Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

Zoom inZoom inZoom inZoom in
Zoom outZoom outZoom outZoom out
Go homeGo homeGo homeGo home
Toggle full pageToggle full pageToggle full pageToggle full page
Rotate leftRotate leftRotate leftRotate left
Rotate rightRotate rightRotate rightRotate right
Previous pagePrevious pagePrevious pagePrevious page
Next pageNext pageNext pageNext page
Gdfr d 8t Septbr 1802
Daß ich mich gestern und heute ganz besonders nach Dir sehne – lieber Freund und Bruder – das sollst Du jezt noch hören wenn es möglich aber Wie? und Warum? so ganz eigen und im innersten meines Wesens – das kan ich nicht aussprechen – Veranlaßungen zu traulichen Unterhaltungen habe ich genug – aber die kleinen fast unnennbaren Dinge die desto tiefer dringen und peinlicher verwunden – die sind es, die Andre nur durchs Anschauen mit-fühlen könen – Wir haben uns seit jenem mir unvergeßlichen Wiedersehn einander so genähert – uns gefunden und verstanden – auch oft nur durch Blike, wie ich mir es auch vorher ausgemahlt – daß mir dies Entbehren jezt freilich öfters Lüken macht – die mir wehe thun – ach könte ich in dieser Zwischenzeit da auch Du in aller Absicht in der Dürre lebst – manche Stunde mit Dir plaudern – ach! – nichts mehr davon – gute Nacht – morgen hat [Hans] seinen Geburtstag –
den 13ten September Ein recht widriges Geschik wie man sich ausdrükt, ist mir Heute begegnet und gewiß Du fühlst es mit mir – durch die wohltätige Veranstaltung meiner lieben Brüder bin ich nun schon gewohnt alle Woche – oder wenn ich sie länger behalte alle 14 Tage meine Bücher zu erhalten – gewöhnlich komt der FuhrMann Sontags unter der Predigt und ich finde sie bei meiner Zuhausekunft auf meinem Tische – oder meine Schulz geht sie unverzüglich holen – vorigen Mitwoch schike ich die alten | hin – und warte heute mit Schmerzen auf die Rükkunft des FuhrMans der sich gestern wegen des Marktes verspätet hatte – und siehe er hatte nichts – die alten Bücher sind ihm am Mitwoch nicht von dem Marqueur gegeben worden – etwas unangenehmeres könte mir nicht leicht in meiner gegenwärtigen Laage begegnen – schon die Täuschung gestern nach der Predigt war mir unbehaglich, doch ahndete ich jene Verzögerung aber daß Schiller und Schlegel und das Mädchen von Marienburg noch im Gemeinlogis wären – ach das zu erfahren ist mir äußerst traurig – – zu einer kleinen Entschädigung habe ich wohl noch den 3ten Theil von Moriz Briefen über Italien – die ganz vortreflich sind – und mich erst recht bekant machen mit jenen Gegenden und den Schäzen des alten Roms[;] ich lese dis schöne Werk mit denen jungen Mädchens denen ich im Hause Schule halte und mit der grösten Claße in der Anstalt – ich möchte wohl wißen ob, Du, oder die Herz es gelesen – am lezten Donerstag wandelte ich mit diesem Buch ganz solo auf den Glazhof und genoß es auch ganz rein ganz ungestöhrt – Du hast nun schon meinen lezten nebst Willichs Briefen – ich harre deshalb diese Woche schon auf Briefe – Gott gebe daß sie nicht außenbleiben – es könte wohl sein daß jezt eine Zeit der Prüfung aller Art für mich ist – Von der guten Aulock weiß ich seit dem 18ten August nichts – ich habe zwar an sie geschrieben aber immer keine Antwort nicht – das ist mir nun sehr trübe und oft peinlich – aber was ist zu thun?
