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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Berlin, d. 3. 8br. 1800,
Nein, theurer Freund, so ganz leicht soll es denen, die Uneinigkeit zwischen uns stiften wollen, denn doch nicht fallen[.] Ich wenigstens will von meiner Seite suchen, ihr Vorhaben zu vereiteln. In dieser Absicht bitte ich um die baldmöglichste Beantwortung folgender Frage, die ich auf einem gebrochnen Blatte noch besonders beilege.
1.) was habe ich Fr. Schlegeln vorigen Winter über Sie, und Ihre Unternehmungen mitgetheilt.
Ich setze in meine Worte so wenig Werth, daß ich mich derselben selten erinnere; aber ich bin meines Charakters so sicher, daß ich überzeugt bin, nie gegen Ueberzeugung und Empfindung gesprochen zu haben. Nun habe ich stets die innigste Achtung für Ihren Geist, und Ihr Talent, und die glänzendsten Erwartungen von Ihnen für die Wissenschaften gehegt; und es ist schlechthin unmöglich, daß ich etwas mit dieser Gesinnung streitendes gesagt habe. Sollte Fr. Sch. etwas dieser Art behaupten, von mir gehört zu haben, so redet er sicher nicht die Wahrheit.
Ihre von Zeit zu Zeit gegebnen Ansichten des transscendentalen Idealismus überhaupt habe ich gelesen, sie richtig, treffend, genialisch gefunden; dies in Schrift und Rede mehrmals bezeugt; es ist unmöglich, daß ich davon je das Gegentheil gesagt habe. Sollte Fr. Sch. etwas dieser Art behaupten, so redet er nicht die Wahrheit.
Ihre, Ihnen durchaus eigenthümlichen Arbeiten über die Naturphilosophie habe ich gar nicht so studirt, daß ich mich irgend eines Urtheils darüber, zu Lob, oder Tadel fähig hielte. Ich habe aber zu Ihrem ausserdem mir bekannten Talente im voraus das Zutrauen, daß sie gut seyn werden. So denke ich, und ich habe sicher nie anders geredet. – Mir für meine Person macht es eben so [/] viel, und beinahe noch mehr Mühe, mich in ein fremdes System hineinzustudiren, als selbst eins aufzubauen. Es ist daher in Absicht der NaturPhilosophie immer mein Vorsaz gewesen, und ist es noch, sie irgend einmal selbst zu bearbeiten. Ich werde sodann erst Ihre Arbeit erst recht verstehen, und beurtheilen können. Es ist möglich, daß ich Fr. Sch. dies gesagt habe; u. hierin liegt ohne Zweifel nichts beleidigendes für Sie.
Ich erinnere mich mit Fr. Sch. zuweilen über den synthetischen Gang meiner Methode gesprochen zu haben. Dieser hat mehrmals bemerkt, daß keiner der übrigen Bearbeiter des tr. Id. dieser Methode sich bemächtigt habe. Es ist möglich, daß dasselbe auch von Ihnen gesagt worden: aber ich sehe darin nichts beleidigendes für Sie [.]
Sollte ich endlich, ohnerachtet ich auch dessen mich nicht erinnere, noch es glaube, Fr. Sch. etwas über unsre Verabredungen bei meiner Verlassung der Jenaischen Universität gesagt haben, so könnte dies nur mit ehrenvoller Meldung Ihres Benehmens geschehen seyn: und von der Beschuldigung der Indiskretion spräche mich die feste Voraussetzung los, daß ich Fr. Sch. eben so für Ihren vertrauten Freund hielt, wie ich ihn für den meinigen hielt.
Was ich auch gesprochen haben möge, so kann ich nur mit Achtung und Freundschaft von Ihnen gesprochen haben, denn ich habe nie aufgehört, diese Empfindungen zu fühlen: es kann nur in einem Zusammenhange geschehen seyn, der diese Empfindungen gezeigt hat; es kann nur auf gegebne Veranlassung – ich will nicht sagen Aushorcherei – meines Interlokutors geschehen seyn. (Ich will Sie nicht fragen, was Sie von einem Men[/]schen denken, der erst einen aushohlt, dann hingeht, und das äusser dem Zusammenhänge gerißne Urtheil wieder erzählt.)
Also – bis Sie die oben stehende Frage mir deutlich beantworten, Sind Sie es, der mir Unrecht thut, indem Sie mich anklagen, ohne mir die Möglichkeit der Vertheidigung zu lassen.
