Berlin d. 6t. Septemb. 1802.
Ich danke Ihnen, mein theuerster Herr Bruder für Ihren lieben so freundschaftlichen Brief. Ich hatte lange darauf gehofft, Madame Grunow schien es bisweilen für nöthig zu halten, mich zu beruhigen, und mir vorzustellen, ich müßte Ihnen das nicht übel nehmen. Aber darin habe ich eine glückliche Gemüthsstimmung, eine glücklichere wenigstens als viele meiner Freunde, ich nehme nicht leicht etwas übel, und besonders Männern nicht, die ich verehre, und von deren Liebe ich durch hinreichende Gründe überzeugt bin. – Haben Sie also nur dann die Güte, einen Brief für mich an Madame Grunow – ungesiegelt – mit einzuschließen, wenn es Ihnen Ihre Geschäfte erlauben.
Die Art, wie Sie mich im Anfange des Briefes zu recht weisen, hat mich sehr ergötzt. Ich fühle, daß Ihre Billigkeit gegen mich gar sehr groß – und ich besorge – zu groß ist. Aber Sie drohen, wenn ich es wagte, noch ein Wort darüber zu sagen; so muß ich denn schweigen. Es sey also: Sie erhalten noch 6 rth von mir. Madame Herz ist so gütig, mir Ihre Stühle für das Spottgeld von 2 rth, das Sie dafür von ihr erhalten, zu überlaßen. Hätte ich diesen geringen Preis vorher gewußt: ich hätte es nicht wagen können, sie darum – durch Madame Grunow – ersuchen zu laßen.
Vorgestern, am 4ten war ich bei Herrn Sack. Ich habe Ihren gütigen Auftrag erfüllt, und erregte dadurch sichtbar nicht geringe Freude. Ich gieng Nachmittags hin, eine Gesellschaft, aus HErrn Teller und seiner Frau, Eichmann und seiner Frau und Schwager aus Petershagen, der vor 3 Wochen zum Besuch hieher gekommen | ist, und innerhalb 8 Tagen wieder abreisen wird, – und Karl Spalding bestehend, war noch nicht vom Mittageßen aufgestanden. Ich gieng in den Garten, wo sich bald nachher die ganze Gesellschaft versammelte. Eine außerordentliche Heiterkeit belebte aller Mienen. Herr Sack freuete sich sehr, daß Sie Sich seiner so gütig erinnerten, Henriette freuete sich außerordentlich. Sie erzählte mit lachender Miene eine Unannehmlichkeit, die ihr bei Tische begegnet. Jede von ihnen hätte beim Gesundheit trinken einen Vers anbringen müßen, Onkel Karl hätte ihr einen eingegeben, deßen Inhalt wäre, keine Ehe wäre so glücklich, worin nicht etwas Unangenehmes wäre. Ihre Eltern hätten darauf gesagt, bei uns kömmt es von dir. Der Geburtstag ward zugleich als 32jähriger Hochzeitstag gefeiert. Herr Teller war 8 Tage vorher von einer Reise in die Gegend von Dresden zurück gekommen. Ich habe diesen Mann jetzt zweimal gesprochen während meines jetzigen Hierseins. Sie werden sich vielleicht wieder wundern, wenn ich Ihnen sage, daß ich diese beiden male von innigster Liebe gegen ihn durchdrungen ward. In seinen Schriften schien er mir bisweilen moquant. Aber wie ich ihn in Person sahe, und sein sanftes, von Liebe strahlendes Auge erblickte, wie wurde ich da von dem – im edelsten Sinne – so kindlichen Sinne dieses Mannes gerührt. Man sagt, Ehrfurcht solle man hegen gegen den Mann von unzweifelhaftester, edeler Denkungsart. Aber in eigentlichem Sinne scheint mir dieß unnatürlich, mir ist es unmöglich. Es entsteht bei mir eine gewiße Illusion: bin ich mit schlechten Menschen in Gesellschaft, so fühle ich mich größer, als sonst, ich | muß fort, und in der Einsamkeit regt sich das Gefühl ich bin größer in mir, bin ich mit gemeinen Menschen in Gesellschaft, so fühle ich mich so gemein wie sie, in Gesellschaft edelgesinnter Menschen fühle ich mich edelgesinnt – kann darum nie Ehrfurcht empfinden, weil