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Friedrich Schleiermacher to Wilhelm Heinrich Maximilian zu Dohna-Schlobitten TEI-Logo

Seit Sonnabend, bester Graf bin ich wieder hier, und habe mich nun so ziemlich wieder eingewohnt in die Einsamkeit und in die Arbeit die freilich von allen Seiten, ich weiß nicht ob zum Glük oder zum Unglük sehr groß ist. Auf meiner Reise ist es mir überall auch nach Königsberg noch sehr wohl gegangen. In Hermsdorf habe ich vier herrliche Tage zugebracht, und bin noch mit weit mehr Liebe zu Wedeke und seiner Frau weggegangen als ich hingebracht hatte. Eine solche Ehe, eine solche Kindererziehung, eine solche innre Freiheit und Fröhlichkeit unter beschränkten und ungünstigen Umständen, so viel reiner Sinn endlich für das heterogenste und entfernteste ist mir warlich selten vorgekommen. – Dort habe ich auch die Familie aus Schlodien gesehen: aber wie verändert! Die Gräfin sehr alt und häßlich geworden, der Graf baar und ledig von aller seiner Lebendigkeit und seinem Wiz, ganz versteinert im Gichtelianismus.
In Schlobitten, Sie sehen ich gehe ganz chronologisch, habe ich mich ausnehmend gefreut, über den Gesundheitszustand Ihrer gnädigen Eltern, | über ihre Stimmung, kurz über Alles was ich inne ward und auch über die wahre Herzlichkeit mit der ich aufgenommen wurde, und von der ich noch sehr gerührt bin. Ihr ältester Bruder hatte mir furchtbare Beschreibungen gemacht von der schlechten Gesundheit Ihrer Eltern – kein wahres Wort, dem Himmel sei Dank. Es scheint ein ordentliches Schiksal zu sein daß Ihre Eltern und Graf Alexander sich gegenseitig über einander beunruhigen ohne Not. Diese Besorgnisse waren das einzige, was ich weggewünscht hätte in Schlobitten. Gesezt nun auch Graf Alexander hätte eine entschiedene Abneigung gegen das Heirathen, was er selbst doch nicht einmal wissen kann: so sehe ich das Unglük davon nicht ein, sondern nur das mindere Glük. Wohl aber das liebe lautere Unglük, wenn er merkt, wie sehr man sich deshalb quält, und sich etwa gar, was Gott verhüte bongré malgré sacrificirt. – Etwas öde mußte mir, wie Sie denken können das große Haus vorkomen in Vergleich mit seiner ehemaligen Fülle, ein Gefühl das ich sorgfältig in mich verschloß, so wie das was mich übernahm, nicht nur vor dem Bilde der Gräfin Friederike, sondern überall. Ein neues Besizthum was ich in Schlobitten gefunden ist die Musik, die wirklich sehr zu Statten kommt um die leeren Stellen auszufüllen, und ich habe bewundert, wie weit es die Gräfinnen, bei einem so späten Anfang schon darin gebracht haben. |
Wenn das Todtsagen langes Leben bedeutet: so bedauern Sie mich, lieber Graf; ich muß alsdann ewig in Stolpe leben, so vielfach bin ich für Stolp todt gesagt worden. Nicht nur hat sich während meiner Abwesenheit hier das Gerücht verbreitet, ich würde gar nicht wiederkommen von Königsberg: sondern auch in Berlin glaubt man nichts gewisser, und Spalding wollte schon wissen daß meine Vocation ausgefertigt wäre. Indessen hat das KirchenDirectorium in Berlin etwas gethan, was wenn es in Königsberg recht verstanden und angenommen wird mich dem Ziel meiner Wünsche beträchtlich näher bringen könnte. Es hat nemlich geäußert man möchte dem Herrn Weil seiner Jugend wegen nicht die zweite sondern nur die dritte Vakanz zusichern, und dann würde ja wohl, hoffe ich, die zweite für mich sein. Ich fürchte nur man möchte in Königsberg unnüze Schwierigkeiten finden, und nicht bedenken, daß man sehr leicht sowol dem jezt zu wählenden ersten, als dem hernach zu wählenden zweiten Prediger die Bedingung machen kann dem Adiunctus etwas bestimmtes abzugeben bis auch die dritte Stelle erledigt wird. Wüßte ich irgend Jemanden der dies dem Herrn Kanzler in seinem rechten Lichte vorstellen könnte: so könnte dadurch viel für mich gewonnen sein. Aus einigen Aeußerungen von Herrn Sack muß ich schließen daß das Kirchen Directorium diese Einschränkung zum Theil in Hinsicht auf mich gemacht hat. Herr Weil wird dadurch wohl nicht gefährdet, da er sich auch als Adiunctus so bedeutend verbessert, und ein so viel jüngerer Prediger ist als ich.
Verzeihen Sie daß ich Ihnen soviel von meinen Angelegenheiten geplaudert habe. Sie haben es | mit dem freundschaftlichen Interesse verschuldet welches Sie daran zu nehmen schienen.
Ich hoffe daß die Rose, von welcher die Frau Gräfin befallen worden ist, von keiner Bedeutung war, und ihr mütterliches Verhältniß zu der kleinen Sophie nicht gestört hat. Über die Privatstudien Ihrer Brüder bin ich in Schlobitten vieles gefragt worden worauf ich nicht zu antworten wußte
Laßen Sie mich Ihrem schönen häuslichen Kreise, in dem ich so glükliche Tage zugebracht, und so viel aufrichtiges Wolwollen gefunden habe, aufs beste empfohlen sein. Möchte mein Gutes Geschik mich bald wieder in die Nähe desselben bringen. Diese Hofnung, die doch nicht ganz verdunkelt ist, und das Andenken jener Tage wird mir hier in meiner Abgeschiedenheit oft zum Trost und zur Aufheiterung gereichen.
Schleiermacher.
Stolpe d. 17t. Nov
an Graf Fabians Geburtstag der mit irgend etwas oder gar nicht gefeiert worden ist?
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  • Date: Mittwoch, 17. November 1802
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Wilhelm Heinrich Maximilian zu Dohna-Schlobitten ·
  • Place of Dispatch: Stolp · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 6. Briefwechsel 1802‒1803 (Briefe 1246‒1540). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 2005, S. 203‒205.

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