2). Was ist Ihnen in meinem Betragen gegen Sie vom vorigen Winter sonst anstößig gewesen?
Ich freute mich bei meiner Reise nach Jena besonders auf Ihren Umgang. In Ihrer Wohnung konnte ich denselben nicht genießen; denn Sie waren daselbst fast nie anzutreffen, und ich hatte zu oft Sie da vergeblich gesucht. Wo Sie gewöhnlich waren, konnte, und wollte ich aus guten Gründen Sie nicht suchen. Sie ausserordentlich veranlassen, daß Sie zu mir kämen, konnte ich, bei meiner fast ganz aufgehobnen Haushaltung nicht. Sie sind nur zwei, oder dreimahl bei mir gewesen, und es kostete sogar Mühe, Sie über jenen Plan, der jezt so häßliche Nachwehen verursacht, zu sprechen. – Das alles hat mir weh genug gethan. Aber ich bitte: wie bin ich daran Schuld?
Der Himmel weiß, mit welchem Herzen voll Liebe ich von Ihnen Abschied nahm; wie wehe es mir that, daß Sie die mir schon versprochne Probe Ihrer intimsten Freundschaft, mich ein Stük Weges zu begleiten, und uns da noch auszusprechen, wieder zurüknehmen musten; wie mir, als ich Ihnen noch am Wagen den lezten Abschiedskuß gab, gewiß nicht einfiel, daß Sie schon damals Dinge auf dem Herzen hätten (oder war es nicht so; hat Fr. Schlegel Ihnen erst später jene Entdekungen über meine Falschheit gemacht: oder fallen gar zwischen die erste Hälfte Ihres lezten Briefes, und [/] die zweite eben desselben Briefe anderer?) Dinge, sage ich, die es mir nöthig machen würden einen Brief von Ihnen, wie diesen, zu beantworten.
3.) Sie wissen wohl, daß ich Ihnen über W. Sch. nur auf höchst dringende Veranlassung (es war eben in der Sache jenes Plans) mein Urtheil [gab], das von Ihrem eigenen, das Sie schon vor Ihrer Ankunft in Jena zu Dresden gegen mich gefällt hatten, gar nicht abging. Und habe ich je etwas so hartes gesagt, als Sie in demselben Briefe über beide S’s schreiben?
„Wie ich, wenn Sie dies W. S. wiedergesagt hätten (?) diesem hätte erscheinen müssen“? Wohlgefallen würde es ihm ohne Zweifel nicht haben, eben so wenig, als ihm Ihr Urtheil gefallen würde. Aber für falsch hätte er mich nie ausgeben können (wie vermuthlich er auch Sie nicht dafür ausgeben könnte) denn bis dahin war mir über ihn weder gegen ihn selbst, noch gegen irgend einen andern die geringste Achtungsbezeugung entfallen (wie dies vermuthlich auch bei Ihnen nicht der Fall ist.[)] Erst später hat er mir durch einige seiner neuern Aufsätze im Athenäum, und einige seiner Gedichte, Achtung für sein Talent abgenöthigt. Diese habe ich ihm und andern bezeugt, und werde sie stets bezeugen.
Jedoch, was rede ich: „Sie beschuldigen mich ja geradezu der Falschheit, und setzen darin W. Sch. (der gegen mich bei Gott nicht ehrlich gewesen ist) mir entgegen. Sie hoffen, daß ich an Winkelzügen gegen Sie nie Antheil nehmen werde. Ihnen ist es leid, daß alle Gewalt, die Sie sich angethan haben, Sie nicht hat abhalten können, mir diese leztern Erklärungen zu machen“ [/]
Wie diese Erklärungen auch an sich mir gefallen mögen, so thut mir doch, nachdem es Ihnen einmal gefallen hat diese Gedanken von mir zu fassen, nur dies leid, daß Sie sie nicht weit früher erklärt haben: daß Sie diese Misverständnisse zwischen uns so lange haben fortdauren lassen.
Sie haben das Verdienst, der erste zu seyn, der mich der Falschheit bezüchtiget. Zu große Freimüthigkeit, zu unbefangenes kindliches Hingeben – dies sind die Fehler, die mir andere vorgeworfen haben, und auf denen leider ich mich selbst noch oft betreffe.
Schreiben Sie inzwischen die Ruhe, mit welcher ich auf Beschuldigungen von dieser Art mich erkläre, lediglich auf die Rechnung meiner Begierde, das Verhältniß, das zwischen uns seyn sollte, wieder herzustellen.