Morgen soll ich das erste mahl nach 12 Jahren nach Habendorf – wäre es nicht möglich daß grade unterdeßen die Aulock ihr Versprechen hält und Hierher komt – Gott was wäre das! |
den 14ten September
Schon gestern Abend regnete es und sehr stark währte es die Nacht und den ganzen Vormittag fort – die Kälte die damit vergeselschaftet ist brachte mich natürlich gleich beim aufstehen auf den Entschluß hier zu bleiben – da die ganze Fuhre von der Güte des Baron Seidliz abhängt der seine älteste Tochter hinfahren läst – müste ich damit sehr piano verfahren – aber ich hatte nicht allein mit jener stotternden Baronesse (nehmlich die Tochter der ersten Frau – die Du diesmahl nicht gesehn wohl aber vor 6 Jahren als wir dort speisten – wenn Du Dich ihrer erinerst – auch eine Freundin des Pito) sondern auch mit einigen meiner Stubenschwestern zu kämpfen – welche das nicht begreifen könen[;] es wäre mancherley darüber zu sagen – kurz ich bin sehr froh – und sage gern, jenen hülfreichen Wesen die mir meine Stunden bei den Kleinsten halten wolten ihre Bereitwilligkeit vor geschehn annehmen und selber arbeiten.
den 18ten Endlich ein Brief von der Aulock welcher glüklicher Weise nicht vor dem Empfang des meinen abgieng – gehäufte Geschäfte eigne Kränklichkeit und Sorge für die Kleinen – Reisen ihres Mannes wodurch sie die Pferde verlohr – hinderten die Treffliche mich zu besuchen – ihre Zeilen begleitete ein Duzend Pfirsche und Wein – Pflaumen – wahrscheinlich die einzigen die ich dies Jahr eßen werde – noch etwas von meinem Besuch in Pangel wo ich doch kleine Fragmente von den Noten hörte welche Ferdinand Malchen und Ulrique über unsern Besuch gemacht – 8 Tage darauf saßen sie wieder im Wäldchen auf jenen auch Dir wohl unvergeßlichen Pläzen –. |
Mutter – Hier saßen wir eben um die Zeit vor 8 Tagen mit den guten Schleiermachers Kinder – Ja die Dich so lieb haben! Mutter – Woher wißt Ihr das? Kinder: Schon darum weil Du sie lieb hast und daß Lotte Dich wieder liebt wißen wir ja schon lange. Mutter aber der Bruder! hat Er denn was davon gesagt? Kinder: das wohl nicht – aber wenn sie auch Beide ganz still waren und Dich nur ansahen – mit großen hellen Augen, Dich bei der Hand nahmen – so konten wir es ja wohl verstehn und fühlen daß Du von ihnen geliebt wirst.
Gott! wie mich das freute und erquikte – die Trefliche meinte es wäre noch mehr gesagt worden – sie hatte es nur vergeßen.
Abends Vergebens habe ich heute auf Briefe von Dir gewartet – doch nichts von meiner Sehnsucht ich finde keine Worte sie Dir zu schildern – ich müste sie denn aus Deinen Litums über Leonorens zögernde Briefe nehmen dann wären es ja auch die Ausdrüke eines Lieben – – Diese künftge Woche werden doch gewiß Nachrichten aus Stolpe einlauffen Du müstest denn in Koenigsberg sein von ganzer Seele wünsche ich daß Du so wohl wenn Du reisest als auch in Stolpe so herrliche Herbsttage haben mögest wie Wir hier – der heutige war ganz vorzüglich schön – erst um 5 uhr wanderte ich solo „imer wieder solo“ höre ich Dich sagen – ja – und recht heiter – freilich noch mehr wenn ich Briefe bekomen hätte |