sie in der Illusion meines Gleichen sind, also fühle ich immer nur Liebe. Mir scheint es also, Ehrfurcht gegen einen Menschen ist nicht möglich. Mich wundert, daß Sie sich wundern, daß ich nach einiger Bekanntschaft Ihre Freundinn Grunow so sehr schätze. Ich besorge, Sie schreiben es wieder an sie, sonst würde ich Ihnen unverhohlen gestehen, wie mein Urtheil über sie in mir entstand. Nur dieß Eine: sie gefällt einigen nicht; ich weiß mir aber dieß nicht anders zu erklären, als daraus: Viele tragen ein Bild von Sittlichkeit aus den Characterzügen, die sie in sich, und den ihnen besonders geliebten finden, zusammen, stößt ihnen nun ein Character auf, deßen Züge dem Bilde widersprechen, so ist der Stab über ihn gebrochen. Ihrer Freundinn Lustigkeit ist ganz außerordentlich, und da man nur die ordentliche verstatten will, so kann sie manchem wild und ungebildet erscheinen, besonders den ruhigen Menschen, die in ihre Individualität so verliebt sind, daß ihr Herz nur der der ihrigen ähnlichen offen steht. Mich frappirte Anfangs sehr die Lustigkeit der Madame Grunow, aber in ihrer Mine nahm ich zugleich so deutliche Regungen eines sanften Gefühles wahr, in ihren natürlichen unbefangenen – doch wohin komme ich wider meinen Vorsatz, aber lieber Freund, schreiben Sie Ihrer Freundinn nichts davon, ich muß jetzt schon weiter fortfahren – Aeußerungen die Sprache eines zur Ehre der Pflicht so großer Aufopferungen fähigen Herzens, daß ich mit dem Urtheile | das ich nur gegen Sie so bestimmt geäußert, fertig wurde. Die mir auffallende Lustigkeit sank zu einem Fehler herab, den ich mir, da es mir unmöglich war, sie für natürlich zu halten, für Affectation erklärte, jetzt aber ganz anders erkläre! Ich begreife nicht, mein theuerster Freund, wie Sie es also auffallend finden, daß ich Ihre Freundinn so bald habe sehr hochachtungsvoll gehalten. – Madame Eichmann erinnerte sich Ihrer am Sonnabend mit Hochachtung. Ich fragte sie, ob sie mir nichts, da sie nach Potsdam gewesen von ihrer Mutter an Sie zu melden geben könnte. Bei der Gelegenheit offerirte sie mir einen Brief, den sie zu Hause von ihrer Mutter habe. – Sie haben mich unrecht verstanden, wenn Sie glauben, ich nehme als Ihre Meinung an, Freiheit gründe sich auf die Idealität der Außenwelt, umgekehrt stellte ich mir als Ihre Meinung vor, man komme von jener erst auf diese, jene ist Ihnen das unmittelbar gewiße, um deßentwillen erst letztere angenommen wird.
Was Sie von der Scheidung zwischen Außenwelt und Innenwelt sagen, war so aus meinem Herzen geschrieben, daß ich es für gar zu natürlich hielt, als daß ich deßen erst erwähnen sollte. Aber so natürlich es ist, so wenig wird es doch allgemein anerkannt. Ausführen einzelner guter Handlungen gehört der Außenwelt, die innere gute Gesinnung ist unser. Nicht durch die Werke, durch den Glauben wird der Mensch gottgefällig. Mir sind die Predigten zuwider, worin einzelne Tugenden eingeschärft, und nicht der ganze Character umfaßt wird. Ebenso erhaben Ihre Gedanken über ewiges Leben, ganz angemeßen der Bibel. Diese setzt das ewige Leben nicht nach dem Tode. „Unser Bürgerrecht, unser Wandel ist im Himmel“. Diese und ähnliche Stellen der Bibel insonderheit aus der ersten Frage im Heidelberger Catechismus „mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens in meinen Herzen versichert“ fielen mir dabei ein. | Ich glaube überhaupt, daß nach Ihnen das innere Handeln ganz genau daßelbe ist, was die Bibel Heiliger Geist nennt.
