Den 24sten November 1802.
Wie bin ich in diesen Tagen bei Ihnen gewesen, theure leidende Freundin! Sie im Traume zu sehen, so gut wird es mir nicht, aber wachend hat die Phantasie Sie mir vorgemalt mit einer Lebendigkeit, über die ich erschrecken könnte. So sehe ich Sie am Krankenbette Ihrer Mutter, Ihre stillen stummen Thränen, | Ihr aufgelöster Gang, Ihr Blick, in dem Ihre ganze schöne Seele sich malte. [...] Ein solcher Tag, wie Sie vorgestern erlebt haben, gehört zu den merkwürdigsten Erfahrungen des irdischen Lebens. So mit Bewußtsein von beiden Theilen – denn auch Ihre Mutter fühlt nun gewiß ihren Zustand – ein Tag, der nicht wiederkommt – das ist der wahre Abschied, das wahre Sterben. Wenn nur die heiligen Schmerzen und die mancherlei sich kreuzenden Gefühle Sie haben kommen lassen zum Genuß der ruhigen Wehmuth. Haben Sie Sich auch freuen können mit Ihrer Mutter und über sie, daß ihr vergönnt ist in einer so schönen Umgebung die lezten besonnenen Tage des Lebens zu begehen? Haben Sie auch, über die äußeren Verhältnisse hinweg, theilen können ihre heilige stille Freude darüber, was innerlich aus denen geworden ist, denen sie das Leben zu geben so glücklich war? O die unendliche Welt von Gedanken und Empfindungen, die jezt in Ihnen ist! Erliegen Sie nur nicht darunter! Erleichtern Sie Sich dadurch, daß Sie, so viel Sie immer können, davon aussprechen. Gönnen Sie doch denen, welchen Sie verständlich sind, recht viel davon – auch für mich bitte ich es. Zwar haben Sie recht, daß ich wohl Alles weiß, aber das lebendige Gefühl von diesem Wissen, wie kann es mir besser werden, als durch Ihr unmittelbares Mittheilen? Und Sie wissen, wie dieses Wissen das beste ist, was ich habe. Sprechen Sie Sich recht aus überall, wo Sie gehört werden können. Wenige Menschen haben eine so liebenswürdige Gabe und Art sich aufzuschließen. Lassen Sie Ihre Freunde den Genuß nicht missen in diesen merkwürdigen Momenten des Lebens. [...]
An meinem Geburtstage habe ich recht tief die Liebe aller meiner Freunde gefühlt und mitten unter allen Schmerzen, nicht etwa troz ihrer, sondern auch durch sie, das seltene Glück meines Lebens. Es hat sich lange im Stillen bereitet; ohne den ruhigen Sinn, abzuwarten und zuzusehen, ohne das richtige Gefühl, das mich von dem minder besseren immer zurückhielt, würde ich es mir | längst verscherzt haben – aber angegangen ist es doch erst seit wenigen Jahren; ich umfasse es noch mit allen Reizen der Neuheit, die auch nie vergehen werden, ich sehe mich noch um in allen Theilen desselben, und frage mich, ob auch Alles mein ist. Und dann wieder, von dem frischen Lebensglanz hinweg, auf den trüben Nebel, der vorüberzieht, in dem sich noch höhere Schönheit und Fruchtbarkeit bereitet, aber der doch auch ganz gefühlt sein will, mit allem beengenden für die Brust, umdämmernden für die Sinne! Auch das segne ich, Alles gefühlt zu haben – das ist der Reichthum des Lebens – alles, was ein liebendes Herz bewegen kann, gleichviel, wie und was.
[...]
Sinnen Sie immer auf ein Geschenk für mich. Es ist nicht des Bedürfens wegen, sind nicht das die schönsten und die einzig wahren Geschenke, deren man nicht bedarf? – Ein schönes Geschenk haben Sie mir gemacht mit den kurzen Worten, daß Ihre Mutter mir gut ist, es liegt etwas so wohlthätig beruhigendes in dem Gefühl, ich möchte es nicht missen.