Der Herbst hat für mich so lange ich seine Schönheiten verstehe ganz was eignes anzügliches – natürlich benuze ich so viel es meine Geschäfte und so oft meine Schwäche mirs erlaubt – die fliehenden Tage und Stunden – und denke an diesen scheidenden Freund eben nicht mit Wehmuth, sondern genieße ihn so wie ich kan mit heiteren Sinnen – daß ich mehrentheils den Weg nach dem Glazhof nehme ist wohl sehr natürlich da ich mit diesem seit meinem Hiersein befreundet bin (nicht mit seinen jezigen Besizern, wohl verstanden, sondern weil ich wie Du weist vor alten Zeiten dort gewohnt habe! und er mit seiner Gegend imer neu bleibt –) – sehr schön ist es daß so verschiedne Steige dahin führen – merke ich auf der einen Seite Menschen die mich in meinem eignen Genuß stöhren könten – so besteige ich die Andre dis war auch heute – und auf einmahl stand ich auf einer Anhöhe die mir verschiedne Ansichten nach Ober und Mittelpeile gewährte – mit dem lezten Theil von Moriz Briefen welche meine Fantasie hier besonders beschäftigte – konte ich mir alles recht vergegenwärtigen – wie glüklich ich mich fühlte – mit der schönen feierlichen Natur so verstanden – mit dem Andenken meiner Lieben im Herzen – Niemand um mich der mir eine meiner Freuden raubte – oder durch rohes Wesen sie hemmte – – endlich langte ich im Erlengang an – ruhte – und gieng dann den gewöhnlichen Weg zurük um halb 7 war ich zu Hause |
den 19ten
Heute fühle ich es unangenehmer und stechender das Entbehren Deiner Briefe – da so manches Andre sich dazugesellt – was mann wohl nicht so ausdrüken aber doch empfinden kann – hieher gehört die Nachricht von einer entsezlichen Feuersbrunst – welche den GutsBesizer in Neudek Herr von Drouard betroffen – mit dem wir in Pangel zusamen speisten – alles, Haus und Hof haben die guten Leute verlohren wie man sagt – das wird nun meine Aulock recht ängstigen ihre nächste Nachbarn und auch ihre Freundin – aber auch in hülfreiche liebenswürdige Tätigkeit wird es sie versezen – Mit meinen Büchern ist es auch wieder schlecht gegangen – die Leute bei [Struck] haben den FuhrMann aufs nächste mahl vertröstet – das ist mir sehr entgegen – grade jezt nichts zu haben – –
Das angenehmste vom heutgen Tage war mir die Predigt des jungen Anders der seine Schwester besucht – sie war durchaus schön und köstlich – gar kein Vergleich mit jener die wir kürzlich vom jungen Kohlreif hörten der jezt bei den Söhnen des Grafen Pfeil auf Wilke Hofmeister ist – was er sagen, wolte, mochte recht gut sein – aber statt der Ausführung gab er uns eine ganze Fülle von Versen – so auch länger vorher ein gewißer Seidel – so helfen sich diese Leutchens aus. |
Was ich Dir schon in meinem lezten sagen wolte ist noch immer nicht geschehn – schon vor mehreren Wochen sahe ich den FeldPrediger Wunster mit einigen andern Fremden in der Anstalt – gleich frug er nach Dir – ich nante ihm Deinen neuen WohnOrt – natürlich war seine angelegentliche Frage ob Du geheiratet hättest – Nein noch nicht – Wird er die Sack nehmen – Nein – und meine bedeutende Miene – hielt alles zurük was er noch in petto hatte – denn ich mochte nicht mehr hören noch antworten in Gegenwart so vieler Zuhörer und Zuschauer – ist Dir mein Zettel an oder für Eichman recht gewesen? (Daß Du Dein trauriges Leben, bei dieser zubringen woltest – im Fall Leonore damals verschieden wäre – ist mir ganz besonders – doch die Kinder) ich habe seit geraumer Zeit wieder viel an Friderique die Seelige gedacht – ja es gab Augenblike wo ich recht sehnlich wünschte, Sie, mit der ich mich gewiß recht verstanden hätte zu sprechen – ach der Umgang mit einem recht ächten zarten weiblichen Wesen – fehlt mir bei der großen Menge mit denen ich umgeben binn immer mehr – besonders wenn ich wieder einmahl mit der Treflichen Aulock geredet habe – hoffentlich wird mir Dein nächster Brief wieder was von Dohnas sagen – aber wann? komt zu Ende dieser Woche nichts – dann geht diese Epistel ab!