Einen besondern Verehrer Ihrer Reden haben Sie in Herrn Prof. Muzel in Frankfurt. Kurz vor meiner Abreise las er Ihre Schrift. Er fieng gleich auf dem nächsten Spatzirgange mit mir darüber an zu sprechen. Ich hatte Ihre Schrift nicht verstanden, fragte ihn also, haben Sie deutliche Gedanken darin gefunden? Warum sollte ich nicht? erwiederte er. Verstehen Sie, was Herr Schleiermacher vom Universum sagt. Das ist Gott, versetzte er. Ja fuhr ich fort, wenn Sie Ihm Ihren Begriff gleich unterlegen, aber warum sollte Er dann dieses Wort nicht gebrauchen? Darum nicht, versetzte er mit Heftigkeit, weil man bei dem Worte nichts mehr denkt. Ich glaube aber, Herr Muzel hat Sie nicht verstanden. Er gesteht es selbst, in vielen Stellen nicht. Das aber erfreuete mich doch, daß der Mann von Ihrer Schrift so eingenommen war. In Berlin steht er nicht in der Achtung, deren er würdig ist. Er ist orthodox. Ich aber verehre den Mann, weil ich ihn durch und durch kenne. Er hält sich selbst für ganz orthodox, ich habe oft mit ihm darüber gestritten, weil ich alle seine Meinungen so vernünftig und so zusammenhängend finde, daß ich glaube, wenn sein System orthodox wäre, der Orthodoxismus nicht so viele Gegner finden könnte. In Absicht seines Characters setze ich ihn denen, die ich am meisten verehre, an die Seite. |
Er hält Sie für eine merkwürdige Erscheinung unter unsern reformirten Predigern und äußerte eine große Begierde, Sie näher kennen zu lernen. Vor einigen Tagen schreibt er mir, auf Herrn Schleiermachers Monologen und seinen Platon bin ich sehr begierig. Erstere werde ich ihm, weil im dortigen Buchladen nichts zu haben ist, nächstens schicken.
Folgendes muß ich Ihnen noch mittheilen, wie es mir bei der Communion im Invalidenhause ergangen. Wie ich zur Vorbereitung bei Grunow kam, fragte ich, ob Sie die neue Formel gebraucht, und ob sie in der Kirche wäre. Sie hätten sie gebraucht, aber sie wäre nicht da. Ich hatte sie mir noch nicht angeschafft, bediente mich also der alten. Den folgenden Tag nach Endigung der Communion kömmt ein Mann zu mir mit beiden Formularen, und bittet mich, das alte doch beizubehalten. Ich sagte, ist es Euch etwa erbaulicher; er behauptete dieß und setzte hinzu, die übrigen Communicanten hätten ihm es aufgetragen, mich darum zu ersuchen. Wenn das ist, sagte ich, so soll es geschehen. Ich empfand hierüber Freude, weil der Gedanke sich mir gleich aufdrängte, es muß doch wohl den Leuten kein opus operatum seyn, denn dann wäre es ihnen gewiß gleichgültig, ob es das alte oder neue wäre, und ihr Gefühl mag wohl durch das alte Formular kräftiger angesprochen werden, der Anthropomorphismus im Alten wird ihnen nicht anstößig seyn. Ich habe das alte und neue mit einander verglichen, und Vorzüge am neuen, die das alte, und Vorzüge am alten, die das | neue nicht hat, gefunden. Die Vorzüge des neuen sind eine edele Sprache und Vermeidung einiger zu anthropomorphischer Ausdrücke. Des alten eine derbe, kraftvolle Darstellung der Laster, Vermeidung des belehrenden Tons, der mir im neuen anstößig gewesen