Leben Sie wohl, theure Freundin, Gott stärke Sie in Allem, was Sie noch zu überstehen haben. Ruhen Sie Sich bisweilen wärmend aus in dem schönen Gefühl, wie Sie erkannt und wie Sie geliebt werden. –
Wie bin ich in diesen Tagen bei Ihnen gewesen, theure leidende Freundin! Sie im Traume zu sehen, so gut wird es mir nicht, aber wachend hat die Phantasie Sie mir vorgemalt mit einer Lebendigkeit, über die ich erschrecken könnte. So sehe ich Sie am Krankenbette Ihrer Mutter, Ihre stillen stummen Thränen, | Ihr aufgelöster Gang, Ihr Blick, in dem Ihre ganze schöne Seele sich malte. [...] Ein solcher Tag, wie Sie vorgestern erlebt haben, gehört zu den merkwürdigsten Erfahrungen des irdischen Lebens. So mit Bewußtsein von beiden Theilen – denn auch Ihre Mutter fühlt nun gewiß ihren Zustand – ein Tag, der nicht wiederkommt – das ist der wahre Abschied, das wahre Sterben. Wenn nur die heiligen Schmerzen und die mancherlei sich kreuzenden Gefühle Sie haben kommen lassen zum Genuß der ruhigen Wehmuth. Haben Sie Sich auch freuen können mit Ihrer Mutter und über sie, daß ihr vergönnt ist in einer so schönen Umgebung die lezten besonnenen Tage des Lebens zu begehen? Haben Sie auch, über die äußeren Verhältnisse hinweg, theilen können ihre heilige stille Freude darüber, was innerlich aus denen geworden ist, denen sie das Leben zu geben so glücklich war? O die unendliche Welt von Gedanken und Empfindungen, die jezt in Ihnen ist! Erliegen Sie nur nicht darunter! Erleichtern Sie Sich dadurch, daß Sie, so viel Sie immer können, davon aussprechen. Gönnen Sie doch denen, welchen Sie verständlich sind, recht viel davon – auch für mich bitte ich es. Zwar haben Sie recht, daß ich wohl Alles weiß, aber das lebendige Gefühl von diesem Wissen, wie kann es mir besser werden, als durch Ihr unmittelbares Mittheilen? Und Sie wissen, wie dieses Wissen das beste ist, was ich habe. Sprechen Sie Sich recht aus überall, wo Sie gehört werden können. Wenige Menschen haben eine so liebenswürdige Gabe und Art sich aufzuschließen. Lassen Sie Ihre Freunde den Genuß nicht missen in diesen merkwürdigen Momenten des Lebens. [...]
An meinem Geburtstage habe ich recht tief die Liebe aller meiner Freunde gefühlt und mitten unter allen Schmerzen, nicht etwa troz ihrer, sondern auch durch sie, das seltene Glück meines Lebens. Es hat sich lange im Stillen bereitet; ohne den ruhigen Sinn, abzuwarten und zuzusehen, ohne das richtige Gefühl, das mich von dem minder besseren immer zurückhielt, würde ich es mir | längst verscherzt haben – aber angegangen ist es doch erst seit wenigen Jahren; ich umfasse es noch mit allen Reizen der Neuheit, die auch nie vergehen werden, ich sehe mich noch um in allen Theilen desselben, und frage mich, ob auch Alles mein ist. Und dann wieder, von dem frischen Lebensglanz hinweg, auf den trüben Nebel, der vorüberzieht, in dem sich noch höhere Schönheit und Fruchtbarkeit bereitet, aber der doch auch ganz gefühlt sein will, mit allem beengenden für die Brust, umdämmernden für die Sinne! Auch das segne ich, Alles gefühlt zu haben – das ist der Reichthum des Lebens – alles, was ein liebendes Herz bewegen kann, gleichviel, wie und was.
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Sinnen Sie immer auf ein Geschenk für mich. Es ist nicht des Bedürfens wegen, sind nicht das die schönsten und die einzig wahren Geschenke, deren man nicht bedarf? – Ein schönes Geschenk haben Sie mir gemacht mit den kurzen Worten, daß Ihre Mutter mir gut ist, es liegt etwas so wohlthätig beruhigendes in dem Gefühl, ich möchte es nicht missen.
Leben Sie wohl, theure Freundin, Gott stärke Sie in Allem, was Sie noch zu überstehen haben. Ruhen Sie Sich bisweilen wärmend aus in dem schönen Gefühl, wie Sie erkannt und wie Sie geliebt werden. –