Wie geht es dem liebenswürdigen Louïs? auch an ihn denke ich viel und schäme mich nicht es zu sagen – |
den 21ten
Schon seit gestern Vormittag bin ich ganz gegen mein Hoffen für das vergebliche Warten auf Bücher schadlos gehalten – auf einmahl erschienen sie mit einer andern Gelegenheit – und nun war ich eben zu rechter Zeit reich geworden – – denn eben erst als 2 Classen der AnstaltKinder wegfuhren mit denen ich Montags beschäftigt bin – sehe ich erst daß ich ohne meine LieblingsGeschäfte und auch ohne Bücher – war – schnell ordnete ich eine Stunde für die großen Mädchen ann – kaum war dis geschehen – so erschien – Goldschmids Geschichte der Römer – worinen mir zwar das meiste aber doch nicht alles bekant – gewiße kleine Züge aber recht schön herausgehoben sind – auch die Aeneïde von Blumauer travestirt auf die Charles bei seinem lezten Hiersein wegen des äußerst comischen der Satire aufmerksam gemacht hatte – – ich las in 2 Stunden die ganze piece in Gottes freier Schöpfung – und konte mich oft des lauten Lachens nicht enthalten – doch gestehe ich ganz gerne daß ich mehr an Donamar als an mich selbst dachte – denn schon die ganze Reimerey ist von der Art wie jenes Geschöpf so manches auswendig herschnattert. Dieses seltene Geschöpf – wenn ich Dirs nicht schon erzählt habe – hat mir auf jenen Brief woran [ ]as noch was schrieb nicht geantwortet sie schrieb im Juny es wäre ihr nun alles zu viel und zu wenig mithin versparte sie sich alles aufs sehen – da ich nicht gleich was von mir hören lies – erhalte ich zu Ende August einen Brief 4 Wochen alt – worin sie mich um die Ursachen meines Schweigen und warscheinlichen FreundtschaftBruches recht hart befragt – und ganz verzweifelte Töne begint was war da zu thun als sie nur bald in einem herzlichen Briefe meiner alten Gesinung zu versichern |
den 26ten September
Schon gestern Abend hätte ich Dir gern gesagt daß mein innigster Wunsch erfült ist – daß ich Briefe aus Stolpe habe – daß ich sie im Garten empfieng – woselbst ich mit 4 der großen Mädgen einige Stunden (vielleicht die lezten in diesem Jahre –) recht angenehm zubrachte allein ein starker Schwindel der mich gegen Abend gar nichts mehr unternehmen lies – hinderte mich – auch heute den ganzen Tag jezt ist es bald 6 war ich zu allem untüchtig – bin auch noch so beschaffen daß ich nicht unter die Starken zu zählen binn.
Manches in Deinen Blättern hat mich recht herzlich lachen gemacht – zuerst die Anweisung an Leonoren – wegen dem Gedanken vertreiben Du deutest dadurch an – als wenn das Verhältniß des Pito mit mir dem Deinigen mit Leonoren ähnlich sey – oder es doch werden solte ich hoffe gar nicht daß Dir das auch nur scherzweise einfält – obschon daran gar nicht zu denken ist – in diesem Brief weiß ich Dir auch nichts von ihm zu sagen, denn bald sind es 4 Wochen daß ich ihn nicht gesehn ich war zwar auf dem Glazhof einige mahl aber nicht bei ihnen. So eben sehe ich zu meiner Freude aus Deiner Epistel daß wir wieder zweymahl an einem Tage geschrieben, den 8ten und 18ten dieses solche Beweise von Einigung der Geister oder vielmehr einerley Bedürfniße an einem Tage an so verschiednen Orten – machen mich ganz unaussprechlich glüklich – und so schwer mir das Schreiben oft fält – ward ich durch solche Entdekungen über mein im voraus schreiben recht belohnt.