ist. Ich habe das neue zu meiner wahren Erbauung gelesen, aber das Eine war mir darin anstößig, daß mehreremal vorkömmt: Ihr müßt aber nicht denken, daß – etwa – nun ein tugendhaftes Leben nicht nothwendig. Ich fühlte mich hierbei in der Person des communicanten gekränkt. So etwas sagt man einem Menschen, der vom Christenthum nichts weiß. Unter einem Communicanten denke ich mir wenigstens einen Christen, dem der Satz schon evident ist, ohne Heiligung wird Niemand den Herrn schauen. Und allem Mißbrauch ist im alten vorgebeugt durch die ganz nackte ungeschminkte Darstellung der Laster, die vom würdigen Genuß des Abendmahl ausschließen und es in einen Fluch verwandeln. Die harten, freilich kraßen Ausdrücke von der satisfaction rechne ich dem alten gar nicht zum Nachtheile an. Dieß ist eine bloße Theorie, die also bloß für den Verstand Intereße hat, keinesweges als Theorie für das Herz. Der gebildete Verstand bildet sie nach seinen Ideen, der ungebildete nimmt das Unhaltbare nicht wahr.
Nur freilich auch für ein gebildetes ästhetisches Gefühl ist im alten viel Anstößiges, und deshalb scheint es mir wohl, daß es für ein gebildetes Auditorium nicht sehr paßend und schicklich seyn möchte. Wo aber von Seiten des Verstandes und des ästhetischen | Gefühles aller Anstoß wegfiele, der im alten Formular enthalten ist, also für ein ungebildetes Auditorium, scheint mir das alte Formular ganz vortreflich. Welche mächtige Abschreckung vom Laster! welche Belebung des religiösen Sinnes! Doch von dieser Seite finde ich auch noch etwas Anstößiges. Die ganze Aufforderung zur Tugend wird auf die Dankbarkeit gegen Gott für die Erlösung gebauet, und nun besorge ich, daß die dunkele verderbliche Idee sich bei manchem regen könnte: Ja etwas kannst Du Gott auch dafür wohl zu gefallen thun. Theilen Sie mir über meine Aeußerungen doch Ihre unschätzbaren Gedancken mit.
Den 9ten September Vorgestern ging ich zu Eichmanns. Er hatte sich, etwas krank, zu Bette gelegt. Sie sprach ich bloß nebst ihrem Westphälischen Schwager. Sie war so gütig, mir den schönen Verweis zu geben, daß ich sie noch nicht besucht. Um den Brief heftete sie nur – und versiegelte nicht – mit etwas Siegellack ein couvert. Wenn mein Brief sehr dick werden sollte, so trüge ich kein Bedenken, nach vorher gegebenem Worte, daß ich keine Silbe im Eichmannschen Briefe läse, das couvert darum wegzureißen, in Voraussetzung Ihres Zutrauens zu mir. Zur Ressource habe ich mich vor einiger Zeit vorschlagen laßen, und am 20ten dieses wird gestimmt werden. Doch war ich gestern schon da, und machte HErrn Stosch Ihre Empfehlung, er erwiederte sie Ihnen mit inniger Herzlichkeit und freuete sich sehr über Ihr Andenken. Ich hütete mich wohl, daß ich es nicht in HErrn Thielens Gegenwart that; der wundert sich, daß Sie noch nicht an ihn geschrieben, doch meinte er, Sie wären etwas nachläßig im Schreiben, eine Meinung, die ich durch das lange Ausbleiben eines Briefes von Ihnen auf mein zum Theil Geschäftsschreiben an Sie unterstützte.
Ich bin Hochachtungsvoll Ihr ergebenster Bruder
Metger.
