Berlin d 10t. Nov. 1
Ja wohl meine liebe kann es mir in der wirklich unendlichen Zeit daß ich Dir nicht geschrieben unmöglich an Stoff zur Mittheilung fehlen. Die Ursache dieses langen Stillschweigens weißt Du zum Theil aus dem kleinen Zettelchen, welches mit dem Gelde hoffentlich richtig eingegangen sein wird, theils wirst Du in meinen Erzählungen noch kleine Nebengründe dazu entdeken. Jezt will ich mich bei keiner Vorrede weiter aufhalten. Das erste womit ich, ohnerachtet es nicht ganz das älteste ist anfangen muß, weil ich noch immer nicht ohne tiefe Wemuth daran denken kann ist die Nachricht von dem Tode unserer theuren Friederike. Die Beilagen, die ich Dir ausdrüklich abgeschrieben habe damit Dir nichts fehlen möge was diesen interessanten Gegenstand betrifft werden Dich das nähere lehren. No. 1 ist der lezte Brief den Friederike an Alexander schrieb als er auf seiner jährlichen Reise mit dem Minister, bei dem er immer nach vollendeten Geschäften einige Wochen auf Urlaub bei den Seinigen bleibt, in Marienwerder angekommen war, und der uns die freudigsten Aussichten eröfnete. Indessen enthielten Alexanders Briefe an Herz und mich bald sehr große und dringende Besorgnisse, die wir Anfangs nur seiner bekannten Aengstlichkeit zuschrieben, indeß wurden doch die Thatsachen die er einführte auf einmal gar sehr bedenklich, und aus No. 2 welches ein Auszug aus Alexanders lezten Briefe an mich vor Friederikens Tode ist wirst Du sehen, wieviel die Trefliche in den lezten Zeiten ihres Lebens gelitten hat. Fast drei Wochen nach diesem Briefe blieben wir ohne Nachricht Du kannst denken in welchem peinlichen Zustande bis endlich am 6ten September die Trauerpost einlief – auch an einem Sonntage wie die Nachricht von dem Tode unseres Vaters; aber es war niemand da, der sie mir bis nach der Predigt zurükgehalten hätte und ich begreife noch nicht wie ich habe mit einiger Sammlung der Gedanken reden können. Lies nun der Ordnung nach die Briefe No. 3 und 4 von Louis an Alexander und Fabian, die mir ersterer mitschikte und dann No. 5 den großen Brief von ihm an mich. Um nichts fehlen zu lassen füge ich auch noch die Antwort des alten Grafen auf meine Condolenz bei. – Aus Alexanders Briefen wirst Du ihn selbst einigermaßen kennen lernen, neben seinem guten und herzlichen Wesen auch seine Heftigkeit, seine Partheilichkeit, seine Geneigtheit alles was ihm zuwider ist gleich von der schwärzesten Seite zu sehn. Was er von Friederikens Leiden durch schlechte Behandlung und von Carolinens Einseitigkeit und Dummheit sagt reducirt sich lediglich auf folgendes. Caroline wollte und sollte, wie das erste mal auch schon geschehen war ihre Wochen in Finkenstein halten, sie machte es aber zur Bedingung, daß man ihre vertrauteste Freundin, die Gräfin Keiserling, eine gebohrene Doehnhoff und Schwester von Friederikens ehemaligen Bräutigam hinbitten sollte. Man suchte ihr dieses auszureden weil es Friederiken doch unangenehme Empfindungen machen könnte die Gräfin täglich zu sehn; aber vergeblich, denn Friederike ließ sich nichts davon merken, und Karoline schloß wohl etwas zu voreilig von ihrer Denkungsart auf Friederiken daß auch auf diese da sie die Gräfin ebenfalls persönlich liebte, eine solche Ideenverbindung nicht so nachtheilig wirken könnte. Die Gräfin, die dasselbe Bedenken gehabt hatte kam endlich auf vieles und dringendes Bitten und Louis der mir dies alles erzählt hat giebt ihr das Zeugniß daß sie sich gegen Friederiken ganz vortreflich betragen. Auch ist es gewiß nur der krankhaften Reizbarkeit zuzuschreiben, in welcher sich diese sonst so duldsame und von keiner Aufwallung beherrschte Seele befand, daß der Anblik der Gräfin ihr je länger je mehr unangenehm ward, so daß sie es am Ende nicht mehr aushalten konnte, und man die Gräfin auf gute | Art mußte zu entfernen suchen. Uebrigens ist soviel gewiß wahr, daß diese Geschichte mit Adolf an ihrem Leben genagt hat, und daß sie sich gewiß erholt haben würde, wenn diese Verbindung niemals geknüpft worden oder wenn es eine glükliche Liebe gewesen wäre. Wie demüthigend ist es nicht, daß auch die vortreflichsten Menschen solchen Täuschungen des Gefühls ausgesezt sind, und wie unerforschlich daß die Fehlgriffe eines edlen Herzens bisweilen härtere Leiden verursachen als die ärgsten Verschuldungen! Leonore und Friederike sind Märtyrer dieser Wahrheit. Was Alexander von Friederikens innerer Ruhe und heiterer Fassung schreibt hat mir Louis mit dem gerührtesten Herzen wiederholt, und die große Verehrung beider Brüder gegen diese Schwester hat sie mir aufs neue werth gemacht. Gegen Alexander habe ich dieses, und habe es ihm auch gesagt, daß er ohnerachtet dieser Ueberzeugung von ihrer Gemüthsfassung dennoch immer hat zu verhindern gesucht, daß man sie nicht vom Tode reden ließe. Sie hat es endlich merken müssen und geglaubt es wäre den andern zu angreifend. Solche allzufeine Aufmerksamkeiten gegen einander sind in der Tat eine rechte Pest des höheren und besseren Lebens! Wieviel goldene Worte hätte die Selige vielleicht gesprochen! und was kann interessanter sein als genau zu wissen wie eine solche Seele das Ende des Lebens ansieht und was sie dabei empfindet. Louis hat mit mir darüber geklagt. – Mir scheint es eben so groß und erhaben als lieblich, daß sie soviel es ihr Körper nur zuließ nicht aus ihrem gewöhnlichen Lebensgange herausgewichen ist. Noch ein Paar Tage vor ihrem Tode hat sie sich mit feinen weiblichen Arbeiten beschäftiget, und an der Lektüre belehrender Bücher Theil genommen. – Und nun will ich Dir für jezt nichts mehr von ihr sagen, sondern Dich und mich unsern eignen Empfindungen überlassen. Friede sei mit dieser herrlichen liebenswürdigen Seele.
Von Wilhelms Gattin, deren in Friederikens Brief noch als seiner Braut erwähnt wird, weißt Du glaube ich schon. Ich denke wenigstens daß ich Dir geschrieben habe seitdem er verlobt war. Sie hat bei seinen Eltern und Geschwistern allgemeinen Beifall gefunden, selbst Alexander dem selten ein Frauenzimmer gefällt findet sie gut, gebildet und angenehm. Die Verbindung wurde im Junius in Königsberg vollzogen, und da Alexander in Geschäften eben auch damals dort sein mußte, so war die ganze Schlobittische Familie dort versammelt bis auf Friederike, die man nicht mitzunehmen wagte. Diese brachte die Zeit bei der Gräfin Karoline in Karwinden zu und Louis wußte mir nicht genug zu erzählen wie schön diese Tage für die Selige, und auch von was für guten Folgen im Allgemeinen sie gewesen wären. In dieser Stille und Einsamkeit konnten die beiden vortreflichen Seelen über manches sprechen wozu sich ihnen sonst die Gelegenheit versagte, besonders konnte Friederike die Gräfin von manchen eingewurzelten Vorurtheilen heilen, die sie gegen die Mutter hegte, und die eine gewisse Entfernung immer unterhalten hatte. Auch hat vielleicht hier erst die Gräfin Caroline Friederiken ganz in ihrem Innern kennen gelernt; wenigstens hatte sie sie zu meiner Zeit noch nicht gehörig gewürdiget. Ich kann mich recht innig darüber freuen daß diese beiden von mir so sehr verehrten Menschen vor ihrer Trennung noch solcher vertraulichen und eng freundschaftlichen Tage genossen haben. Auch ist nachher die Gräfin Karoline fast immer in Schlobitten gewesen. Von Louis habe ich schon so viel erwähnt daß ich Dir nicht erst zu sagen brauche, daß er hier gewesen ist. Er war mit Friz zum HerbstManeuvre, wo der König gern fremde Officiere hier hat, von Mitte September bis Mitte October hier. Louis gewinnt von einem Jahre zum andern an solider zugleich Achtung gebietender Liebenswürdigkeit und ist mir wieder aufs Neue werth geworden[.] Auch erndtet er schöne Früchte davon ein. Er gilt viel, sehr viel bei den Seinigen; er wird von den besten Menschen unter seinen Bekannten vorzüglich geliebt und weiß sich auch in seinen militärischen Verhältnissen Achtung zu verschaffen. Seine Freundschaft ist mir sehr viel werth; an Dich hat er mir Grüsse aufgetragen. Friz der jezt 18 Jahr alt ist steht wohl seinen andern Brüdern in mancher Hinsicht nach, er hat nicht das tiefe innere Gefühl und den selbständigen Charakter | wie Alexander und Louis, und nicht die mancherlei schönen Kenntnisse wie Wilhelm. Das Leztere kann indeß wohl noch kommen denn er nuzt alle Gelegenheiten die ihm Königsberg wo er in Garnison steht darbietet um zu lernen und sich auszubilden. Dabei hat er einen muntern aufgewekten Sinn, eine sehr hübsche trokne und unschuldige Art lustige Sachen zu sagen und, wo er nicht mehr fremd ist, ein ungezwungenes, eigenthümliches angenehmes Wesen. Wenn ich ihm bei Tisch an der Seite saß konnte ich mir recht gut denken, wie er sich als ein alter Obrist oder General ausnehmen würde. Er und Fabian wohnen bei Wilhelm und bilden da einen hübschen kleinen Familienzirkel, ein jüngeres und kleineres Schlobitten wovon er mir eine angenehme Beschreibung gemacht hat. Daß ich viel mit ihnen war diesen Monat über, kannst Du Dir denken; zulezt wurde ich etwas getheilt, weil mein Stettinischer Freund Bartholdy auch hier war.
