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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Berlin, d. 15. 9br. 1800.
Ich danke Ihnen, theurer Freund, auch für die leztern Erläuterungen in Absicht des abgethanen Misverständnisses; indem dadurch jene Familie denn doch nicht so durchaus schuldvoll erscheint – Tiek habe ich die ihn betreffende Stelle Ihres Briefs mitgetheilt. Er freut sich innig, das alte Verhältniß zwischen Ihnen u sich wieder hergestellt zu wissen. Er wollte mir ein paar Zeilen an Sie längst geben.
Noch habe ich sie nicht erhalten. Ueber W. S. habe ich natürlich ihm kein Mistrauen beigebracht, indem ich ihm durchaus rein jene Stelle Ihres Briefs mitgetheilt.
Ihren Vorschlag wegen der periodischen wissenschaftlichen Schrift nehme ich an. Schreiben Sie das erste Stük allein. Ich habe mit meiner neuen Bearbeitung der W.L. mit einem Bericht über diese an das große Publikum, mit 3. Collegien, alle Hände voll zu thun diesen Winter.
Ueber Benennung, Ankündigung, Aeusserlichkeiten haben wir noch Zeit genug uns zu vereinigen. Ausschliessende Bedingung ist nur, daß die Hefte nicht zu bestimmten Zeitpunkten erscheinen müssen, sondern wie sie fertig sind.
Melden Sie also Cotta’n meinen Beitritt in dieser Weise. Mit dem Ungerschen Plane wird es hoffentlich gar nichts werden, und ich von dieser Seite freie Hände bekommen. – Ich habe an Cotta vor 8. Tagen eine Ankündigung meiner neuen W. L. gesendet, in der ich dem Publikum sage, daß das Vergangene vergangen seyn möge, daß ich aber fürs künftige in einer eignen periodischen Schrift die Fortschritte der Φ. beobachten werde. Auch darum kann ich nicht eher, als nach Erscheinung der W. L. ein ernstes, und strenges Wort mit unsern Philosophastern sprechen. – Daß ich mit den S. nicht, wohl aber mit Ihnen, zu arbeiten er[bötig] sey, und mit Ihnen für Einen Mann stehe, habe ich Cotta’n schon in meine [m lezt]ern geschrieben. [/]
Ueber die Proueßen Fr. S. auf dem Katheder ist mir auch schon von andern Seiten geschrieben worden. – Dieser Mensch thut durch sein Uebertreiben der Ehre der guten Sache allenthalben viel schaden. Es könnte, denk ich, nicht schaden, gelegentlich sein beständiges Rufen über die großen Dinge, die da geschehen, während er selbst doch von allem diesem nichts gethan hat, in das gehörige lächerliche Licht zu stellen. – Wie es sich unter andern auch mit dem Fache der Kunstkennerei desselben verhalte, und wie er auch da Andern Urtheile über Bücher, die er selbst nie gelesen, abhorcht, und sodann sie übertreibt, und verunstaltet, habe ich von Tiek merkwürdige Pröbchen gehört.
Ihr Journal habe ich nicht erhalten; wohl aber Ihr System der Transscendental-Philosophie: – und habe die leztere aufmerksam gelesen. – Lobeserhebungen gebühren unter uns sich nicht: hierüber nur so viel, es ist alles, wie es von Ihrer genialischen Darstellung zu erwarten war.
Ueber Ihren Gegensatz der Transscendental= und der NaturPhilosophie bin ich mit Ihnen noch nicht einig. Alles scheint auf eine[r] Verwechselung zwischen idealer und realer Thätigkeit zu beruhen, die wir beide hier und da gemacht haben; und die ich durch die neue Darstellung ganz zu heben hoffe. Die Sache kommt nach mir nicht zum Bewußtseyn hinzu, noch das Bewußtseyn zur Sache, sondern beide sind im Ich, dem ideal=realen, realidealen, unmittelbar vereinigt. – Etwas anderes ist die Realität der Natur. Die leztere erscheint in der TransscendentalPhilosophie als durchaus gefunden, und zwar fertig und vollendet; und dies zwar (gefunden nemlich) nicht nach eignen Gesetzen, sondern nach imma[/]nenten der Intelligenz (als ideal=realem) Die Wissenschaft, die durch eine feine Abstraktion die Natur allein sich zum Objekt macht, muß freilich (eben weil sie von der Intelligenz abstrahirt) die Natur, als absolutes setzen, und dieselbe durch eine Fiction sich selbst construiren lassen; eben so wie die TransscendentalPhilosophie durch eine gleiche Fiction, das Bewußtseyn sich selbst construiren läßt.
Ihre Deduction der drei Dimensionen des Raumes ist mir, indem ich diesen Brief schreibe, nicht gegenwärtig, und nachzuschlagen habe ich keine Zeit. Ich für meine Person denke darüber so. 1.) Der ursprüngliche Raum, oder der R. als Anschauung hat gar keine Dimensionen. Er ist überall, klein oder groß, Kugel; und alles Verfahren der Einbildungskraft mit ihm ist bloß diese Kugel, auszudehnen, oder zu contrahiren. Daher liegt die Deduction der 3. Dim. gar nicht der reinen W. L. sondern zunächst wohl der Philosophie der Mathematik ob; aus welcher die NaturPhilosophie jene Ded. voraussezt. 2.) Die drei Dimensionen entstehen durch abstrahirendes Denken im Raume: und sind nichts anders, denn die allgemeinen Formen des Denkens selbst. Zuförderst der Punkt; Abstraction von den unendlichvielen in der Kugel ihn einschliessenden Punkten (woraus späterhin die Ekigkeit, da in der Anschauung alles rund ist) Form des Setzens überhaupt. Dann die Linie: die im Punkte gemachte Abstraction dauert fort; sonst würden mit jedem Punkt der L. unendliche Punkte concresciren: Form: Kants subsumirende Urtheilskraft. Fläche (ich erinnere nicht mehr das über die Abstraction) Form: Kants reflektirende Urtheilskraft. Körper: Kants Vernunft, die da Totalität sezt: und der Anschauung sich am meisten nähert. Der Körper ist denn nun wirklich ein Raum, wie die Anschauung ihn will. Nur durch die Ekigkeit verräth er das Denk= und AbstractionsWerk.
Leben Sie wohl. Ganz der Ihrige
Fichte.
N. Sch. Ich erhalte soeben einen Brief, aus dem hervorgeht
1.). daß ich von Unger nun völlig los bin, indem Schiller u. Göthe nicht beitreten.
2). (Dies durchaus sub rosa, daß es kein Schlegel, u. kein Ungeweihter wittere!) Wir, d. h. Sie u. ich, aber kein andrer, haben alle Aussicht Göthe, u. Schiller für die Ausführung eines größern Plans mit uns zu vereinigen. Die Ausführung überlassen Sie nur mir.
Eine solche Vereinigung müßte sehr viel wirken.
Sie erhalten meine neuste Schrift.
F.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 15. November 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 4: Briefe 1799–1800. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1973, S. 359‒361.

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