Ich danke Ihnen, mein theuerster Herr Bruder für Ihren lieben so freundschaftlichen Brief. Ich hatte lange darauf gehofft, Madame Grunow schien es bisweilen für nöthig zu halten, mich zu beruhigen, und mir vorzustellen, ich müßte Ihnen das nicht übel nehmen. Aber darin habe ich eine glückliche Gemüthsstimmung, eine glücklichere wenigstens als viele meiner Freunde, ich nehme nicht leicht etwas übel, und besonders Männern nicht, die ich verehre, und von deren Liebe ich durch hinreichende Gründe überzeugt bin. – Haben Sie also nur dann die Güte, einen Brief für mich an Madame Grunow – ungesiegelt – mit einzuschließen, wenn es Ihnen Ihre Geschäfte erlauben.
Die Art, wie Sie mich im Anfange des Briefes zu recht weisen, hat mich sehr ergötzt. Ich fühle, daß Ihre Billigkeit gegen mich gar sehr groß – und ich besorge – zu groß ist. Aber Sie drohen, wenn ich es wagte, noch ein Wort darüber zu sagen; so muß ich denn schweigen. Es sey also: Sie erhalten noch 6 rth von mir. Madame Herz ist so gütig, mir Ihre Stühle für das Spottgeld von 2 rth, das Sie dafür von ihr erhalten, zu überlaßen. Hätte ich diesen geringen Preis vorher gewußt: ich hätte es nicht wagen können, sie darum – durch Madame Grunow – ersuchen zu laßen.
Vorgestern, am 4ten war ich bei Herrn Sack. Ich habe Ihren gütigen Auftrag erfüllt, und erregte dadurch sichtbar nicht geringe Freude. Ich gieng Nachmittags hin, eine Gesellschaft, aus HErrn Teller und seiner Frau, Eichmann und seiner Frau und Schwager aus Petershagen, der vor 3 Wochen zum Besuch hieher gekommen | ist, und innerhalb 8 Tagen wieder abreisen wird, – und Karl Spalding bestehend, war noch nicht vom Mittageßen aufgestanden. Ich gieng in den Garten, wo sich bald nachher die ganze Gesellschaft versammelte. Eine außerordentliche Heiterkeit belebte aller Mienen. Herr Sack freuete sich sehr, daß Sie Sich seiner so gütig erinnerten, Henriette freuete sich außerordentlich. Sie erzählte mit lachender Miene eine Unannehmlichkeit, die ihr bei Tische begegnet. Jede von ihnen hätte beim Gesundheit trinken einen Vers anbringen müßen, Onkel Karl hätte ihr einen eingegeben, deßen Inhalt wäre, keine Ehe wäre so glücklich, worin nicht etwas Unangenehmes wäre. Ihre Eltern hätten darauf gesagt, bei uns kömmt es von dir. Der Geburtstag ward zugleich als 32jähriger Hochzeitstag gefeiert. Herr Teller war 8 Tage vorher von einer Reise in die Gegend von Dresden zurück gekommen. Ich habe diesen Mann jetzt zweimal gesprochen während meines jetzigen Hierseins. Sie werden sich vielleicht wieder wundern, wenn ich Ihnen sage, daß ich diese beiden male von innigster Liebe gegen ihn durchdrungen ward. In seinen Schriften schien er mir bisweilen moquant. Aber wie ich ihn in Person sahe, und sein sanftes, von Liebe strahlendes Auge erblickte, wie wurde ich da von dem – im edelsten Sinne – so kindlichen Sinne dieses Mannes gerührt. Man sagt, Ehrfurcht solle man hegen gegen den Mann von unzweifelhaftester, edeler Denkungsart. Aber in eigentlichem Sinne scheint mir dieß unnatürlich, mir ist es unmöglich. Es entsteht bei mir eine gewiße Illusion: bin ich mit schlechten Menschen in Gesellschaft, so fühle ich mich größer, als sonst, ich | muß fort, und in der Einsamkeit regt sich das Gefühl ich bin größer in mir, bin ich mit gemeinen Menschen in Gesellschaft, so fühle ich mich so gemein wie sie, in Gesellschaft edelgesinnter Menschen fühle ich mich edelgesinnt – kann darum nie Ehrfurcht empfinden, weil sie in der