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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

Gdfr d 7t Juny 1802
Kaum habe ich meine Epistel an Dich zusamengelegt – gesiegelt ist sie noch nicht, so fange ich schon wieder an mit Dir zu plaudern vielleicht bist Du heute auch so einsam wie ich wenn Du nicht ein unvermeidliches Uebel nehmlich Besuche bei fremden Personagen abgestattet hast – ich war heute nur in der Predigt – die übrige Zeit habe mit lesen schreiben striken und spielen verbracht – die Pritwizen wolte nachdem sie ihre noblesse abgefertigt zu mir komen – ist aber noch nicht erschienen und ich will auch jezt in die frische Luft – zum wenigsten in unsern Garten gehen – Dir aber doch vorher melden, daß ich dieser Tage wieder einen Brief von Charles bekomen, worin er erwähnt: „Der Hofprediger hat mir noch von Berlin aus wegen meiner Friederike (Holdin mit 1000 Dolchstichen und millionen Küßen) einen garstigen Floh ins Ohr gesezt – ich werde ihn aber vor der Hand sein laßen, denn gegenwärtig ist mir das alles gleichgültig!“ ich aber bin Dir sehr verbunden.
10ter Juny. Wie reich bin ich seit gestern durch Deine Güte aller Art. 2 Briefe auf einmahl Gott wie froh und still im inern ganz beglükt haben mich alle diese Schäze gemacht – alle meine leisesten Wünsche sind, für die Zeit, wieder erfüllt – der von hier aus von Friedrich an Lenoren geschriebne Brief und herzliche liebevolle Worte für mich dazu gesezt erschienen nach der Aufschrift |
Dein eigentlicher unter der Adresse von der Herz (diese hatte noch ein paar freundliche Worte hinzugesezt und mir dadurch die erste Anrede erleichtert) wie von Dir, und darin alle die andern Schäze – nim Du Lieber die zärtlichste innigste Umarmung im Geiste von Deiner dankbaren Lotte – ganz eigen rührte mich die zarte Aufmerksamkeit mit welcher Du meinen Wunsch von der vollendeten Friderike was zu haben erwägt – und befriedigt hast – wohl ist sie mir darinnen sehr liebenswürdig erschienen – noch ganz ergriffen vom ersten Feuer für wahre religiosität – auch der schöne Eifer nüzlich zu sein – O! wer hat dazu Worte! viel werth ist es mir – alles was Erguß und Darstellung dieser Treflichen ist – hast Du schon an Louis geschrieben – ihm gesprochen von unserm Wiedersehn und Finden und, unserm schönen Verständniß – der Edle wird sich gewiß daran ergözen an dem Einklang unsrer Seelen – bringe Ihm meinen herzlichen Gruß meine aufrichtige Theilnahme und Sorge für sein schönes Leben, daß es auch dort erkant und genoßen – in und mit Andern – daß Er nicht wie in der Wüste stehe wo nichts ihm antworte – wie Du dergleichen so schön in den Monologen ausdrükst in dem Capitel Weltansicht auf der 76ten, 77ten Seite – nie bist Du mir lebhafter vor der Seele mit allem was Dein ist als bei diesem – lesen – leztern Sontag hatte ich wieder eine so köstliche halbe Stunde – in unserm Garten – da die andre Welt weiter spazierte – ich las die reflexionen die ich noch nie ganz gelesen – die | leztern Worte darin – waren die ersten welche Du mir aus diesem mir so kostbahren Buche vorlasest – alles was Du selbst mir mittheiltest [darin] hallt mir