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Friedrich Severin Metger to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

Für das Vergnügen, das mir, theuerster Freund, Ihr Brief gemacht hat, danke ich Ihnen innigst. Es ist mir unangenehm, daß wenn auch nicht Ihre, so doch meine Hoffnung, Sie würden Hofprediger in Königsberg werden, nicht erfüllt wird. Nicht als ob ich wünschte, Ihr Nachfolger in Stolpe zu werden: Gottlob! ich kann auch uneigennützig hoffen; sondern weil ich glaubte, eine der dasigen Hofpredigerstellen müßte allen Ihren Bedürfnißen in demselben Grade genügen, als eine der hiesigen. Ich sehe meine jetzige Stelle als ein wahres Glück meines Lebens an, und so können Sie sich sehr darüber freuen, daß Sie durch Ihre Wahl der Stolpischen Stelle doch Veranlaßung zu meiner grösten Zufriedenheit geworden sind. Daß ich in meinem vorigen Briefe erwähnte, ich wünschte wohl Ihr Nachfolger zu werden, hieß bloß, wenn ich versetzt würde, was doch mit der Zeit geschehen wird, so wünschte ich mir keine andere Stelle als die Ihrige, weil ich überzeugt bin, daß ich keine beßere erhalten kann. Mit Vergnügen lese ich in Ihrem lieben Briefe, daß Sie die Beschwerden Ihrer Reise durch die Vergnügungen derselben reichlich entschädigt sehen.
Einen Mann, als den Sie den Landprediger schildern, wäre ich sehr begierig kennen zu lernen. Wie selig werden Sie sich gefühlt haben in dem Kreise einer solchen Familie, und gewiß ist in Ihnen wohl die Sehnsucht sehr lebhaft aufgeregt nach dem, was Sie bis jetzt noch entbehren. Ich wünschte sehr, daß Sie auch in der Erfahrung eine solche Ehe darstellten, als Sie in der Idee – in Ihren Monologen dargestellt haben – daß Sie die fänden, welche Ihrem Ideale entspräche. Da Sie durch Lehre die Welt zu erbauen sich verpflichtet gehalten haben, so dächte ich, Sie müßten ihr die größere Wohlthat nicht versagen, sie auch in diesem allerwichtigsten Puncte durchs Leben zu erbauen. Ich lernte gerne Ihren so hoch gepriesenen würdigen Freund persönlich kennen. Da dieß nicht möglich ist: so ist mir die Anweisung, die Sie mir geben, Ihn durch Madame Grunow und durch seine Schrift näher kennen zu lernen, sehr lieb. Madame Grunow habe ich vorigen Sonntag, wo Ihr Mann so gütig war, mich vor meiner dortigen NachMittagsPredigt zu Tische zu laden, gesprochen. Ich finde das meiste Vergnügen, wenn ich mit diesem Paare allein in Gesellschaft bin. So hatte ich auch vorigen Sonntag sehr viel Vergnügen. |
Auch in der Familie des Herrn Director Snethlage am Joachimsthale fühle ich mich sehr glücklich. Es ist dieß eine sehr religiöse fromme Familie, die ich auch mit vielem Vergnügen alle 8 oder 14 Tage besuche. Im Eichmanschen Hause bin ich kürzlich verschiedenemal gewesen. Dieß kann ich Ihnen, der Wahrheit gemäß melden. Ob Madame Eichmann nun das Vergnügen hat, mich bisweilen bei sich zu sehen – diese Frage will ich Ihnen nächstens beantworten. Ich habe die Gabe der geselligen Unterhaltung nicht, wodurch Ihre Gegenwart Vielen hier so theuer geworden ist. Es ist mir wohl vorgehalten, daß ich kein Vergnügen daran fände, mich über die gewöhnlichen Gegenstände des Lebens zu unterhalten. Man thut mir dadurch Unrecht. Denn in Gesellschaften, in denen ich mich zur Freundschaft gestimmt fühle, unterhalte ich mich gerne über die allerunbedeutendsten Dinge. Mögen sie an sich noch so unbedeutend seyn, sie werden mir wichtig als das Vehikel, worin sich das freundschaftliche Gemüth, dem die Mittheilung Bedürfniß