Du hast Freude an meinen Spazierfarthen – so lies denn hier auch noch von einer durch die Güte der comtesse Posadowsky vorigen Mitwoch am 22ten dieses – und zwar nach Wilke – wo ich noch niemals war – die Herschaft Charles von Pfeil sind im Bade[;] einge AnstaltsKinder, die mir auch recht angenehm waren – fuhren mit – es war trefliches Wetter – | die Gegend zwar bekant – aber der Ort mit seinen natürlichen Anlagen gar nicht – d.h. der Garten so ganz Natur – und doch so romantisch ganz zu AbendSpaziergängen eingerichtet wie eine der jungen Mädchens recht artig, anmerkte, zu ihrem großen Vergnügen war auch ein Flügel in dem Zimmer wo wir den Caffé einnahmen – der sogleich in Bewegung gesezt wurde – kurz es war alles schön – und wie noch eine Andre (schon als wir uns trenten d. h. sie giengen in die Anstalt, und ich blieb bei der Comtesse) – noch zu mir sagte – ah ma chere Lottel – que c’etait une delicieuse promenade – qui tant était sans gene et la Comtesse ci gracieuse – et voila ce qui m’a beaucoup enjouée – ich glaube es verlöhre wenn ich es auf Deutsch sagte – und nun lebe wohl für Heute.
den 29ten Heute vor 8 Tagen erhielt ich die ersten Zeilen von meiner lieben Pritwiz aus Gnadenfeld – alwo ihr Leben nach ihren eignen Worten: Ein stilles häusliches vegetiren frey von allen auffallenden Begebenheiten aber voll stiller heimlicher Freuden; auf Michaely – also Heute – fängt Moriz an in die dortige Anstalt als Schüler zu gehen – wird aber bei den Eltern eßen und schlafen – daraus erhellt daß sie wohl diesen Winter ganz ruhig im GemeinOrt bleiben und erst im künftgen Frühjahr ein Gut in Besiz nehmen werden – –
Zu Ende July kamen sie wegen Morizes Kränklichkeit her und was seit Lisettens Verheiratung nicht geschehen – wir giengen einige mahl mit einander spazieren – und genoßen noch | zum Abschied die Wonne der innigsten Mittheilung und zarten Mitgefühls auch bat ich mir in Seidlizes Wohnung als jene in Habendorf waren Pritwizes Abends zum The – allein es gieng mit diesem lieblichen Zusamenseyn – wie gewöhnlich – als wir erst recht traulich wurden tönte die Gloke zur Trenung
Einen recht schönen Vers brachte mir Pritwiz auf meine freundliche Bitte mit – gern hätte ich mir ihn selbst vorlesen laßen, aber sie that es ungeheißen – ich will Dir ihn hersezen. ich hatte Ihm eines der bewußten Blätchens mit blauen Rand dazu gegeben.
Es ist wohl ein ganz eignes Ding
Ums liebe Abschied nehmen
Und doch muß auf dem Erden Ring
Mann sich dazu bequemen.
Wenn nicht das Herz zum Herzen spricht
und nur der Mund zum Munde
So schüttert uns die Scene nicht
das Herz hat keine Wunde (drehe nun den Sinn um)
So sprießet ein Vergißmeinnicht
aus tiefgeschlagner Wunde
Und wächst und blüht am ThränenBach
umschattet von den Sorgen
Die sich der Mensch mit O und Ach
schaft bis zum schönen Morgen.
Auf diesen Morgen freut sich nun
das Herz mit bangem Sehnen
Hoft mit dem Freunde auszuruhn
von Schmerz und Gram und Thränen
Herz täuschst Du Dich? denn wessen Blik
drang unter Deinen Schleier
O Ewigkeit! wer kam zurük
von Deiner stillen Feyer? –
Doch trent der Freund vom Freunde sich
So lispelt Hofnung leise
Du siehst Ihn wieder und Er Dich
am ZielPunkt eurer Reise
Drum hoff auch ich und drüke Euch
Ihr Freunde! noch die Hände
Die Freundtschaft Ewigkeiten gleich
hab auch wie sie kein Ende. |
den 3ten October 1802