Deine Stimme ganz besonders deutlich nach – – wohl glaube ich daß diese Monologen denen Menschen gar nichts – ein verschloßnes Buch – oder viel sehr viel sind! ach, daß es noch mehrere dieser Art gäbe, es giebt ja wohl noch dergleichen schöne Gegenstände. Deine Reden über Religion wünsche ich auch zu lesen – wenn Du glaubst daß ich dafür empfänglich bin – so auch die Predigten die Du hoffentlich noch dis Jahr niederschreiben wirst – siehe da doch noch nicht, ganz befriedigt! Wie komts daß ich jezt schon einen Gruß von Willich habe? hast Du ihm in Berlin von mir erzählt? oder nach unserm Ersehn schon geschrieben? über seine Briefe habe ich eine ganz eigne Freude – aber er spricht von abholen wie wird das sein? will Er mit den Beiden Geliebten Hieher komen – gut – wenn das sein soll und kann – nur muß er nicht den schönen Plan zerstören daß Lotte Euch hier übers Jahr umarmt – das wird er auch nicht – das kann er nicht. Seine Comissionen waren mir auch lieblich – sie verschaften mir eine Rükerinerung an vorigen Herbst den ich die beschriebnen Blätter der Mnioch gelesen – und den von Afterdingen habe ich auf dem Verzeichniß – ist es nicht von dem Hardenberg – oder irre ich |
den 11ten Juny
Wenn Du es wüstest mein Lieber daß der am 11ten May angefangne und, am 12ten dieses beendigte Brief an Lenoren noch imer hier so würdest Du jämerlich schmählen oder klagen – vielleicht auch glauben daß die Bitte an [die] Herz mir so schwer ankomt aber nein alles das nicht – sondern ich erwarte fast täglich die Aulock welcher ich gern Lenorens Briefe und meine Antwort mittheilte – ach da komt der Monse – welch schreklicher Egoismus! dazu gehört noch daß mir die Trenung von diesen Blättern – mit den platten Worten sehr schwer fällt – doch nicht länger als diesen Posttag warte ich – dann muß er ab – auch Jette bekomt einen kleinen Brief – dieser hier wird wohl zu einer großen Epistel anwachsen ehe Dein erster aus Stolpe komt – denn eher kann ich ihn nicht abschiken weil ich ungewiß ob die Adresse auch so recht war. Nun etwas ganz andres – ist Dir das französische Buch bekant – Consolations de ma captivité ou Correspondance de Roucher Mort victime de la tiranie decemvirale le 7 thermidor an 2 de la republique francaise – durch die Güte der von Tzirschky von Schloessel | ist es der van der Schilden zur lecture bestimt und sie ist so liebevoll mich daran Theil nehmen zu laßen – der Stil ist ganz vortreflich und die schöne fast einzige Art wie sich Roucher [im] Gefängniß beschäftigt – die Zartheit im Umgang mit seiner Tochter ist ganz hinreißend – kurz dieser Briefwechsel so wenig Bezug er auch mit Deinen Verhältnißen hat – so erinert mich fast jeder an Dich und Lenore – an Jetten – oft an Euch 3 – und denn wieder einzeln – auch ist viel englisch und italienisch drin da ich denn Dich oder le coeur avec son langue de toutes langues – herbei wünschte – komen wir noch in einen ordentlichen Briefwechsel dann laße ich mir manches von ihr übersezen was ich sorgsam abschreibe; hier einige schöne französische Passagen.
Il n’est pas tems de nous revoir encore, mais il est toujours l’heure de nous aimer.
