur eine nicht zu billigende Versuchung zur Heuchelei, und würde keine andere Folge haben als ihm ihre Liebe zu entziehn und die Verbindung noch auf mehrere Jahre aufzuhalten. Vielleicht hilft es etwas wenn er Standhaftigkeit und billige Gesinnungen verbunden sieht, wenigstens ist es das einzige, was vernünftigerweise zu thun ist. Aber liebe Lotte, was hast Du denn für eine gewaltige Eile die Leutchen noch dies Jahr verheirathet zu sehn? Ich habe keine Vorstellung davon wie das in irgend einem Falle möglich sein sollte; Karl müßte doch erst etwas eignes und solides unternehmen, oder sich mit Spieler auf einen andern Fuß zu sezen. Dieser scheint mir aber, wie ich aus einigen Umständen sehe, sehr eigennüzig zu sein, und dabei würde also große Vorsicht nöthig sein, kurz das Ganze ließe sich keinesweges übereilen. Auch ist ja – nach meiner Denkungsart wenigstens – daran gar nichts gelegen, wenn die beiden Liebenden nur ihrer Sache gewiß und die Herzen in Ruhe sind. Ob übrigens diese Begebenheit in meinem künftigen Roman Plaz finden möchte, darüber kann ich noch nichts sagen. Schwerlich werde ich irgend | eine Begebenheit oder einen Charakter darin genau copiren, und überhaupt wird es mir mehr auf die Charaktere ankommen als auf die Begebenheiten, und da weiß ich ja von Friederike noch viel zu wenig. Weiß ich doch nicht einmal ob eine weit sonderbarere und romantischere hineinkommen wird, die sich mit mir selbst zugetragen hat. Erzählen muß ich sie Dir aber, ob ich gleich weiß daß Du mich tadeln wirst wie ich mich selbst getadelt habe; wenn ich Dir nur auch meine Bewunderung der Grunow so mitheilen könnte wie sie es verdient. Es war bei einer Gelegenheit, wo sich Grunow sehr unanständig gegen sie betragen hatte, ich unaufgefodert mit ihr darüber sprach, und sie mich, ohne daß sie es merkte, in manche Theile ihres Verhältnißes gegen ihn tiefer hineinbliken ließ, die ich vorher noch nicht so gekannt hatte, daß ich ihr den Rath gab, und zwar mit sehr vieler Wärme, sich je eher je lieber von ihm zu trennen nicht länger für nichts und wieder nichts ihr ganzes Gemüth aufzuopfern und ihre schönsten Kräfte ungenuzt zu lassen. Sie versicherte mich, daß sie die Wichtigkeit dieser Gründe sehr gut fühlte, ihr Leben wäre verloren und für ihn wäre nichts dabei zu gewinnen, sie könnte mit allem Rath und Beispiel seine Gesinnung nicht ändern, und auch mit aller äußeren Anstrengung und Sorgfalt sein Unglük nicht abwenden. Sie hatte tausend von der äußeren Welt und den Verhältnissen darin hergenommene Bedenklichkeiten die ich ihr denn aus unsern gemeinschaftlichen Grundsäzen widerlegte. Endlich sagte sie: Aber was würde ich denn gewinnen wenn ich ihn aufgäbe? Er würde, wenigstens auf lange Zeit noch unglüklicher sein; ich würde zu meiner Mutter aus tausend Gründen die Sie wohl fühlen nicht zurükkehren; ich würde allein leben von meiner Hände Arbeit, und dabei würden meine Kräfte sich auch nicht besser entwikeln können, und mein inneres Leben würde eben auch nicht mehr gewinnen als daß ich des beständigen Widerspruchs zwischen dem innern und äußern endlich los wäre. Ach sagte ich, Sie könnten etwas weit besseres thun, Sie könnten meine Frau werden und wir würden sehr glüklich sein. Ich erschrak mich als ich es gesagt hatte, und sie auch. Es war der unwillkührliche Ausbruch eines Wunsches der sich erst mit den Worten zugleich gebildet hatte. Ich weiß wol, daß ich ein Paarmal zur Herz, wenn die Rede davon war, wie schwer ich, ohnerachtet ich in mancher Rüksicht sehr wenig Ansprüche machte, eine Frau finden würde, die mir genügte, gesagt hatte, die Grunow wäre eine Frau die ich wohl heirathen könnte, aber es war nur so ein Gedanke gewesen, ohne einen Gedanken an die Möglichkeit der Sache, ohne die leiseste Beimischung eines Wunsches. – Nach einer kleinen Pause sagte ich zu ihr: Liebe Freundin verzeihen Sie, das war eine entsezliche Uebereilung die uns beide in die peinlichste Lage sezen kann. Sie glauben mir daß ich das Gespräch mit keinem Gedanken an eine solche Aeußerung angefangen habe, und wenn wir auch nicht werden vergessen können daß sie mir entfahren, so muß es doch auf unser Handeln nicht den geringsten Einfluß haben, das ist das einzige Mittel wie Sie Sich Ihre innre Ruhe, und wo möglich Ihre Unbefangenheit erhalten können. – Ja wol, wo möglich sagte sie. Um die Unbefangenheit möchte es wol geschehen sein. Werde ich nicht bei jeder Gelegenheit, auch bei dem entschiedensten Recht auf meiner Seite mich vor mir selbst fürchten müssen daß nicht Ihr Wunsch einen heimlichen Einfluß auf mein Betragen hat? Und so ist es auch seitdem ergangen. Sie quält sich mit diesem Verdacht gegen sich selbst, sie duldet was sie sonst nicht würde geduldet haben, sie hat Veranlassungen, die sie mit voller Rechtfertigung vor ihrem Gewissen und vor der ganzen Welt hätte ergreifen können, vorbei gehn lassen nur „weil sie in einem bewegten Zustande war, und in diesem ihrer selbst nicht sicher genug wäre“. Ich habe ihr vielfach vorgestellt daß dies übertrieben wäre, daß Umstände kommen könnten wo es ihre | Pflicht wäre, sich von Grunow zu trennen, aber daß sie auch dann in einem bewegten Zustande ganz unvermeidlich sein würde. Man müsse freilich in einem solchen