Das wären die Dohnas. Wenn ich nun weiter gehen soll nach der Ordnung was mein Gemüth am meisten afficirt und eingenommen hat in der langen Zeit meines Stillschweigens, so müßte ich Dir zunächst und immer wieder von meiner Freundin Grunow, oder mit einem lieberen Namen Leonore reden, welche noch immer ihr Leben welches so schön und so wirksam sein könnte mit den vergeblichsten Bestrebungen hinbringt einen Menschen glüklich zu machen, der gar keines Glükes empfänglich ist, der sich in den einfachsten Dingen nicht rathen und nicht helfen läßt, und für den sie sich und ihre ganze Existenz aufopfert ohne daß er es im mindesten anerkennte. Sie so anzusehen hat mir oft einen Schmerz gemacht dessen ich nicht Meister werden konnte, und doch wenn ich denke was sie wenn sie den Entschluß faßte ihr Schiksal zu ändern leiden würde ehe dieser Entschluß ausgeführt wäre und ehe sie ihres neuen Lebens froh würde, so kann ich auch kaum wünschen daß sie etwas gewaltsames unternähme. Seit kurzem schöpfe ich aus allerlei Umständen eine Art von Hofnung, daß sie es, alles wohl erwogen, bald für eine Pflicht gegen ihn selbst halten wird sich von ihm zu trennen, und dies wird wohl das einzige sein was sie bestimmen kann. So oft ich diese Hofnung fasse fühle ich eine unbeschreibliche Freude und ein neues Leben, denn hinter dieser sehe ich, wiewohl sehr in der Entfernung eine für mich aufgehn, und es eröfnet sich mir die schönste wünschenswürdigste Aussicht. Mein Leben bekommt jezt auch von einer andern Seite einen Werth den es sonst nicht hatte, und einen gewissen Glanz wenn ich so sagen darf. Mit dem Wenigen was ich bis jezt öffentlich sein und thun konnte fange ich doch an auf die Denkungsart der gebildeten und besseren Menschen zu wirken, ich bin von denen die man Philosophen nennt geachtet und aus der Nähe und Ferne schließen sich religiöse Seelen mit vieler Herzlichkeit an mich an. Ich kann sagen daß ich Vielen zum Segen bin, und wenn ich Gesundheit und Kraft behalte um einige bedeutende Werke auszuführen die ich unter Händen habe so läßt sich voraussehen daß ich bald sowohl in dieser Angelegenheit als in mancherlei Wissenschaften noch mehr Einfluß gewinnen und in wenigen Jahren zu den bekannteren Menschen gehören werde deren Wort einiges Gewicht hat. So angenehm mir das auch ist, nicht nur so fern es der natürlichen Eitelkeit schmeichelt, sondern auch so fern es mir verbürgt daß ich mich einer gewissen Wirksamkeit in der Welt werde zu erfreuen haben – es verschwindet mir doch gänzlich und ist mir Alles nichts gegen die fast schon aufgegebene Aussicht auf ein stilles frohes häusliches Leben, und es würde mir gar nicht schwer werden, um dieses zu genießen, mich, wenn es nicht anders sein könnte in eine Lage zu sezen, die mich von dem Schauplaz einer größeren Wirksamkeit ganz entfernte und meinen wissenschaftlichen Fortschritten sehr hinderlich wäre. Es ist doch Alles in der Welt größtentheils eitel und Täuschung, sowol was man genießen als was man thun kann, nur das häusliche Leben nicht. Was man auf diesem stillen Wege Gutes wirkt, das bleibt, für die wenigen Seelen kann man wirklich etwas sein und etwas bedeutendes leisten. Und wenn es mir noch beschieden dieser vortreflichen und höchst liebenswürdigen den Rest ihres Lebens – lang wird er schwerlich mehr sein, denn sie ist sehr schwächlich – zu verschönern, noch so viel Gutes und Schönes in ihr, was leider hat schlummern müssen zur Entwiklung und zur Thätigkeit zu bringen, und ihr gewißermaßen ein Ersaz zu sein für Alles was sie an einen Unwürdigen verschwendet hat: ein schöneres Loos könnte mir gar nicht werden. – Daß ich mich dieser Gedanken nicht enthalten kann wirst Du natürlich finden: aber ich prüfe jedesmal aufs Neue mein Herz ob nichts Unrechtes darin ist. Ich fühle daß wenn sich Grunow auf einmal verwandelte – ich will nicht sagen so daß er ihrer würdig würde, sondern nur so daß ihre Aufopferungen bei ihm angewendet wären, und daß es ein | leidliches Leben würde das sie bei ihm führt – ich mit sehr heiterer Ruhe allen meinen Wünschen dieser Art entsagen würde; ich bin mir bewußt daß sie nicht von Selbstliebe und von dem Bestreben mein eignes Wohlergehn zu fördern ausgehn, sondern nur von dem Gedanken, daß es Sünde ist ein solches Leben so zu verschwenden, und daß ich ihr gern nicht sowohl ein angenehmeres als ein würdigeres Leben bereiten möchte, und so kann ich mich nicht verdammen. Thust Du es? sage es mir recht ehrlich.
Dann habe ich die erste Hälfte des Julius in Landsberg zugebracht, wo ich in drei Jahren nicht gewesen war. Die Benike habe ich nachdem wir in die alte Vertraulichkeit hineinkamen, denn Anfangs waren wir uns ordentlich etwas fremde, etwas überlegter gesezter fester gefunden zu meiner großen Freude obgleich es zum Theil wohl eine Wirkung der Zeit und mancher äußerlichen Umstände sein mag; ihr Mann war gesunder und munterer als sonst, mit dem Mädchen aber bin ich nicht so zufrieden gewesen als ich nach manchen Äußerungen der Mutter erwartet hatte. Ich kann mir lebhaft denken, daß die Benike, wenn man in diesen Jahren so mit ihr umgegangen wäre und sie eben solcher Freiheit genossen hätte, nicht viel anders gewesen sein würde; allein auch dieser Unterschied gereicht dem Mädchen nicht zum Vortheil: denn das egoistische, das leider keinen rechten Hinterhalt hat sticht zu sehr hervor. Groß ist sie fast schon wie die Mutter und würde auch troz ihres Stumpfnäschens recht hübsch sein wenn sie nicht so sehr gelb wäre. Außerdem fand ich im Hause sehr viel einen Doctor Stisser, einen jungen Arzt der erst seit meiner Zeit hingekommen ist, einen recht verständigen Mann, der der Benike in vieler Hinsicht nüzlich sein kann, und dem die ganze Familie viele Verbindlichkeiten hat, da er Emilien zweimal vom nahen Tode gerettet hat. In dem Hause unseres guten Onkels fand ich wie Du leicht denken kannst eine sehr freundschaftliche und väterliche Aufnahme, besonders war die Tante von einer recht mütterlichen Zärtlichkeit. Auf den ersten Anblik machte mir des Onkels Gesundheit recht bange. Er schien weit schwächer war sehr kurzathmig und klagte über öfteres Anschwellen der Beine; dabei hat er eine hartnäkige Abneigung gegen ordentliches Mediciniren. Die Tante die ein Paarmal mit sehr vieler Rührung von dem möglichen Falle seines baldigen Todes mit mir sprach, versicherte mich indeß, daß er schon seit länger als einem Jahre bald besser bald schlimmer in dem selbigen Zustande wäre. Sie hatten einige und nicht ganz ungegründete Besorgnisse um ihren Sohn, welche die Tante noch tiefer zu fühlen schien als der Onkel. Der junge Mann hatte nemlich nun endlich seit ein Paar Monaten eine kleine Versorgung bekommen; er ist nemlich StadtSekretair in Reppen geworden, einer kleinen Stadt etwa 7 Meilen von Landsberg und zwei Meilen von Drossen wo der Onkel sonst stand. Da hat er sich nun sogleich sehr schleunig verliebt und versprochen, und zwar nicht etwa an ein dort wohnendes Frauenzimmer welches er doch seit diesen wenigen Monaten gesehn und gekannt hätte sondern an ein Mädchen, welches in einer gerichtlichen Angelegenheit dorthin zum Besuch gekommen war, und das nachdem er sonst eine entschiedene fast kindische Abneigung und Furcht vor allen Frauenzimmern gehabt. Dies machte den Eltern mit Recht bange, und nun wollte er sich noch dazu gleich in die Unternehmung einlassen ein Haus zu kaufen was er auch nicht versteht, und dazu das kleine Kapitälchen seiner Eltern in Anspruch nehmen. Jezt ist er bereits verheirathet, und ich wünsche mehr daß es ihm gut gehen möge als ich es hoffe. Es ist ein gar zu unverständiger Mensch, dabei im höchsten Grade eigensinnig und hat ein wunderliches Wesen an sich wodurch er sich überall lächerlich macht, was er wie ich in Landsberg zu meiner großen Kränkung hörte auch an seinem neuen Wohnorte in reichem Maaße gethan hat. Einmal habe ich in Landsberg gepredigt und die alte Zuneigung der Landsberger zu meinen Kanzelvorträgen noch unvermindert gefunden.
Daß der ältere Schlegel den größeren Theil des Sommers hier war weißt Du. Er reiste im August nach Jena ist aber jezt schon wieder hier um den ganzen Winter hier zu bleiben. Der nimmt auch meine Theilnahme sehr in Anspruch. Ich weiß nicht ob ich Dir schon von dem fatalen Verhältniß zwischen ihm und seiner Frau geschrieben habe, die ihm für die große Achtung die er ihr beweist und für die mehr als väterliche Zärtlichkeit mit der er ihre Tochter aus der ersten Ehe geliebt hat mit einer nicht einmal verheelten Untreue lohnt, wodurch sie ihn zum Gespötte gemeiner Menschen macht und zwar da er in Deutschland so sehr bekannt ist in einem sehr ausgebreiteten Kreise. | Gott weiß warum er den Muth oder die Lust nicht hat sich ganz von ihr zu trennen, und wie es ihm möglich ist mit dem jungen Manne den sie liebt und begünstigt sogar in einer Art von vertrauter Freundschaft zu stehen. Dieser übertriebenen Gutmüthigkeit ohnerachtet kann er es denn doch wie sehr natürlich in ihrer Nähe nicht lange aushalten und ist gewiß froh gewesen als die Zeit herankam da ihn die getroffene Verabredung wieder hieher rief. Das allerübelste ist, daß die Frau alles mögliche thut um die beiden Brüder mit einander zu entzweien weil Friedrich dem älteren den Rath gegeben hat, den ihm jeder vernünftige Mensch geben würde, und weil er sie vielleicht bisweilen die Verachtung hat fühlen lassen welche sie verdient. Dieses Bestreben ist ihr nicht ganz mißlungen, und dabei leiden nun Friedrich und die Veit die so gern still und ruhig vor sich hin lebten innerlich gar sehr. Wie diese fatalen Verhältnisse mich schmerzen, und wie unendlich leid es mir um den Wilhelm thut ihn in diesem Zustande zu sehen, das kann ich Dir gar nicht genug sagen. – Ueberhaupt ist in der Welt nichts so schwierig als das Heirathen. Wenn ich alle meine Bekannten in der Nähe und in der Ferne betrachte so thut mir das Herz weh darüber wie wenig glükliche Ehen es unter ihnen giebt. An Wilhelm und an Leonore will ich jezt gar nicht denken, sondern nur an die äußerlich guten Ehen. Da sind nun Eichmanns die sich wirklich lieben; aber der gute Mann hat die unselige Meinung daß seine Frau, weil sie ein einziges Kind und vielleicht als Mädchen ein wenig verzogen war, auch nun bei reifen Jahren und nach so viel überstandenen Prüfungen des Hausstandes noch eine scharfe Erziehung nöthig [habe], und so quält er sie manchmal bei den unbedeutendsten Dingen mit bittern Reden, und wenn er kränklich ist mit seinen Launen auf eine unerhörte Weise, daß ich oft nicht begreife wie sie es macht soviel Liebe gegen ihn in sich zu erhalten. Dabei haben sie eine Menge liebe Kinder, und gar nicht recht übereinstimmende Begriffe von Erziehung. Nun richtet sie sich freilich darin sehr nach ihm; aber wenn er einmal seine harte Manier so recht übertreibt wird ihr doch gar weh ums Herz. Da sind Benike’s; die leben doch nun eigentlich nur so nebeneinander weg ohne daß irgend ein herzliches Verhältniß zwischen ihnen Statt fände, wofür er freilich nicht recht empfänglich ist; aber sie wäre es doch und fühlt gewiß diese Lüke Zeitlebens sehr schmerzlich: denn wenn es ihr auch wie ich wünsche nie an einem Freunde in der Nähe fehlt, so hat das doch seine sehr engen Begrenzungen. Da habe ich hier einen jungen gelehrten Freund, Heindorf, der verliebte sich vor zwei Jahren plözlich in ein Mädchen von dem er sich ein unendlich tiefes und feines Gefühl, ich weiß nicht welche große Eigenschaften des Charakters und viel Ausbildung versprach. Seine Freunde die aber während des kurzen Brautstandes keine Gelegenheit hatten das Mädchen viel zu sehn fanden von dem Allen gar wenig und jezt fühlt er wohl selbst wieviel unrichtiges in seiner damaligen höchst exaltirten Ansicht lag. Sie ist eine recht gute Frau, pflegt ihn in seiner Kränklichkeit gut, wird auch die Kinder hoffentlich vernünftig erziehen denn Vorurtheile hat sie eben nicht – aber das ist auch Alles; zu einem Umgange wie er ihm sehr heilsam wäre ist sie nicht eben zu gebrauchen, und ich fürchte wenn ich einmal von ihm getrennt werde wird er sehr in die Einseitigkeit verfallen vor der ihn eine Frau von anderer Art hätte bewahren können. – Kurz ich besinne mich in diesem Augenblik unter allen die ich näher kenne und die sich noch im Sommer des Lebens befinden nur auf zwei recht glükliche Ehen das ist hier die Spaldingsche ein Haus wo, was sich sehr selten trift Mann und Frau mir gleich werth und gleich herzlich von mir geachtet sind, leider aber ist diese Ehe kinderlos; und dann die meines lieben theuern Wedike von dem ich vor ein Paar Monaten endlich wieder einmal einen recht ausführlichen, auch noch nicht beantworteten Brief bekommen habe. Der ist mit seiner Frau und seinen Kindern, troz seines sehr kränklichen Körpers einer der glüklichsten Menschen die ich kenne. Seit einiger Zeit habe ich eine sehr lebhafte Ahndung davon, daß ich noch einmal in seiner Nähe leben werde; es kommt mir nicht unwahrscheinlich vor, daß wenn einmal einer von den alten Hofpredigern in Königsberg stirbt man mich dorthin rufen wird, und es kann Umstände geben unter denen ich das gar nicht ausschlagen würde. – Doch ich verirre mich ganz von der Geschichte. Ich wollte Dir noch sagen, daß ich in ein Paar Wochen auch meinen lieben Friedrich Schlegel hier erwarte; er wird, aber freilich nur auf ein Paar Wochen bei mir wohnen, wir haben viel mit einander zu reden, und es ist einiger gemeinschaftlichen Arbeiten wegen sehr nothwendig daß wir einmal zusammen kommen.