Illusion meines Gleichen sind, also fühle ich immer nur Liebe. Mir scheint es also, Ehrfurcht gegen einen Menschen ist nicht möglich. Mich wundert, daß Sie sich wundern, daß ich nach einiger Bekanntschaft Ihre Freundinn Grunow so sehr schätze. Ich besorge, Sie schreiben es wieder an sie, sonst würde ich Ihnen unverhohlen gestehen, wie mein Urtheil über sie in mir entstand. Nur dieß Eine: sie gefällt einigen nicht; ich weiß mir aber dieß nicht anders zu erklären, als daraus: Viele tragen ein Bild von Sittlichkeit aus den Characterzügen, die sie in sich, und den ihnen besonders geliebten finden, zusammen, stößt ihnen nun ein Character auf, deßen Züge dem Bilde widersprechen, so ist der Stab über ihn gebrochen. Ihrer Freundinn Lustigkeit ist ganz außerordentlich, und da man nur die ordentliche verstatten will, so kann sie manchem wild und ungebildet erscheinen, besonders den ruhigen Menschen, die in ihre Individualität so verliebt sind, daß ihr Herz nur der der ihrigen ähnlichen offen steht. Mich frappirte Anfangs sehr die Lustigkeit der Madame Grunow, aber in ihrer Mine nahm ich zugleich so deutliche Regungen eines sanften Gefühles wahr, in ihren natürlichen unbefangenen – doch wohin komme ich wider meinen Vorsatz, aber lieber Freund, schreiben Sie Ihrer Freundinn nichts davon, ich muß jetzt schon weiter fortfahren – Aeußerungen die Sprache eines zur Ehre der Pflicht so großer Aufopferungen fähigen Herzens, daß ich mit dem Urtheile | das ich nur gegen Sie so bestimmt geäußert, fertig wurde. Die mir auffallende Lustigkeit sank zu einem Fehler herab, den ich mir, da es mir unmöglich war, sie für natürlich zu halten, für Affectation erklärte, jetzt aber ganz anders erkläre! Ich begreife nicht, mein theuerster Freund, wie Sie es also auffallend finden, daß ich Ihre Freundinn so bald habe sehr hochachtungsvoll gehalten. – Madame Eichmann erinnerte sich Ihrer am Sonnabend mit Hochachtung. Ich fragte sie, ob sie mir nichts, da sie nach Potsdam gewesen von ihrer Mutter an Sie zu melden geben könnte. Bei der Gelegenheit offerirte sie mir einen Brief, den sie zu Hause von ihrer Mutter habe. – Sie haben mich unrecht verstanden, wenn Sie glauben, ich nehme als Ihre Meinung an, Freiheit gründe sich auf die Idealität der Außenwelt, umgekehrt stellte ich mir als Ihre Meinung vor, man komme von jener erst auf diese, jene ist Ihnen das unmittelbar gewiße, um deßentwillen erst letztere angenommen wird.
Was Sie von der Scheidung zwischen Außenwelt und Innenwelt sagen, war so aus meinem Herzen geschrieben, daß ich es für gar zu natürlich hielt, als daß ich deßen erst erwähnen sollte. Aber so natürlich es ist, so wenig wird es doch allgemein anerkannt. Ausführen einzelner guter Handlungen gehört der Außenwelt, die innere gute Gesinnung ist unser. Nicht durch die Werke, durch den Glauben wird der Mensch gottgefällig. Mir sind die Predigten zuwider, worin einzelne Tugenden eingeschärft, und nicht der ganze Character umfaßt wird. Ebenso erhaben Ihre Gedanken über ewiges Leben, ganz angemeßen der Bibel. Diese setzt das ewige Leben nicht nach dem Tode. „Unser Bürgerrecht, unser Wandel ist im Himmel“. Diese und ähnliche Stellen der Bibel insonderheit aus der ersten Frage im Heidelberger Catechismus „mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens in meinen Herzen versichert“ fielen mir dabei ein. | Ich glaube überhaupt, daß nach Ihnen das innere Handeln ganz genau daßelbe ist, was die Bibel Heiliger Geist nennt.