nichts beschliessen: aber wenn man bei kaltem Blute und reifer Ueberlegung beschloßen hätte, wenn sich dies und jenes ereignete willst Du so und so handeln, so sei es gar nicht anders als sehr vernünftig es alsdann auch auszuführen wenn das Gemüth gleich bewegt wäre, welches ja bei allen wichtigen Gelegenheiten nicht anders sein könnte. Ich habe sie gebeten und beschworen sich wenigstens die Grenze zu sezen die in gar keiner Beziehung auf mich stände, nemlich nichts zu dulden was geradezu ihre Ehre als Hausfrau kränkte, und nicht länger zu bleiben als diese es litte. Was Alles schon daraus entstanden ist wäre ohne Ende zu sagen. Das erste war ein sehr rührender Auftritt mit der Herz, als ich es ihr sagte. Sie brach in einen Strom von Thränen aus die aus dem geängstetsten Herzen herkamen, und nur mit halben Worten sagte sie mir ich wüßte wie lange sie gewünscht hätte daß ich lieben und heirathen möchte, jezt wäre sie voll Angst und Sorge über den Gegenstand und über die Art und Weise, ob es nicht doch eine Uebereilung des Herzens wäre, ob ich nicht mehr Mitleid mit ihrer traurigen Lage als Liebe fühlte, ob und wie wir aus diesem Labyrinth herauskommen würden, ob die Grunow auch sie würde lieben können, und tausend Besorgnisse auf die Zukunft hinaus, was so recht ihre Art ist. Sie hat seitdem die Grunow kennen gelernt sieht nach welchen Gesezen wir handeln, und ist wenigstens über die Hauptsache beruhigt. Dann habe ich bald darauf einen Auftritt ganz anderer Art mit Grunow gehabt. Du erinnerst Dich was ich Dir einmal geschrieben von kleinen Anwandlungen von Leidenschaft zwischen ihr und mir. Sie war so gewissenhaft gewesen ihm das nicht zu verschweigen ohnerachtet sie wohl wußte daß seine so unedle Seele es auf mancherlei Art mißbrauchen würde. Oft hatte er das bei andern Gelegenheiten zum Gegenstand bitterer Vorwürfe gemacht die sie still und nur mit der sanftesten Bemerkung seines Unedelmuthes ertragen. Nun fing er auf einmal an eifersüchtig zu werden, wollte sie sollte mich nicht mehr allein sehn und argwöhnte das aergste. Mir sagte er nichts, also natürlich mußte sie es mir sagen. Ich suchte ihn vergeblich einigemal allein zu sprechen, weil ich ihr die Scene ersparen wollte, und schrieb ihm also am Ende „mich seiner Frau gegen seinen Argwohn anzunehmen, dazu hätte ich kein äußerlich gültiges Recht, und müßte ihr also überlassen, was sie dabei thun wollte. Was mich aber beträfe, so genöße ich überall das Zutrauen welches einem rechtschaffenen Mann gebührte, und es wäre noch keinem meiner Bekannten eingefallen sich zu verbitten daß ich seine Frau allein sehn sollte. Wollte er es, so müßte er es selbst natürlich finden daß ich sein Haus nicht mehr besuchte, denn ich möchte gar keinen Umgang der von einem solchen Argwohn begleitet wäre; aber ich würde mich dann auch genöthigt sehn der Mutter und dem Bruder seiner Frau, welche beide ich achtete und nicht unrecht von ihnen beurtheilt sein wollte, den Zusammenhang der Sache zu erzählen.“ Dies demüthigte ihn, er bat seine Frau um Verzeihung, und ließ mir eben so durch sie antworten. Uebrigens hat sie ihm auch jenen ganzen Vorgang nebst den Maximen die wir uns gemacht haben erzählt, und ihm durch die seitdem vorgefallenen Thatsachen bewiesen daß es uns Ernst damit wäre. Auch ich spielte bei unserer Zusammenkunft darauf an, und bat ihn seine Frau zu behandeln wie sie es verdiente, wenn er dies anders verstehen könnte. Und nun für diesmal genug von dieser Sache. Ich habe Dir die bloßen Thatsachen erzählt und wünsche nur daß Du Dir daraus das Ganze so mögest denken können, wie es wirklich ist. Der Grunow konnte freilich schon | seit lange meine herzliche Achtung und Freundschaft nicht verborgen sein, so wenig als unsere in der That seltne Uebereinstimmung in allen moralischen Dingen und in der ganzen Art die Menschen und das Leben zu behandeln; jene kleine Aufwallungen hielt sie eben mit Recht nur für solche, und es war ihr nie eingefallen daß ich einen Gedanken haben könnte sie zu der Meinigen zu machen. Auch mir war es nicht eingefallen bis in jenem Gespräch die moralische Nothwendigkeit daß sie sich von Grunow trennen müßte, mir so bestimmt vors Auge trat. Daß ich es äußerte, darüber tadle ich mich, wie gesagt, ohnerachtet ich es sehr natürlich finde. Die Grunow glaubte überdies – einem allgemeinen Gerücht zu Folge, welches ich immer, wenn die Rede darauf kam, als einen Scherz behandelte ohne ihm geradezu zu widersprechen – daß ich eine andere Neigung hätte. – Was nun daraus werden wird, das mag Gott wissen, ich weiß nur soviel gewiß, daß in mir keine andere Neigung entstehn wird – welches auch wohl ohnedies nicht hätte geschehn können, weil im Kreise meiner Bekanntschaft kein Gegenstand dazu vorhanden ist und ich nie ein Bedürfniß hatte neue Bekanntschaften zu suchen – und daß ich fortfahren werde mich ganz leidend zu verhalten bis etwa Umstände eintreten, wo ich mir selbst bewußt bin daß ich auch ohne ein solches Verhältniß als Freund die Verbindlichkeit etwas zu thun würde gefühlt haben. In unserm Betragen gegen einander hat übrigens diese ganze wunderliche Begebenheit nicht die geringste Aenderung gemacht, wir gehen völlig auf demselben Fuß mit einander um wie vorher.