Von Karl habe ich seit Anfang des Sommers nichts gehört, und hoffe daß Du mehr von ihm weißt. Von unserer Mutter und dortigen Schwestern weiß ich gar nichts seit unendlicher Zeit. Ich habe mehrere Male geschrieben aber immer keine Antwort erhalten; ich weiß nicht, ist sie uns böse oder was es bedeutet. Ich habe mir schon vorge | nommen einmal an Hausleitner zu schreiben und den um Nachricht zu bitten, bin aber noch nicht dazu gekommen.
Da hast Du nun einen ausführlichen Bericht von mir, an dem Du etwa nur noch den Artikel von der Gesundheit vermissen möchtest. Mit der ist es recht gut bestellt, und alle Menschen sagen daß ich noch nie so wohl ausgesehen. Auch lebe ich in jeder Hinsicht Diät, Arbeit, Bewegung und Schlaf sehr ordentlich; im lezteren Punkte geschieht es freilich nicht ganz willkührlich, ich würde gern bisweilen später in die Nacht hinein arbeiten, allein die Natur widersezt sich dem. Am Anfang des vorigen Monats war ich Vierzehn Tage sehr elend; allein es war nur ein Zufall an dem ich alle Jahr im Frühjahr oder Herbst einmal leide, der sich ohne Medicin wieder verliert und von dem keine Spur weiter übrig bleibt. – Ich expedire diese Epistel jezt, damit Du sie wo möglich zu meinem Geburtstage empfängst. Freilich ist sie nur ein Bericht, nicht ein Brief, auch nicht Antwort auf Deine Briefe; aber Du mußt diesmal noch vorlieb nehmen auf jeden Fall schreibe ich um einigermaßen nachzuholen in diesem Jahre noch einmal. – Von Peistels enthält Dein lezter Brief nichts, und gerade über diesen Punkt scheinst Du mehr von mir hören zu wollen. Allein liebe Freundin, was soll ich sagen? Ich billige im Ganzen Dein Betragen gar sehr, nur daß ich wünschte Du wolltest und könntest Dir auch auf die Frau etwas mehr Einfluß verschaffen. Da sie gegen Dich solche Ausnahmen macht, so scheint mir das doch nicht unmöglich zu sein. Indeß finde ich es auch recht, daß Du nichts wagst, was Dich am Ende nöthigen könnte Dich zurükzuziehen da Du ihm doch von so wesentlichem Troste bist. Thue nur Alles für den armen Mann was die delikate Natur der Sache und eure beschränkenden Einrichtungen irgend verstatten. – Deine Abneigung einmal einen Besuch in Breslau zu machen erkläre ich mir nun eher da der gute Wunster solche Projekte hat Dich dort festzuhalten. Indeß denke ich wenn ich einmal nach Schlesien komme wirst Du es doch wohl thun; nicht Karls wegen, den werden wir immer in Gnadenfrei besser genießen können aber der andern Freunde wegen. Was für einen unangenehmen Eindruk es mir gemacht hat daß Du genöthiget warst Dich in ein solches Geldverhältniß mit Wunster zu sezen kann ich Dir gar nicht sagen. Könnte ich mir irgend dies Jahr schlechte Wirthschaft vorwerfen, so würde ich außer mir gewesen sein vor Verdruß auf mich selbst. – Von Wenzel habe ich durch eine Bekannte welche diesen Herbst in Schlesien war Nachrichten bekommen, die gar nicht erfreulich waren. Er ist noch immer sehr niedergeschlagen, und auch von schlechter Gesundheit. Kann denn auch ein solcher Schmerz aufhören? und muß er nicht am Ende diesen irdischen Körper aufreiben? Geht es Dir auch so wie mir, daß ich bisweilen eine recht tiefe und bestimmte Empfindung davon habe: jezt wäre es Zeit daß dieser Mensch stürbe. Bei Wenzel habe ich sie noch nicht; aber ich glaube wenn ich ihn viel sähe und sein Inneres so recht kennte, würde ich sie haben. Wenn Leonore nicht Muth faßt sich loszureißen wird sie mich, fürchte ich, in Hinsicht ihrer auch ergreifen, und dann gewiß auch auf mich im höchsten Grade niederdrükend wirken. In Beziehung auf Friederike hatte ich sie ganz weil mir ihr Leben durch die Geschichte mit Adolf unwiderbringlich zerstört zu sein schien. Indeß prophetisch ist diese Empfindung keinesweges.
Adieu, auf baldiges Wiederschreiben. Von Leonoren soll ich Dich sehr grüßen; und so grüße auch von mir Alle an denen ich dort Antheil nehme und von deren vielen Du mir seit lange gar nichts gesagt hast.
Dein treuer Freund F.
No. 1.
Friederike an Alexander.
Schlobitten den 2ten Juni 1801
Bester Alexander. Wie glüklich macht uns der Gedanke, daß Du Dich jezt uns immer mehr näherst, und schon Caroline und Louis bei Ankunft dieses Briefes Deines Umgangs genießen werden. – O wieviel herzliches haben wir diesen beiden lieben Geschwistern zum ersten Willkommen für Dich aufgetragen. – Recht mit Ungeduld sehen wir den frohen Tagen entgegen, wenn es auch nur wenige sein werden, die Du uns verheißen hast. – Tausend Dank für Alles das unbeschreiblich liebreiche, welches Dein Brief zu meinem Geburtstage enthielt. – Ich fühle zwar, mein Bester, daß ich Vieles bei weitem nicht in dem Grade erreicht habe, und mir das, was Du so schön über Bildung schreibst nicht zueignen darf. – Allein vielleicht schenkt mir Gott eine bessere Gesundheit! Diese schöne Hofnung bringt Alles in ein Gleichgewicht – denn wie glüklich und froh fühle ich mich, wie leicht sind Fortschritte in jedem Guten, wenn nicht immerwährende Leiden zur Marter dienen, und die oft so kostbar errungene Stimmung des Gemüthes trüben.
Dieses so seltene schöne Frühjahr haben wir recht genossen; ich bin ganz aufgelebt in der Lebensluft der schönen Blüthen und Kräuter; – ich glaube überdem in der ganzen Welt könnte es mir (auf die Dauer) nicht so sehr gefallen, wie an denen Oertern, wo ich gebohren und erzogen worden. – Die Tage die unsere lieben Gäste hier waren begünstigte uns das schönste Wetter – nur war die Ermüdung sehr groß! – Von unserer lieben künftigen Schwägerin habe ich eine sehr gute Meinung gehabt. Wilhelm hat nun, wie leicht zu denken für andre Dinge kein Ohr.
Die beiden Stücke von Schiller, die Du uns geschickt hast, sind mit dem größten Interesse hier gelesen worden. – Vergieb; ich will Die jezt Deine kostbaren Augenblike nicht rauben, und verspare mir Alles mündlich. Von ganzem Herzen auf ewig
Deine Dich liebende treue Schwester Friederike
No. 2.
Alexander an mich
Finkenstein den 18ten August. 1801.
Wo soll ich anfangen Ihnen die unendlichen Leiden unserer Friederike zu schildern, welche unwiderruflich dem Tode geweiht ist und täglich zehnfach stirbt. – Die Stärke ihres Gemüthes und ihre innere unendlich starke Lebenskraft streben noch immer der Vernichtung entgegen, machen ihren Jammer noch größer, werden aber wohl gewiß binnen kurzem unterliegen. – Mit jedem Tage, fast mit jeder Stunde schreitet die scheußlichste Auszehrung immer weiter fort. Ihre Gesichtsfarbe, ihre Züge sind schon ganz leichenartig; die wenigen heitern Augenblike, welche sie noch vor Acht Tagen haben konnte fallen nun auch weg, und heute Nacht ist das lezte Labsal, was ihr noch zu Theil ward, ein etwas erträglicher Schlaf, von ihr gewichen, und sie hat aus Mattigkeit und aus Schmerzen, welche durchaus ihr überall entstanden fast gar nicht schlafen können. Die Blasen oder Schwämme welche sie im Munde hat, und welche durch die übergroße Hize des Magens erzeugt werden sollen, nebst einer kleinen Entzündung des Halses verursachen ihr nicht nur unsägliche Schmerzen, sondern hindern sie nun auch in der 4ten Woche irgend etwas recht nahrhaftes und consistentes zu genießen; überdies macht der Krampf auf der Brust es ihr ohnehin unmöglich etwas recht starkes, z. B. Wein oder dergleichen herunterzubringen. – Die Stärke mit welcher sie ihre Leiden erträgt ist höchst bewundernswürdig; nur in ihren Augen kann man bisweilen den Ausdruk des unnennbarsten Leidens und großer innerer körperlicher Quaalen und Angst lesen. Am Abend wo auch die kleinste Bewegung ihr eine Art von Fieber macht, wo sie sich kaum bewegen kann ohne zu röcheln, und dergestalt schwach wird, daß sie halbe Stunden lang an starke Sachen riechen muß um nicht ganz ohnmächtig zu werden, kann sie kaum einige Worte hervorbringen; auch pflegt sie dann zu betheuern, daß des Leidens zuviel wäre um es aussprechen zu können. Ueberdies empfindet sie die tantalische Quaal zu hungern und nicht essen, zu dursten und nicht trinken zu können. Die Fassung, mit welcher sie über ihr wahrscheinlich nahes Ende spricht, würde dem weisesten größten Mann Ehre machen; nie sah ich ein vollkomneres Ideal höchster wahrer Religiosität. Sie spricht über diese Gegenstände mit einer fast übermenschlichen Er | habenheit, mit einer Ruhe Ernst und Fassung ohne alle Rührung und Heftigkeit, und dann hat sie wieder den schönsten ächt menschlichen Wunsch zum Leben, der bei ihr gewiß schöner und verehrungswürdiger ist, als bei Millionen anderer Menschen. In diesen edlen Wunsch zu leben mischt sich nicht die geringste Unruhe, nicht die kleinste Furcht vor dem Tode. Sehr sehr wund und zerrissen ist ihr Gemüth durch die unedlen, jämmerlichen und schändlichen Begegnungen vieler Menschen; doch ist sie darüber unendlich verschlossen.
(Nun folgen medicinische Sachen, und Aufträge welche die Correspondenz mit Herz betreffen und welche ich übergehe)
Sein Sie recht fest überzeugt, daß meine Darstellung weit hinter der Wahrheit zurükbleibt, und nur sehr schwach den fast verzweiflungsvollen Zustand andeutet in welchem wir versunken sind. Besorgen Sie doch schleunigst recht interessante Geistesnahrung, denn in etwas erträglichen Augenbliken findet Friederike großes Vergnügen daran.
Friederike hat wirklich in ihren unaussprechlichen Leiden den höchsten Grad menschlicher Würdigkeit und Interesses erhalten. Caroline ist dagegen unaussprechlich dumm und einseitig und gemein geworden. Seit einer Stunde ist sie in Kindesnöthen; nach allen Anzeichen wird es eine sehr schwere Geburt werden.
Ach Gott lassen Sie Sich nur äußerst Alles angelegen sein, worum ich Sie gebeten habe. Sie und unsere Freundin können mir durch nichts so sehr ihre Liebe beweisen, denn keinen Menschen liebe und verehre ich mehr als Friederike. Durch Anstrengung und Gewohnheit haben wir uns fast Alle, besonders Louis und ich das Weinen auch in den fürchterlichsten Augenbliken abgewöhnt.