4.) Was ist das mit Bardili? Ich verstehe Sie nicht.
Der, lange vor Absendung meines gedrukten Plans an Sie, geschriebne Entwurf meiner Uebersicht der neusten Phil. Litteratur liegt vor mir; und ich finde in ihm B. allerdings mit den in meinem leztern Ihnen gemeldeten Punkten aufgeführt. (Was Sie aus seinem Gespräche melden geht aus der Schrift selbst deutlich hervor: und ist in meiner Analyse derselben bemerkt.)
Sie trauen mir doch, so Gott will nicht zu – in Ihren Worten scheint es allerdings zu liegen – daß ich erst „später“ (Sie gebrauchen dieses Wort) d. h. seit Ihrer Meldung wegen Bardili, diese Gedanken, und diesen Plan nun auch gehabt haben will – ich weiß nicht zu welchem Zweke. Bin ich dafür bekannt, so arm an Gedanken zu seyn, daß ich andern welche [/] abhorchen muß; oder keine neuen zur Verarbeitung finde, wenn ein anderer dieselben, die ich auch hatte, verarbeitet? – Daß Ihre Revision d. Ph. L. fast schon fertig gearbeitet sey, ist durch W. Sch. allerdings als ein Grund angegeben worden. Daß mein Entwurf schon fertig gewesen, dadurch will ich überhaupt nichts begründen. Solche Materien sollen Schelling und Fichte einander gegenüber behandeln! Was gäbe ich darum, Sie nur eine Stunde lang mündlich zu sprechen, um die fatale Lage, einander die Frage: „wie kommen Sie zu so niedrigen Begriffen von mir“ – zu= und zurükzuschieben, aufzuheben.
5.) „Ich habe also meinen Gegnern in dieser Sache (das also sind mir die S’s nun geworden, welche vorher nur in der festen Ueberzeugung, daß ich den Plan ganz aufgegeben, die Sache mir verheimlicht haben wollten) eine große Blöße dadurch gegeben, daß ein Woltmann in der Sache geschäftig war? – Ey, war doch sogar ein Herrmann in der Sache geschäftig, und wer weiß vollends, wen wir zum Correktor bekommen hätten, und zum Setzer?
Lieber Schelling: ich kann nun einmahl den Ekel dieser Leute gegen Alle, die nicht durchaus nach ihrem Sinne sind, und der aus der Litteratur in’s Leben übergeht, nicht theilen. Wenn wir es so machen wollten, müsten wir nicht die Welt räumen? Könnten wir uns denn dann mit diesen S’s abgeben, die wie wir uns nun deutlich genug gegen einander erklärt haben, auch nicht durchaus nach unserm Sinne sind?
Nun was wäre es denn gewesen mit diesem W. Er würde, bis wir uns seiner erledigt hätten, sein Fach schlecht bearbeitet haben. Hätten wir das unsre desto besser bearbeitet! Ich hatte schon recht gut berechnet, ihm den Antheil bald zu verleiden. Ich hätte in einen der nächsten Hefte die histori[/]sche Wahrheit vor den Gerichtshof der Philosophie gezogen. Da wäre es denn seiner ganzen Methode gar übel ergangen.
Bei diesen Leuten findet man nur dadurch Gnade, daß man ihre Gegner flieht, wie die Pest, und drauf los haut. Ich weiß sehr wohl, woher ihr ganzes Misvergnügen entstanden ist. Daß ich in Jena noch das Schützische Haus besucht, nachdem es W. Sch. gefallen, der A.L.Z. den Krieg anzukündigen: daß ich auch seitdem in den Streit mich nicht gestürzt. Aber, ich bitte, was geht Schütz, und die Schützin – der A.L.Z. an? So denke ich: und anders werde ich nie denken.
„Die S’s hätten gezwungen werden können[“] pp sagen Sie. So? wissen sie denn das? Daß sie mich der Sache nicht für gewachsen hielten, läßt sich doch, nach den öftern öffentlichen Aeusserungen derselben kaum annehmen. Sonach wurde hier nicht die Sache, sondern Honorar, und Gloriole beabsichtigt. Aus einem solchen Unternehmen kann nichts gutes herauskommen.
Ich schreibe diesen Brief, um mit Ihnen mich zu vertragen, nicht zu streiten. Ich will daher einige harte beleidigende Aeusserungen Ihres Schreibens nicht weiter erörtern.