Da ich einmal im Erzählen von mir selbst bin, und sich in diesem Zeitraum noch mehr merkwürdiges zugetragen hat, so will ich nur gleich dabei bleiben. Ich glaube Dir erzählt zu haben wie ich mit Sack wegen seiner unartigen Art sich über mein Verhältniß mit Schlegel zu äußern auseinander gekommen bin so daß ich ihn seit dem Anfange des vorigen Jahres gar nicht mehr gesehn habe. Eichmanns erzählten mir schon im Winter, er habe eine große Epistel an mich geschrieben um sich über alle Differenzen zwischen uns zu erklären, diese Epistel kam aber immer nicht; vielmehr hatte ich anstatt einer solchen freundschaftlichen Annäherung ganz deutliche Spuren daß er versucht hatte mir beim Minister einen üblen Dienst zu leisten, oder wenigstens unbehutsamer Weise allerlei geredet und gethan, was mir hätte Schaden thun können. Dergleichen macht indeß auf mich nicht eben Eindruk, weit entfernt also irgend einen Groll deswegen zu fassen ließ ich es nach wie vor an keiner Art von Höflichkeit gegen ihn fehlen. Dahin gehörte denn auch daß ich ihm die Predigten schikte, die ich habe druken lassen. Dies schlug denn dem Faß den Boden aus, die fünf Monat zurükbehaltene Epistel kam mit einem Billet das ihr als Einleitung diente und die Danksagung für die Predigten enthielt. Die Epistel hob denn an mit Klagen über die Wahl meiner Freunde, womit er wahrscheinlich die Herz und Schlegel meinte jedoch ohne sie zu nennen; dann aber ging es zu Klagen über mein philosophisches Sistem, indem er mir zufolge einiger gänzlich mißverstandenen Aeußerungen eines beimaß von dem er sagte daß es aller Religion widerstreite, welches ich aber gar nicht habe. Darauf waren denn weitere Schlüße gebaut daß ich unmöglich mit ganzem Herzen sondern nur aus Eigennuz oder Menschenfurcht Prediger bleiben könnte, daß wenn ich auch noch so erbaulich predigte alle die mich näher kennten und von meinem eignen System wüßten (dem zu Folge dies Alles Aberglauben wäre) keinen Segen davon haben könnten, daß er dies Alles sich mit seinen ehemaligen Vorstellungen von mir nicht reimen könnte pp. Ueber das Meiste war ich wie aus den Wolken gefallen, weil mir nicht eingefallen war daß man mich so mißverstehen könnte, der Ton war hie | und da sehr bitter mit allerlei Seitenhieben ausgestattet, das Ganze aber doch wohl gut gemeint. Ich antwortete ihm also auch sehr freundlich und sanftmüthig, zeigte ihm so kurz und schonend als möglich daß er meine philosophischen Aeußerungen gänzlich mißverstanden, überging alle Seitenhiebe, die vorzüglich litterarische Dinge betrafen und rechtfertigte mich nur ausführlich über Alles was meinen Charakter betrift weil mir das immer das wichtigste ist. Er hatte von seinem Briefe seinen Kindern und Eichmanns gesagt, und ihn seinem Schwager dem Prof. Spalding selbst gezeigt; von meiner Antwort sagte er niemandem etwas bis ich ihn endlich eben deshalb ausdrüklich fragen ließ ob er sie auch richtig erhalten, darauf erst hat er Spalding davon gesagt und ihm versprochen sie ihm zu zeigen. Ich habe meine Antwort ehe ich sie abschikte Alexandern und der Herz gezeigt – lezterer weil ich nicht vermeiden konnte und wollte sie zu nennen und von ihr zu reden – und hernach habe ich Beides der Eichmann und ihrer Mutter die eben hier war und großes Verlangen danach trug vorgelesen, und diese waren alle sehr zufrieden damit. Was für einen Eindruk sie auf Sack selbst gemacht davon weiß ich nichts weiter als daß er Spalding vorläufig gesagt er wäre keinesweges gänzlich dadurch befriedigt. Sehr lieb ist mirs daß Spalding und Eichmanns bei dieser ganzen Sache so sehr freundlich gegen mich gewesen sind, und mir in meinem Verhalten so ganz Recht gegeben haben; auch Sacks Kinder fragen noch immer nach mir fleißig, freuen sich wo sie mich irgendwo sehn, und wenn ich in der Stadt predige sind immer einige von ihnen in der Kirche wie weit es auch sei.
Nun noch etwas erfreulicheres. In der ersten Hälfte des Mai habe ich eine kleine Ausflucht nach Prenzlau gemacht. Herzens wollten beide hinreisen um ihre dort verheirathete Schwester zu besuchen, und da es mir angeboten wurde nahm ich die Gelegenheit wahr mitzureisen. Herz konnte hernach nicht weil er ein Paar gefährliche Kranke bekam, und da wir uns alle aus dergleichen Zierereien nicht viel machen so fuhr ich mit ihr und ihrer jüngsten Schwester, meiner kleinen Tochter wie ich sie gewöhnlich nenne hin. Von der Reise ist nicht viel zu sagen, es sind 12 Meilen und wir machten sie mit doppelten Pferden in einem Tage, fuhren des Morgens um 3 Uhr aus, und waren Abends um acht Uhr da; auf der lezten Hälfte hatten wir einen sehr heftigen Regen, der uns aber nur vielen Spaß machte. Ich war vornemlich hingereist um einen gewissen Prediger Wolf und einen Herrn von Willich auch einen jungen Theologen kennen zu lernen, die ich beide durch die Herz und auch sonst durch andere Freunde kannte, die eben so allerlei von mir gehört hatten, und eben so nach meiner persönlichen Bekanntschaft verlangten als ich nach der ihrigen. An Willich habe ich einen recht herzlichen Freund gefunden der mich sehr liebt, an Allem was in und mit mir vorgeht herzlichen Antheil nimmt, und es auch alles versteht, und in dem ich auch soviel Schönes und Gutes finde daß wir uns gegenseitig gar innig zugethan sind. Ich war nur 3 Tage dort, aber freilich haben wir uns in dieser Zeit wenig verlassen, Willich war gewöhnlich bis spät in die Nacht da, und des Morgens bald wieder auf dem Plaz und es ist in dieser Zeit so vielerlei vorgekommen und be | rührt worden, daß wir uns schneller kennen lernten und also auch lieb gewannen als sonst in so kurzer Zeit bei mir der Fall zu sein pflegt. Ich gebe mich nicht leicht weg, stelle mir nicht gleich Menschen in ein blendendes schmeichelhaftes Licht, und bin mit meinem ersten Urtheil über Menschen und meinen ersten Mittheilungen an sie sehr vorsichtig. Die Herz meint deshalb ich wäre zu verschlossen, und vielleicht ist es Dir nicht unlieb zu hören was sie mir über das Besondere dieses Falles schrieb. Du kannst Dir ja ohnedies meine Art mit ihr zu sein noch immer nicht denken, vielleicht tragen einige geschriebene Worte von ihr etwas dazu bei. Du mußt nur im Voraus wissen, daß die Herz noch 14 Tage da blieb und ich allein auf der Post zurükreiste, die dort spät des Abends abgeht, daß wir den lezten Abend bei ihrer Schwester zusammen waren Willich Wolff ich und noch ein Paar Hausfreunde, die aber nicht so dazu gehören, Punsch tranken und sangen (unter andern Schillers Lied an die Freude) wobei ich ein sehr inniges stummes Gespräch mit Willich hatte. So schrieb mir bald darauf die Herz: „Mir ist begegnet was ich nicht für möglich hielt, ich habe Sie noch lieber bekommen, nicht etwa weil ich etwas Neues Schönes in Ihnen entdekt hätte, denn ich kenne ja schon lange Alles in meinem Freunde: die Leichtigkeit aber und die Offenheit, mit der Sie Willich entgegen kamen, der schöne Willen sich ihm zu zeigen, wie Sie sind, das hat Sie mir viel viel lieber gemacht. Alles das gehört zwar zu Ihnen es bleibt aber oft verborgen, Sie denken, es hat ja Zeit, man bleibt ja länger zusammen; hier hatte es keine Zeit, und Sie benuzten die schönen Stunden so herrlich. Aber auch nicht verschwendet haben Sie die schöne Gabe; Willich ist voll von Ihnen und reichlich hat er wieder gegeben was er empfing. Mein Herz war sehr voll als Sie fortgingen; Ihr und Willichs näher kommen während des Gesanges hatte ich mit inniger Freude und Rührung gesehen, und stimmte ich nicht ins Chor mit ein, so war es die Unmöglichkeit einen Ton von mir zu geben, denn die Bewegung des Gemüths erstikte Worte und Töne, gern aber hätte ich Euer Beider Hände an mein Herz gedrükt und dem Andern Freundschaft gegeben wie sie der eine schon hat. Sie gingen Alle, und ließen mich zurük“ (die Andern begleiteten mich Alle nach dem Posthause, nur die Herz blieb zurük weil sie nicht wohl war und die Nachtluft scheuen mußte) „mir wars lieb daß ich allein blieb, ich dachte Ihnen nach und ward nicht gestört. Mir war wohler zu Muth als seit langer Zeit; mit wahrer Andacht fühlte ich Alles was gut und schön ist, mit Andacht und tiefer reicher Rührung. – Alles kam zurück, Willich sezte sich neben mich, ihm war eben so, und still und heilig feierten wir Ihr Andenken. Er sagte mir leise, er sei lange nicht so religiös gewesen als in diesen Momenten; ich freute mich des Einklangs und schwieg.“ – Wie mich das wieder gerührt hat kannst Du denken aber freilich muß auch das Anschauen einer werdenden Freundschaft auf eine so fühlende Seele einen eignen und tiefen Eindruk machen. Willich ist mir sehr werth; er hat nicht das große nicht den tiefen alles umfassenden Geist von Friedrich Schlegel: aber meinem Herzen ist er in vieler Hinsicht näher, und hat im Leben und fürs Leben mehr einen dem meinigen ähnlichen Sinn. Gelegentlich und nach und nach wirst Du wohl mehr von ihm erfahren.