Nachdem ich seit einigen leidenden besonders schmerzhaften Tagen mich bei dem vorzüglich schönen Herbstwetter wieder recht auf unserm GottesAcker erquikt habe, mache ich einen kleinen Versuch wieder zu schreiben – und Dir gleich einen Wunsch zu sagen der freilich imer unerfült bleiben wird – ich glaube er wird Dir doch wohl nicht neu däuchten – das ist mit Willich zu sprechen – weil ich schon im voraus sehe – daß ich Kosegarten nie sehen vielweniger sprechen werde. Willich ist ja mit ihm bekant – will Dich ihm auch zuführen vielleicht wird noch dieses Jahr diese Bekantschaft gemacht, um die ich Dich fast heute schon beneide – Friederique (von dieser weis ich nichts als daß Sie jezt Lina bei sich hat – und sie wird sie wahrscheinlich überall hinführen – Du verstehst doch wen ich meine) (Wenn es Dir so beliebt) lieh mir schon vor einigen Jahren seine Rapsodien und Gedichte worinnen mir das meiste schon gefiel aber seit einigen Stunden bin ich weit bekanter noch mit dem inersten seines Wesens – die romantische Dichtung – Ida von Plessen – die ich nur ganz zulezt auf meinen eng beschriebnen Zettel gesezt hatte – um wenn von alle den gewünschten nichts da sey doch etwas von einem bekanten Autor zu lesen erschien heute mit denen Hainings Briefe an Ema – von Kosegarten herausgegeben – – wahrscheinlich hat Willich doch das erste gelesen – ich kann Dir nichts davon sagen – als daß ich vieles aus meinem innersten heiligsten ausgesprochen [fand] manches was seit Jahren schweigend in mir schlummerte – plözlich wie durch ein Echo heraus gestoßen – oder leise nachgehallt[;] daß ich auch Deiner und Leonoren dachte versteht sich – |
Morgen solte sie fort diese Epistel Du must Dich aber schon gedulden denn ich habe Dir noch manches zu beantworten und zu erzählen jezt aber muß ich ausruhen – Wo soll ich Dich mir heute denken?
den 5ten October Auch in Hainings Briefe an Emma ist so viel mein Lieber was mich so wohl an Deine gegenwärtige als längst vergangne Laage recht lebhaft erinert auch mir die lieben Menschen vergegenwärtigt die ich durch Dich kenne doch was hilft das alles wenn Du es nicht gelesen hast – die beiden Mädchen die eigentlichen Heldinnen in beiden Büchern – lieben das Schweigen – und werden doch vielleicht eben darum oft inigst geliebt verehrt und angebetet – ich möchte die Bücher gern oftmals durchlesen – will sie jedoch Morgen wieder abschiken – weil ich gern auch wieder was belehrendes hätte –
den 6ten Sie sind wirklich fort die Bücher in denen ich heute beim Frühstük noch zum Abschied herumblätterte – und wehmütig mich von ihnen trente. Von Deinem Leben in Landsberg Deinen Besuchen alda – von Deinem ersten Auffenthalt in Berlin – Deinen Bekantschaften aus Preußen – ja selbst Dein Wesen mit Saks und Eichmans alles wurde mir vergegenwärtigt – auch Wedikens Styl mit welchen Du mich vertraut gemacht fand ich in Hainings Briefen – und Menschen die er darinnen caracterisirt – es kan wohl sein daß ich mir es noch einmahl wieder komen laße erst aber will ich wißen ob Du Leonore oder doch Willich es gelesen – grüße ihn von mir und frage ihn darüber. Daß dieser Leonoren wie Du selbst sagst näher bestimen will | ist auch mir nicht lieb – bei Leuten die sich schon so nahe – und wo nur das eine und zwar das Schwächere mit so vielen Lieben zu kämpfen hat ist dieses Treiben und schütteln unnötig ich bin freilich öfters im inren verzagt ob ich das Ende dieser Geschichte noch erleben – und was mehr als alles ob ich Leonoren die ich mehr liebe und höher schäze als Du es selbst glauben magst noch werde kennen lernen – Gott gebe es – ich kan dieses Entbehren nicht ertragen das weis und fühle ich –