Z. B. Ich habe unsern Plan an W. verrathen. – Habe ich Ihnen nicht geschrieben – und ich hoffe, daß mein Wort noch gilt – daß U. u. W. einen Plan schon hatten, daß nicht ich, sondern jene mir die erste Eröfnung machten, daß sie zuerst mich einluden, daß ich nun erst, nicht unsern [/] sondern meinen Plan, an die Stelle des U=Wischen sezte; und nun Sie, und die S’s zur Theilnahme an diesem Plane einlud. – Habe ich denn etwa dadurch, daß ich Ihnen in Jena meine Gedanken (ich denke doch wohl, daß es die meinigen waren) mittheilte, die keiner unter Ihnen annahm, und über welche sogar keiner, ausser Ihnen, sich nur recht mit mir unterredet hat – die Verbindlichkeit übernommen, keinem andern Menschen in der Welt auch nur ähnliche mitzutheilen.
Ich habe Ihre Kräfte an U. verkauft? Ey! wie bin ich zu einem so vornehmen HandelsManne geworden? Ich habe Sie nur eingeladen; an Ihnen lag es, anzunehmen, oder nicht. Ich habe sogar jedem unter Ihnen überlassen, seine Bedingungen selbst zu verabreden (meine eignen hatte ich verabredet; sie waren glänzender, als sie bei C. zu erhalten seyn dürften, und es war sicher, daß jeder unter Ihnen ganz andere hätte machen können, als die der durch Schlegel angebotnen 3. Ldor – doch das verschlägt uns nichts, wiewohl den andern) – Sie nahmen nicht an. Sie hatten dazu das vollkommne Recht: darüber habe ich nicht scheel gesehen. Durch Schleyermachers Zwischenträgerei erst, und Misverstand, und Beurtheilung der Sache nach GedankenEigenthumsBegriffen, welche die meinigen nicht sind, ist alles in diese geschraubte Lage gekommen. – Daß W. S. allen in das Geheimniß gezognen ausdrüklich verboten, nur mir nichts davon zu sagen: von der Ausführung eines Plans zu sagen, der mit dem meinigen sogar in Worten, und im Titel übereinkam – darüber muste ich wohl stutzen. [/]
Die jetzige Lage der Sachen
a.) daß ich mich U. nur für die ausdrüklich versprochnen Abhandlungen für das erste Heft verbunden halte – daß ich bei ihm mit Leitung, oder Redaction nichts zu thun haben will, habe ich schon vormals geschrieben
b.) sogar dieser Verbindlichkeit Erfüllung hängt jezt von dem Beitritte zweier durch U. u. W. – nicht durch mich – einzuladenden ab. Dieser Beitritt wird höchstwarscheinlich nicht erfolgen. Wenigstens haben sie seit 4. Wochen noch nicht einmal geantwortet. Sodann halte ich mich für gar nichts gebunden, und das Institut wird dann gar nicht zu Stande kommen.
c. hieraus aber folgt keinesweges mein Beitritt zu Ihrem Institute. Mit den S’s, und ihren Schleyermachern zu arbeiten, habe ich, wie Sie sich erinnern werden, immer ein Widerstreben gehabt. Ihr Ton kann nie der meinige werden. Und wie wäre bei der jetzigen Lage der Sachen daran zu denken? – Mit Ihnen könnte, und wünschte ich es, unter der Bedingung, daß eine andere Stimmung gegen mich von Ihnen aus einträte, als sie bei Verfassung Ihres lezten Briefes war. – Ich habe auf diesen Fall einen andern abgesonderten Plan, über den ich, unter der gemeldeten Bedingung mit Ihnen correspondiren würde. Das Phil. Journal, welches mich ennüyirt, würde ich sodann eingehen zu lassen suchen.
Wo nicht, so bleibe ich allein, was meiner Neigung am gemäßesten ist.
Wichtiger als dieses alles, lieber Freund, – so nenne ich Sie aus voller Seele, [/] indem ich hoffe, daß die Misverständnisse sich heben werden – ist meinem Herzen dies, daß wir uns nicht länger miskennen; daß ich Sie wieder so aus voller Seele lieben könne, wie ich es bis diesen Augenblik gethan habe, und daß Sie wieder das Vertrauen zu mir fassen, welches ich um Sie verdient zu haben glaube.
In dieser Rüksicht erwarte ich sehnsuchtsvoll Ihre Antwort.
Mit Hochachtung und Ergebenheit
der Ihrige
Herrn Professor
F.
Herrn Professor Schelling
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  • Date: Freitag, 3. Oktober 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
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Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 322‒328.

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