Schreibe mir doch auch etwas Näheres vom Kammerherrn und wie es ihm jezt geht.
Ich dachte es wol, liebe Lotte, als es mit meinem Schreiben von einem Posttage zum andern nichts werden wollte, daß es mir noch so gehn würde, wie es mir nun wirklich gegangen ist, daß ich nemlich noch einen Brief von Dir bekommen würde ehe einer von mir abgegangen oder auch nur angefangen wäre, und ich habe mir auch schon immer die gehörigen Vorwürfe darüber gemacht. Allein sie sind nichts gegen das, was ich jezt empfinde, da ich sehe mein Stillschweigen hat Dich zu der Hofnung eines Besuchs veranlaßt, eine Hofnung die zu erfüllen ich in diesem Jahre gar keine Möglichkeit sehe, und in der getäuscht zu sein so sehr bitter und peinlich sein muß. Ich hatte indeß gehoft Karl würde Dir eher wenigstens in einigen Worten von der wahren Beschaffenheit der Sache etwas gemeldet haben. Es ist dabei gar vielerlei zusammen gekommen. Zuerst bin ich wirklich seit Anfang dieses Jahres in einem solchen Grade fleißig gewesen, wie ich mich noch nicht erinnere es gewesen zu sein; aber die Noth war da und es mußte geschehen – was nemlich für mich Noth ist, eine durch gegebene Versprechen und durch freundschaftliche Verhältnisse herbeigeführte Nothwendigkeit. Selbst einen großen Theil der sonst der Geselligkeit gewidmeten Zeit habe ich mit Freunden und Bekannten in Studien die mit diesen Arbeiten in Verbindung standen hingebracht. Alle diese Arbeiten waren sehr Augen angreifend durch beständiges hin und her sehen aus einem Buch ins andre, von griechischen auf lateinische, von diesen auf deutsche Lettern und zwischendurch wieder auf geschriebenes von verschiedenen Händen; dabei immerwährendes Schreiben daß mir die Feder nicht aus der Hand kam bald in dieses bald in jenes Heft. Wenn ich mich auf diese Art müde gearbeitet und geschrieben hatte war ich zu nichts weniger aufgelegt als noch wieder zum Schreiben und Dir wollte ich so viel und in rechter Ruhe schreiben denn von solchen Briefen, die in zehn Minuten abgemacht sind habe ich freilich in dieser Zeit eine ganze Menge geschrieben. Mit der Ruhe sah es noch aus andern Gründen gar sehr mißlich aus. Von allen Seiten kamen mir unangenehme Gedanken und Empfindungen zugeströmt; Karl mit seiner nicht zu Ende gehenden Geschichte, die Grunow mit ihren immer erneuerten und eben so wenig zu beendigenden Leiden, Schlegel mit seiner unangenehmen Lage, die sich noch auf eine mir sehr empfindliche Art verschlimmert hat, das Alles und Manches Geringere nahm mir das Gemüth auf eine drükende Art ein, und ich wartete außer der Zeit und Augenbiiken von beßerer Muße auch noch recht kindlich darauf daß irgend etwas geschehen sollte wodurch eine dieser Angelegenheiten auf eine erwünschte Art sich entwikeln könnte: es ist aber nichts geschehen und ich will nur jezt da ich wirklich von Arbeiten etwas Athem schöpfen und mir wenigstens dann und wann ein Stündchen zum Schreiben aussezen kann frisch weg den Anfang zu einer tüchtigen Epistel machen, die aber doch, das sehe ich leider voraus bei weitem nicht Alles enthalten wird, was ich Dir gern sagen möchte. Laß mich nur gleich die Ordnung der Dinge umkehren und von Deinem lezten Briefe anfangen, den ich nur heute Nachmittag bekommen habe da ich im Begrif war ein wenig spazieren zu gehn. Wollte Gott daß von Dir selbst etwas tröstliches darin stände
den 23ten Abends. Ich brach Vorgestern hier ab weil ich mich in ein Meer von Gedanken und Empfindungen versenkt hatte, aus dem ich mich nicht mehr heraus finden konnte. Dabei ergriff mich lebendiger als je die Sehnsucht Deinen Wunsch befriedigen und Dich in diesem Jahre noch sehen zu können, und ich sann vergeblich hin und | her ob ich irgendwie eine Möglichkeit ausfindig machen könnte. Du hast gewiß eine Vorstellung davon wie so etwas angreift, und wirst Dich nicht darüber wundern, daß ich – ohnehin nach einem ermüdenden Predigttage bald genöthigt war im Schlaf Erholung zu suchen, der sich mir, selbst in solchen Fällen nicht leicht versagt.