Es müssen warlich die weisesten und kräftigsten Maaßregeln allerschleunigst ergriffen werden, denn das Elend ist unendlich, und die Schwäche über alle Vorstellung stets zunehmend groß.
A. D.
No. 3.
Louis an Alexander
Finkenstein den 25ten August Abends
Du verließest uns ängstlich zagend; jezt sind wir Alle ruhig wenn gleich innigst erschüttert. Heute wissen wir seit drei Jahren zum erstenmal, daß unsere theure Friederike nicht leidet. Theile die Seligkeit dieses Gefühls erst ganz mit uns, und dann denke daran, daß es uns ein schweres Opfer kostet. Sie hat ausgelitten. Nach 10 Uhr Morgens entschlummerte sie sanft ohne merkliche Zeichen einer Todesangst oder starker Schmerzen. Die gute Mutter war nicht zugegen um ihren Todeskampf nicht zu erschweren. Die Gräfin Caroline, Auguste, Christiane und ich standen um ihr Bett ohne eine Thräne zu vergießen, und lobten Gott, der in den lezten Augenbliken überaus barmherzig an ihr handelte. Meine Eltern und Geschwister sind vollkommen wohl und in einer guten sanften Stimmung. Eile so schnell als möglich zurük um unserer Mutter einige frohe Tage nach einem so anhaltenden langen Leiden zu machen. Gern hätten die Schwestern der Schwägerin einige Worte geschrieben; ich habe sie aber davon abgehalten. Alle grüßen herzlichst jedes Mitglied des Königsbergschen Familienzirkels.
L. D.
No. 4.
Louis an Fabian
(An demselben Tage, aber später mit der Post abgegangen, da No. 3 mit einer Staffette an Alle geschikt ward.)
Lieber Fabian! Auf einige Augenblike reiße ich mich aus dem trauernden Familienkreise, um Dir die Begebenheiten der lezten Tage kurz zu schildern. Hättest Du auch den Brief an Alexander nicht gelesen, so würdest Du doch aus diesen Zeilen schließen, daß der lieben Friederike Krankheit eine sehr üble Wendung genommen, daß sie beendigt ist. Befreit von allen Schmerzen des Körpers und den Leiden der Seele sieht sie segnend auf ihre weinenden Geschwister herab, und erwartet Fassung und Nacheiferung im Guten von uns. Schon seit einigen Tagen sahen wir ihren Tod mit starken Schritten anrüken. Gestern Nachmittag klagte sie auf eine herzzerreißende Art über starke Schmerzen in allen Theilen, welche das Bett berührten. Nach einigen Stunden legten sich diese Schmerzen etwas; wir sezten uns um ihr Bett herum, und die Gräfin Karoline las aus Lincks Reisen durch Portugall vor. Ihr Geist war so heiter als gewöhnlich; sie suchte auf der Charte die erwähnten Oerter auf, fragte nach dem, was sie nicht recht verstanden hatte, und sagte der Gräfin später: „wie charmant ist uns dieser Abend vergangen“. Du kannst leicht denken welche frohe Ueberraschung uns diese Aeußerung verursachte. Doktor Walter kam und verheelte uns nicht, daß nun keine Hofnung mehr | zu fassen wäre. Die Nacht soll sehr übel gewesen sein; doch verbot die Kranke auch unter den heftigsten Leiden irgend einen von uns zu rufen, ohnerachtet wir sie flehentlich gebeten hatten, es uns wissen zu lassen, wenn sie sich übler befände. Heute des Morgens ließ sie ihr Bett von der Wand abrüken, damit man von allen Seiten zu ihr kommen könnte, ordnete selbst an, wie es stehen sollte sprach lauter und deutlicher als gewöhnlich, aber mit Anstrengung und mit dem Ausdruk der Beklemmung. Bald darauf ward sie ohnmächtig, ermunterte sich wieder, sagte dem Doctor, daß sie nun wohl sterben würde, und starb so sanft, als sehnte sich ihre Seele die irdische Hülle zu verlassen. Die feierliche Stille, welche nur durch ihr tiefes Athmen unterbrochen wurde, der Ausdruk der Ruhe, welcher das Gesicht der Sterbenden überströmte, der sanfte Schmerz der Mutter und der Schwestern ergriffen meine Seele mächtig, und waren der beste Beweis des ächten prunklosen Christenthums. Wärest Du doch hier! Du würdest zwar manche Thräne mehr weinen, dagegen auch selige Stunden genießen.
Louis.
No. 5.
Alexander an mich
Finkenstein den 1ten September 1801.
Unsere theure Friedrike ist nicht mehr. Lesen Sie zuerst die anliegenden Briefe von Louis, welche wir nach Königsberg bekamen. Leider hatte ich 20 Stunden vor ihrem Tode eine Dienstreise nach Königsberg machen müssen.
Sie wissen nicht den ganzen Umfang dieses Verlustes, sondern können ihn nur ahnden; es ist der größte und schmerzhafteste, den ich erleiden konnte. Nachdem die Krankheit den ungeheuersten Grad erreicht hatte mußte endlich die Arme erliegen. Unbedenklich hätte sie gerettet werden können, wenn die Aerzte vor 3 oder 4 Monaten die Wendung, welche damals die Krankheit nach einer Erkältung nahm, und welche die Laien nur zu richtig ahndeten[,] hätten bemerken und augenbliklich mit den kräftigsten Mitteln bekämpfen wollen.
Den Abend nachdem ich die Trauerpost erhalten hatte, reiste ich mit Fabian und Friz von Königsberg ab, blieb ohne in Schlobitten einzukehren auf der Poststraße und war in 20 Stunden hier. Ich fand die Meinigen in tiefem Schmerz, aber in einer sehr schönen Fassung und Resignation; sie ließen auch den Aerzten alle Gerechtigkeit wiederfahren, sprachen über Alles mit milder Rührung, und waren vor | züglich sehr dankbar für alles wohlthätige was Herz der Kranken erwiesen hat. Meine Mutter wird so bald sie kann an ihn schreiben. Alle lassen Sich Ihnen und unserer Freundin angelegentlich empfehlen und bitten Herz dieses mitzutheilen.
Der vortrefliche Louis welcher vom ersten bis zum lezten Augenblik der Krankheit die arme Friederike aufs zärtlichste gepflegt hatte, bemühte sich auch ihr die lezten irdischen Pflichten ganz auf die Art zu erweisen, wie sie es wohl selbst gewünscht haben würde, wenn sie sich bestimmt darüber geäußert hätte. Nachdem man die Leiche anderthalb Tage unangerührt hatte im Bette liegen lassen ließ die sehr gute Mademoiselle Wessel (Schwester von Wedeke’s Frau und Gesellschafterin und vertraute Freundin der Gräfin Karoline.) sie einfach und geschmakvoll kleiden, und Louis brachte sie am Donnerstag mit Sonnenaufgang nach der Grotte, wo sie in einem schlichten ofnen Sarge, welches mit blühenden Orangenbäumen und Blumenbouquetten umgeben war hingestellt wurde um die nöthigsten Vorkehrungen zu ihrer Beisezung und die stärksten Beweise des wirklichen Todes abzuwarten. Gleich nach meiner Ankunft wallfahrtete auch ich nach der Grotte. Es war ein feierlicher tiefrührender Anblik, in dem durchaus nichts schauerliches oder zurükschrekendes war. Ich lernte hier begreifen, wie man in einem hohen Sinn Heilige anbeten und nach heiligen Oertern wallfahrten kann.
Am Sonnabend Abend wollten die Schwestern einen recht schönen Kranz flechten, der am folgenden Morgen während der Beisezung auf den Sarg gesezt werden sollte. Wir Brüder, die Cousine Caroline und Mademoiselle Wessel gingen nach dem Abendessen zu den Schwestern – ich vermag Ihnen nicht auszudrüken von welchem unendlichen Schmerz wir Alle ergriffen wurden als wir die Myrthen und Blumen sahen aus denen dieser Kranz geflochten werden sollte. Ein jeder erinnerte sich wie schreklich die Selige ihren hohen Glauben an Menschen hatte büssen wie fürchterlich sie hatte leiden müssen, und wie ohne diese entsezliche physische und moralische Ermordung sie ein langes Leben hindurch die wohlthätigste Verbreiterin der schönsten Tugenden und des vollkommensten menschlichen Glükes hätte sein können. Noch nie ist ein Kranz unter so viel herzzerreißenden Schmerzen und bittern Thränen geflochten worden als dieser. Am Sonntag kurz vor Sonnenaufgang ward sie mit sorgfältigster Vermeidung alles Prun | kes beigesezt. Die Schwestern, Gräfin Caroline und Mademoiselle Wessel wollten es sich nun einmal nicht nehmen lassen der Seligen bis in die Gruft zu folgen. Wir holten die Leiche aus der Grotte ab und zogen bei der grossen Heke vorbei durch den Obstgarten, dann durch das Thor in der Gegend des Wasserthurmes nach der Kirche. Das Gewölbe war mit Blumen und Bouquetten bestreut. Der Prediger hielt eine kurze Rede; wie sehr wünschten wir nicht Alle in diesem Augenblik Sie an seiner Stelle. Im Weggehn brach ein Jeder von uns eine Blume vom Kranz. Als wir aus der Gruft kamen schien die Sonne hell und freundlich; wir gingen wieder durch den Garten nach dem Saal, wo wir unsere Eltern erwarteten.
Die tiefe Stille welche während der ganzen Handlung herrschte die Ehrerbietung und Liebe gegen die Verstorbene, von welcher ein Jeder Anwesende durchdrungen zu sein schien, der anbrechende Morgen, Alles trug dazu bei das Feierliche und Erhabene der Handlung noch zu vermehren. – So eben erhalte ich den anliegenden Brief meiner Mutter für Herz. Haben Sie doch die Güte ihm denselben einzuhändigen, und es ihm recht auseinanderzusezen, daß wir für alle menschenfreundliche Bemühungen, die er sich um die Selige gegeben recht herzlich dankbar sind.
– Am Abend vor ihrem Tode hat die Selige sich unter andern auch sehr erkundigt, ob die interessante Lektüre noch nicht angekommen wäre, welche ich ihr durch Ihre gütige Besorgung versprochen hatte. Mit etwas mehr Schleunigkeit hätten Sie der Armen noch einige Stunden ihres schreklichen Leidens erleichtern können.
(Das Uebrige sind Aufträge.)
No. 6.
Der alte Graf an mich.
Schlobitten 2ten October
Ein wahrer Trost war uns Ihr liebes Schreiben, denn rechtlicher christlicher Freunde Theilnahme ist es immer; besonders von einem so wahren wie Sie, einem so liebevollen edlen Mann und alten Freunde der unsere liebe selige Friderique kannte, und ihren Werth als einer ausgezeichneten unterrichteten gebildeten Seele zu schäzen wußte. Unglaublich viele schöne und gründliche Auszüge und Ausarbeitungen hat sie zurükgelassen, und in derselben großen Ordnung die unter allen ihren Sachen herrschte. Ihre Predigten und mehrerer geprüfter Männer schöne Darstellung reifer Trostgründe richten uns auf. Aber | wahrlich, wir haben soviel verloren, daß wir doppelte Mühe haben die Leere die uns entstanden ist zu einiger Beruhigung erträglich zu machen. Oft nehmen wir zu Schleiermachers Predigten wie erwähnt unsere Zuflucht, und stille Freuden mit der Gräfin Caroline werden viel beitragen uns aufrecht zu erhalten. Der Blik auf unsere übrige Hofnungsvolle Kinder, ihr moralischer Werth und so mancher Seegen von Gott entgeht uns nicht, und wir sind weder undankbar noch murrend. Empfehlen Sie uns dem redlichen Herzischen Hause und dem guten Alexander. Besuchen Sie den oft denn er wird sich nach den Brüdern und Manchem von uns bangen. In Krankheiten empfehle ich Ihnen besonders diesen liebevollen und besten Sohn der mein größtes Glük auf Erden ist, und den ich mehr liebe und schäze als mich selbst. Nichts gleicht der Herzlichkeit mit welcher meine liebe Frau und Alle die Meinigen in dieser Bitte einstimmen, und der Dankbarkeit mit der sie Ihnen verbunden sind.
Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen und mit der ausgezeichnetsten Hochachtung pp
Ja wohl meine liebe kann es mir in der wirklich unendlichen Zeit daß ich Dir nicht geschrieben unmöglich an Stoff zur Mittheilung fehlen. Die Ursache dieses langen Stillschweigens weißt Du zum Theil aus dem kleinen Zettelchen, welches mit dem Gelde hoffentlich richtig eingegangen sein wird, theils wirst Du in meinen Erzählungen noch kleine Nebengründe dazu entdeken. Jezt will ich mich bei keiner Vorrede weiter aufhalten. Das erste womit ich, ohnerachtet es nicht ganz das älteste ist anfangen muß, weil ich noch immer nicht ohne tiefe Wemuth daran denken kann ist die Nachricht von dem Tode unserer theuren Friederike. Die Beilagen, die ich Dir ausdrüklich abgeschrieben habe damit Dir nichts fehlen möge was diesen interessanten Gegenstand betrifft werden Dich das nähere lehren. No. 1 ist der lezte Brief den Friederike an Alexander schrieb als er auf seiner jährlichen Reise mit dem Minister, bei dem er immer nach vollendeten Geschäften einige Wochen auf Urlaub bei den Seinigen bleibt, in Marienwerder angekommen war, und der uns die freudigsten Aussichten eröfnete. Indessen enthielten Alexanders Briefe an Herz und mich bald sehr große und dringende Besorgnisse, die wir Anfangs nur seiner bekannten Aengstlichkeit zuschrieben, indeß wurden doch die Thatsachen die er einführte auf einmal gar sehr bedenklich, und aus No. 2 welches ein Auszug aus Alexanders lezten Briefe an mich vor Friederikens Tode ist wirst Du sehen, wieviel die Trefliche in den lezten Zeiten ihres Lebens gelitten hat. Fast drei Wochen nach diesem Briefe blieben wir ohne Nachricht Du kannst denken in welchem peinlichen Zustande bis endlich am 6ten September die Trauerpost einlief – auch an einem Sonntage wie die Nachricht von dem Tode unseres Vaters; aber es war niemand da, der sie mir bis nach der Predigt zurükgehalten hätte und ich begreife noch nicht wie ich habe mit einiger Sammlung der Gedanken reden können. Lies nun der Ordnung nach die Briefe No. 3 und 4 von Louis an Alexander und Fabian, die mir ersterer mitschikte und dann No. 5 den großen Brief von ihm an mich. Um nichts fehlen zu lassen füge ich auch noch die Antwort des alten Grafen auf meine Condolenz bei. – Aus Alexanders Briefen wirst Du ihn selbst einigermaßen kennen lernen, neben seinem guten und herzlichen Wesen auch seine Heftigkeit, seine Partheilichkeit, seine Geneigtheit alles was ihm zuwider ist gleich von der schwärzesten Seite zu sehn. Was er von Friederikens Leiden durch schlechte Behandlung und von Carolinens Einseitigkeit und Dummheit sagt reducirt sich lediglich auf folgendes. Caroline wollte und sollte, wie das erste mal auch schon geschehen war ihre Wochen in Finkenstein halten, sie machte es aber zur Bedingung, daß man ihre vertrauteste Freundin, die Gräfin Keiserling, eine gebohrene Doehnhoff und Schwester von Friederikens ehemaligen Bräutigam hinbitten sollte. Man suchte ihr dieses auszureden weil es Friederiken doch unangenehme Empfindungen machen könnte die Gräfin täglich zu sehn; aber vergeblich, denn Friederike ließ sich nichts davon merken, und Karoline schloß wohl etwas zu voreilig von ihrer Denkungsart auf Friederiken daß auch auf diese da sie die Gräfin ebenfalls persönlich liebte, eine solche Ideenverbindung nicht so nachtheilig wirken könnte. Die Gräfin, die dasselbe Bedenken gehabt hatte kam endlich auf vieles und dringendes Bitten und Louis der mir dies alles erzählt hat giebt ihr das Zeugniß daß sie sich gegen Friederiken ganz vortreflich betragen. Auch ist es gewiß nur der krankhaften Reizbarkeit zuzuschreiben, in welcher sich diese sonst so duldsame und von keiner Aufwallung beherrschte Seele befand, daß der Anblik der Gräfin ihr je länger je mehr unangenehm ward, so daß sie es am Ende nicht mehr aushalten konnte, und man die Gräfin auf gute | Art mußte zu entfernen suchen. Uebrigens ist soviel gewiß wahr, daß diese Geschichte mit Adolf an ihrem Leben genagt hat, und daß sie sich gewiß erholt haben würde, wenn diese Verbindung niemals geknüpft worden oder wenn es eine glükliche Liebe gewesen wäre. Wie demüthigend ist es nicht, daß auch die vortreflichsten Menschen solchen Täuschungen des Gefühls ausgesezt sind, und wie unerforschlich daß die Fehlgriffe eines edlen Herzens bisweilen härtere Leiden verursachen als die ärgsten Verschuldungen! Leonore und Friederike sind Märtyrer dieser Wahrheit. Was Alexander von Friederikens innerer Ruhe und heiterer Fassung schreibt hat mir Louis mit dem gerührtesten Herzen wiederholt, und die große Verehrung beider Brüder gegen diese Schwester hat sie mir aufs neue werth gemacht. Gegen Alexander habe ich dieses, und habe es ihm auch gesagt, daß er ohnerachtet dieser Ueberzeugung von ihrer Gemüthsfassung dennoch immer hat zu verhindern gesucht, daß man sie nicht vom Tode reden ließe. Sie hat es endlich merken müssen und geglaubt es wäre den andern zu angreifend. Solche allzufeine Aufmerksamkeiten gegen einander sind in der Tat eine rechte Pest des höheren und besseren Lebens! Wieviel goldene Worte hätte die Selige vielleicht gesprochen! und was kann interessanter sein als genau zu wissen wie eine solche Seele das Ende des Lebens ansieht und was sie dabei empfindet. Louis hat mit mir darüber geklagt. – Mir scheint es eben so groß und erhaben als lieblich, daß sie soviel es ihr Körper nur zuließ nicht aus ihrem gewöhnlichen Lebensgange herausgewichen ist. Noch ein Paar Tage vor ihrem Tode hat sie sich mit feinen weiblichen Arbeiten beschäftiget, und an der Lektüre belehrender Bücher Theil genommen. – Und nun will ich Dir für jezt nichts mehr von ihr sagen, sondern Dich und mich unsern eignen Empfindungen überlassen. Friede sei mit dieser herrlichen liebenswürdigen Seele.
Von Wilhelms Gattin, deren in Friederikens Brief noch als seiner Braut erwähnt wird, weißt Du glaube ich schon. Ich denke wenigstens daß ich Dir geschrieben habe seitdem er verlobt war. Sie hat bei seinen Eltern und Geschwistern allgemeinen Beifall gefunden, selbst Alexander dem selten ein Frauenzimmer gefällt findet sie gut, gebildet und angenehm. Die Verbindung wurde im Junius in Königsberg vollzogen, und da Alexander in Geschäften eben auch damals dort sein mußte, so war die ganze Schlobittische Familie dort versammelt bis auf Friederike, die man nicht mitzunehmen wagte. Diese brachte die Zeit bei der Gräfin Karoline in Karwinden zu und Louis wußte mir nicht genug zu erzählen wie schön diese Tage für die Selige, und auch von was für guten Folgen im Allgemeinen sie gewesen wären. In dieser Stille und Einsamkeit konnten die beiden vortreflichen Seelen über manches sprechen wozu sich ihnen sonst die Gelegenheit versagte, besonders konnte Friederike die Gräfin von manchen eingewurzelten Vorurtheilen heilen, die sie gegen die Mutter hegte, und die eine gewisse Entfernung immer unterhalten hatte. Auch hat vielleicht hier erst die Gräfin Caroline Friederiken ganz in ihrem Innern kennen gelernt; wenigstens hatte sie sie zu meiner Zeit noch nicht gehörig gewürdiget. Ich kann mich recht innig darüber freuen daß diese beiden von mir so sehr verehrten Menschen vor ihrer Trennung noch solcher vertraulichen und eng freundschaftlichen Tage genossen haben. Auch ist nachher die Gräfin Karoline fast immer in Schlobitten gewesen. Von Louis habe ich schon so viel erwähnt daß ich Dir nicht erst zu sagen brauche, daß er hier gewesen ist. Er war mit Friz zum HerbstManeuvre, wo der König gern fremde Officiere hier hat, von Mitte September bis Mitte October hier. Louis gewinnt von einem Jahre zum andern an solider zugleich Achtung gebietender Liebenswürdigkeit und ist mir wieder aufs Neue werth geworden[.] Auch erndtet er schöne Früchte davon ein. Er gilt viel, sehr viel bei den Seinigen; er wird von den besten Menschen unter seinen Bekannten vorzüglich geliebt und weiß sich auch in seinen militärischen Verhältnissen Achtung zu verschaffen. Seine Freundschaft ist mir sehr viel werth; an Dich hat er mir Grüsse aufgetragen. Friz der jezt 18 Jahr alt ist steht wohl seinen andern Brüdern in mancher Hinsicht nach, er hat nicht das tiefe innere Gefühl und den selbständigen Charakter | wie Alexander und Louis, und nicht die mancherlei schönen Kenntnisse wie Wilhelm. Das Leztere kann indeß wohl noch kommen denn er nuzt alle Gelegenheiten die ihm Königsberg wo er in Garnison steht darbietet um zu lernen und sich auszubilden. Dabei hat er einen muntern aufgewekten Sinn, eine sehr hübsche trokne und unschuldige Art lustige Sachen zu sagen und, wo er nicht mehr fremd ist, ein ungezwungenes, eigenthümliches angenehmes Wesen. Wenn ich ihm bei Tisch an der Seite saß konnte ich mir recht gut denken, wie er sich als ein alter Obrist oder General ausnehmen würde. Er und Fabian wohnen bei Wilhelm und bilden da einen hübschen kleinen Familienzirkel, ein jüngeres und kleineres Schlobitten wovon er mir eine angenehme Beschreibung gemacht hat. Daß ich viel mit ihnen war diesen Monat über, kannst Du Dir denken; zulezt wurde ich etwas getheilt, weil mein Stettinischer Freund Bartholdy auch hier war.