ist, mittheilt. Dieß scheint mir auch die einzige Bedingung, unter der ein Gespräch über die trivialsten Gegenstände geheiligt – und in den Augen des Vernünftigen gerechtfertigt wird. Nun sind es aber nur wenige Gesellschaften, in denen ich mich zur Freundschaft hingeneigt fühlte, in denen also auch nur die Bedingung einträte, mich über alltägliche Gegenstände gerne zu unterhalten, und sie durch den Zusatz, den sie aus einem freundschaftlichen Gemüthe mitziehen, intereßant zu machen, ohne welchen Zusatz und Beimischung sie langweilig sind, wie es die tägliche Erfahrung lehret. Freilich ist dieser Mangel an freundschaftlicher Stimmung wohl fast eben so oft eine Folge, als sie eine Ursache ist von dürftiger und weniger Unterhaltung. Menschliche Gemüther können sich einmal oft nicht anders einander bekannt machen und offenbaren, als durch die Sprache. Am meisten wohl durch die Miene, aber die Seele drückt sich nicht immer so getreu in dem Körper, und in dem allerbeweglichsten Theile deßelben ab; ich habe Menschen, die mir nach dem übrigen die geistigsten zu seyn schienen, mit dem allermaterielsten Auge gesehen. Dieß führt mich auf August Wilhelm | Schlegel. Ich ging vor 14 Tagen zu ihm und bat ihn um eine Fremdenkarte. Ich hatte ihn schon dieses Frühjahr bei Ihnen gesehen, konnte aber ihn, da ich miops bin, nicht deutlich betrachten. Jetzt faßte ich ihn so recht ins Auge, und was hatte ich da für einen Anblick, ich muß sagen, solch ein geistiges Auge erinnere ich mich nicht gesehen zu haben. Seine Vorlesungen fallen in eine mir ganz ungelegene Stunde; die 4te müßte ich immer aufgeben, darum höre ich sie nicht.
Jetzt glaube ich es selbst, daß ich die Fichtischee Philosophie werde faßen können. Für manches, was mir sonst ein tief verborgenes Geheimniß war, hat sich mir bereits der Sinn geöfnet. Ich finde ihn gar nicht mehr so unpopulär. Seine Sprache halte ich für das Ideal einer philosophischen. Für jeden Gedanken finde ich immer den allertreffendsten, bestimmtesten Ausdruck. So schwimmt es denn nicht im unbestimmten Raume, was er vorträgt. Wie mangelhaft ist darin Kant! wie wenig scheint der Mann die Sprache in seiner Gewalt zu haben. Dieß ist mir wieder etwas unerklärbares bei einem so tief und scharfdenkenden Philosophen; denn dem, was Sie in Ihren Monologen über das Verhältniß der Sprache zum menschlichen Geiste sagen, muß ich einmahl ganz beistimmen. Aus eigener Erfahrung weiß ich es, der Mangel des Ausdruks ist Folge einer nicht bestimmt gefaßten Anschauung. Ich kann oft andere von dem nicht überzeugen, was mir evidenteste Wahrheit ist. Ich habe das bestimmte Wort nicht: ich sinne länger darüber nach, und meine Ueberzeugung wird mir zwar nicht gewißer, aber meine Anschauung wird bestimmter, und mit der bestimmten Anschauung findet sich das bestimmte Wort. Nun wird mir auch die Art und Weise klar, wie junge Leute durch Romanenlesen sich in Absicht ihrer Sprache so erbärmlich zurichten. Soll das Lesen eines Romanes die Gabe der Sprache bereichern: so muß die Empfindung und Ansicht des Verfaßers die meine seyn, und ich selbst muß versuchen, diese in Worten darzustellen: nun | gewinnt meine Sprache, wenn ich das unbestimmte meines Ausdrucks mit dem bestimmten Ausdruck des Künstlers vergleiche. In dieser Hinsicht ist mir Wilhelm Meister, nicht wegen des Ganzen und der Einheit, denn die geht gewöhnlich für mich verlohren, sondern wegen der einzelnen intereßanten Situationen und der höchst treffenden Darstellung derselben unschätzbar.