Einen besondern Verehrer Ihrer Reden haben Sie in Herrn Prof. Muzel in Frankfurt. Kurz vor meiner Abreise las er Ihre Schrift. Er fieng gleich auf dem nächsten Spatzirgange mit mir darüber an zu sprechen. Ich hatte Ihre Schrift nicht verstanden, fragte ihn also, haben Sie deutliche Gedanken darin gefunden? Warum sollte ich nicht? erwiederte er. Verstehen Sie, was Herr Schleiermacher vom Universum sagt. Das ist Gott, versetzte er. Ja fuhr ich fort, wenn Sie Ihm Ihren Begriff gleich unterlegen, aber warum sollte Er dann dieses Wort nicht gebrauchen? Darum nicht, versetzte er mit Heftigkeit, weil man bei dem Worte nichts mehr denkt. Ich glaube aber, Herr Muzel hat Sie nicht verstanden. Er gesteht es selbst, in vielen Stellen nicht. Das aber erfreuete mich doch, daß der Mann von Ihrer Schrift so eingenommen war. In Berlin steht er nicht in der Achtung, deren er würdig ist. Er ist orthodox. Ich aber verehre den Mann, weil ich ihn durch und durch kenne. Er hält sich selbst für ganz orthodox, ich habe oft mit ihm darüber gestritten, weil ich alle seine Meinungen so vernünftig und so zusammenhängend finde, daß ich glaube, wenn sein System orthodox wäre, der Orthodoxismus nicht so viele Gegner finden könnte. In Absicht seines Characters setze ich ihn denen, die ich am meisten verehre, an die Seite. |
Er hält Sie für eine merkwürdige Erscheinung unter unsern reformirten Predigern und äußerte eine große Begierde, Sie näher kennen zu lernen. Vor einigen Tagen schreibt er mir, auf Herrn Schleiermachers Monologen und seinen Platon bin ich sehr begierig. Erstere werde ich ihm, weil im dortigen Buchladen nichts zu haben ist, nächstens schicken.
Folgendes muß ich Ihnen noch mittheilen, wie es mir bei der Communion im Invalidenhause ergangen. Wie ich zur Vorbereitung bei Grunow kam, fragte ich, ob Sie die neue Formel gebraucht, und ob sie in der Kirche wäre. Sie hätten sie gebraucht, aber sie wäre nicht da. Ich hatte sie mir noch nicht angeschafft, bediente mich also der alten. Den folgenden Tag nach Endigung der Communion kömmt ein Mann zu mir mit beiden Formularen, und bittet mich, das alte doch beizubehalten. Ich sagte, ist es Euch etwa erbaulicher; er behauptete dieß und setzte hinzu, die übrigen Communicanten hätten ihm es aufgetragen, mich darum zu ersuchen. Wenn das ist, sagte ich, so soll es geschehen. Ich empfand hierüber Freude, weil der Gedanke sich mir gleich aufdrängte, es muß doch wohl den Leuten kein opus operatum seyn, denn dann wäre es ihnen gewiß gleichgültig, ob es das alte oder neue wäre, und ihr Gefühl mag wohl durch das alte Formular kräftiger angesprochen werden, der Anthropomorphismus im Alten wird ihnen nicht anstößig seyn. Ich habe das alte und neue mit einander verglichen, und Vorzüge am neuen, die das alte, und Vorzüge am alten, die das | neue nicht hat, gefunden. Die Vorzüge des neuen sind eine edele Sprache und Vermeidung einiger zu anthropomorphischer Ausdrücke. Des alten eine derbe, kraftvolle Darstellung der Laster, Vermeidung des belehrenden Tons, der mir im neuen anstößig gewesen