Daß Dir mein Zettel an die Eichman doch nicht ganz recht dachte ich wohl – daß ich im Fall eines Hinscheidens von Euch die Sache ungeschehn zu machen wünschte ist wohl erklärbar – indem ich denn doch gewiß das Zurükgebliebne schmerzhaft und leidend wüste – wohl wahr mit der Rükerinrung aller genoßnen und geträumten Freuden – aber diese Stimung zehrt auch am inern und äußern Menschen – zieht das Sehnende hinab – auch hinauf, wie Du wilst, und was dann mit Lotten? – ach ich kan nicht viel von Leonoren oder Ida sprechen denn Du wähnst immer ich habe Geheimniße, und es ist nichts daran – als innige trauliche Gespräche die ich mit diesem zarten leidenden und doch vesten, Wesen, verhandeln wolte – auch mein Inres wolte ich ihr aufschließen über mich selbst – was ich nicht gethan – seit meine Zimmermann nicht mehr bei uns |
den 7ten October 1802
Eine rechte Versuchung hatte ich jezt mit dieser Schreiberey mich in den Garten zu sezen wo es so vertraulich dustern und doch heiter ist – aber die Folgen die dis vielleicht für meinen schwachen Kopf haben würde bedenkend unterließ ich es – Heute vor 8 Tagen – lächle nur comisch Triumpfhirend – daß diese Epistel doch nicht so abgeht wie ich dachte – grade an einem recht besezten Nachmittag muste ich auf dem Glazhof speisen und vorher natürlich alle Schulen umwerfen – um doch nicht um 2 wieder hier sein zu dürfen – diese schnelle Einladung nach 4 Wochen ließ mich etwas besondres zum Grunde vermuthen – und Siehe! Madame hatte mit Pflaumen zu wirtschaften – und wolte Pito nicht allein wißen – Nach Tische aber nahm ich überall die kleine stürmische Louise (Von diesem Wesen habe ich Dir es wohl noch nie ausgerichtet daß sie oft vom Pastor Friz spricht ihn grüßen läßt und sich vorstelt er wird bald mit Frau Schleiermacher komen und sie auch wieder fahren) mit weil ihre Wärterin auch mit Obst zu thun hatte – dis mochte Ihm vielleicht nicht recht sein, ich ließ es aber merken daß mir es süße Pflicht sei mich der kleinen Verlaßnen anzunehmen; eine ganz eigne Freude war es mir als Baron Cotwiz hinkam – sein eigentlich mänlicher Freund – recht wünschenswerth recht treflich behandelt ihn dieser – Pito geleitete ihn nach Gnadenfrey – unter deß – empfahl ich mich auch – wir begegneten uns noch auf seinem Rükwege – nach seinem Wunsch hätte ich dort zu Abend bleiben und zu Hause fahren sollen – natürlich daß ich nicht wieder umdrehte – sondern Er mich begleitete – auch dismahl war er sehr traurig – doch nicht so zweideutig – zulezt sprach er sehr hofnungsvoll von seinem Plan mit mir – von deßen Ausführung er sich wer weis was schönes vorstelt | ich glaube und wünsche es nicht daß daraus etwas werden wird – und wie könte ich dis ernstlich! alles peinliche zu geschweigen was daraus entstehen könte – wird meine Cörperliche Ruhe und Pflege unendlich verliehren auch meine Beschäftigungen und Erholungen – würden bei alle dem daß ich jezt viel besezte Stunden habe – auch nicht so lohnend und noch weniger so erquikend sein – – glaube mir das immer mein Lieber! Dein Gruß hat ihn recht erquikt – in einem ganz eignen Ton sagte Er – „O der köstliche Bruder! hätten wir ihn nur näher“ – auch vor 4 Wochen da ich Ihm so recht offen wegen dem Schreiben an Ihn sprach und was ich deswegen an Dich geschrieben – meinte, Er, „Wie könen Sie auch nur einen Gedanken von auslachen faßen immer wäre mirs lieb gewesen, [nun] geantwortet hätte, und kann ich nie in solcher Stimung – und nun daß Sie dis nicht Unrecht genomen ist es beßer so – wohl hat Ihr Bruder recht – nie wird mir in keiner andern Stimung Ihre Freimütigkeit wie Sie sagen eben so wenig Ihre Freundtschaft lächerlich werden – nein imer werth soll sie mir bleiben!“ in unserm lezten Gespräch ermunterte ich Ihn doch die angenehmen zarten Äußerungen seiner Frau (von denen ich mich öfters unpartheiisch überzeuge) dankbar zu empfinden – welches mir aber gar nicht so vorkomt, und mir doppelt traurig ist – meinte – Er – ach ja es giebt wohl noch solche Momente aber bald sind sie wieder verdunkelt. Da hörst Du nun recht viel – wie ich mit Ihm spreche – ich mache Dir gewiß kein Geheimniß draus – sehr leid war es mir vor 8 Tagen, daß ich nichts von Deinen Briefen bei mir hatte |