Gestern konnte ich kaum ein Paar Vormittagsstunden arbeiten; ich war den Mittag bei unserm alten Onkel Reinhardt, der jezt eine Tochter von seiner Tochter in Preußen, der Prediger Bornemann in Schlodien (deren Du Dich vielleicht aus Schlobittischen Briefen erinnerst) bei sich [hat], ein gutes Mädchen, die froh war eine halbe Stunde mit mir allein zu sprechen, und über Manches Rath und Trost bei mir zu holen, und den Abend war ich bei Grunows, wo der größte Theil ihrer Familie war, die alle sehr freundlich und liebevoll gegen mich sind. Nebenbei ist dies zusammen, ein Paar Gänge in der Stadt, die ich zugleich mit abmachte eingerechnet ein Weg von gewiß anderthalb Meilen, und Du kannst denken, ob ich, da ich gegen eilf Uhr nach Hause kam das Gesez das ich mir für den Sommer unverbrüchlich gemacht habe nemlich nicht spät in die Nacht aufzubleiben gern befolgte. Ich erzähle Dir das so im Vorbeigehn, damit Du siehst, wie selbst bei einer recht eingezogenen Lebensart manche Tage in dieser großen Stadt so zu sagen verloren gehn. Heute habe ich denn das Versäumte fleißigst nachgeholt, und will nur noch ein Weilchen mit Dir plaudern. Deine Stubenveränderung ist mir eine recht traurige und herzzerschneidende Begebenheit gewesen und zugleich eine von denen, die mich böse machen könnte auf die Leute dort. Wissen sie denn, was sie einer solchen Menschenseele, wie Du durch so etwas anthun? und was hatten sie denn für Noth Dich aus Deinem lieben Winkel herauszuziehn? und was für ein Recht haben sie Dich so zu martern? Hättest Du aber nicht, wenn sie doch das Andere nicht verstehn, wenigstens gegen den Oberstok von Seiten Deiner Gesundheit gegründete Einwendungen machen können? Und nun gar zu ungebildeten Leuten! läßt sich von einer solchen Versezung wol irgend ein vernünftiger Grund angeben[?] Als Du aus der Anstalt zogst, das ließ sich begreifen, es konnte Deiner Kränklichkeit wegen für Dich und für die Kinder besser sein – aber dieses! Nur vor kurzem noch habe ich gelesen, wie Du im lezten November den Tag Deines Einzugs in jene Stube gefeiert, und Dich gefreut hast, daß Du nun Drei Jahr ununterbrochen auf derselben Stelle geseßen hattest. So wird dem Menschen oft etwas genommen, wenn er es am dankbarsten erkennt. Es hat mich wemüthig gemacht. Was ich Dir damals beim Ausziehn aus der Anstalt schrieb bezog sich vornemlich auf das Verhältniß mit Lotte Schlegel, und ich habe wol nicht Unrecht gehabt, daß es dadurch gelitten hat; wenigstens habe ich seitdem immer weniger von ihr gehört, und es scheint sich nun fast ganz aufgelöst zu haben. Wie ist das doch zugegangen? Mit der Zeichnerin wird es Dir gewiß eben so gehn, und wie lange wird es dauern ehe Du da oben wieder ein Wesen findest, dem Du eine Stelle in Deinem Herzen anweisen kannst, und das aus Deinem Wesen und den Schätzen Deines Innern sich irgend etwas zu Nuze zu machen versteht! Das Klavier entbehrst Du nun auch wieder denn die da oben haben gewiß keines. Bei eurer Lebensweise ist eine solche Veränderung eben so groß als bei der unsrigen die Versezung an einen ganz fremden Ort, und ich habe ganz dasselbe Gefühl dabei als wenn meine Obern mich hätten nöthigen wollen oder können eine Predigerstelle in einer ganz kleinen Stadt und unter lauter ungebildeten Menschen einzunehmen. – Doch ich will lieber abbrechen; ich käme jezt aus diesem Kapitel nicht heraus, und es kann so gar nichts helfen weiter darüber zu reden. |
den 1ten Julius. Ich habe in diesen Tagen noch Alles mögliche aufgeboten um Deine Ahndung eines Besuches zu realisiren, und eben deshalb auch nicht geschrieben. Bei der geringsten Hofnung stellte sich mir der Gedanke so lebendig dar, daß ich daran glauben mußte: aber nun sehe ich die entschiedene Unmöglichkeit vor mir. Ich habe das lezte versucht und abgewartet, allein weder mit der Zeit noch mit dem lieben Gelde läßt es sich machen, und nun will ich nur soviel möglich ununterbrochen fortschreiten damit nur wenigstens statt meiner die Epistel recht bald zu Dir komme. Nicht einmal auf das Geld welches Du haben willst werde ich warten denn das könnte sich leicht noch ein Paar Wochen verziehen. Ob ich nun dabei Alles werde beantworten können worüber Du gern etwas von mir hörtest, das steht noch dahin.
Von Karls Aufenthalt bei Dir habe ich erst durch Dich eine ausführlichere Nachricht bekommen; er hatte mir nach seiner Art das Alles nur in ein Paar Worten geschrieben, indessen doch das Wichtigste berührt, daß er Dich von seinem Verhältniß mit Friederiken unterrichtet, und daß es ihm gelungen Dir Deine ungünstige Meinung von ihr zu benehmen. Wie ich mich darüber gefreut, das kannst Du Dir kaum vorstellen; ich hatte es höchlich gemißbilligt daß er Dir das erneuerte Verständniß verschwiegen und Dich um jener Meinung willen in einer unrichtigen Meinung von dem Zustande seines Herzens gelassen hatte, ich hatte ihm ausdrüklich deshalb geschrieben, und ihn dringend gebeten wenn er seinen Besuch nicht dazu benuzt hätte Dich von der Sache zu unterrichten, es sogleich schriftlich nachzuholen. Bei der abschlägigen Antwort des alten Onkels muß er sich nur nicht beruhigen; ich habe ihm gerathen 135 ihm in einem recht guten und bescheidenen Tone wieder zu schreiben und ihm sanftmüthig aber eindringend vorzustellen, daß es gar nicht seine Absicht wäre Friederiken in Absicht auf den Glauben von der Gemeine zu trennen, daß es ja auf das Wohnen dann nicht ankomme, wie ja auch er selbst nicht darin wohnte und daß es ja Beispiele genug gäbe von Schwestern die sich auf eine solche Weise verheiratheten. Wenn aber Friederikens Herz selbst von der Gemeine abgewendet, so wäre es ja den Grundsäzen der Gemeine selbst zuwider sie gewaltsam darin festzuhalten, seine Aeußerung sie zu enterben wäre nur eine nicht zu billigende Versuchung zur Heuchelei, und würde keine andere Folge haben als ihm ihre Liebe zu entziehn und die Verbindung noch auf mehrere Jahre aufzuhalten. Vielleicht hilft es etwas wenn er Standhaftigkeit und billige Gesinnungen verbunden sieht, wenigstens ist es das einzige, was vernünftigerweise zu thun ist. Aber liebe Lotte, was hast Du denn für eine gewaltige Eile die Leutchen noch dies Jahr verheirathet zu sehn? Ich habe keine Vorstellung davon wie das in irgend einem Falle möglich sein sollte; Karl müßte doch erst etwas eignes und solides unternehmen, oder sich mit Spieler auf einen andern Fuß zu sezen. Dieser scheint mir aber, wie ich aus einigen Umständen sehe, sehr eigennüzig zu sein, und dabei würde also große Vorsicht nöthig sein, kurz das Ganze ließe sich keinesweges übereilen. Auch ist ja – nach meiner Denkungsart wenigstens – daran gar nichts gelegen, wenn die beiden Liebenden nur ihrer Sache gewiß