Mon corps seul est allé a [...] car pour mon ame elle erre autour de vous, voit vos larmes les receuille y mele les siennes et vous murmure tous bas: je ne suis pas si malheureux puisque je suis aimé. Le malheur qui nous separe nous rejoint plus étroitement; c’est donc bien le cas de dire: le malheur est bon, non pas a quelque chose mais a une grande et douce chose |
den 22ten Juny 1802
Eben habe ich wieder eine Epistel an Lenoren angefangen heute früh ist die am 11ten May angefangene endlich abgegangen ohne der Aulock etwas mitgetheilt zu haben denn das trefliche Weib hat sich Hier noch nicht sehen laßen – mit jener Epistel ist denn natürlich auch ein langer Brief an die Herz abgegangen – diesen bist Du gewiß eben so neugierig zu lesen als den eigentlichen – wer weis was Du Dir darunter vorstelst – denn ich muß Dir ganz ehrlich sagen daß ich mir ihn selbst ehe er zu Papiere kam ganz anders dachte – und mich recht fürchtete vor dieser Arbeit – und am Ende lautete er so ganz gewöhnlich a la lotte – ich sehe hier im Geist Deine Miene – mit einem „gut sehr gut“ begleitet – und höre Dich jezt lachen – aber ich bin gar nicht so recht dazu aufgelegt 1tens bin ich wieder sehr unwohl heiser und fieberhaft – 2tens bei aller Ergebenheit und Gelaßenheit wie meine Collegen sich ausdrüken – doch ziemlich unruhig im tiefsten Inersten über die neue SchulTabelle die wir entworfen haben und alle die Wie Warum – und Also die deswegen noch ertönen werden – – | 3tens, sehne ich mich gar sehr nach dem ersten Briefe aus Stolpe obschon ich ihn mit Recht nicht eher erwarten kann bis Du die große Epistel empfangen und durchgelesen hast – aber ach dann erhalte ich erst in 14 Tagen etwas von Dir – ich bitte Dich recht herzlich bedenke daß die Briefe eine längere Reise beginnen müßen, und bestimme mir doch recht genau wie lange sie unterwegens sind.
Den 27ten Heute habe ich wieder mit Lenoren geplaudert – die ersten Zeilen die ich nach dem schreklichsten NervenKopfweh schreiben konte dieses Uebel schreibt sich diesesmahl mehrentheils von jener endlich beendigten Tabelle her – eigentlich war es das HauptStudium der guten Soumise die gewiß manche Stunde damit zugebracht und wohl viele Bogen dazu verschrieben – aber einigemahl sind Wir Hauptlehrerinnen doch Alle thätig gewesen – besonders einen Abend von 8 bis 11 uhr – das und so manches unangenehme was bei solcher Mischung von Menschen fast unvermeidlich raubte mir vollends alle Kraft – aber fürchte nichts das unangenehme war nur ein Wortwechsel der mich oder meine künftigen Stunden gar nicht zum Zwek hatte – und also weiter keine Folgen zurükläst | ich habe Dir so mancherley noch zu sagen – über Deine beiden Briefe[,] von mir selbst, von Pito – der jezt im Carlsbade ist – über die Monologen – aber jezt bin ich zu schwach – denn es pikt noch imer wie eine Uhr in meinem Kopfe – – nur noch etwas – d. h. dringende Bitte – um baldige Nachricht – mir ists als müstest Du es hören – vielleicht hast Du heute auch an mich geschrieben – Ende dieser angefangnen Woche – oder doch den darauf folgenden Posttag hoffe ich zuversichtlich auf Briefe – gute Nacht –
Den 4ten July Pünktlich so wie ich es hier geahndet ist es eingetroffen den lezten vorigen Monats erhielt ich Deine mir so liebe Epistel – als ich eben mit dem guten Charles meines freien Mitwochs-Nachmittag froh wurde – wir lasen uns abwechselnd beim Coffé vor – ich aber kann Deine Hand noch beßer lesen als er – daß die schönen Verse für welche ich um ein langes quartier bei mir ersuche – für mich zur lecture bleiben ist leicht zu erachten – ich finde die meisten ganz vortreflich ganz nach meinem Geschmak. Was mich gar sehr freute aus dem Dato Deines Briefes zu sehen war [ ]
Uebermorgen als den 6ten July geht dieser Brief von Nimptsch ab – melde mir wenn Du ihn erhalten
Heute den 4ten July ist es 8 Tage daß die Herz meinen Brief und Epistel hat wenn werde ich Antwort bekommen ich habe Lenoren gar sehr gebeten bald zu schreiben
Metadata Concerning Header
  • Date: 7. Juni bis 4. Juli 1802
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Stolp · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 6. Briefwechsel 1802‒1803 (Briefe 1246‒1540). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 2005, S. 4‒9.

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