ist. Ich habe das neue zu meiner wahren Erbauung gelesen, aber das Eine war mir darin anstößig, daß mehreremal vorkömmt: Ihr müßt aber nicht denken, daß – etwa – nun ein tugendhaftes Leben nicht nothwendig. Ich fühlte mich hierbei in der Person des communicanten gekränkt. So etwas sagt man einem Menschen, der vom Christenthum nichts weiß. Unter einem Communicanten denke ich mir wenigstens einen Christen, dem der Satz schon evident ist, ohne Heiligung wird Niemand den Herrn schauen. Und allem Mißbrauch ist im alten vorgebeugt durch die ganz nackte ungeschminkte Darstellung der Laster, die vom würdigen Genuß des Abendmahl ausschließen und es in einen Fluch verwandeln. Die harten, freilich kraßen Ausdrücke von der satisfaction rechne ich dem alten gar nicht zum Nachtheile an. Dieß ist eine bloße Theorie, die also bloß für den Verstand Intereße hat, keinesweges als Theorie für das Herz. Der gebildete Verstand bildet sie nach seinen Ideen, der ungebildete nimmt das Unhaltbare nicht wahr.
Nur freilich auch für ein gebildetes ästhetisches Gefühl ist im alten viel Anstößiges, und deshalb scheint es mir wohl, daß es für ein gebildetes Auditorium nicht sehr paßend und schicklich seyn möchte. Wo aber von Seiten des Verstandes und des ästhetischen | Gefühles aller Anstoß wegfiele, der im alten Formular enthalten ist, also für ein ungebildetes Auditorium, scheint mir das alte Formular ganz vortreflich. Welche mächtige Abschreckung vom Laster! welche Belebung des religiösen Sinnes! Doch von dieser Seite finde ich auch noch etwas Anstößiges. Die ganze Aufforderung zur Tugend wird auf die Dankbarkeit gegen Gott für die Erlösung gebauet, und nun besorge ich, daß die dunkele verderbliche Idee sich bei manchem regen könnte: Ja etwas kannst Du Gott auch dafür wohl zu gefallen thun. Theilen Sie mir über meine Aeußerungen doch Ihre unschätzbaren Gedancken mit.
Den 9ten September Vorgestern ging ich zu Eichmanns. Er hatte sich, etwas krank, zu Bette gelegt. Sie sprach ich bloß nebst ihrem Westphälischen Schwager. Sie war so gütig, mir den schönen Verweis zu geben, daß ich sie noch nicht besucht. Um den Brief heftete sie nur – und versiegelte nicht – mit etwas Siegellack ein couvert. Wenn mein Brief sehr dick werden sollte, so trüge ich kein Bedenken, nach vorher gegebenem Worte, daß ich keine Silbe im Eichmannschen Briefe läse, das couvert darum wegzureißen, in Voraussetzung Ihres Zutrauens zu mir. Zur Ressource habe ich mich vor einiger Zeit vorschlagen laßen, und am 20ten dieses wird gestimmt werden. Doch war ich gestern schon da, und machte HErrn Stosch Ihre Empfehlung, er erwiederte sie Ihnen mit inniger Herzlichkeit und freuete sich sehr über Ihr Andenken. Ich hütete mich wohl, daß ich es nicht in HErrn Thielens Gegenwart that; der wundert sich, daß Sie noch nicht an ihn geschrieben, doch meinte er, Sie wären etwas nachläßig im Schreiben, eine Meinung, die ich durch das lange Ausbleiben eines Briefes von Ihnen auf mein zum Theil Geschäftsschreiben an Sie unterstützte.
Ich bin Hochachtungsvoll Ihr ergebenster Bruder
Metger.