und die Herzen in Ruhe sind. Ob übrigens diese Begebenheit in meinem künftigen Roman Plaz finden möchte, darüber kann ich noch nichts sagen. Schwerlich werde ich irgend | eine Begebenheit oder einen Charakter darin genau copiren, und überhaupt wird es mir mehr auf die Charaktere ankommen als auf die Begebenheiten, und da weiß ich ja von Friederike noch viel zu wenig. Weiß ich doch nicht einmal ob eine weit sonderbarere und romantischere hineinkommen wird, die sich mit mir selbst zugetragen hat. Erzählen muß ich sie Dir aber, ob ich gleich weiß daß Du mich tadeln wirst wie ich mich selbst getadelt habe; wenn ich Dir nur auch meine Bewunderung der Grunow so mitheilen könnte wie sie es verdient. Es war bei einer Gelegenheit, wo sich Grunow sehr unanständig gegen sie betragen hatte, ich unaufgefodert mit ihr darüber sprach, und sie mich, ohne daß sie es merkte, in manche Theile ihres Verhältnißes gegen ihn tiefer hineinbliken ließ, die ich vorher noch nicht so gekannt hatte, daß ich ihr den Rath gab, und zwar mit sehr vieler Wärme, sich je eher je lieber von ihm zu trennen nicht länger für nichts und wieder nichts ihr ganzes Gemüth aufzuopfern und ihre schönsten Kräfte ungenuzt zu lassen. Sie versicherte mich, daß sie die Wichtigkeit dieser Gründe sehr gut fühlte, ihr Leben wäre verloren und für ihn wäre nichts dabei zu gewinnen, sie könnte mit allem Rath und Beispiel seine Gesinnung nicht ändern, und auch mit aller äußeren Anstrengung und Sorgfalt sein Unglük nicht abwenden. Sie hatte tausend von der äußeren Welt und den Verhältnissen darin hergenommene Bedenklichkeiten die ich ihr denn aus unsern gemeinschaftlichen Grundsäzen widerlegte. Endlich sagte sie: Aber was würde ich denn gewinnen wenn ich ihn aufgäbe? Er würde, wenigstens auf lange Zeit noch unglüklicher sein; ich würde zu meiner Mutter aus tausend Gründen die Sie wohl fühlen nicht zurükkehren; ich würde allein leben von meiner Hände Arbeit, und dabei würden meine Kräfte sich auch nicht besser entwikeln können, und mein inneres Leben würde eben auch nicht mehr gewinnen als daß ich des beständigen Widerspruchs zwischen dem innern und äußern endlich los wäre. Ach sagte ich, Sie könnten etwas weit besseres thun, Sie könnten meine Frau werden und wir würden sehr glüklich sein. Ich erschrak mich als ich es gesagt hatte, und sie auch. Es war der unwillkührliche Ausbruch eines Wunsches der sich erst mit den Worten zugleich gebildet hatte. Ich weiß wol, daß ich ein Paarmal zur Herz, wenn die Rede davon war, wie schwer ich, ohnerachtet ich in mancher Rüksicht sehr wenig Ansprüche machte, eine Frau finden würde, die mir genügte, gesagt hatte, die Grunow wäre eine Frau die ich wohl heirathen könnte, aber es war nur so ein Gedanke gewesen, ohne einen Gedanken an die Möglichkeit der Sache, ohne die leiseste Beimischung eines Wunsches. – Nach einer kleinen Pause sagte ich zu ihr: Liebe Freundin verzeihen Sie, das war eine entsezliche Uebereilung die uns beide in die peinlichste Lage sezen kann. Sie glauben mir daß ich das Gespräch mit keinem Gedanken an eine solche Aeußerung angefangen habe, und wenn wir auch nicht werden vergessen können daß sie mir entfahren, so muß es doch auf unser Handeln nicht den geringsten Einfluß haben, das ist das einzige Mittel wie Sie Sich Ihre innre Ruhe, und wo möglich Ihre Unbefangenheit erhalten können. – Ja wol, wo möglich sagte sie. Um die Unbefangenheit möchte es wol geschehen sein. Werde ich nicht bei jeder Gelegenheit, auch bei dem entschiedensten Recht auf meiner Seite mich vor mir selbst fürchten müssen daß nicht Ihr Wunsch einen heimlichen Einfluß auf mein Betragen hat? Und so ist es auch seitdem ergangen. Sie quält sich mit diesem Verdacht gegen sich selbst, sie duldet was sie sonst nicht würde geduldet haben, sie hat Veranlassungen, die sie mit voller Rechtfertigung vor ihrem Gewissen und vor der ganzen Welt hätte ergreifen können, vorbei gehn lassen nur „weil sie in einem bewegten Zustande war, und in diesem ihrer selbst nicht sicher genug wäre“. Ich habe ihr vielfach vorgestellt daß dies übertrieben wäre, daß Umstände kommen könnten wo es ihre | Pflicht wäre, sich von Grunow zu trennen, aber daß sie auch dann in einem bewegten Zustande ganz unvermeidlich sein würde. Man müsse freilich in einem solchen nichts beschliessen: aber wenn man bei kaltem Blute und reifer Ueberlegung beschloßen hätte, wenn sich dies und jenes ereignete willst Du so und so handeln, so sei es gar nicht anders als sehr vernünftig es alsdann auch auszuführen wenn das Gemüth gleich bewegt wäre, welches ja bei allen wichtigen Gelegenheiten nicht anders sein könnte. Ich habe sie gebeten und beschworen sich wenigstens die Grenze zu sezen die in gar keiner Beziehung auf mich stände, nemlich nichts zu dulden was geradezu ihre Ehre als Hausfrau kränkte, und nicht länger zu bleiben als diese es litte. Was Alles schon daraus entstanden ist wäre ohne Ende zu sagen. Das erste war ein sehr rührender Auftritt mit der Herz, als ich es ihr sagte. Sie brach in einen Strom von Thränen aus die aus dem geängstetsten Herzen herkamen, und nur mit halben Worten sagte sie mir ich wüßte wie lange sie gewünscht hätte daß ich lieben und heirathen möchte, jezt wäre sie voll Angst und Sorge über den Gegenstand und über die Art und Weise, ob es nicht doch eine Uebereilung des Herzens wäre, ob ich nicht mehr Mitleid mit ihrer traurigen Lage als Liebe fühlte, ob und wie wir aus diesem Labyrinth herauskommen würden, ob die Grunow auch sie würde lieben können, und tausend Besorgnisse auf die Zukunft hinaus, was so recht ihre Art ist. Sie hat seitdem die Grunow kennen gelernt sieht nach welchen Gesezen wir handeln, und ist wenigstens über die Hauptsache beruhigt. Dann habe ich bald darauf einen Auftritt ganz anderer Art mit Grunow gehabt. Du erinnerst Dich was ich Dir einmal geschrieben von kleinen Anwandlungen von Leidenschaft zwischen ihr und mir. Sie war so gewissenhaft gewesen ihm das nicht zu verschweigen ohnerachtet sie wohl wußte daß seine so unedle Seele es auf mancherlei Art mißbrauchen würde. Oft hatte er das bei andern Gelegenheiten zum Gegenstand bitterer Vorwürfe gemacht die sie still und nur mit der sanftesten Bemerkung seines Unedelmuthes ertragen. Nun fing er auf einmal an eifersüchtig zu werden, wollte sie sollte mich nicht mehr allein sehn und argwöhnte das aergste. Mir sagte er nichts, also natürlich mußte sie es mir sagen. Ich suchte ihn vergeblich einigemal allein zu sprechen, weil ich ihr die Scene ersparen wollte, und schrieb ihm also am Ende „mich seiner Frau gegen seinen Argwohn anzunehmen, dazu hätte ich kein äußerlich gültiges Recht, und müßte ihr also überlassen, was sie dabei thun wollte. Was mich aber beträfe, so genöße ich überall das Zutrauen welches einem rechtschaffenen Mann gebührte, und es wäre noch keinem meiner Bekannten eingefallen sich zu verbitten daß ich seine Frau allein sehn sollte. Wollte er es, so müßte er es selbst natürlich finden daß ich sein Haus nicht mehr besuchte, denn ich möchte gar keinen Umgang der von einem solchen Argwohn begleitet wäre; aber ich würde mich dann auch genöthigt sehn der Mutter und dem Bruder seiner Frau, welche beide ich achtete und nicht unrecht von ihnen beurtheilt sein wollte, den Zusammenhang der Sache zu erzählen.