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Lucie Eichmann to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

am 12ten
Ich muß mich wohl zum unmittelbaren entschließen, da das mittelbare so schlecht von statten geht; ich verkaufe Ihnen übrigens jedes Hohe und niedrige in dem Brief an Mama – das ganze Wort steht nicht drin, halten Sie sich doch nicht an Traditionen, sondern lesen Sie selbst. Dieß schreibe ich in gerechten Eifer noch Abends nach 11, nach einem Soupée beim Gr. Mayer mit dem neuen Hoffprediger – gute Nacht!
am 14ten
Sie wissen man spricht viel und liebt Schleiermacher auch im gemeinen Leben nicht sonderlich, laßen Sie sich also diese Äußrung nicht so zu Herzen gehn, am wenigsten nennen Sie mich, denn wenn ich auch die betrübten | Speise, so kann ich der Lucinde wegen kein Kleid weniger haben – die Reden zu lesen haben Sie mir – wohl nicht ausdrücklich verboten, denn Sie kennen die Weiber wohl genug, um zu wissen das ich sie denn lesen würde – aber doch gesagt „es wäre Ihnen lieb wenn ich sie nicht läse –“ Meine Klage kann ich also nicht zurück nehmen. Was ich nun von den beiden Freunden selbst halte? soll ich wirklich mein Glaubensbekenntniß darüber ablegen – Den einen, deßen Geist ich nur kenne fürchte ich, achte ihn aber sehr, den andern der mit diesem Geist wenigstens die Tournure der Gutmühtigkeit hat und den ich mehr kenne bin ich güter, und meine Achtung ist mit etwas weniger Furcht gemischt – Beide haben aber eine so starke Portion Witz, der doch oft die schönsten Blühten abstreift, das einem zuweilen für | sein bischen Leben, bange wird.
Gern nähme ich meiner guten Mutter, und Ihren Vorschlag an und benutzte dies schöne Frühlingswetter in Potsdam aber es geht nicht, ich zweifle selbst die paar Stunden mit Sack kommen zu können: meine Sophie ist seit gestern kranck, hat heute Brechen müßen, und gefällt mir jar nicht, sie ist eigentlich das Kind meines Herzens, und vor meiner Phantasie stehn schon die traurigsten Bilder.
Budach ist in Potsdam eine Erscheinung, er hat seinen Geist mit viel abstracten Dingen genährt und paßt in den Kreis in welchen er sich dreht schlecht, seine Frau die ich nicht empfindsam schelte aber sie dafür halte ist mir sehr interessant, Grüßen Sie beide von mir recht herzlich.
Den neuen Hoffprediger zu sehn machte mir doch eine ganz eigne sensation, es | webte sich in der Geschwindigkeit so viel verschiednes in mir zusammen, das ich weit zuvorkommender gegen ihn war, als ich es sonst gegen Fremde bin, um ihn nicht meine Stimmung blicken zu laßen – ich sah nachher das ich diese Mühe hätte sparen können, denn er schien auch nicht die leiseste Ahndung von der Empfindung zu haben, die sein Anblick bei mir erregen könnte – es scheint mir übrigens ein angenehmer Mann zu sein, ein Freund von Lafontaine, von den er interessante Sachen erzählte, und es ward, nach gehöriger Unterdrückung deßen was in mir war, ein schöner Abend. Die Töchter von Mayer haben so einen unendlichen Erbtheil von Enthusiasmus für alles was ihnen Schön und Edel dünckt, das es eine wahre Freude ist, sich von ihnen hinreißen zu laßen, sie kennen die Menschen so wenig, daß sie sie alle lieben. Εichmann Grüßt ich danke für 2 Briefe.
Luzie E.
Metadata Concerning Header
  • Date: wohl 12. bis 14. April 1799
  • Sender: Lucie Eichmann
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Potsdam · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 6. Briefwechsel 1802‒1803 (Briefe 1246‒1540). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 2005, S. 532‒534.

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