Das wären die Dohnas. Wenn ich nun weiter gehen soll nach der Ordnung was mein Gemüth am meisten afficirt und eingenommen hat in der langen Zeit meines Stillschweigens, so müßte ich Dir zunächst und immer wieder von meiner Freundin Grunow, oder mit einem lieberen Namen Leonore reden, welche noch immer ihr Leben welches so schön und so wirksam sein könnte mit den vergeblichsten Bestrebungen hinbringt einen Menschen glüklich zu machen, der gar keines Glükes empfänglich ist, der sich in den einfachsten Dingen nicht rathen und nicht helfen läßt, und für den sie sich und ihre ganze Existenz aufopfert ohne daß er es im mindesten anerkennte. Sie so anzusehen hat mir oft einen Schmerz gemacht dessen ich nicht Meister werden konnte, und doch wenn ich denke was sie wenn sie den Entschluß faßte ihr Schiksal zu ändern leiden würde ehe dieser Entschluß ausgeführt wäre und ehe sie ihres neuen Lebens froh würde, so kann ich auch kaum wünschen daß sie etwas gewaltsames unternähme. Seit kurzem schöpfe ich aus allerlei Umständen eine Art von Hofnung, daß sie es, alles wohl erwogen, bald für eine Pflicht gegen ihn selbst halten wird sich von ihm zu trennen, und dies wird wohl das einzige sein was sie bestimmen kann. So oft ich diese Hofnung fasse fühle ich eine unbeschreibliche Freude und ein neues Leben, denn hinter dieser sehe ich, wiewohl sehr in der Entfernung eine für mich aufgehn, und es eröfnet sich mir die schönste wünschenswürdigste Aussicht. Mein Leben bekommt jezt auch von einer andern Seite einen Werth den es sonst nicht hatte, und einen gewissen Glanz wenn ich so sagen darf. Mit dem Wenigen was ich bis jezt öffentlich sein und thun konnte fange ich doch an auf die Denkungsart der gebildeten und besseren Menschen zu wirken, ich bin von denen die man Philosophen nennt geachtet und aus der Nähe und Ferne schließen sich religiöse Seelen mit vieler Herzlichkeit an mich an. Ich kann sagen daß ich Vielen zum Segen bin, und wenn ich Gesundheit und Kraft behalte um einige bedeutende Werke auszuführen die ich unter Händen habe so läßt sich voraussehen daß ich bald sowohl in dieser Angelegenheit als in mancherlei Wissenschaften noch mehr Einfluß gewinnen und in wenigen Jahren zu den bekannteren Menschen gehören werde deren Wort einiges Gewicht hat. So angenehm mir das auch ist, nicht nur so fern es der natürlichen Eitelkeit schmeichelt, sondern auch so fern es mir verbürgt daß ich mich einer gewissen Wirksamkeit in der Welt werde zu erfreuen haben – es verschwindet mir doch gänzlich und ist mir Alles nichts gegen die fast schon aufgegebene Aussicht auf ein stilles frohes häusliches Leben, und es würde mir gar nicht schwer werden, um dieses zu genießen, mich, wenn es nicht anders sein könnte in eine Lage zu sezen, die mich von dem Schauplaz einer größeren Wirksamkeit ganz entfernte und meinen wissenschaftlichen Fortschritten sehr hinderlich wäre. Es ist doch Alles in der Welt größtentheils eitel und Täuschung, sowol was man genießen als was man thun kann, nur das häusliche Leben nicht. Was man auf diesem stillen Wege Gutes wirkt, das bleibt, für die wenigen Seelen kann man wirklich etwas sein und etwas bedeutendes leisten. Und wenn es mir noch beschieden dieser vortreflichen und höchst liebenswürdigen den Rest ihres Lebens – lang wird er schwerlich mehr sein, denn sie ist sehr schwächlich – zu verschönern, noch so viel Gutes und Schönes in ihr, was leider hat schlummern müssen zur Entwiklung und zur Thätigkeit zu bringen, und ihr gewißermaßen ein Ersaz zu sein für Alles was sie an einen Unwürdigen verschwendet hat: ein schöneres Loos könnte mir gar nicht werden. – Daß ich mich dieser Gedanken nicht enthalten kann wirst Du natürlich finden: aber ich prüfe jedesmal aufs Neue mein Herz ob nichts Unrechtes darin ist. Ich fühle daß wenn sich Grunow auf einmal verwandelte – ich will nicht sagen so daß er ihrer würdig würde, sondern nur so daß ihre Aufopferungen bei ihm angewendet wären, und daß es ein | leidliches Leben würde das sie bei ihm führt – ich mit sehr heiterer Ruhe allen meinen Wünschen dieser Art entsagen würde; ich bin mir bewußt daß sie nicht von Selbstliebe und von dem Bestreben mein eignes Wohlergehn zu fördern ausgehn, sondern nur von dem Gedanken, daß es Sünde ist ein solches Leben so zu verschwenden, und daß ich ihr gern nicht sowohl ein angenehmeres als ein würdigeres Leben bereiten möchte, und so kann ich mich nicht verdammen. Thust Du es? sage es mir recht ehrlich.
Dann habe ich die erste Hälfte des Julius in Landsberg zugebracht, wo ich in drei Jahren nicht gewesen war. Die Benike habe ich nachdem wir in die alte Vertraulichkeit hineinkamen, denn Anfangs waren wir uns ordentlich etwas fremde, etwas überlegter gesezter fester gefunden zu meiner großen Freude obgleich es zum Theil wohl eine Wirkung der Zeit und mancher äußerlichen Umstände sein mag; ihr Mann war gesunder und munterer als sonst, mit dem Mädchen aber bin ich nicht so zufrieden gewesen als ich nach manchen Äußerungen der Mutter erwartet hatte. Ich kann mir lebhaft denken, daß die Benike, wenn man in diesen Jahren so mit ihr umgegangen wäre und sie eben solcher Freiheit genossen hätte, nicht viel anders gewesen sein würde; allein auch dieser Unterschied gereicht dem Mädchen nicht zum Vortheil: denn das egoistische, das leider keinen rechten Hinterhalt hat sticht zu sehr hervor. Groß ist sie fast schon wie die Mutter und würde auch troz ihres Stumpfnäschens recht hübsch sein wenn sie nicht so sehr gelb wäre. Außerdem fand ich im Hause sehr viel einen Doctor Stisser, einen jungen Arzt der erst seit meiner Zeit hingekommen ist, einen recht verständigen Mann, der der Benike in vieler Hinsicht nüzlich sein kann, und dem die ganze Familie viele Verbindlichkeiten hat, da er Emilien zweimal vom nahen Tode gerettet hat. In dem Hause unseres guten Onkels fand ich wie Du leicht denken kannst eine sehr freundschaftliche und väterliche Aufnahme, besonders war die Tante von einer recht mütterlichen Zärtlichkeit. Auf den ersten Anblik machte mir des Onkels Gesundheit recht bange. Er schien weit schwächer war sehr kurzathmig und klagte über öfteres Anschwellen der Beine; dabei hat er eine hartnäkige Abneigung gegen ordentliches Mediciniren. Die Tante die ein Paarmal mit sehr vieler Rührung von dem möglichen Falle seines baldigen Todes mit mir sprach, versicherte mich indeß, daß er schon seit länger als einem Jahre bald besser bald schlimmer in dem selbigen Zustande wäre. Sie hatten einige und nicht ganz ungegründete Besorgnisse um ihren Sohn, welche die Tante noch tiefer zu fühlen schien als der Onkel. Der junge Mann hatte nemlich nun endlich seit ein Paar Monaten eine kleine Versorgung bekommen; er ist nemlich StadtSekretair in Reppen geworden, einer kleinen Stadt etwa 7 Meilen von Landsberg und zwei Meilen von Drossen wo der Onkel sonst stand. Da hat er sich nun sogleich sehr schleunig verliebt und versprochen, und zwar nicht etwa an ein dort wohnendes Frauenzimmer welches er doch seit diesen wenigen Monaten gesehn und gekannt hätte sondern an ein Mädchen, welches in einer gerichtlichen Angelegenheit dorthin zum Besuch gekommen war, und das nachdem er sonst eine entschiedene fast kindische Abneigung und Furcht vor allen Frauenzimmern gehabt. Dies machte den Eltern mit Recht bange, und nun wollte er sich noch dazu gleich in die Unternehmung einlassen ein Haus zu kaufen was er auch nicht versteht, und dazu das kleine Kapitälchen seiner Eltern in Anspruch nehmen. Jezt ist er bereits verheirathet, und ich wünsche mehr daß es ihm gut gehen möge als ich es hoffe. Es ist ein gar zu unverständiger Mensch, dabei im höchsten Grade eigensinnig und hat ein wunderliches Wesen an sich wodurch er sich überall lächerlich macht, was er wie ich in Landsberg zu meiner großen Kränkung hörte auch an seinem neuen Wohnorte in reichem Maaße gethan hat. Einmal habe ich in Landsberg gepredigt und die alte Zuneigung der Landsberger zu meinen Kanzelvorträgen noch unvermindert gefunden.
Daß der ältere Schlegel den größeren Theil des Sommers hier war weißt Du. Er reiste im August nach Jena ist aber jezt schon wieder hier um den ganzen Winter hier zu bleiben. Der nimmt auch meine Theilnahme sehr in Anspruch. Ich weiß nicht ob ich Dir schon von dem fatalen Verhältniß zwischen ihm und seiner Frau geschrieben habe, die ihm für die große Achtung die er ihr beweist und für die mehr als väterliche Zärtlichkeit mit der er ihre Tochter aus der ersten Ehe geliebt hat mit einer nicht einmal verheelten Untreue lohnt, wodurch sie ihn zum Gespötte gemeiner Menschen macht und zwar da er in Deutschland so sehr bekannt ist in einem sehr ausgebreiteten Kreise. | Gott weiß warum er den Muth oder die Lust nicht hat sich ganz von ihr zu trennen, und wie es ihm möglich ist mit dem jungen Manne den sie liebt und begünstigt sogar in einer Art von vertrauter Freundschaft zu stehen. Dieser übertriebenen Gutmüthigkeit ohnerachtet kann er es denn doch wie sehr natürlich in ihrer Nähe nicht lange aushalten und ist gewiß froh gewesen als die Zeit herankam da ihn die getroffene Verabredung wieder hieher rief. Das allerübelste ist, daß die Frau alles mögliche thut um die beiden Brüder mit einander zu entzweien weil Friedrich dem älteren den Rath gegeben hat, den ihm jeder vernünftige Mensch geben würde, und weil er sie vielleicht bisweilen die Verachtung hat fühlen lassen welche sie verdient. Dieses Bestreben ist ihr nicht ganz mißlungen, und dabei leiden nun Friedrich und die Veit die so gern still und ruhig vor sich hin lebten innerlich gar sehr. Wie diese fatalen Verhältnisse mich schmerzen, und wie unendlich leid es mir um den Wilhelm thut ihn in diesem Zustande zu sehen, das kann ich Dir gar nicht genug sagen. – Ueberhaupt ist in der Welt nichts so schwierig als das Heirathen. Wenn ich alle meine Bekannten in der Nähe und in der Ferne betrachte so thut mir das Herz weh darüber wie wenig glükliche Ehen es unter ihnen giebt. An Wilhelm und an Leonore will ich jezt gar nicht denken, sondern nur an die äußerlich guten Ehen. Da sind nun Eichmanns die sich wirklich lieben; aber der gute Mann hat die unselige Meinung daß seine Frau, weil sie ein einziges Kind und vielleicht als Mädchen ein wenig verzogen war, auch nun bei reifen Jahren und nach so viel überstandenen Prüfungen des Hausstandes noch eine scharfe Erziehung nöthig [habe], und so quält er sie manchmal bei den unbedeutendsten Dingen mit bittern Reden, und wenn er kränklich ist mit seinen Launen auf eine unerhörte Weise, daß ich oft nicht begreife wie sie es macht soviel Liebe gegen ihn in sich zu erhalten. Dabei haben sie eine Menge liebe Kinder, und gar nicht recht übereinstimmende Begriffe von Erziehung. Nun richtet sie sich freilich darin sehr nach ihm; aber wenn er einmal seine harte Manier so recht übertreibt wird ihr doch gar weh ums Herz. Da sind Benike’s; die leben doch nun eigentlich nur so nebeneinander weg ohne daß irgend ein herzliches Verhältniß zwischen ihnen Statt fände, wofür er freilich nicht recht empfänglich ist; aber sie wäre es doch und fühlt gewiß diese Lüke Zeitlebens sehr schmerzlich: denn wenn es ihr auch wie ich wünsche nie an einem Freunde in der Nähe fehlt, so hat das doch seine sehr engen Begrenzungen. Da habe ich hier einen jungen gelehrten Freund, Heindorf, der verliebte sich vor zwei Jahren plözlich in ein Mädchen von dem er sich ein unendlich tiefes und feines Gefühl, ich weiß nicht welche große Eigenschaften des Charakters und viel Ausbildung versprach. Seine Freunde die aber während des kurzen Brautstandes keine Gelegenheit hatten das Mädchen viel zu sehn fanden von dem Allen gar wenig und jezt fühlt er wohl selbst wieviel unrichtiges in seiner damaligen höchst exaltirten Ansicht lag. Sie ist eine recht gute Frau, pflegt ihn in seiner Kränklichkeit gut, wird auch die Kinder hoffentlich vernünftig erziehen denn Vorurtheile hat sie eben nicht – aber das ist auch Alles; zu einem Umgange wie er ihm sehr heilsam wäre ist sie nicht eben zu gebrauchen, und ich fürchte wenn ich einmal von ihm getrennt werde wird er sehr in die Einseitigkeit verfallen vor der ihn eine Frau von anderer Art hätte bewahren können. – Kurz ich besinne mich in diesem Augenblik unter allen die ich näher kenne und die sich noch im Sommer des Lebens befinden nur auf zwei recht glükliche Ehen das ist hier die Spaldingsche ein Haus wo, was sich sehr selten trift Mann und Frau mir gleich werth und gleich herzlich von mir geachtet sind, leider aber ist diese Ehe kinderlos; und dann die meines lieben theuern Wedike von dem ich vor ein Paar Monaten endlich wieder einmal einen recht ausführlichen, auch noch nicht beantworteten Brief bekommen habe. Der ist mit seiner Frau und seinen Kindern, troz seines sehr kränklichen Körpers einer der glüklichsten Menschen die ich kenne. Seit einiger Zeit habe ich eine sehr lebhafte Ahndung davon, daß ich noch einmal in seiner Nähe leben werde; es kommt mir nicht unwahrscheinlich vor, daß wenn einmal einer von den alten Hofpredigern in Königsberg stirbt man mich dorthin rufen wird, und es kann Umstände geben unter denen ich das gar nicht ausschlagen würde. – Doch ich verirre mich ganz von der Geschichte. Ich wollte Dir noch sagen, daß ich in ein Paar Wochen auch meinen lieben Friedrich Schlegel hier erwarte; er wird, aber freilich nur auf ein Paar Wochen bei mir wohnen, wir haben viel mit einander zu reden, und es ist einiger gemeinschaftlichen Arbeiten wegen sehr nothwendig daß wir einmal zusammen kommen.