Fichte erinnert sich oft Ihrer mit besonderer Hochachtung. Er war kürzlich etwas unpäßlich. Gegen seine Philosophie scheint hier Alles eingenommen zu seyn, natürlicher Weise ist sie mir auch ärgerlich, da sie meinen Glauben anficht. Aber es hilft nun einmal nichts. Abweisen kann ich diesen Gegner nicht, ich muß mich mit ihm einlaßen, und seine Stärke versuchen, dadurch wird mir seine Schwäche sich offenbaren. Ich habe reine Liebe zur Wahrheit und die hoffe ich, wird mich sicher leiten. Auch Ihre Reden fange ich von neuem an, und auch über diese muß ich gestehen, geht mir ein helleres Licht auf. Auch mit ihnen hoffe ich noch auf einen Weg zu kommen, wenn wir nicht anders schon auf Einem Wege sind, und nur von verschiedenen Ausgängen auf denselben gekommen sind. – Sie enthalten Sich alles Schmuckes in Ihren Predigten, wie verehre und liebe ich Sie deshalb, da er sich Ihnen so sehr darbietet. Ich muß die Wahrheit schon nakt darstellen, denn ich habe nichts, was ich als reitzendes Gewand um sie hängen könnte.
Dann müßen Sie populär seyn, da alles was Sie vortragen aus dem Innern der Menschheit, einem nicht jenseit der Meere gelegenen, sondern dem Menschen nahen Grunde hervorgeht. Der Bote von Haude und Spener hat mir wieder ein Paquet gebracht, er verlangt ein Trinkgeld. Wäre es nicht beßer, Speners schickten es gleich auf die ihnen nahe liegende Post, um der geringern Mühe willen? Der Bote sagt Sie hätten es so verordnet. Den Brief von Spener an Sie will ich öfnen, aber – nicht lesen, weil das Siegel etwas groß ist. Wo mich – freilich Laien nicht alles trügt, so läßt Madame Eichmanns Gestalt nächstens eine Bereicherung ihrer Familie erwarten. Diese liebe Frau erinnert sich Ihrer mit vieler Achtung. Schon einigemal habe ich die Quitung hingeschickt, aber vergeblich, heute hoffe ich das Geld zu erhalten. Dann werde ich Thym bezahlen, die Quittungen Ihnen darüber mit Gelegenheit zusenden, und den Rest an Madame Herz besorgen. Den 2ten Theil von Paulus Commentar den Sie in den Zirkel gegeben haben, habe ich mit ins Paquet gelegt. Ich habe das Geld so eben erhalten, und werde es, wie schon gemeldet, besorgen.
Vor 14 Tagen habe ich doch nun auch meine Instruction vom ArmenDirectorio erhalten.
Sie ist mit Klaproth seiner und also auch wohl mit Ihrer ziemlich gleichlautend. Nur daß das ArmenDirectorium mir auch die Cur der Irren aufgeladen hat. So viel ich kann, werde ich mich nun auch dieser annehmen müßen. Mit einigen von diesen habe ich mich auch schon unterredet, aber ich besorge, wohl nicht mit sonderlicher Wirkung.
Ich empfehle mich Ihner theuren Freundschaft
Berlin, d. 4t. Dec. 1802.
Metger.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 4. Dezember 1802
  • Sender: Friedrich Severin Metger
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Stolp · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 6. Briefwechsel 1802‒1803 (Briefe 1246‒1540). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 2005, S. 228‒232.

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