“ Dies demüthigte ihn, er bat seine Frau um Verzeihung, und ließ mir eben so durch sie antworten. Uebrigens hat sie ihm auch jenen ganzen Vorgang nebst den Maximen die wir uns gemacht haben erzählt, und ihm durch die seitdem vorgefallenen Thatsachen bewiesen daß es uns Ernst damit wäre. Auch ich spielte bei unserer Zusammenkunft darauf an, und bat ihn seine Frau zu behandeln wie sie es verdiente, wenn er dies anders verstehen könnte. Und nun für diesmal genug von dieser Sache. Ich habe Dir die bloßen Thatsachen erzählt und wünsche nur daß Du Dir daraus das Ganze so mögest denken können, wie es wirklich ist. Der Grunow konnte freilich schon | seit lange meine herzliche Achtung und Freundschaft nicht verborgen sein, so wenig als unsere in der That seltne Uebereinstimmung in allen moralischen Dingen und in der ganzen Art die Menschen und das Leben zu behandeln; jene kleine Aufwallungen hielt sie eben mit Recht nur für solche, und es war ihr nie eingefallen daß ich einen Gedanken haben könnte sie zu der Meinigen zu machen. Auch mir war es nicht eingefallen bis in jenem Gespräch die moralische Nothwendigkeit daß sie sich von Grunow trennen müßte, mir so bestimmt vors Auge trat. Daß ich es äußerte, darüber tadle ich mich, wie gesagt, ohnerachtet ich es sehr natürlich finde. Die Grunow glaubte überdies – einem allgemeinen Gerücht zu Folge, welches ich immer, wenn die Rede darauf kam, als einen Scherz behandelte ohne ihm geradezu zu widersprechen – daß ich eine andere Neigung hätte. – Was nun daraus werden wird, das mag Gott wissen, ich weiß nur soviel gewiß, daß in mir keine andere Neigung entstehn wird – welches auch wohl ohnedies nicht hätte geschehn können, weil im Kreise meiner Bekanntschaft kein Gegenstand dazu vorhanden ist und ich nie ein Bedürfniß hatte neue Bekanntschaften zu suchen – und daß ich fortfahren werde mich ganz leidend zu verhalten bis etwa Umstände eintreten, wo ich mir selbst bewußt bin daß ich auch ohne ein solches Verhältniß als Freund die Verbindlichkeit etwas zu thun würde gefühlt haben. In unserm Betragen gegen einander hat übrigens diese ganze wunderliche Begebenheit nicht die geringste Aenderung gemacht, wir gehen völlig auf demselben Fuß mit einander um wie vorher.
Da ich einmal im Erzählen von mir selbst bin, und sich in diesem Zeitraum noch mehr merkwürdiges zugetragen hat, so will ich nur gleich dabei bleiben. Ich glaube Dir erzählt zu haben wie ich mit Sack wegen seiner unartigen Art sich über mein Verhältniß mit Schlegel zu äußern auseinander gekommen bin so daß ich ihn seit dem Anfange des vorigen Jahres gar nicht mehr gesehn habe. Eichmanns erzählten mir schon im Winter, er habe eine große Epistel an mich geschrieben um sich über alle Differenzen zwischen uns zu erklären, diese Epistel kam aber immer nicht; vielmehr hatte ich anstatt einer solchen freundschaftlichen Annäherung ganz deutliche Spuren daß er versucht hatte mir beim Minister einen üblen Dienst zu leisten, oder wenigstens unbehutsamer Weise allerlei geredet und gethan, was mir hätte Schaden thun können. Dergleichen macht indeß auf mich nicht eben Eindruk, weit entfernt also irgend einen Groll deswegen zu fassen ließ ich es nach wie vor an keiner Art von Höflichkeit gegen ihn fehlen. Dahin gehörte denn auch daß ich ihm die Predigten schikte, die ich habe druken lassen. Dies schlug denn dem Faß den Boden aus, die fünf Monat zurükbehaltene Epistel kam mit einem Billet das ihr als Einleitung diente und die Danksagung für die Predigten enthielt. Die Epistel hob denn an mit Klagen über die Wahl meiner Freunde, womit er wahrscheinlich die Herz und Schlegel meinte jedoch ohne sie zu nennen; dann aber ging es zu Klagen über mein philosophisches Sistem, indem er mir zufolge einiger gänzlich mißverstandenen Aeußerungen eines beimaß von dem er sagte daß es aller Religion widerstreite, welches ich aber gar nicht habe. Darauf waren denn weitere Schlüße gebaut daß ich unmöglich mit ganzem Herzen sondern nur aus Eigennuz oder Menschenfurcht Prediger bleiben könnte, daß wenn ich auch noch so erbaulich predigte alle die mich näher kennten und von meinem eignen System wüßten (dem zu Folge dies Alles Aberglauben wäre) keinen Segen davon haben könnten, daß er dies Alles sich mit seinen ehemaligen Vorstellungen von mir nicht reimen könnte pp. Ueber das Meiste war ich wie aus den Wolken gefallen, weil mir nicht eingefallen war daß man mich so mißverstehen könnte, der Ton war hie | und da sehr bitter mit allerlei Seitenhieben ausgestattet, das Ganze aber doch wohl gut gemeint. Ich antwortete ihm also auch sehr freundlich und sanftmüthig, zeigte ihm so kurz und schonend als möglich daß er meine philosophischen Aeußerungen gänzlich mißverstanden, überging alle Seitenhiebe, die vorzüglich litterarische Dinge betrafen und rechtfertigte mich nur ausführlich über Alles was meinen Charakter betrift weil mir das immer das wichtigste ist. Er hatte von seinem Briefe seinen Kindern und Eichmanns gesagt, und ihn seinem Schwager dem Prof. Spalding selbst gezeigt; von meiner Antwort sagte er niemandem etwas bis ich ihn endlich eben deshalb ausdrüklich fragen ließ ob er sie auch richtig erhalten, darauf erst hat er Spalding davon gesagt und ihm versprochen sie ihm zu zeigen. Ich habe meine Antwort ehe ich sie abschikte Alexandern und der Herz gezeigt – lezterer weil ich nicht vermeiden konnte und wollte sie zu nennen und von ihr zu reden – und hernach habe ich Beides der Eichmann und ihrer Mutter die eben hier war und großes Verlangen danach trug vorgelesen, und diese waren alle sehr zufrieden damit. Was für einen Eindruk sie auf Sack selbst gemacht davon weiß ich nichts weiter als daß er Spalding vorläufig gesagt er wäre keinesweges gänzlich dadurch befriedigt. Sehr lieb ist mirs daß Spalding und Eichmanns bei dieser ganzen Sache so sehr freundlich gegen mich gewesen sind, und mir in meinem Verhalten so ganz Recht gegeben haben; auch Sacks Kinder fragen noch immer nach mir fleißig, freuen sich wo sie mich irgendwo sehn, und wenn ich in der Stadt predige sind immer einige von ihnen in der Kirche wie weit es auch sei.