Von Karl habe ich seit Anfang des Sommers nichts gehört, und hoffe daß Du mehr von ihm weißt. Von unserer Mutter und dortigen Schwestern weiß ich gar nichts seit unendlicher Zeit. Ich habe mehrere Male geschrieben aber immer keine Antwort erhalten; ich weiß nicht, ist sie uns böse oder was es bedeutet. Ich habe mir schon vorge | nommen einmal an Hausleitner zu schreiben und den um Nachricht zu bitten, bin aber noch nicht dazu gekommen.
Da hast Du nun einen ausführlichen Bericht von mir, an dem Du etwa nur noch den Artikel von der Gesundheit vermissen möchtest. Mit der ist es recht gut bestellt, und alle Menschen sagen daß ich noch nie so wohl ausgesehen. Auch lebe ich in jeder Hinsicht Diät, Arbeit, Bewegung und Schlaf sehr ordentlich; im lezteren Punkte geschieht es freilich nicht ganz willkührlich, ich würde gern bisweilen später in die Nacht hinein arbeiten, allein die Natur widersezt sich dem. Am Anfang des vorigen Monats war ich Vierzehn Tage sehr elend; allein es war nur ein Zufall an dem ich alle Jahr im Frühjahr oder Herbst einmal leide, der sich ohne Medicin wieder verliert und von dem keine Spur weiter übrig bleibt. – Ich expedire diese Epistel jezt, damit Du sie wo möglich zu meinem Geburtstage empfängst. Freilich ist sie nur ein Bericht, nicht ein Brief, auch nicht Antwort auf Deine Briefe; aber Du mußt diesmal noch vorlieb nehmen auf jeden Fall schreibe ich um einigermaßen nachzuholen in diesem Jahre noch einmal. – Von Peistels enthält Dein lezter Brief nichts, und gerade über diesen Punkt scheinst Du mehr von mir hören zu wollen. Allein liebe Freundin, was soll ich sagen? Ich billige im Ganzen Dein Betragen gar sehr, nur daß ich wünschte Du wolltest und könntest Dir auch auf die Frau etwas mehr Einfluß verschaffen. Da sie gegen Dich solche Ausnahmen macht, so scheint mir das doch nicht unmöglich zu sein. Indeß finde ich es auch recht, daß Du nichts wagst, was Dich am Ende nöthigen könnte Dich zurükzuziehen da Du ihm doch von so wesentlichem Troste bist. Thue nur Alles für den armen Mann was die delikate Natur der Sache und eure beschränkenden Einrichtungen irgend verstatten. – Deine Abneigung einmal einen Besuch in Breslau zu machen erkläre ich mir nun eher da der gute Wunster solche Projekte hat Dich dort festzuhalten. Indeß denke ich wenn ich einmal nach Schlesien komme wirst Du es doch wohl thun; nicht Karls wegen, den werden wir immer in Gnadenfrei besser genießen können aber der andern Freunde wegen. Was für einen unangenehmen Eindruk es mir gemacht hat daß Du genöthiget warst Dich in ein solches Geldverhältniß mit Wunster zu sezen kann ich Dir gar nicht sagen. Könnte ich mir irgend dies Jahr schlechte Wirthschaft vorwerfen, so würde ich außer mir gewesen sein vor Verdruß auf mich selbst. – Von Wenzel habe ich durch eine Bekannte welche diesen Herbst in Schlesien war Nachrichten bekommen, die gar nicht erfreulich waren. Er ist noch immer sehr niedergeschlagen, und auch von schlechter Gesundheit. Kann denn auch ein solcher Schmerz aufhören? und muß er nicht am Ende diesen irdischen Körper aufreiben? Geht es Dir auch so wie mir, daß ich bisweilen eine recht tiefe und bestimmte Empfindung davon habe: jezt wäre es Zeit daß dieser Mensch stürbe. Bei Wenzel habe ich sie noch nicht; aber ich glaube wenn ich ihn viel sähe und sein Inneres so recht kennte, würde ich sie haben. Wenn Leonore nicht Muth faßt sich loszureißen wird sie mich, fürchte ich, in Hinsicht ihrer auch ergreifen, und dann gewiß auch auf mich im höchsten Grade niederdrükend wirken. In Beziehung auf Friederike hatte ich sie ganz weil mir ihr Leben durch die Geschichte mit Adolf unwiderbringlich zerstört zu sein schien. Indeß prophetisch ist diese Empfindung keinesweges.
Adieu, auf baldiges Wiederschreiben. Von Leonoren soll ich Dich sehr grüßen; und so grüße auch von mir Alle an denen ich dort Antheil nehme und von deren vielen Du mir seit lange gar nichts gesagt hast.
Dein treuer Freund F.
No. 1.
Friederike an Alexander.
Schlobitten den 2ten Juni 1801
Bester Alexander. Wie glüklich macht uns der Gedanke, daß Du Dich jezt uns immer mehr näherst, und schon Caroline und Louis bei Ankunft dieses Briefes Deines Umgangs genießen werden. – O wieviel herzliches haben wir diesen beiden lieben Geschwistern zum ersten Willkommen für Dich aufgetragen. – Recht mit Ungeduld sehen wir den frohen Tagen entgegen, wenn es auch nur wenige sein werden, die Du uns verheißen hast. – Tausend Dank für Alles das unbeschreiblich liebreiche, welches Dein Brief zu meinem Geburtstage enthielt. – Ich fühle zwar, mein Bester, daß ich Vieles bei weitem nicht in dem Grade erreicht habe, und mir das, was Du so schön über Bildung schreibst nicht zueignen darf. – Allein vielleicht schenkt mir Gott eine bessere Gesundheit! Diese schöne Hofnung bringt Alles in ein Gleichgewicht – denn wie glüklich und froh fühle ich mich, wie leicht sind Fortschritte in jedem Guten, wenn nicht immerwährende Leiden zur Marter dienen, und die oft so kostbar errungene Stimmung des Gemüthes trüben.
Dieses so seltene schöne Frühjahr haben wir recht genossen; ich bin ganz aufgelebt in der Lebensluft der schönen Blüthen und Kräuter; – ich glaube überdem in der ganzen Welt könnte es mir (auf die Dauer) nicht so sehr gefallen, wie an denen Oertern, wo ich gebohren und erzogen worden. – Die Tage die unsere lieben Gäste hier waren begünstigte uns das schönste Wetter – nur war die Ermüdung sehr groß! – Von unserer lieben künftigen Schwägerin habe ich eine sehr gute Meinung gehabt. Wilhelm hat nun, wie leicht zu denken für andre Dinge kein Ohr.
Die beiden Stücke von Schiller, die Du uns geschickt hast, sind mit dem größten Interesse hier gelesen worden. – Vergieb; ich will Die jezt Deine kostbaren Augenblike nicht rauben, und verspare mir Alles mündlich. Von ganzem Herzen auf ewig
Deine Dich liebende treue Schwester Friederike
No. 2.
Alexander an mich
Finkenstein den 18ten August. 1801.
Wo soll ich anfangen Ihnen die unendlichen Leiden unserer Friederike zu schildern, welche unwiderruflich dem Tode geweiht ist und täglich zehnfach stirbt. – Die Stärke ihres Gemüthes und ihre innere unendlich starke Lebenskraft streben noch immer der Vernichtung entgegen, machen ihren Jammer noch größer, werden aber wohl gewiß binnen kurzem unterliegen. – Mit jedem Tage, fast mit jeder Stunde schreitet die scheußlichste Auszehrung immer weiter fort. Ihre Gesichtsfarbe, ihre Züge sind schon ganz leichenartig; die wenigen heitern Augenblike, welche sie noch vor Acht Tagen haben konnte fallen nun auch weg, und heute Nacht ist das lezte Labsal, was ihr noch zu Theil ward, ein etwas erträglicher Schlaf, von ihr gewichen, und sie hat aus Mattigkeit und aus Schmerzen, welche durchaus ihr überall entstanden fast gar nicht schlafen können. Die Blasen oder Schwämme welche sie im Munde hat, und welche durch die übergroße Hize des Magens erzeugt werden sollen, nebst einer kleinen Entzündung des Halses verursachen ihr nicht nur unsägliche Schmerzen, sondern hindern sie nun auch in der 4ten Woche irgend etwas recht nahrhaftes und consistentes zu genießen; überdies macht der Krampf auf der Brust es ihr ohnehin unmöglich etwas recht starkes, z. B. Wein oder dergleichen herunterzubringen. – Die Stärke mit welcher sie ihre Leiden erträgt ist höchst bewundernswürdig; nur in ihren Augen kann man bisweilen den Ausdruk des unnennbarsten Leidens und großer innerer körperlicher Quaalen und Angst lesen. Am Abend wo auch die kleinste Bewegung ihr eine Art von Fieber macht, wo sie sich kaum bewegen kann ohne zu röcheln, und dergestalt schwach wird, daß sie halbe Stunden lang an starke Sachen riechen muß um nicht ganz ohnmächtig zu werden, kann sie kaum einige Worte hervorbringen; auch pflegt sie dann zu betheuern, daß des Leidens zuviel wäre um es aussprechen zu können. Ueberdies empfindet sie die tantalische Quaal zu hungern und nicht essen, zu dursten und nicht trinken zu können. Die Fassung, mit welcher sie über ihr wahrscheinlich nahes Ende spricht, würde dem weisesten größten Mann Ehre machen; nie sah ich ein vollkomneres Ideal höchster wahrer Religiosität. Sie spricht über diese Gegenstände mit einer fast übermenschlichen Er | habenheit, mit einer Ruhe Ernst und Fassung ohne alle Rührung und Heftigkeit, und dann hat sie wieder den schönsten ächt menschlichen Wunsch zum Leben, der bei ihr gewiß schöner und verehrungswürdiger ist, als bei Millionen anderer Menschen. In diesen edlen Wunsch zu leben mischt sich nicht die geringste Unruhe, nicht die kleinste Furcht vor dem Tode. Sehr sehr wund und zerrissen ist ihr Gemüth durch die unedlen, jämmerlichen und schändlichen Begegnungen vieler Menschen; doch ist sie darüber unendlich verschlossen.
(Nun folgen medicinische Sachen, und Aufträge welche die Correspondenz mit Herz betreffen und welche ich übergehe)
Sein Sie recht fest überzeugt, daß meine Darstellung weit hinter der Wahrheit zurükbleibt, und nur sehr schwach den fast verzweiflungsvollen Zustand andeutet in welchem wir versunken sind. Besorgen Sie doch schleunigst recht interessante Geistesnahrung, denn in etwas erträglichen Augenbliken findet Friederike großes Vergnügen daran.
Friederike hat wirklich in ihren unaussprechlichen Leiden den höchsten Grad menschlicher Würdigkeit und Interesses erhalten. Caroline ist dagegen unaussprechlich dumm und einseitig und gemein geworden. Seit einer Stunde ist sie in Kindesnöthen; nach allen Anzeichen wird es eine sehr schwere Geburt werden.
Ach Gott lassen Sie Sich nur äußerst Alles angelegen sein, worum ich Sie gebeten habe. Sie und unsere Freundin können mir durch nichts so sehr ihre Liebe beweisen, denn keinen Menschen liebe und verehre ich mehr als Friederike. Durch Anstrengung und Gewohnheit haben wir uns fast Alle, besonders Louis und ich das Weinen auch in den fürchterlichsten Augenbliken abgewöhnt.