Beinahe möchte ich Dich wegen der langen Epistel um Verzeihung bitten und doch wenn ich sie mir überlese finde ich vieles nicht was eigentlich da stehn solte – noch etwas von Pito – ich bezeugte Ihm diesen Somer einmahl daß mir in der That oft bange wäre wenn seine Frau mich ihm so zuführte und so lange Uns allein läst – ob ihr das nicht einmahl so schreklich werden könte daß Sie michs auf eine widrige Art fühlen lies – – und wie ich mir überhaupt dis Zutrauen sehr schäzte und desto behutsamer sein müste es auch auf die zarteste Weise nicht zu misbrauchen – denn das Andenken an jene Geschichte sei mir immer schreklich und warnend – Er meinte ich hätte Ihm das schon mehrmalen geäußert – es sei das alles recht sehr zu ehren an mir – aber es sei auch gar nichts zu fürchten – weil bei Uns alles nur Psichisch sei – und sonst immer phisisch – ich hätte laut lachen mögen!!! Er meinte wohl daß Sie die Harmonie unsrer Seelen weiter nicht fühlt – nichts verliert wenn es nur nicht ins phisische geht – Gott! –
Daß Du keine Monologen für jezt hast ist mir sehr unangenehm das wäre so treflich uns über manche Stelle zu unterhalten in dieser Hinsicht deutete ich Dir mehrere paginas ann nun bin ich eine meiner großen Freuden beraubt – Schade! |
Von der Fürstin kann ich Dir noch nichts sagen – vor 8 Tagen schikte ich Ihr mit einer guten Gelegenheit – eine Wikelschnur die ich selbst verfertigt und eine künstlich gestrikte Müze – schon durch Andre habe ich gehört daß sie sich außerordentlich darüber gefreut und mir noch selbst danken würde – wohl habe ich von dem lezten Geschenk 16. Thaler zurükgelegt – habe sie aber damals bald der Comtesse Posadowsky gebracht weil sie [mir] zur Reise samlen wolte – nun kann und will ich nichts davon nehmen – weil man künftiges Jahr wegen der Fürstin nicht rechnen kann – daher ist mir Deine Güte meinen Coffé und Zuker und Medicin zu berichtigen viel werth – mein Lieber ich werde das für gewis ansehen – um mich nicht im voraus zu kränken – 15 rthr wird im Laden – und 5 in der Apotheke sein – vielleicht kanst Du durch eine Anweisung über Berlin so bald als möglich mir die Hälfte schiken – um im December den Leuten doch Geld weisen zu könen – möchten Dir doch einst die schönsten Stunden in Leonorens Umgang dafür Lohn sein.
Mit den Tüchern wird in Berlin nichts – Jette (Vielleicht schreiben wir uns auch künftig ohne Tücher – zuweilen – bitte be[sorge] doch daß ich bald den andern [ ] [Coupon] Atlas bekomme) hat mir 2 Briefe deshalb geschrieben ihr Styl ist sehr schön und doch einfach – Du kanst Sie es immer wißen laßen wie mich ihre Briefe freuen – bitte schreibe recht bald
Deiner
Lotten
bitte laße mich wißen – wenn dieser Brief angekomen ist – morgen den 8ten geht er ab noch eimnahl schreibe bald schlafe recht wohl lieber guter Liebender! –
Frage? Was ist ein umgestürzter Terminus – auf den MarmorSärgen der Alten?
Bitte das innre des couverts zu lesen
Metadata Concerning Header
  • Date: 8. September bis 7. Oktober 1802
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Stolp · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 6. Briefwechsel 1802‒1803 (Briefe 1246‒1540). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 2005, S. 122‒135.

Zur Benutzung · Zitieren