Nun noch etwas erfreulicheres. In der ersten Hälfte des Mai habe ich eine kleine Ausflucht nach Prenzlau gemacht. Herzens wollten beide hinreisen um ihre dort verheirathete Schwester zu besuchen, und da es mir angeboten wurde nahm ich die Gelegenheit wahr mitzureisen. Herz konnte hernach nicht weil er ein Paar gefährliche Kranke bekam, und da wir uns alle aus dergleichen Zierereien nicht viel machen so fuhr ich mit ihr und ihrer jüngsten Schwester, meiner kleinen Tochter wie ich sie gewöhnlich nenne hin. Von der Reise ist nicht viel zu sagen, es sind 12 Meilen und wir machten sie mit doppelten Pferden in einem Tage, fuhren des Morgens um 3 Uhr aus, und waren Abends um acht Uhr da; auf der lezten Hälfte hatten wir einen sehr heftigen Regen, der uns aber nur vielen Spaß machte. Ich war vornemlich hingereist um einen gewissen Prediger Wolf und einen Herrn von Willich auch einen jungen Theologen kennen zu lernen, die ich beide durch die Herz und auch sonst durch andere Freunde kannte, die eben so allerlei von mir gehört hatten, und eben so nach meiner persönlichen Bekanntschaft verlangten als ich nach der ihrigen. An Willich habe ich einen recht herzlichen Freund gefunden der mich sehr liebt, an Allem was in und mit mir vorgeht herzlichen Antheil nimmt, und es auch alles versteht, und in dem ich auch soviel Schönes und Gutes finde daß wir uns gegenseitig gar innig zugethan sind. Ich war nur 3 Tage dort, aber freilich haben wir uns in dieser Zeit wenig verlassen, Willich war gewöhnlich bis spät in die Nacht da, und des Morgens bald wieder auf dem Plaz und es ist in dieser Zeit so vielerlei vorgekommen und be | rührt worden, daß wir uns schneller kennen lernten und also auch lieb gewannen als sonst in so kurzer Zeit bei mir der Fall zu sein pflegt. Ich gebe mich nicht leicht weg, stelle mir nicht gleich Menschen in ein blendendes schmeichelhaftes Licht, und bin mit meinem ersten Urtheil über Menschen und meinen ersten Mittheilungen an sie sehr vorsichtig. Die Herz meint deshalb ich wäre zu verschlossen, und vielleicht ist es Dir nicht unlieb zu hören was sie mir über das Besondere dieses Falles schrieb. Du kannst Dir ja ohnedies meine Art mit ihr zu sein noch immer nicht denken, vielleicht tragen einige geschriebene Worte von ihr etwas dazu bei. Du mußt nur im Voraus wissen, daß die Herz noch 14 Tage da blieb und ich allein auf der Post zurükreiste, die dort spät des Abends abgeht, daß wir den lezten Abend bei ihrer Schwester zusammen waren Willich Wolff ich und noch ein Paar Hausfreunde, die aber nicht so dazu gehören, Punsch tranken und sangen (unter andern Schillers Lied an die Freude) wobei ich ein sehr inniges stummes Gespräch mit Willich hatte. So schrieb mir bald darauf die Herz: „Mir ist begegnet was ich nicht für möglich hielt, ich habe Sie noch lieber bekommen, nicht etwa weil ich etwas Neues Schönes in Ihnen entdekt hätte, denn ich kenne ja schon lange Alles in meinem Freunde: die Leichtigkeit aber und die Offenheit, mit der Sie Willich entgegen kamen, der schöne Willen sich ihm zu zeigen, wie Sie sind, das hat Sie mir viel viel lieber gemacht. Alles das gehört zwar zu Ihnen es bleibt aber oft verborgen, Sie denken, es hat ja Zeit, man bleibt ja länger zusammen; hier hatte es keine Zeit, und Sie benuzten die schönen Stunden so herrlich. Aber auch nicht verschwendet haben Sie die schöne Gabe; Willich ist voll von Ihnen und reichlich hat er wieder gegeben was er empfing. Mein Herz war sehr voll als Sie fortgingen; Ihr und Willichs näher kommen während des Gesanges hatte ich mit inniger Freude und Rührung gesehen, und stimmte ich nicht ins Chor mit ein, so war es die Unmöglichkeit einen Ton von mir zu geben, denn die Bewegung des Gemüths erstikte Worte und Töne, gern aber hätte ich Euer Beider Hände an mein Herz gedrükt und dem Andern Freundschaft gegeben wie sie der eine schon hat. Sie gingen Alle, und ließen mich zurük“ (die Andern begleiteten mich Alle nach dem Posthause, nur die Herz blieb zurük weil sie nicht wohl war und die Nachtluft scheuen mußte) „mir wars lieb daß ich allein blieb, ich dachte Ihnen nach und ward nicht gestört. Mir war wohler zu Muth als seit langer Zeit; mit wahrer Andacht fühlte ich Alles was gut und schön ist, mit Andacht und tiefer reicher Rührung. – Alles kam zurück, Willich sezte sich neben mich, ihm war eben so, und still und heilig feierten wir Ihr Andenken. Er sagte mir leise, er sei lange nicht so religiös gewesen als in diesen Momenten; ich freute mich des Einklangs und schwieg.“ – Wie mich das wieder gerührt hat kannst Du denken aber freilich muß auch das Anschauen einer werdenden Freundschaft auf eine so fühlende Seele einen eignen und tiefen Eindruk machen. Willich ist mir sehr werth; er hat nicht das große nicht den tiefen alles umfassenden Geist von Friedrich Schlegel: aber meinem Herzen ist er in vieler Hinsicht näher, und hat im Leben und fürs Leben mehr einen dem meinigen ähnlichen Sinn. Gelegentlich und nach und nach wirst Du wohl mehr von ihm erfahren.
Schreibe mir doch auch etwas Näheres vom Kammerherrn und wie es ihm jezt geht.