Es müssen warlich die weisesten und kräftigsten Maaßregeln allerschleunigst ergriffen werden, denn das Elend ist unendlich, und die Schwäche über alle Vorstellung stets zunehmend groß.
A. D.
No. 3.
Louis an Alexander
Finkenstein den 25ten August Abends
Du verließest uns ängstlich zagend; jezt sind wir Alle ruhig wenn gleich innigst erschüttert. Heute wissen wir seit drei Jahren zum erstenmal, daß unsere theure Friederike nicht leidet. Theile die Seligkeit dieses Gefühls erst ganz mit uns, und dann denke daran, daß es uns ein schweres Opfer kostet. Sie hat ausgelitten. Nach 10 Uhr Morgens entschlummerte sie sanft ohne merkliche Zeichen einer Todesangst oder starker Schmerzen. Die gute Mutter war nicht zugegen um ihren Todeskampf nicht zu erschweren. Die Gräfin Caroline, Auguste, Christiane und ich standen um ihr Bett ohne eine Thräne zu vergießen, und lobten Gott, der in den lezten Augenbliken überaus barmherzig an ihr handelte. Meine Eltern und Geschwister sind vollkommen wohl und in einer guten sanften Stimmung. Eile so schnell als möglich zurük um unserer Mutter einige frohe Tage nach einem so anhaltenden langen Leiden zu machen. Gern hätten die Schwestern der Schwägerin einige Worte geschrieben; ich habe sie aber davon abgehalten. Alle grüßen herzlichst jedes Mitglied des Königsbergschen Familienzirkels.
L. D.
No. 4.
Louis an Fabian
(An demselben Tage, aber später mit der Post abgegangen, da No. 3 mit einer Staffette an Alle geschikt ward.)
Lieber Fabian! Auf einige Augenblike reiße ich mich aus dem trauernden Familienkreise, um Dir die Begebenheiten der lezten Tage kurz zu schildern. Hättest Du auch den Brief an Alexander nicht gelesen, so würdest Du doch aus diesen Zeilen schließen, daß der lieben Friederike Krankheit eine sehr üble Wendung genommen, daß sie beendigt ist. Befreit von allen Schmerzen des Körpers und den Leiden der Seele sieht sie segnend auf ihre weinenden Geschwister herab, und erwartet Fassung und Nacheiferung im Guten von uns. Schon seit einigen Tagen sahen wir ihren Tod mit starken Schritten anrüken. Gestern Nachmittag klagte sie auf eine herzzerreißende Art über starke Schmerzen in allen Theilen, welche das Bett berührten. Nach einigen Stunden legten sich diese Schmerzen etwas; wir sezten uns um ihr Bett herum, und die Gräfin Karoline las aus Lincks Reisen durch Portugall vor. Ihr Geist war so heiter als gewöhnlich; sie suchte auf der Charte die erwähnten Oerter auf, fragte nach dem, was sie nicht recht verstanden hatte, und sagte der Gräfin später: „wie charmant ist uns dieser Abend vergangen“. Du kannst leicht denken welche frohe Ueberraschung uns diese Aeußerung verursachte. Doktor Walter kam und verheelte uns nicht, daß nun keine Hofnung mehr | zu fassen wäre. Die Nacht soll sehr übel gewesen sein; doch verbot die Kranke auch unter den heftigsten Leiden irgend einen von uns zu rufen, ohnerachtet wir sie flehentlich gebeten hatten, es uns wissen zu lassen, wenn sie sich übler befände. Heute des Morgens ließ sie ihr Bett von der Wand abrüken, damit man von allen Seiten zu ihr kommen könnte, ordnete selbst an, wie es stehen sollte sprach lauter und deutlicher als gewöhnlich, aber mit Anstrengung und mit dem Ausdruk der Beklemmung. Bald darauf ward sie ohnmächtig, ermunterte sich wieder, sagte dem Doctor, daß sie nun wohl sterben würde, und starb so sanft, als sehnte sich ihre Seele die irdische Hülle zu verlassen. Die feierliche Stille, welche nur durch ihr tiefes Athmen unterbrochen wurde, der Ausdruk der Ruhe, welcher das Gesicht der Sterbenden überströmte, der sanfte Schmerz der Mutter und der Schwestern ergriffen meine Seele mächtig, und waren der beste Beweis des ächten prunklosen Christenthums. Wärest Du doch hier! Du würdest zwar manche Thräne mehr weinen, dagegen auch selige Stunden genießen.
Louis.
No. 5.
Alexander an mich
Finkenstein den 1ten September 1801.
Unsere theure Friedrike ist nicht mehr. Lesen Sie zuerst die anliegenden Briefe von Louis, welche wir nach Königsberg bekamen. Leider hatte ich 20 Stunden vor ihrem Tode eine Dienstreise nach Königsberg machen müssen.
Sie wissen nicht den ganzen Umfang dieses Verlustes, sondern können ihn nur ahnden; es ist der größte und schmerzhafteste, den ich erleiden konnte. Nachdem die Krankheit den ungeheuersten Grad erreicht hatte mußte endlich die Arme erliegen. Unbedenklich hätte sie gerettet werden können, wenn die Aerzte vor 3 oder 4 Monaten die Wendung, welche damals die Krankheit nach einer Erkältung nahm, und welche die Laien nur zu richtig ahndeten[,] hätten bemerken und augenbliklich mit den kräftigsten Mitteln bekämpfen wollen.
Den Abend nachdem ich die Trauerpost erhalten hatte, reiste ich mit Fabian und Friz von Königsberg ab, blieb ohne in Schlobitten einzukehren auf der Poststraße und war in 20 Stunden hier. Ich fand die Meinigen in tiefem Schmerz, aber in einer sehr schönen Fassung und Resignation; sie ließen auch den Aerzten alle Gerechtigkeit wiederfahren, sprachen über Alles mit milder Rührung, und waren vor | züglich sehr dankbar für alles wohlthätige was Herz der Kranken erwiesen hat. Meine Mutter wird so bald sie kann an ihn schreiben. Alle lassen Sich Ihnen und unserer Freundin angelegentlich empfehlen und bitten Herz dieses mitzutheilen.
Der vortrefliche Louis welcher vom ersten bis zum lezten Augenblik der Krankheit die arme Friederike aufs zärtlichste gepflegt hatte, bemühte sich auch ihr die lezten irdischen Pflichten ganz auf die Art zu erweisen, wie sie es wohl selbst gewünscht haben würde, wenn sie sich bestimmt darüber geäußert hätte. Nachdem man die Leiche anderthalb Tage unangerührt hatte im Bette liegen lassen ließ die sehr gute Mademoiselle Wessel (Schwester von Wedeke’s Frau und Gesellschafterin und vertraute Freundin der Gräfin Karoline.) sie einfach und geschmakvoll kleiden, und Louis brachte sie am Donnerstag mit Sonnenaufgang nach der Grotte, wo sie in einem schlichten ofnen Sarge, welches mit blühenden Orangenbäumen und Blumenbouquetten umgeben war hingestellt wurde um die nöthigsten Vorkehrungen zu ihrer Beisezung und die stärksten Beweise des wirklichen Todes abzuwarten. Gleich nach meiner Ankunft wallfahrtete auch ich nach der Grotte. Es war ein feierlicher tiefrührender Anblik, in dem durchaus nichts schauerliches oder zurükschrekendes war. Ich lernte hier begreifen, wie man in einem hohen Sinn Heilige anbeten und nach heiligen Oertern wallfahrten kann.
Am Sonnabend Abend wollten die Schwestern einen recht schönen Kranz flechten, der am folgenden Morgen während der Beisezung auf den Sarg gesezt werden sollte. Wir Brüder, die Cousine Caroline und Mademoiselle Wessel gingen nach dem Abendessen zu den Schwestern – ich vermag Ihnen nicht auszudrüken von welchem unendlichen Schmerz wir Alle ergriffen wurden als wir die Myrthen und Blumen sahen aus denen dieser Kranz geflochten werden sollte. Ein jeder erinnerte sich wie schreklich die Selige ihren hohen Glauben an Menschen hatte büssen wie fürchterlich sie hatte leiden müssen, und wie ohne diese entsezliche physische und moralische Ermordung sie ein langes Leben hindurch die wohlthätigste Verbreiterin der schönsten Tugenden und des vollkommensten menschlichen Glükes hätte sein können. Noch nie ist ein Kranz unter so viel herzzerreißenden Schmerzen und bittern Thränen geflochten worden als dieser. Am Sonntag kurz vor Sonnenaufgang ward sie mit sorgfältigster Vermeidung alles Prun | kes beigesezt. Die Schwestern, Gräfin Caroline und Mademoiselle Wessel wollten es sich nun einmal nicht nehmen lassen der Seligen bis in die Gruft zu folgen. Wir holten die Leiche aus der Grotte ab und zogen bei der grossen Heke vorbei durch den Obstgarten, dann durch das Thor in der Gegend des Wasserthurmes nach der Kirche. Das Gewölbe war mit Blumen und Bouquetten bestreut. Der Prediger hielt eine kurze Rede; wie sehr wünschten wir nicht Alle in diesem Augenblik Sie an seiner Stelle. Im Weggehn brach ein Jeder von uns eine Blume vom Kranz. Als wir aus der Gruft kamen schien die Sonne hell und freundlich; wir gingen wieder durch den Garten nach dem Saal, wo wir unsere Eltern erwarteten.
Die tiefe Stille welche während der ganzen Handlung herrschte die Ehrerbietung und Liebe gegen die Verstorbene, von welcher ein Jeder Anwesende durchdrungen zu sein schien, der anbrechende Morgen, Alles trug dazu bei das Feierliche und Erhabene der Handlung noch zu vermehren. – So eben erhalte ich den anliegenden Brief meiner Mutter für Herz. Haben Sie doch die Güte ihm denselben einzuhändigen, und es ihm recht auseinanderzusezen, daß wir für alle menschenfreundliche Bemühungen, die er sich um die Selige gegeben recht herzlich dankbar sind.
– Am Abend vor ihrem Tode hat die Selige sich unter andern auch sehr erkundigt, ob die interessante Lektüre noch nicht angekommen wäre, welche ich ihr durch Ihre gütige Besorgung versprochen hatte. Mit etwas mehr Schleunigkeit hätten Sie der Armen noch einige Stunden ihres schreklichen Leidens erleichtern können.
(Das Uebrige sind Aufträge.)
No. 6.
Der alte Graf an mich.
Schlobitten 2ten October
Ein wahrer Trost war uns Ihr liebes Schreiben, denn rechtlicher christlicher Freunde Theilnahme ist es immer; besonders von einem so wahren wie Sie, einem so liebevollen edlen Mann und alten Freunde der unsere liebe selige Friderique kannte, und ihren Werth als einer ausgezeichneten unterrichteten gebildeten Seele zu schäzen wußte. Unglaublich viele schöne und gründliche Auszüge und Ausarbeitungen hat sie zurükgelassen, und in derselben großen Ordnung die unter allen ihren Sachen herrschte. Ihre Predigten und mehrerer geprüfter Männer schöne Darstellung reifer Trostgründe richten uns auf. Aber | wahrlich, wir haben soviel verloren, daß wir doppelte Mühe haben die Leere die uns entstanden ist zu einiger Beruhigung erträglich zu machen. Oft nehmen wir zu Schleiermachers Predigten wie erwähnt unsere Zuflucht, und stille Freuden mit der Gräfin Caroline werden viel beitragen uns aufrecht zu erhalten. Der Blik auf unsere übrige Hofnungsvolle Kinder, ihr moralischer Werth und so mancher Seegen von Gott entgeht uns nicht, und wir sind weder undankbar noch murrend. Empfehlen Sie uns dem redlichen Herzischen Hause und dem guten Alexander. Besuchen Sie den oft denn er wird sich nach den Brüdern und Manchem von uns bangen. In Krankheiten empfehle ich Ihnen besonders diesen liebevollen und besten Sohn der mein größtes Glük auf Erden ist, und den ich mehr liebe und schäze als mich selbst. Nichts gleicht der Herzlichkeit mit welcher meine liebe Frau und Alle die Meinigen in dieser Bitte einstimmen, und der Dankbarkeit mit der sie Ihnen verbunden sind.
Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen und mit der ausgezeichnetsten Hochachtung pp